Die Geschichte von Mutter und Vater - Edvard Hoem

  • "Die Geschichte von Mutter und Vater" von Edvard Hoem
    Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2007.
    Titel der 2005 erschienenen Originalausgabe: "Mors og fars historie".
    Aus dem Norwegischen von Ebba D. Drolshagen.


    Kurzbeschreibung (von Amazon)
    "Der Abend, der Mutters Leben auf den Kopf stellte, kam wohl im Frühjahr 1944 ... Sie war mit einer Freundin im Kino von Lillehammer gewesen und hatte einen Film mit dem Titel Für dich hole ich sogar einen Stern vom Himmel gesehen. Als die Mädchen an dem Frühjahrsabend auf den Bürgersteig hinaustraten, wurden sie von zwei deutschen Soldaten angesprochen, die fragten, ob sie sie zu einer Tasse Schokolade oder einem Glas Wein einladen dürften."
    Edvard Hoem erzählt vom Leben seiner Eltern, bevor sie seine Eltern wurden. Das Buch handelt von ihren Träumen, ihren Hoffnungen und Enttäuschungen, es handelt von der engen Welt des ländlichen Norwegens in den dreißiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts, in denen Armut, Tradition und strenges Christentum den Jungen wie den Alten Fesseln anlegten. Der Bauernsohn Knut wird Laienprediger und zieht viele Jahre über Land. 1945 trifft er auf die verzweifelte Kristine, die schwanger von einem deutschen Soldaten sitzengelassen worden ist. Für ihn ist sofort klar: "Aber ich kann sie doch nehmen." Nach einer krisenhaften Anfangszeit, denn Kristine liebt ihren "Retter" nicht, führen die beiden lange Jahre eine glückliche Ehe. Ihr erstes gemeinsames Kind ist Edvard.


    Autor (laut Klappentext)
    Edvard Hoem, geboren 1949 bei Molde an der norwegischen Westküste, lebt als Schriftsteller, Theaterregisseur und Shakespeare-Übersetzer in Oslo. Gleich 1974 mit seinem ersten Roman Fährfahrten der Liebe (deutsch 1987) wurde er in Norwegen berühmt.


    Mein Fazit
    Das Buch beginnt mit einer Episode, als der Erzähler ein fünfjähriger Junge war und seine Mutter fragte, ob sie den Papa liebt. Diese antwortete: "Ich hatte Vater nicht lieb, als ich mit ihm zusammenkam, aber ich habe ihn liebgewonnen, weil er beständig war, beständig und treu, und das ist genauso wichtig wie Liebe". Anschließend werden jeweils die Lebenswege von Hoems Vater und Hoems Mutter nachgezeichnet. Nach Angabe des Autors beruht das Buch auf vereinzelten Geschichten seiner Eltern über ihre Jugendjahre, aber auch auf Interviews mit etwa einhundert älteren Menschen, die seine Eltern kannten.


    Der Autor gibt sich sehr viel Mühe, die Lebensgeschichte seiner Eltern authentisch und wahrhaftig zu erzählen. Manches bleibt im Dunkeln, weil es nicht mehr zu recherchieren ist und hier versucht sich der Autor in das Leben seiner Eltern einzufühlen und zu beschreiben, wie es wohl gewesen sein könnte. Meines Erachtens ist ihm die Balance zwischen Authentizität und "Fiktion" sehr gut gelungen. Er zeichnet ein sehr einfühlsames Portrait seiner Eltern, das nicht nur die Geschichte zweier Menschen ist, sondern auch ein Porträt der damaligen Zeit in Norwegen. Ich fand es sehr spannend, über die zeitgeschichtlichen Ereignisse, aber auch die Lebensumstände im Norwegen der 1930er und 1940er Jahre zu lesen. Da der Vater von Edvard Hoem als reisender Laienprediger Notizbücher führte, in denen er seinen Aufenthalt sowie den Predigtext dokumentiert hat, wird auch häufig auf die entsprechenden Bibelstellen Bezug genommen und über seine Predigten berichtet.


    Das Buch hat mir sehr, sehr gut gefallen. Es ist ein leises, aber dafür ein sehr beeindruckendes Buch. Eine Hommage an die Eltern von Hoem, ein interessantes Portrait zweier durchaus ungewöhnlicher Menschen, aber eben auch ein interessantes Bild der Gesellschaft Norwegens und der historischen Ereignisse vor und während des zweiten Weltkrieges.


