Norden und Süden [North and South] - Elizabeth Gaskell

  • Margaret Hale, aufgewachsen im Londoner Haushalt ihrer Tante Shaw, zieht nach der Heirat ihrer Cousine Edith zurück in den grünen, üppigen Süden Englands, wo ihr Vater als Vikar arbeitet und lebt. Doch die Zeit in der Idylle ist nur von kurzer Dauer. Als ihr Vater gezwungen wird, sein Glaubensbekenntnis erneut zu bekräftigen, sind seine Zweifel übermächtig und er entschließt sich, den vertrauten Ort Helstone zu verlassen. Er nimmt seine Frau und Tochter mit in den Norden, wo er in der Industriestadt Milton Privattutor wird. Dort erleben sie einen Lebensstil, der in nichts dem gleicht, dass sie kennen. Ihre Mutter liegt im Sterben, ihr Vater verschließt die Augen vor allen negativen Einflüssen, die die neue Umgebung auf seine Lieben hat. Nach immensen Anfangsschwierigkeiten wächst Margaret über ihre Vorurteile hinaus und lernt die Gegebenheiten neu einzuordnen. Sie ist gezwungen, ihre weiblichen Befindlichkeiten einem oberflächlich glücklichen Familienleben unterzuordnen. Dabei wächst sie innerlich und wird der Mittelpunkt des Haleschen Haushalts.
    Als innerhalb kürzester Zeit Mutter und Vater sterben, verändert sich ihr Leben erneut. Sie zieht zurück in den Haushalt der Tante Shaw, doch diese neuerliche Umstellung fällt ihr nach allem Erlebten sehr schwer...


    Elizabeth Cleghorn Gaskell verfasste "North and South" 1854/55 als Fortsetzungsroman für die von Charles Dickens herausgegebene Wochenzeitschrift "Household Words". Der Schwerpunkt dieses Romans liegt auf einer Gegenüberstellung dreier Interessen - die der englische Gentry (adlige Landbevölkerung aus dem Süden), die der Arbeiterschaft in einer Industriestadt sowie die der Fabrikbesitzer. Anhand der Liebesgeschichte zwischen Margaret Hale und dem Mühlenbesitzer John Thornton werden die sozialen und regionalen Gegensätze thematisiert. Margarets Freundschaft mit der Arbeiterfamilie Higgins schildert dementgegegen die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen, unter denen die "hands" (Arbeiter) litten.


    Wer englische Klassiker liebt, wird von dem Roman nicht enttäuscht. Man darf ihn jedoch nicht als Liebesroman in der Tradition von Jane Austen mißverstehen, sondern muss ihn als Gesellschaftsroman einordnen. Margaret ist die Triebfeder, die das Werk zusammenhält und man muss Hochachtung für diese junge Frau haben. Ihre Kraft, Warmherzigkeit und Empfindsamkeit zeichnen sie in allen Situationen aus. Dabei ist sie zum Glück nicht so tugendhaft, dass man von ihrer Person genervt ist. Gerade zur Zeit eines organisierten Arbeiterstreiks versucht sie die Not der Arbeiterschaft so gut wie möglich zu lindern, lässt sich von der Sache aber nicht vereinnahmen. Bis zum Schluss des Romans bleibt sie vor allem Außenseiter und Beobachter der Vorgänge. Dies ist wohl auch notwendig, damit die Autorin Elizabeth Gaskell ihre Schilderungen möglichst gleichrangig nebeneinander entstehen lassen konnte.


    "North and south" hat mich begeistert, mitgerissen und beeindruckt! Einziger Minuspunkt an diesem Roman ist, dass es zur Zeit nicht auf Deutsch erhältlich ist...
    Mein persönliches Urteil: mehr davon!

  • Vielen Dank für die schöne Rezension. Ich habe von Elizabeth Gaskell 5 Bücher auf dem SUB.
    - Mary Barton
    - Wives and Daughters
    - Ruth
    - Sylvia's Lovers


    und das Vorgestellte.


    North and South und Wives and Daughters wurden auch verfilmt. Ich habe beides schon lange auf meinem Wunschzettel, aber die Original DVD's sind teuer :cry

  • Auch von mir herzlichen Dank für diese Rezension. Das Buch liegt schon eine ganze Weile bei mir herum und wartet darauf gelesen zu werden.


    Die BBC-Verfilmung habe ich allerdings schon gesehen und kann sie nur wärmstens empfehlen. Sollte das Buch ebenso tiefgründig sein und die Charaktere und deren Konflikte ähnlich anschaulich darstellen, ist es sicherlich ein Must-read.

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • But the cloud never comes in that quarter of the horizon from which we watch for it. (Seite 19)*


    Meine Meinung


    (...) But death comes to us all; and you’re well off never to have lost any friend till now. (Seite 231)** Kann man ein Buch als „schön“, gar „sehr schön, einfach wunderbar“ bezeichnen, wenn darin so viel un-schönes, so viel Leid und Schmerz und Tod vorkommen, wie in North And South? Ich weiß es nicht, aber dennoch ist das für mich eines der schönsten Bücher, die ich je gelesen habe. Trotz Leid, Schmerz und Tod.


    Kürzlich habe ich Gustav Freytags Roman „Die verlorene Handschrift“ wieder gelesen, der zwar in Deutschland spielt und entstanden ist, jedoch etwa zur gleichen Zeit wie „North And South“. Schon da war mir das so ganz andere Lebensgefühl (ein etwas unpassendes Wort hier) der Menschen damals aufgefallen. Krankheit und Tod hatten einen anderen Stellenwert, ganz einfach, weil sie allpräsent waren. Es war Teil des täglichen Lebens. Selbst wenn man sich mit Anfang fünfzig nicht alt fühlte, konnte man dennoch am nächsten Tag schon sterben. Schlimm war beides für die Menschen auch damals schon, doch wurde es - so mein Empfinden - als etwas Natürliches und nicht zu Vermeidendes hingenommen, im Gegensatz zu dem Tabu, welches der Tod heute bildet, ja geradezu dem Kriegszug dagegen.


