Rico, Oskar und die Tieferschatten - Andreas Steinhöfel

  • Rico, Oskar und die Tieferschatten – Andreas Steinhöfel (ca. 10 Jahre)


    Kurzbeschreibung lt. Amazon:
    Eigentlich soll Rico ja nur ein Ferientagebuch führen. Schwierig genug für einen, der leicht den roten oder den grünen oder auch den blauen Faden verliert. Aber als er dann auch noch Oskar mit dem blauen Helm kennen lernt und die beiden dem berüchtigten ALDI-Kidnapper auf die Spur kommen, geht es in seinem Kopf ganz schön durcheinander. Doch zusammen mit Oskar verlieren sogar die Tieferschatten etwas von ihrem Schrecken. Es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ....


    Der Autor
    Andreas Steinhöfel, geboren 1962, arbeitet als Übersetzer, Rezensent und schreibt Drehbücher – vor allem aber ist er Autor zahlreicher, vielfach preisgekrönter Kinder- und Jugendbücher. Sein Bestseller „Die Mitte der Welt“ würde 1999 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und ist in viele Länder der Welt verkauft worden.


    Der Illustrator
    Peter Schössow, Jahrgang 1953, gehört zu den renommiertesten deutschen Illustratoren. Er studierte an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg und arbeitete unter anderem für Spiegel, Stern und Die Sendung mit der Maus. Er hat eine Vielzahl von Kinderbüchern verfasst und illustriert, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde.


    Meine Meinung
    Das Buch ist sehr schön illustriert und flüssig geschrieben. Rico, ein tiefbegabter Junge, findet in dem hochbegabten Oskar einen neuen Freund. Es wird sehr deutlich, das Kinder, die „anders“ sind, von der Umwelt oft als minderbemittelt oder zu aufdringlich wahrgenommen werden. Es sind Ferien und die beiden Jungen spielen ein wenig Detektiv, um dem berüchtigten ALDI-Kidnapper auf die Spur zu kommen. Das Buch ist aus der Sicht von Rico geschrieben, wie er seine Umwelt wahrnimmt und sein Leben organisiert. Rico ist ein kleiner sympathischer „Forrest Gump“. Alles in allem ein Buch, was mir gut gefallen hat!


  • Meine Rezension:
    Rico ist ein tiefbegabtes Kind. Er ist kein Schwachkopf, aber ein wenig schwer von Begriff. Er braucht einfach ein wenig länger als andere, um Aufgaben lösen zu können und vergisst auch mal das eine oder andere. Aber eigentlich ist er ein herzensguter Mensch und gar nicht so dumm, wie manche Leute meinen.


    Da er immer nur geradeaus gehen kann, weil er rechts und links verwechselt und sich daher ständig verlaufen würde, verlässt er kaum seine Straße und besucht lieber immer wieder mal seine Hausnachbarn. Frau Dahling, eine bereits etwas ältere Nachbarin kümmert sich auch immer sehr um ihn, wenn seine Mutter mal wieder arbeitet (sie scheint eine Art *hmmm* Bardame in einem etwas halbseidenen Etablissement zu sein ;-)), macht ihm immer Müffelchen mit Gurke und Tomaten (ein herrliches Wort, das ich vorher noch nicht kannte!) und sieht sich mit ihm Filme an.


    Eines Tages lernt er Oskar kennen. Oskar ist – im Gegensatz zu Rico – hochbegabt und auf seine Art ebenfalls ein komischer Kauz, da er nie ohne Helm sein Haus verlässt. Doch die beiden auf den ersten Blick so unterschiedlichen Jungs freunden sich an und sind einander eigentlich gar nicht so unähnlich, Außenseiter die sie sind.


    Doch ihre Freundschaft wird auf eine schwere Probe gestellt: Der ALDI Kidnapper, der bereits mehrere Kinder entführt und gegen ein relativ niedriges Lösegeld (damit die Eltern nur zahlen und nicht zur Polizeit gehen) wieder freigelassen hat, wurde noch immer nicht gefasst und eines Tages ist Oskar verschwunden.


    Die Suche nach seinem Freund fordert dem tiefbegabten Rico alles ab…


    Fazit:
    Ein wunderschönes Jugendbuch, an dem auch die bereits etwas weniger jugendlichen Jugendlichen ihre Freude haben werden. Ich fand es einfach wunderschön beschrieben, wie es in Ricos Kopf aussieht und was in ihm vorgeht. Das Buch selbst ist sehr liebevoll aufgemacht mit sehr schönen Illustrationen. Die kleinen Kästchen, in denen Rico sich die Erklärungen zu Fremdworten notiert, fand ich ein weiteres liebenswertes Detail des Buches.