    .

  • Danke taki für die prima Buchvorstellung.


    Und obwohl Norwegen ansonsten nicht grad das Land ist, über welches zu lesen mich sehr reizt (es friert mich halt dabei immer etwas :grin) folge ich buzzaldrins Beispiel und befördere dieses Buch erstmal auf meine Wunschliste :wave

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

  • Eben wegen der attraktiven Rezension habe ich das Buch gekauft und inzwischen gelesen.
    Meine Reaktion darauf ist zwiespältig.


    Das Ganze schwebt zwischen Roman und Lebensbericht/Biographie. Das ist grundsätzlich gut gelungen, vor allem, weil der Autor immer klar unterscheidet, wo er sich auf die Familiengeschichte oder auf historische Fakten stützt und wo es eher um persönliche Ergänzungen bzw. ein Einfühlen im Nachhinein geht.
    Geschrieben ist es insgesamt sehr flüssig, gut lesbar, es gibt Stellen, an denen man wirklich das Gefühl hat, daß man mitten im Geschehensablauf steht.


    Sehr eindrücklich schildert der Autor das harte Bauernleben im Norwegen der dreißiger bis fünfziger Jahre. Ich mußte mir immer wieder in Erinnerung rufen, daß das Ganze im 20. Jahrhundert spielt und nicht im 19. oder gar 18. Jh.


    Zugleich aber wiederholt sich viel, eigentlich kommt der Autor nicht von der Stelle, er gräbt sich an bestimmten Punkten ein. Er idealisiert, bewußt/unbewußt, das wäre im Einzelfall zu entscheiden, er hat jedenfalls ein festes positives Bild und das überliefert er.
    Er idealisiert, weil er indirekt darauf beharrt, daß das eben so war und daß es deswegen, weil man nichts ändern konnte, sich damit abfinden muß und es aus diesem Grund dann letztendlich doch gut ist.


    Im Lauf des Berichts/des Romans (?) wird schnell ganz klar, auf welcher Seite der Autor steht, nämlich auf der seines Vaters. Ihm wird regelrecht ein Denkmal errichtet, mit der Vatergestalt obendrauf in Heldenpose.


    Alles, was dieses Bild stören könnte, fehlt. Beim Einmarsch der Deutschen 1940, sind die Norweger unfähig zur Gegenwehr, wie der Autor schreibt, sie sind doch seit zweihundert Jahren keinen Krieg mehr gewöhnt. Abgesehen davon, daß sich der Autor mit den 200 Jahren deutlich verrechnet und auch ein paar Konflikte z.B. bei der Ablösung von Dänemark großzügig übergeht, entstand in Norwegen sehr rasch eine tatkräftige Widerstandsbewegung. Die Brüder seiner eigenen Frau gehörten dazu, aber der Widerstand findet kaum Erwähnung.
    :gruebel
    Was auch nicht erwähnt wird, ist, wie die norwegische Innere Mission zur Besatzungsmacht stand. Es ist eigenartig, wie frei sich die Prediger im Land bewegen durften. Oder ist das nur für den Autor keiner erwähnung wert?


    Als Leserin kam ich auch prompt ins Grübeln, wenn berichtet wird, daß die Trauung einer der Schwestern des Autors von einem Pfarrer vorgenommen wurde, den alle mochten, bis er der norwegischen Nazi-Partei beitrat. :wow
    Ein Pfarrer - ein Nazi? Und bei dem läßt man sich trauen? :gruebel


    Konflikte innerhalb der Kirche gibt es anscheinend auch nicht (de facto gab es sie vor allem in den 50ern), warum auch, der Fokus liegt auf dem wanderpredigenden Vater und die Bauern waren alle altgläubig fromm.
    Viel Raum nehmen Bibelverse und Predigttexte ein, die der gute Vater zu Gehör bringt und fleißig aufnotiert.


    Ein seltsamer Charakter, übrigens. Sein Tagebuch enthält über vierzig Jahre nur Predigtorte, Bibelstellen, Kurznotizen zu Meditationen und frommen Gedanken.
    Seine sonstigen Gefühle, seine Empfindungen und Eindrücke hat er nirgends vermerkt und offenbar auch nicht seinen Kindern erzählt. Der Autor muß sie mühsamst rekonstruieren, vieles bleibt im Dunkeln.


