Will Self - Spaß

  • "Die beste Beschreibung der Frigidität erhielt ich von der ersten psychotischen Frau, die ich kennenlernte; sie klagte, sie habe einen Eisklumpen in ihrer Vagina" (Anthony Storr)


    ...zitiert von Will Self in seinem amoklaufträchtigen Roman "Spass". Der Autor selbst, ein umstrittener Londoner Schriftsteller, den man nur lieben oder hassen kann, hat mit "Spaß" ein Buch geschrieben, welches alles andere als nur Spaß ist.


    Ian, zerrissener Held des Romans, erklärt, was er unter Spaß versteht: Obdachlose foltern, Pitbulls quälen, alte Frauen morden. Mal was ganz anderes eben.
    Das Böse und gesellschaftlich-inakzeptable gewinnt die Oberhand und man findet schnell Gefallen am Protagonisten (teilweise verspürt man eine gewisse Zuneigung), was den Leser dann doch schon erschrecken läßt.


    Will Self erzählt mit zähnefletschenden Humor und amoklaufenden Phantasien die Geschichten von Ian, welcher mehr und mehr in die Tiefen von Halluzinationen und bestialischer Extreme gerät. Nur für "hartgesottene" Leser empfehlenswert, die Self's Sarkasmus und Ironie verstehen.


    Kurzbeschreibung
    "SPASS" ist eine Satire auf die moderne Konsumgesellschaft. Sie erzählt von Ian Wharton, einem dreißigjährigen Londoner Marketingexperten, unauffällig, aber erfolgreich mit Haus, Ehefrau und auch bald einem Sohn. Doch Ians Leben hat eine Nachtseite und die macht ihm Spaß - oder bildet er sich die Morde und die Abscheulichkeiten, die er begeht, nur ein?

  • Hatte ja schonmal in einem anderen Thread geschrieben, daß das Buch hier noch ungelesen wartet....
    Wer schenkt mir Zeit ???????????? :cry

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Hallo, Lilli.


    War ja Selfs Erstling, aber meiner Meinung nach nicht sein bester. Das schrub ich nach der Lektüre, vor zwei Jahren, wenn ich recht erinnere:


    "An irgendeiner Stelle in diesem Buch habe ich eine Abzweigung verpaßt. Man frage mich, worum es geht - ich weiß es nicht.


    Ian Wharton ist ein dickes Kind (viele Figuren von Self sind übrigens sehr fett), wächst an der englischen Küste auf, auf einer Art Campingplatz, den die alleinerziehende Mutter nach und nach zum "Country Club" ausbaut. Ian ist Eidetiker, besitzt - verkürzt gesagt - ein photografisches Gedächtnis, eigentlich aber viel mehr als das. Er kann sich in seine bildhaften Erinnerungen hineinversetzen, sich in ihnen bewegen, sogar zu Punkten, die aus dem ursprünglichen Blickwinkel nicht zu sehen waren. Die Fähigkeiten gehen noch weit darüber hinaus, wie Ian feststellt, als Samuel Northcliffe auftaucht, der monströs fette Dauergast auf dem Campingplatz der Mutter - ein altersloser alter Mann, mächtig, dröhnend, aufbrausend, zigarrenpaffend.
    Northcliffe wird zu Ians Mentor, nimmt sich des vaterlosen Kindes an, und führt ihn in eine seltsame Welt der Gewalt, der Manipulation. Dann verschwindet "Der Dicke Kontrolleur" wieder, und taucht erst viel später erneut auf, als Ian erfolgreicher Marketingmanager ist.


    Der verführerische Klappentext läßt etwas in Richtung "American Psycho" vermuten, aber die Klappentexter sind genauso vorgegangen, wie es die Produzenten von Kinotrailern machen: Die besten Stellen zusammengepappt, das isses. Natürlich gibt es - auf einem guten Dutzend der über 400 Seiten - Gewaltszenen, verwirrende, bestialische Hinrichtungen (womit ich nicht sagen will, daß das die *wirklich* guten Stellen des Buches sind - eher im Gegenteil), die Ian möglicherweise tatsächlich erlebt, vielleicht in einer Art schizoider Trance, aber andererseits kann das alles - inklusive der Erlebnisse mit Dem Dicken Kontrolleur - auch Phantasie sein, Traum, traumatische Imagination. Ich weiß es nicht, es hat sich mir nicht erschlossen, die Bildhaftigkeit war mir zu vorder- oder hintergründig. Auch die Erläuterungen des Übersetzers, leider erst am Ende, die die Figur des Dicken Kontrolleurs erläutern (eine Art Märchenfigur aus britischen Kinderserien), halfen nicht großartig. Bleibt eine gemächliche Biographie, die ganz gut erzählt ist, ein bißchen was von Dodges "Kunst des Verschwindens" hat, aber zumindest mich nirgendwo hingeführte. Dieser Erstling - 1993 erschienen - kommt sprachlich originell und stimmig daher, entwickelt aber einen faden Abgang."