    Einfach nur schön.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Angeregt durch barti´s Beitrag in seinem Blog zum Thema "Corine 2008" ist mir aufgefallen, daß ich für "Rico, Oskar und die Tieferschatten" eine Rezension schuldig geblieben bin.


    Ich habe es im Juni gleich nach "Nennt mich nicht Ismael" von Michael G. Bauer gelesen und fand es im direkten Vergleich dazu (in beiden Büchern spielt ja ein Außenseiter die Hauptrolle) sprachlich und inhaltlich etwas schlechter- aber immer noch sehr gut. Schon allein das erste Kapitel mit der Fundnudel (welches es ja auch als Leseprobe gab)... ich habe wirklich Tränen gelacht.


    Besonders gut hat mir die Schilderung des sozialen "Milieus" gefallen (ist nun mal der sozialwissenschaftliche Fachausdruck, auch wenn es irgendwie abwertend klingt- so soll es aber auf keinen Fall gemeint sein!).
    Ricos Mutter übt zwar keinen konventionellen Beruf aus und die finanziellen Mittel der Familie sind sicher begrenzt, aber Rico und sie haben dennoch ein offenes und liebevolles Verhältnis, was viele widrige Lebensumstände abmildern kann (s. auch Resilienzforschung).


    Ansonsten fand ich die Idee mit den kleinen Kästchen für Worterklärungen genau wie Batcat gelungen.


    Insgesamt hat mir das Buch wirklich gefallen. Wer sich für Außenseitergeschichten interessiert, in denen der Autor seine Figuren samt ihren Macken respektiert und die mit Witz, aber auch dem nötigen Ernst erzählt werden, der kann beruhigt zugreifen.

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Illustrationen von Peter Schössow


    Ich gestehe, daß ich bei diesem Buch einen deutschen Aufguß von Philbricks Kinderbuchklassiker ‚Freak the Mighty’ erwartet habe. Die ersten Informationen über den Inhalt wiesen einfach zu große Ähnlichkeiten auf. Ein etwas denkbehinderter größerer Junge, ein hochbegabter kleinerer Junge, eine wunderschöne Mutter, Bewährung einer Freundschaft in der Gefahr, dazu auch noch ein Schuß Kinder-Berlin-Krimi à la ‚Emil und die Detektive’ - das konnte nichts werden.


    Daß ich das Buch in der Buchhandlung überhaupt aus dem Regal zog, verdankt es seinem unerklärlichen Titel (Was, um alles in der Welt, sind ‚Tieferschatten’?), daß ich es in der Hand behielt, dem Cover. Daß ich es aufschlug, ist ebenfalls auf den Illustrator zurückzuführen, ich mußte einfach wissen, ob die Bilder im Buch ebenso gut sind. Sie sind es, um diese Frage gleich zu klären. Sie sind wunderbar.
    Vom Bild zum Text ist kein allzu weiter Weg, ich ging ihn und mußte all meine Vorurteile begraben. Dieses Kinderbuch ist kein Aufguß von irgendetwas, sondern eine eigenständige, vor allem aber eigenwillige Geschichte, die sie hoffentlich zu einem Klassiker ihrer Art werden läßt.


    Rico, der Protagonist der Geschichte, ist behindert, ‚tiefbegabt’, wie er sich nennt. Er hat Probleme damit, sein Denken und sein Gedächtnis zu koordinieren, er kann neue Reize und Informationen nur unter Schwierigkeiten aufnehmen und einordnen. Anforderungen, wie z.B. differenzieren oder gar abstrahieren, lösen höchste Streßreaktionen aus, die ihn dann zu allem Unglück auch noch dumm erscheinen lassen. Das ist Rico entschieden nicht. Aber er ist verängstigt und unsicher.
    Weil er zugleich einen starken Überlebenswillen besitzt, kämpft er unablässig mit den Widrigkeiten, denen das ganz normale Alltagsleben ihn rund um die Uhr aussetzt. Rico ist eines der mutigsten Kinder, denen ich je zwischen zwei Buchdeckeln begegnet bin.


    Eigentlich folgt man beim Lesen nur Rico durch die Welt, wie er sie wahrnimmt. Das Haus, in dem wohnt, die ganz unterschiedlichen Nachbarn, seine wunderbare Mutter, von der Rico ganz bestimmt seine Kämpfernatur geerbt hat, die Straße, in der wohnt, alles lernt man kennen. Steinhöfel gelingt es, mit oft nur wenigen Strichen lebendige Figuren zu schaffen, die darüberhinaus im Verlauf der Handlung recht vielschichtige Eigenschaften entwickeln.