    Der Autor läßt uns an der ständigen Erweckung der norwegischen Bauern breit teilhaben. Den Zweck der vielen frommen Textstellen vermochte ich nicht recht zu erkennen, außer dem, daß der Autor so hingerissen war von den geistlichen Erkenntnissen seines Vaters, daß er sie der Nachwelt erhalten wollte. An solchen Stellen wird das Buch eindeutig zur fundamental christlichen Erbauungsliteratur.


    Hoem hat viele Menschen befragt auf der Suche nach der Lebensgeschichte seines Vaters. Er nennt auch viele, viele Namen. Nicht selten fühlte ich mich fremd unter ihnen.
    Nirgendwo aber berichtet er, wie denn seine Geschwister - Knut und Kristine hatten zusammen sechs Kinder, dazu kam die voreheliche Tochter der Mutter - zu den Eltern standen oder damit fertig wurden, daß der Vater sechs Monate im Jahr nicht anwesend war.
    In meinen Augen hätte das zur Charakterisierung der Hauptperson viel mehr beigetragen.


    Konfliktpotential gibt es genug, auch hier schönt Hoem. Der Bericht über das Verhalten der Eltern (Großeltern des Autors), als der Hoferbe Knut den Hof nicht übernehmen will, ist mehr als unangenehm. Was für unsympathische gierige, uneinsichtige Menschen.
    Hoem wirbt um Verständnis für Druck, emotionale Erpressung (die Mutter schreibt Beschwerdebriefe an Knuts Vorgesetzten) und blinde Ausübung von Macht auf der Grundlage 'daß es eben immer schon so war und man eben an die Scholle gebunden ist.' Tiefer Glaube incl.
    Nicht schön.


    In diesem Zusammenhang ist dann auch die Werbung Knuts um Kristine alles andere als romantisch. Da ist ein junger Mann, in seiner Lebensplanung wie in seinem Liebesverlangen böse frustriert, der ein junges Mädchen in einer schwierigen Situation trifft. 'Nehm ich halt die', so kann man den vermeintlich romantischen Satz, den er sagt, auch umformulieren.
    Kristine sagt nein und ehrlich gesagt, sie hätte dabei bleiben sollen. Sie wehrt sich übrigens lange, aber Knut setzt sich durch.
    Wenn er davon überzeugt ist, daß etwas richtig ist, ist es richtig. Nun ja.


    Was Knut Kristine für ein Leben zumutet, ist atembraubend. Ein Bauernhof ist zu bewirtschaften, Schwiegereltern zu versorgen, sechs Kinder stellen sich, der Ehemann ist sechs Monate im Jahr nicht da. Wie fühlt sich die junge Frau?
    Darauf geht der Autor kaum ein, mehr als Streiflichter gibt es nicht. Ihm ist es wichtig, zu betonen, daß die beiden zusammengewachsen sind.


    Einer seiner Beweise ist ihr Briefwechsel. In den langen Jahren ... schrieben sie sich Briefe über alle möglichen praktischen Fragen, es wurde nie mit einem Wort erwähnt, wie es ihnen ging.
    Zeugt von wahrhaft großer Liebe.
    Der Autor findet sie zwischen den Zeilen, in einem von tausend Briefen, nach einer nicht enden wollenden Flut frommer Wünsche.
    Ein einziger Satz: Ein weiteres Mal grüße ich Dich.
    Einmal also nicht Jesus zuletzt, sondern Kristine?
    Man muß schon sehr gläubig sein, um das als Liebesbeweis zu sehen.
    Ich habe vor allem die Bereitschaft gefunden, aus einer harten Familiengeschichte ein schönes rosarotes Märchen zu machen.


    Interessante und aufschlußreiche Lektüre, hin und wieder langatmig. Tatsächlich sagt das Buch mehr über Hoem und seine romantisierende Einstellung zu seiner Familie aus als über seine Eltern.
    Es ist aber ein Buch geworden, über das man lange und ausführlich diskutieren kann, nein, soll!


