"Die Geschichte von Mutter und Vater" von Edvard Hoem
Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2007.
Titel der 2005 erschienenen Originalausgabe: "Mors og fars historie".
Aus dem Norwegischen von Ebba D. Drolshagen.
Kurzbeschreibung (von Amazon)
"Der Abend, der Mutters Leben auf den Kopf stellte, kam wohl im Frühjahr 1944 ... Sie war mit einer Freundin im Kino von Lillehammer gewesen und hatte einen Film mit dem Titel Für dich hole ich sogar einen Stern vom Himmel gesehen. Als die Mädchen an dem Frühjahrsabend auf den Bürgersteig hinaustraten, wurden sie von zwei deutschen Soldaten angesprochen, die fragten, ob sie sie zu einer Tasse Schokolade oder einem Glas Wein einladen dürften."
Edvard Hoem erzählt vom Leben seiner Eltern, bevor sie seine Eltern wurden. Das Buch handelt von ihren Träumen, ihren Hoffnungen und Enttäuschungen, es handelt von der engen Welt des ländlichen Norwegens in den dreißiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts, in denen Armut, Tradition und strenges Christentum den Jungen wie den Alten Fesseln anlegten. Der Bauernsohn Knut wird Laienprediger und zieht viele Jahre über Land. 1945 trifft er auf die verzweifelte Kristine, die schwanger von einem deutschen Soldaten sitzengelassen worden ist. Für ihn ist sofort klar: "Aber ich kann sie doch nehmen." Nach einer krisenhaften Anfangszeit, denn Kristine liebt ihren "Retter" nicht, führen die beiden lange Jahre eine glückliche Ehe. Ihr erstes gemeinsames Kind ist Edvard.
Autor (laut Klappentext)
Edvard Hoem, geboren 1949 bei Molde an der norwegischen Westküste, lebt als Schriftsteller, Theaterregisseur und Shakespeare-Übersetzer in Oslo. Gleich 1974 mit seinem ersten Roman Fährfahrten der Liebe (deutsch 1987) wurde er in Norwegen berühmt.
Mein Fazit
Das Buch beginnt mit einer Episode, als der Erzähler ein fünfjähriger Junge war und seine Mutter fragte, ob sie den Papa liebt. Diese antwortete: "Ich hatte Vater nicht lieb, als ich mit ihm zusammenkam, aber ich habe ihn liebgewonnen, weil er beständig war, beständig und treu, und das ist genauso wichtig wie Liebe". Anschließend werden jeweils die Lebenswege von Hoems Vater und Hoems Mutter nachgezeichnet. Nach Angabe des Autors beruht das Buch auf vereinzelten Geschichten seiner Eltern über ihre Jugendjahre, aber auch auf Interviews mit etwa einhundert älteren Menschen, die seine Eltern kannten.
Der Autor gibt sich sehr viel Mühe, die Lebensgeschichte seiner Eltern authentisch und wahrhaftig zu erzählen. Manches bleibt im Dunkeln, weil es nicht mehr zu recherchieren ist und hier versucht sich der Autor in das Leben seiner Eltern einzufühlen und zu beschreiben, wie es wohl gewesen sein könnte. Meines Erachtens ist ihm die Balance zwischen Authentizität und "Fiktion" sehr gut gelungen. Er zeichnet ein sehr einfühlsames Portrait seiner Eltern, das nicht nur die Geschichte zweier Menschen ist, sondern auch ein Porträt der damaligen Zeit in Norwegen. Ich fand es sehr spannend, über die zeitgeschichtlichen Ereignisse, aber auch die Lebensumstände im Norwegen der 1930er und 1940er Jahre zu lesen. Da der Vater von Edvard Hoem als reisender Laienprediger Notizbücher führte, in denen er seinen Aufenthalt sowie den Predigtext dokumentiert hat, wird auch häufig auf die entsprechenden Bibelstellen Bezug genommen und über seine Predigten berichtet.
Das Buch hat mir sehr, sehr gut gefallen. Es ist ein leises, aber dafür ein sehr beeindruckendes Buch. Eine Hommage an die Eltern von Hoem, ein interessantes Portrait zweier durchaus ungewöhnlicher Menschen, aber eben auch ein interessantes Bild der Gesellschaft Norwegens und der historischen Ereignisse vor und während des zweiten Weltkrieges.
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