    Man folgt Rico auch dabei, wie er versucht, die in seinen Augen immer wieder wirre Welt zu verstehen. Das ist einfühlsam, schlüssig, oft ungemein komisch beschrieben, und nicht selten sehr traurig mitzuerleben. Steinhöfel findet ganz eigene, treffende und zuweilen wunderschöne Beschreibungen dafür, wie Ricos Kopf ‚funktioniert. Wenn Rico sich aufregt, was bei ihm ganz leicht passieren kann, hat er z.B. das Gefühl, daß in seinem Kopf Bingo-Kugeln wild durcheinander rollen. Daß er dabei einen knallroten Kopf bekommt, ist ebenso klar, wie die Tatsache, daß ihm das furchtbar peinlich ist. Die Beschreibungen sind so eindringlich, daß man mit ihm leidet, Wort für Wort.
    Die Bingokugeln hat übrigens auch der Illustrator, Peter Schössow, aufgenommen, sie kullern in unterschiedlicher Zahl immer am Ende jedes längeren Abschnitts in die einzelnen Kapiteln.


    Ein weiterer Versuch, die Welt zu verstehen, sind Ricos Bemühungen, sich schwierige Wörter zu merken. Schwierige Wörter sind z.B. solche, die gleich oder ähnlich klingen, wie Paravent und Pavian oder Ost und West. Die Definitionen, die immer in Kästchen im Text eingefügt sind, sind oft sehr witzig, vor allem aber hintersinnig. Die für den Begriff ‚Depression’ ist dabei so treffend, daß es einer fast den Atem nimmt.
    Um ‚Depression’, das ‚graue Gefühl’, wie Rico es nennt, geht es in diesem Buch ebenfalls. Rico ist sensibel, er spürt die Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und Bedrückung, die andere Menschen umgibt. Er spürt sie, weil er sie selber kennt. Denn er lebt nicht nur mit seiner Behinderung, sondern auch er muß auch mit dem Tod seines Vaters fertig werden.
    Vor allem aber kämpft er gegen die Angst. Zu seinen vielen Ängsten gehört die Furcht vor den seltsamen Schatten, die sich im Hinterhaus nachts hin und wieder zeigen. Das sind die ‚Tieferschatten’, möglicherweise Spuren eines echten Spuks.


    Allein das Entdecken von Rico und seiner Welt ist schon so spannend, daß man bald vergessen hat, daß auch noch eine Krimihandlung auf eine wartet. Natürlich hat der Autor es nicht vergessen. Der ‚Krimi’ ist höchst geschickt in die Handlung eingeflochten. Es geht um einen Kindesentführer, der sich auf recht junge Kinder spezialisiert hat. Rico ist zwar um ein weniges älter als die Opfer, aber eben weil es Kinder sind, fühlt er sich bedroht. Der Kidnapper ist Bestandteil seiner Ängste. Die Szenen, in denen Rico sich überlegt, ob und wie seine Mutter im Entführungsfall das Lösegeld für ihn aufbringen kann (er spart bereits dafür), sind ungeheuer komisch und herzzerreißend zugleich. Diese Mischung ist ein Markenzeichen dieses Romans.


    Die gesamte Handlung spielt sich in nur sechs Tagen der Sommerferien ab, von Samstag bis Donnerstag. Daß die LeserInnen davon hören, ist auf eine Gemeinheit zurückzuführen. Rico muß nämlich auf Geheiß seines Lehrers ein Ferientagebuch führen. Er hätte selbst nicht erwartet, daß es sich so schnell füllen würde.


    Kaum hat Rico Oskar kennengelernt, überstürzen sich die Ereignisse. Das liegt daran, daß Oskar nicht nur hochbegabt ist, sondern auch eigene Pläne hat. Nicht daß Rico sie verstehen würde, die LeserInnen verstehen demzufolge auch nichts. Wir verstehen bloß, was Rico versteht. Und das ist meistens erstmal Bahnhof.


    In dieser Hinsicht ist das Buch ein echter altmodischer Krimi. Fährten werden gelegt, die Hinweise liegen dicht an dicht, aber man ist für die Dauer der Lesezeit eben ‚tiefbegabt’. Man muß erst einmal begreifen, daß man Spuren vor sich hat und vor allem, welche davon wichtig ist! Ablenkungsmanöver gibt es übrigens auch. Man kann diese Geschichte getrost ein zweites Mal lesen, ohne daß auch nur ein Quentchen Spannung verloren geht.
    Im Gegenteil, eine erneute Lektüre ist durchaus zu empfehlen. Das Ganze ist nämlich so packend geschildert und bei aller Leichtigkeit so vertrackt gebaut, daß einer selbst beim konzentrierten Lesen vieles entgeht.