    Sehr, sehr viel besser hat mir "Wie Tote leben" gefallen, ein wirklich großartiges Buch. Hier auch gleich die Rezension, to whom it may concern:


    Der Monolog der Lily Bloom


    Lily Bloom hat drei Ehemänner hinter sich, den Tod des neunjährigen Sohnes verschuldet, aber die beiden Töchter, eine hübsche, promiske Junkiebraut, und eine schweinenasige Spießertante, sind noch am Leben. Lily stirbt, als sie knapp über sechzig ist, der Krebs zerfraß erst die Brust, und dann den Rest. Aber der Tod ist nicht das Ende. Phar Lap Jones, ihr Todesbetreuer, ein abgefahrener Aborigine, führt sie nach Dulston, der Ausgeburt aller häßlichen Londoner Vororte, wo sie fortan in einer schleimigen Souterrainwohnung dem stagnativen Nichtssein der Nachtodeszeit ausgesetzt ist.


    Will Selfs neuester Roman ist ein langer, haßtriefender Monolog, ein Manifest gegen das Sichabfinden mit der Mittelmäßigkeit des Daseins, ein Pamphlet gegen sogenannte Werte, gegen Moden, gegen Gesellschaft und Kultur, gegen die widerwärtigen Zwänge des Miteinanders, gegen Mißgunst und Neid, gegen das abgestandene, mediokre Großbritannien. Wenn man es genau nimmt, findet sich auf diesen 440 Seiten fast alles, was man eigentlich nicht sagen dürfte, aber die abgehalfterte Protagonistin verfügt über sämtliche Rechte. Lily Bloom hat viel durchgemacht, das meiste davon allerdings selbst verschuldet, und das unnachgiebige Selbstmitleid und der noch intolerantere Schmerz über die Freudlosigkeit des Seins prägen jeden Abschnitt, jeden Satz, jedes verfluchte Wort dieses enorm eloquenten Traktats.


    Leider lassen sich das Bild, das die Protagonistin so wortgewaltig - jeder zweite Satz ist zitierenswürdig, die sprachliche Brillanz fast erdrückend - von sich zeichnet, wenig mit der Figur dahinter in Übereinstimmung bringen, und das macht einerseits den Reiz des Buches aus, nimmt ihm aber andererseits gehörig an Nachvollziehbarkeit. Die alte, dicke Frau, die sich so beredt über die Schwächen der Menschen und das Falschsein der Welt erregt, hat es so nicht gegeben; Lily Bloom war ein kleines Licht, eine blasse Mittelschichtlerin, der man den Wortschwall nicht abnimmt, der sie zu einer Marionette des mehr und mehr in den Vordergrund drängenden Autor-Ichs macht, und damit steht die Botschaft des Buches auf der Kippe.


    Nichtsdestotrotz ist "Wie Tote leben" ein stilistisch und sprachlich fantastisch inszeniertes, hochintelligentes, über alle Maßen lesbares Buch, extrem unenglisch, fundamentalistisch, gemein, gefährlich, amüsant und beängstigend.


    Sehr dringende Empfehlung.

  • Hallo Tom,


    Will Self ist schon gewöhnungsbedürftig. Ich habe auch sein 2. Buch "Das Ende der Beziehung" (siehe Rezension) vor dem 1. gelesen.
    Indirekt würde ich seinen Sarkasmus mit Irvine Welsh in Verbindung bringen. Die beiden haben was gemeinsam.


    Ich wußte gar nicht, daß Will Self einen neuen Roman rausgebracht hat. Ich habe ihn schon mal notiert. Allerdings werde ich wohl warten, bis es eine preiswerter TB-Ausgabe gibt. :-]