"Das Lied des Wolfes" von Gillian Bradshaw

  • Tiarnan de Talensac ist ein Held des Königs, ein reicher, ein angesehener Mann. Mit einem kleinen Problem, einem Fluch, besser gesagt: In unschöner Regelmäßigkeit verwandelt er sich in einen Wolf. Er hasst sich dafür, ekelt sich vor dem Tier, das ein Teil seiner selbst ist - und mit der Gedankenwelt des elften Jahrhunderts so gar nicht zu vereinbaren. Schließlich teilt er seine Verzweiflung mit der Frau, die er liebt. Mit seiner schönen Braut. Die Dame freilich ist entsetzt, angewidert und schnell bereit, ihn zu verraten - der nächste Ritter, der sie begehrt, steht schon bereit. Auf de Talensacs Güter will sie jedoch in keinem Fall verzichten; was liegt da näher, als ihm eine Rückkehr in seine menschliche Gestalt unmöglich zu machen und ihn zum einzigen Schicksal zu verdammen, das ihm schlimmer als der Tod scheint. Damit ist nicht zu viel verraten, denn nun beginnen erst die eigenlichen Prüfungen und Abenteuer unseres Helden. Eine junge Erbin in Not spielte eine Rolle in dieser Geschichte, und ein König, der wahre Treue auch in unerwarteter Gestalt zu erkennen vermag.


    Gillian Bradshaw lebte und arbeitete in Nord- und Südamerika ebenso wie in Europa, wo sie in Frankreich und im englischen Oxford die Mythen der alten Welt kennen lernte. Sie studierte, gewann bereits früh Buchpreise und lebt(e) mit ihrer Familie in Cambridge, wo sie zahlreiche recht erfolgreiche Romane schreibt/schrieb: Ihre Trilogie über die Ritter der Tafelrunde etwa oder die Reiter der Sarmaten. Sie führt ihre Leser ins alte Rom, nach Alexandria und Ägypten, an den Hindukusch oder eben auch mitten hinein in eine mittelalterliche Ständegesellschaft, die noch weit mehr von den Vorstellungen der vorchristlichen Vergangenheit geprägt ist, als sie wahrhaben will.


    Für mich keine klassische Fantasy - offenbar gibt es tatsächlich eine uralte bretonische Legende; erhalten ist eine entsprechende Verserzählung der Dichterin Marie de France aus eben jener Zeit, in der das "Lied des Wolfes" spielt. Es ist also wirklich ein Märchen, und genau so wird es erzählt. Wer einen Entwicklungsroman erwartet, tiefschürfende Einblicke ins Seelenleben der handelnden Personen, sollte gar nicht erst anfangen, dieses Buch zu lesen. Die Guten sind über jeden Zweifel erhaben, in jeder Beziehung. Die Bösen werden wie Räuber und Krokodil im Kasperletheater hin und her geschoben und haben keinen anderen Daseinszweck, als die Handlung voranzutreiben und dem Helden immer wieder die Gelegenheit zu geben, schier übermenschliche Tapferkeit an den Tag zu legen.
    Aber hey - es ist eine richtig gute Geschichte, die zu lesen Freude macht.