    Die Geschichte enthält ein Dutzend weitere Geschichten, die um Frau Dahling und die Müffelchen, die von Kiesling, dem schwulen Zahntechniker oder die von Sophia, einem der Entführungsopfer, eine der traurigsten von allen. Wenn nicht vielleicht sogar Oskars Geschichte, in wenigen Sätzen versteckt, den Rekord hält.
    Ein Verdienst des Autors ist es, das eigentlich furchterregende Verbrechen der Kindesentführung sehr sorgfältig einzuflechten und darzubieten. Die eigentlichen Schrecken des Ganzen erschließen sich am ehesten älteren und erwachsenen Lesern. Angehörige der angezielten Altersgruppe werden sehr behutsam in die Sache hinein und, durch die Rettung, wieder hinausgeführt. Der Showdown am Ende, ist, trotz seiner Wildheit, immer noch kindgerecht.


    Am Ende darf man sich freuen. So richtig von Herzen, wie es Rico kann. Und man kann noch eine gute Weile darüber nachdenken, wie das von nun an wird mit Rico und Oskar, mit Oskar und Sophia und mit Rico und Oskar und Sophia. Oder mit Jule. Und mit Ricos Mutter und dem neuen Mieter, der ‚scharfen Schnitte’, eine Beschreibung, die Rico dem armen Kerl nicht vorenthält.
    Am besten schmaust man ein Müffelchen dazu, Oder zwei. Mit Leberwurst und Gurke, z.B., weil das so schön kracht. Oder mit Lachs und Ei.
    Fischstäbchen mit Blutmatsche geht aber auch. Immerhin haben wir die Tieferschatten besiegt. Das ist ja wohl was wert!

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich kann mich nur den anderen Eulen-Meinungen anschließen.


    Ein tolles Kinderbuch, was auch Erwachsene begeistert.


    Die Beschreibungen von Oscar fand ich gelungen. Alleine den Begriff Tieferschatten finde ich wunderbar gewählt.


    Auch wenn Oscar auf den ersten Blick zurück geblieben ist, so versteht er doch die Welt manchmal besser wie Andere, die meinen ihm überlegen zu sein.


    Von mir gibt es die volle Punktzahl. Absolut empfehlenswert.

  • Ich habe vorgestern das Hörbuch gelesen von Andreas Steinhöfel selbst zu Ende gehört. Andreas Steinhöfel liest Rico wirklich grandios!


    Am Anfang des Buches, muss ich gestehen, habe ich gar keinen so spannenden und kleveren Krimi erwartet. Ich dachte, die Geschichte würde hauptsächlich die Sicht eines "tiefbegabten" Jungens thematisieren. Dass viele zunächst nebensächlich erscheinende Einzelheiten und Zufälle sich dann doch als wichtig zeigen würden, habe ich nicht erwartet. Und mit den Tieferschatten kann neben dem Spuk im Nachbarhaus auch ein wenig das Thema Depression oder, wie Rico es nennt "das graue Gefühl", gemeint sein.


    Neben der Schilderung vob Sophies Zuhause und die Andeutungen auf Oskars Hintergrund fand ich auch die Szene auf dem Spielplatz mit Felix und dessen tauben Freund, dem Felix seine Geschichten erzählt, unerwartet rührend.

  • Ich hab das gar nicht gelesen! Nö, überhaupt nicht.
    Ich bin eigentlich auch gar nicht hier.
    Kein bißchen!
    :help


    Wann ist April??


    :hop

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Aus Interesse habe ich gerade etwas gegoogelt und in einem Interview des Autors mit der Süddeutschen Zeitung gefunden, daß anscheinend insgesamt 3 Teile geplant sind :yikes <klick>



    Teil 2 ist auf jeden Fall gleich mal auf meine Wunschliste gewandert :-]

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Tolle Rezi!
    Habe ich :lesend & fand es toll!
    Lese gerade ein Buch von Steinhöfel in der Schule & werde das jetzt auch mal in eine Rezi umwandeln :chen
    Bei diesem Buch kommt eine Fortsetzung raus *freu* :wave
    Toll :)

  • Meine Tochter und ich haben das Buch zusammen gelesen und ich durfte also hautnah erleben, wie unterschiedlich jung und alt Bücher wahrnehmen

    Zugegeben, mit sechs Jahren ist sie vielleicht noch etwas jung für dieses Buch, aber sie fand es großartig: Vor Aufregung konnte sie stellenweise nicht still sitzen und ähnlich wie bei den Märchen, in denen der vermeintlich dümmste der Brüder letztlich die Prinzessin kriegt, war sie begeistert, dass ausgerechnet der tiefbegabte Rico das Rätsel löste. Aber lustig? Neee, das Buch ist allenfalls erwachsenenlustig.