    Ich habe nicht eine Minute lang bereut, daß ich es gelesen habe.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • „Menschen tragen Geheimnisse in sich, plötzlich tauchen Erinnerungen und Gedanken auf, dann tritt das Heute in den Hintergrund.“[ 1 ]


    Edvard Hoem hat die Geschichte seiner Eltern recherchiert, konstruiert, verfremdet. Er berichtet von einem bäuerlichen familiären Umfeld, beide Elternteile haben keine Möglichkeit ihre Emotionen, ihre Ängste, vor allem ihre Trauer und Einsamkeit auszudrücken, zu thematisieren. Vieles bleibt unausgesprochen, vieles wird nur durch Mimik und Gestik gegenüber dem Partner ausgedrückt, vieles bleibt verborgen. Hoem, dem die Schweigsamkeit seiner Eltern und vor allem die Aussage seiner Mutter, auf die Frage, ob sie ihren Mann liebe, antwortet: „Ich hatte den Vater nicht lieb, als ich mit ihm zusammenkam, aber ich habe ihn liebgewonnen, weil er beständig war, beständig und treu, und das ist genauso wichtig wie Liebe.“[2] macht ihn misstrauisch, weckt das Interesse an der eigenen Familiengeschichte, an der „Geschichte von Mutter und Vater“.
    Dabei präsentiert er sich mehr als Suchender denn als Wissender, mehr als Journalist denn als Schriftsteller. Er untersucht private Aufzeichnungen, Sammellisten von Orten, an denen der Vater, ein Wanderprediger, Andachten hielt; er las private Aufzeichnungen und Krankenakten, führte Interviews, arbeitete Daten, sogar Schlagzeilen historischer Tageszeitungen von Norwegens Vergangenheit innerhalb des zweiten Weltkrieges ein. Die Suche nach der eigenen Identität in der Familie wird zu einer Suche nach der Identität Norwegens im 2.Weltkrieg, nach der Identität seiner Mutter, ein „Deutschenflittchen“, nach der seines Vaters, fast sein gesamtes Leben lang zu schwach sich gegenüber den elterlichen Anweisungen, die ihn an Haus und Hof binden, zu widersetzen. Er versucht mit der Perspektive des objektiven Beobachters Familienverhältnisse aufzudröseln, Verständnis für Handlungen seiner Großeltern, seiner Eltern zu finden, nicht zu verurteilen, nicht zu dramatisieren. Ihm ist die Distanz zwischen Geschildertem, Berichtetem und dem Konstrukt seiner schriftstellerischen Freiheit wichtig:


    Zitat

    „Die meisten Begebenheiten dieses Buches sind authentisch, aber sie sind mit der Stimme des Schriftstellers erzählt, so, wie er es vor sich sieht, nach dem, was er gesehen und geträumt hat.“[ 3 ]


    Für mich bleibt er viel zu sehr Suchender, Unwissender. Eine literarische Verdichtung von gesammelten Fakten findet praktisch nicht statt. Die Figuren leben nicht für sich und die Geschichte, es bleiben Persönlichkeiten aus dem Leben des Autors, viel zu sehr Erinnerungsgestalten seiner eigenen Vergangenheit. Er scheitert an dem Projekt seinen Eltern eine Romanexistenz zu geben, Figuren zu werden, die nach für den Leser verständlichen emotionalen, moralischen, logischen Massstäben agieren bzw. reagieren und somit ein Produkt ihrer eigenen Vorstellungen und Ideen werden, zu Handlungsträgern, die ihre eigene Identität begründen, ihren eigenen Lebensweg erst bestimmen müssen. Sie werden nicht zu den literarischen Eltern des Ich-Erzählers, sondern sie bleiben die Eltern des Autors Edvard Hoem.


    Der „Roman“ erweist sich als unpathetisch, unsentimental. Das bäuerliche Leben wird als einfaches, aber hartes Arbeitsleben, im Wechsel der Jahreszeiten, dargestellt, nicht im Fontane’schen[4] Stil verklärt, sondern eher durch die konservativ, stark religiös geprägte Lebensart der Gemeinschaft, bestimmt. Edvard Hoem nährt sich dieser Gemeinschaft, vorurteilsfrei, deckt aber dennoch doppelmoralische Züge dieser Gemeinschaftsform auf. Dabei arbeitet eher pointiert, präzise und fokussiert die Geschichte seiner Eltern als Teil einer solchen Lebensgemeinschaft auf, zeichnet ihre Rollen nach, charakterisiert sie dabei beide als Außenseiter, als identitätslose junge Menschen auf der Suche nach ihrer Bestimmung im Leben, die beide auf ihre Art und Weise an den gesellschaftlichen, aber persönlichen Grenzen, Problemen und Emotionen scheitern. Das Scheitern beider Figuren wirkt nicht gekünstelt, gestelzt oder theatralisch überdramatisiert, die Sprache hat mehr berichtendem, mehr nüchternen Charakter. Da beide Protagonisten keine Sprache für ihre Gefühle und Leidenschaften haben, und sich dabei auch keiner abstrakt natürlichen Beschreibung[5] bedienen, wird die Ebene der Gefühle zumeist über Bibelzitate ausgedrückt, z.B. hat Edvard Hoems Vater, Knut, keine Worte dafür seiner Frau für ihren Fleiß, ihre positive Arbeitshaltung, die ihm das Leben erleichtert, in irgendeiner Form Dankbarkeit zu zollen. Er formuliert diesen Dank in Form eines Zitats aus dem Buch der Sprichwörter[6]: „Eine tüchtige Frau ist mehr Wert als Perlen.“[7]