    Auf meiner „Entdeckungsreise“ durch die englische Literatur war dies das zweite Werk (nach R. D. Blackmores „Lorna Doone“), und aufs Neue bin ich begeistert und etwas ratlos, wie mir ein solch herrlicher Roman bisher entgehen konnte. Das Milton des Buches entspricht dem Manchester der Zeit, dem Wohnort der Autorin. Wenn ich den zahlreichen Anmerkungen meiner Ausgabe glauben darf, wird auf etliche seinerzeit aktuelle Ereignisse Bezug genommen, so daß ein Bild der Gesellschaft und der Menschen der Industrialisierung entsteht. Ich entsinne mich, vor Jahren in der Schule etwas darüber gelernt zu haben (bzw. hätte lernen sollen :rolleyes), aber erst jetzt ist das zum Leben erwacht, haben sich trockene Fakten in Schicksale und Geschichten aufgelöst. Völlig neu für mich war der große Gegensatz zwischen Nord- und Südengland, der jeweils so ganz anderen Mentalität, der im Buch gut zur Geltung kommt.


    Ich kannte die Handlung bereits aus der vorher gesehenen BBC-Verfilmung, die zwar - wie ich inzwischen weiß - in einigen Dingen von der Vorlage abweicht, den „Geist“ des Buches jedoch ungemein gut widerspiegelt und manches, was sich mE nur schlecht filmisch darstellen läßt, sehr gut in die „Filmsprache“ übersetzt hat. So hatte ich beim Lesen, vor allem was die Figuren der Margaret, der Thorntons, aber auch Nicolas Higgins, betrifft, immer die Schauspieler vor Augen bei dem ständig ablaufenden Kopfkino. Das war aber durchaus kein Nachteil, denn die Rollen sind so ideal besetzt, als hätte Frau Gaskell eben diese Schauspieler beim Schreiben vor ihrem geistigen Auge gesehen.


    Es ist außerordentlich schade, daß es derzeit keine deutsche Ausgabe dieses Werkes gibt. LeseMann hier hier im „Ich lese gerade“-Thread auf eine Möglichkeit hingewiesen, wo man Kopien von Büchern, u. a. auch einer im 19. Jahrhundert erschienenen deutschen Ausgabe, erwerben kann. Ich werde das vermutlich demnächst ausprobieren; es interessiert mich, wie man das Buch seinerzeit übersetzt hat.


    Das war, wie erwähnt, mein zweiter englischer Klassiker, den ich im Original gelesen habe. Ich empfand „North And South“, einige Jahre vor „Lorna Doone“ entstanden, leichter zu lesen als das Letztere. Nach leider viel zu kurzen rund 395 Seiten mußte ich mich von Margaret Hale, John Thornton und wie sie alle hießen, dann leider verabschieden, und sie in zurück ihre Zeit entlassen, um dort ihr Leben zu leben. Zurück into the days, that are no more. (Seite 350)***.



    Kurzfassung:


    Farbenprächtig (soweit man das von einer grauen Stadt wie Milton sagen kann) entsteht ein Bild vom England der Mitte des 19. Jahrhunderts: Nord und Süd, arm und reich, Leben und Tod. Und mittendrin Margaret Hale und John Thornton. Eines der schönsten Bücher, das ich je gelesen habe.



    Sonstiges


    Ich habe übrigens die hier verlinkte Norton Critical Edition gelesen. Neben einer Einleitung und dem Roman selbst beinhaltet das Buch Auszüge aus den Briefen der Autorin sowie von Charles Dickens über „North And South“, Artikel zu den Umständen der Zeit (incl. einem Auszug aus Friedrich Engels' "Die Lage der arbeitenden Klasse in England") sowie Rezensionen, eine Lebenstafel sowie Bibliographie.


    < Hier noch > der weiter oben erwähnte Link, den LeseMann gefunden hat, zu den Büchern von Elizabeth Gaskell (sowie weiteren Autoren).


    - < Klick > - hier noch der Wikipedia-Artikel zum Roman (mit kompletter Inhaltsangabe)


    Sinngemäße Übersetzungen:
    * = Doch die Wolke taucht niemals an dem Himmelsviertel auf, von dem wir sie erwarten.
    ** = Aber der Tod kommt zu uns allen; und Sie haben viel Glück, bisher noch keinen Freund verloren zu haben.
    *** = die längst entschwundenen Tage.

    ASIN/ISBN: 0393979083

    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von SiCollier ()

  • Danke für die tollen Rezensionen, das Buch steht schon länger auf meiner Wunschliste bei Amazon. Die BBC-Verfilmung hat mir auch sehr gut gefallen..


    Aber seltsam, dass so wenig von Elizabeth Gaskell übersetzt wurde :gruebel

  • Hallo :-)


    zwar ist der Beitrag hier schon etwas älter - aber ich habe gerade gesehen, dass das Buch "Frauen und Töchter" von E. Gaskell am 21.11.13 für 9,99 € bei Fischer als Taschenbuch erscheint (habe mir den Termin auch schon markiert :grin)


    ... und unter diesem Link kann man sich als privater Nutzer Bücher als PDF herunterladen:


    https://opacplus.bsb-muenchen.…pac/start.do?View=default

  • Ich muss es unbedingt lesen! Habe mir auch die BBC-Serie angeschaut (und zwar gleich zwei mal hintereinander!) Wunderschön und unglaublich packend erzählt und inszeniert :anbet
    Ich kann nicht aufhören zu schwärmen!