    Schließlich kam ich drauf, warum sie es nicht witzig fand: für sie ist es völlig normal, wie Rico so denkt, dass die Sache mit rechts und links höchst verwirrend ist, dass einem die Zahlen beim Rechnen außer Kontrolle geraten können und es einfach zu viele Worte die gibt, die man zu leicht verwechselt. Ausnahmsweise und aus Versehen, zum Beispiel. Das hat Steinhöfel also prima hingekriegt: das Kind fand's authentisch.


    Richtig genervt hat mich allerdings Ricos Mutter. Die zeichnet sich offensichtlich hauptsächlich dadurch aus, dass die Kerle, auch Rico, sie anhimmeln :pille. Was ist denn das für eine Tussi? Sie liebt angeblich ihren Sohn, doch das einzige Essen, das er während einer Woche von ihr vorgesetzt kriegt, sind Fischstäbchen mit Ketchup. Nicht mal zum Kartoffelbrei hat's gereicht. Wenn sie mal zu Hause ist, ist sie gleich auch schon wieder weg. Dringender Friseurtermin oder Date mit der Freundin.
    Manchmal wünschte ich mir richtig, dass Rico ihr mal zeigt, wo der Hammer hängt, anstatt ihr auch noch den Einkauf abzunehmen, damit sie sich in Ruhe Glitzerlack und Delphinkleber auf die Fußnägel präparieren kann. :schlaeger

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Du hast Deiner Jüngsten Rico vorgelesen?
    :wow


    Irgendwie ... klasse.



    Danke für die Bemerkung über das 'erwachsenenlustig'. Zwölfjährige lachen aber auch, wie man mir versicherte.


    Die Mutter fand ich gut charakterisiert. Sie hat beträchtliche Probleme mit der Mutterrolle. Tussi? Fand ich nicht.
    Rico bekommt doch in der Schule Essen, das wird gesund genug sein. Zuhause macht sie ihm lieber eine Freude. Ich nehme nicht an, daß sie richtig kochen kann oder einen Drang verspürt, es zu lernen.
    Aber im Ernstfall steht sie für Rico ein. Ist das nicht das, was für Kinder zählt? Die Szene, die Rico schildert, in der seine Mutter der Kassiererin im Supermarkt Bescheid stößt, hat mich beeindruckt.
    Die Delphine auf den Nägeln sowieso. Ich finde sowas hinreißend, ich hab null Geschick dafür. Und Geduld gleich gar nicht. :lache



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Was für ein zauberhaftes, urkomisches und zugleich herzzerreißendes Kinderbuch - da muss ich magali wirklich recht geben.
    In einem Moment hatte ich ein Lächeln auf den Lippen, im nächsten fast Tränen in den Augen.
    Wie in der letzten Zeit immer öfter habe ich parallel gelesen und gehört und kann sowohl Buch als auch die ungekürzte Autorenlesung nur aufs Wärmste empfehlen.


    Anbei noch ein kleiner Textausschnitt, der einen kleinen Eindruck vom "Ton" des Buches vermittelt:
    "Ich sollte an dieser Stelle wohl erklären, dass ich Rico heiße und ein tiefbegabtes Kind bin. Das bedeutet, ich kann zwar sehr viel denken, aber das dauert meistens etwas länger als bei anderen Leuten. An meinem Gehirn liegt es nicht, das ist ganz normal groß. Aber manchmal fallen ein paar Sachen raus, und leider weiß ich vorher nie, an welcher Stelle. Außerdem kann ich mich nicht immer gut konzentrieren, wenn ich etwas erzähle. Meistens verliere ich dann den roten Faden, jedenfalls glaube ich, dass er rot ist, er könnte aber auch grün oder blau sein, und genau das ist mein Problem.
    In meinem Kopf geht es manchmal durcheinander wie in einer Bingotrommel. Bingo spiele ich jeden Dienstag mit Mama im Rentnerclub Graue Hummeln. (...)".


    Auf den zweiten Teil freue ich mich schon jetzt.

  • Durch den neuen zweiten Teil bin ich jetzt auf den ersten aufmerksam geworden und allein bei der Inhaltszusammenfassung musste ich mehrmals laut lachen. Werde es mir, glaub ich, als Urlaubslektüre zulegen. Nur - das braucht noch so lang :gruebel