    Das Buch bietet kaum Spannung, ist doch das Familiengeheimnis bald offen gelegt. Es bietet auch keine Unterhaltung, wirkt es mehr als journalistischen denn als schriftstellerisches Zeugnis. Und doch bereue ich keine Sekunde die Lektüre dieses Buches genossen zu haben. Die Suche nach der eigenen Identität, nach der Identität innerhalb der Familie als kleinste gesellschaftliche Größe, der Suche nach der Identität beider Eltern, findet in Edvard Hoems Roman „Die Geschichte von Mutter und Vater“ eine würdige Darstellung. Die Stärke des Romans ist es keine festen Vorstellungen, keine Meinungen, keine Perspektiven, vom Autor vorgegeben, vorzufinden. Der Versuch eines hohen Grades an Objektivität und Authentizität erleichtert den Zugang zu den Figuren, werden doch ihre Handlungen und Ideen in ein gesellschaftliches System des ländlichen Norwegens innerhalb des 2.Weltkrieges eingeordnet. Aber es gelingt dem Autor nicht die Geschichte zu verdichten, viele Passagen wirken langatmig, vieles wird zu detailliert erklärt, ohne dass einen Fortschritt für die Geschichte bringen würde.
    Viel zu unsentimental, viel zu wenig Identifikationspotential ermöglicht der Autor dem Leser mit seinen Figuren, so dass mehr ein historisches Dokument entsteht, an Stelle eines literarischen Zeugnisses





    ~*~


    [1] Edvard Hoem: Die Geschichte von Mutter und Vater; Suhrkamp Taschenbuch-Verlag, 1.Auflage 2009, S. 77


    [2] ebenda, S.7/8


    [3] ebenda, S.220


    [4] Botho von Rienäcker ist ein von Fontanes Gestalten, die ein erhöhtes Interesse am einfachen Leben hat („Jeder Stand hat seine Ehre. Waschfrau auch.“) , das bäuerliche Leben dabei geradezu verklärt. Dabei rebelliert er passiv gegen das feste Standesdünkel, gegen die Vorstellungen einer ’standesgemäßen Ehe’, bleibt aber dennoch bei seinem adligen Leben, um den bisherigen Lebensstandard halten zu können („Ich bitte Sie, Wedell, [Botho von] Rienäcker steht vor einer viel schärferen: Er hat 9000 jährlich und gibt 12000 aus, und das ist immer die schärfste aller Ecken, jedenfalls schärfer als die Heiratsecke. [Käthe zu] heiraten ist für Rienäcker keine Gefahr, sondern die Rettung.“) - vgl. Theodor Fontane: Irrungen, Wirrungen


    [5] Conxa hat aufgrund des einfachen Lebens, aufgrund der fehlenden Bildung für ihre Emotionen, ihre Gedanken keine Sprache entwickelt und nutzt so abstrakte, natürliche, aus ihrem Lebensumfeld stammende Vergleiche (“Ich fühle mich wie ein Stein im Geröll. Wenn irgend jemand oder irgend etwas mich anstößt, werde ich mit den anderen fallen und herunterrollen; wenn mir aber niemand einen Stoß versetzt, werde ich einfach hier bleiben, ohne mich zu rühren, einen Tag um den anderen…”) - vgl. Maria Barbal: Wie ein Stein im Geröll


    [6] Nach Luthers Bibelübersetzung lautet das Sprichwort allerdings: „Eine tüchtige Frau, wer findet sie? Sie übertrifft alle Perlen an Wert.“ (Spr 31,10-12,25-30) – Quelle: Bibeltexte für Hochzeitstexte


    [7] Edvard Hoem: Die Geschichte von Mutter und Vater; Suhrkamp Taschenbuch-Verlag, 1.Auflage 2009, S. 212


    ~*~


    Im übrigen gibt es bereits eine Fortsetzung “Heimatland. Kindheit”, die sich mit der Entwicklung Edvards auseinandersetzt, vor allem mit einer Identitätsentwicklung, mit seiner Entscheidung auseinandersetzt zwischen dem väterlichen Erbe als Wanderprediger zu arbeiten, den Bauernhof zu übernehmern oder Abitur zu machen, zu studieren und eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen.

