Nächte am Rande der inneren Stadt – Tanja Langer

  • Dtv premium, 320 Seiten, 2008


    Handlung:
    Sie sind jung. Anfang zwanzig. Keiner kennt sich selbst, aber alle wollen es wissen. Eva, die Frau, die nicht treu sein konnte, hat ein Vor-Liebesleben an der Grenze zur Selbstaufgabe. Mitte der 80er Jahre studiert sie Kunstgeschichte in Westberlin. Der Stadt steht ein gewaltiger Umbruch bevor, aber das weiß damals noch niemand. Noch scheint die Szene intakt: eine Bohème, die sich unendlich viel Zeit nimmt, um sich und das Leben neu zu erfinden. So auch Eva mit ihrer Unruhe und ihren wilden Träumen, die alles am eigenen Leib erfahren will. Auf der Suche nach Liebe, Geborgenheit und noch ein paar anderen Dingen geht sie von einem jungen Mann zum nächsten, liefert sich aus und bleibt am Ende bei keinem. Dann spitzt sich die Lage zu: Zwischen Konrads engstem Freund und Eva entwickelt sich eine Leidenschaft, deren Zerstörungskraft sie überrumpelt. Die Pointe: Erzählt wird die Geschichte von Konrad, dem scheinbar schwächsten der ehemaligen Liebhaber, für den sie »das Leben« gewesen wäre, wenn er sie hätte halten können - und in Evas eigenen Tagebüchern.
    Tanja Langer schreibt in gewohnter Ehrlichkeit. Sie begibt sich vorbehaltlos in die »inneren Welten« ihrer Figuren, und das macht ihr Erzählen so ungewöhnlich authentisch.


    Zu der Autorin:
    Tanja Langer, 1962 in Wiesbaden geboren, lebt seit zwanzig Jahren in Berlin. Sie inszenierte und verfasste Theaterstücke, bekam drei Töchter und arbeitete fortan als Journalistin und Schriftstellerin. Sie schrieb Erzählungen und Hörspiele. Ihr erster Roman ‚Cap Esterel’ (dtv 13379) erschien 1999, drei Jahre später folgte ‚Der Morphinist oder Die Barbarin bin ich’. Sie erhielt Auszeichnungen und Stipendien und ist Mitglied des deutschen P.E.N.



    Meine Rezension:

    Mit diesem Roman kann ich eine deutliche Entwicklungsstufe im Schaffen der Autorin feststellen, wenn ich ihn mit dem ersten Roman „Cap Esteral“ oder dem Ausschnitt aus „Der Morphinist“ den sie in Klagenfurt beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb vorstellte, vergleiche.
    Was da schon angelegt war, entfaltet sich zu einem tief empfundenen, eigenen Stil voller Melancholie. Diesen Roman sollte man sehr früh morgens lesen, um die Stimmungen die die Sprache entwickelt voll zu spüren. Trotz des Titels ist es für mich kein abendlicher Nachtroman.


    Der Ich-Erzähler Konrad berichtet voller Wehmut über die vergangene, sehr private Zeit in Berlin, die ihm viel bedeutet hat und die im Heute vollständig verloren gegangen ist.
    Tanja Langer geht sehr geschickt mit der Zeit um. Die Zeitebenen wechseln unaufhörlich. In der Jetzt-Zeit ist der Erzähler 45 Jahre alt und Anwalt, doch unaufhörlich drängen seine Gedanken in die Zeit mit Eva zurück.
    Konrad hat seine Eltern früh verloren, wuchs bei seinem Großvater auf. Daraus ergaben sich ein zurückhaltendes Wesen und ein starkes Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit mit anderen Menschen.
    Es sind er, seine extrovertierte, promiskutive Freundin Eva mit der er zeitweise zusammenlebte und sein selbstbewusster, bisexueller Kumpel Robert, die als Dreigespann eine Einheit bilden, auch wenn es aus der Schulzeit noch einige Bekannte gibt, die eine Rolle spielen. Dazu kommt Heumann, ein ehemaliger Professor Evas.


    Aus Sicht Konrads eine melancholische, selbstquälerische Liebesgeschichte, die sich durch eine originelle Art von Pathos kennzeichnet, z.B. S.44 bei einer Szene an einer Treppe bei der Nationalgalerie: … „Eine Künstlerin hatte die Stufen gelb und drumherum ein Rechteck blau angemalt. Ich bin das Gelb, dachte ich, und du das Blau.“ Oder „Manchmal lag ich in Evas Arm und wünschte mir, dass es zu Ende ginge. Aus Angst davor.“


    Im zweiten Teil des Romans wandelt die Erzählperspektive. Jetzt ist es Eva, die aus ihren Blickwinkel in einer Art Tagebuch über Konrad, Robert und weiteren Beziehungen berichtet. Es ist gleichzeitig ein Arbeitsjournal mit Zeichnungen. Kunst, Musik und Literatur spielen eine große Rolle. Der Stil wandelt sich mit dem Charakter. Er ist jetzt viel lebhafter, spontaner, verspielter.
    Hier erfährt der Leser auch über Evas eigene, unglückliche Liebe zu dem Maler Jackson, mit dem sie eine Affäre hat.


    Die Autorin setzt eine Vielzahl an Zeitbezügen auf eklektische Weise ein. Vom Milan Kundera-Zitat über Patti Austin und Horowitzkonzerte, Godard-Filme, alte Schallplatten und Ghettoblaster.
    Der Zeitbezug wird auch durch die Erwähnung von relevanten Ereignissen, wie z.B. das Kernkraftunglück in Tschernobyl hergestellt.


    Nächte am Rande der inneren Stadt ist ein atmosphärischer, gründlich durchkomponierter Roman, der eine Verspieltheit beibehält und sehr lesenswert ist.