    Nicht nur der Mensch sollte manches Buch,
    auch Bücher sollten manchen Menschen öffnen.
    (Martin Gerhard Reisenberg, *1949)

  • Kein schlechtes Buch, aber ich kann mich nicht ganz so begeistern, wie einige vor mir. Die vielen Bibelzitate, besonders im ersten Teil, nervten mich am Anfang sehr und deswegen war ich immer wieder versucht abzubrechen. Die Geschichte ist immer ein wenig düster und zu den Protagonisten konnte ich keine Beziehung aufbauen. Wie schon gesagt, kein schlechtes Buch, aber es zählt für mich nicht unbedingt zu den Büchern, die man lesen muss.

  • Meine Meinung


    "'Mama, liebst du den Papa?' [...] 'Ich hatte Vater nicht lieb, als ich mit ihm zusammenkam, aber ich habe ihn liebgewonnen, weil er beständig war, beständig und treu, und das ist genauso wichtig wie Liebe.'"


    Edvard Hoem geht in "Die Geschichte von Mutter und Vater" der Geschichte seiner Eltern nach. Dabei geht er weit zurück und erzählt dem Leser auch von der Kindheit seiner Eltern, den Umständen in denen sie aufgewachsen sind und das Schicksal, das sie immer wieder getroffen hat.


    "An diesem Abend öffnete sich eine Tür ins Unbekannte. Im Leben von Mutter und Vater gab es etwas, worüber nicht gesprochen werden sollte, aber nun hatte sie mir anvertraut, dass es das gab."


    Das Bedürfnis etwas über sich selbst und die Zusammenhänge seiner Familie zu erfahren, sitzt sehr tief und ist vor allem aus der Tatsache heraus entstanden, das über viele Dinge zu Hause nicht gesprochen wurde.


    "Aber hin und wieder wunderte ich mich darüber, was gesagt und nicht gesagt wurde bei uns zu Hause."


    Sein Vater Knut möchte nicht den Bauernhof seiner Eltern übernehmen und reist stattdessen als Prediger durch Norwegen. Seine Verlobung mit einer anderen Hofbesitzerin scheitert. Seine Mutter Kristina wächst zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Olga auf und ihr Leben ist eigentlich schon als Haus- und Ehefrau vorprogrammiert, aber sie möchte mehr erreichen.


    "Hatten sie von Mutter und Vater nicht alles bekommen? Doch, dass hatten sie- Mussten sie nicht dankbar sein, dass sie Essen und Kleidung hatten? Doch, dass mussten sie. Aber es gab einen Menschen, der von etwas anderem träumte. Das war Mutter. Sie bestand ihr Leben lang darauf, dass sie ein Mensch war, zuallerst und vor allem ein Mensch, kein Dienstmädchen, keine Bauersfrau und keine Schweinemagd, sondern ein stolzer Mensch. Sie war sie selbst, welche Arbeit sie auch verrichten mochte."


    Kristina hat eine Beziehung zu einem deutschen Soldaten, von dem sie schwanger wird, der jedoch kein Interesse an dem Kind hat und Norwegen bald darauf wieder verlässt. Kristina bleibt zurück und wird in ihrem Dorf geächtet, da sie sich mit einem Deutschen eingelassen hat. In dieser Situation treffen Kristina und Knut aufeinander und aus einer anfänglichen Zweckgemeinschaft entwickelt sich mit der Zeit Liebe.


    Edvard Hoem zeichnet diese Geschichte mit einer Leichtigkeit nach, so dass das Buch sehr flüssig lesbar ist. An vielen Stellen ist es in der Tat immer wieder traurig und auch düster, aber insgesamt hat mir die Stimmung des Romans gut gefallen - es hat einfach gepasst.


    Ein wirklich schöner Roman, ich werde sicherlich bald das zweite Buch von Edvard Hoem lesen.