keinkomma in Barcelona - Reisebericht

  • Huhu, liebe Eulen!
    Das ganze sollte fein bebildert auf meiner HP stehen - aber das Programm streikt und der Hersteller ist bis nach Oster weg. Grummel...Bilder also später, Text schon mal hier:
    Barcelona 2008


    Padre Claret wurde in Katalonien geboren – und für mich ging ein Traum in Erfüllung, als der Roman „El tejedor de Dios“, die spanische Übersetzung von „Gottes Weber“ in Spanien erschien. Der Verlag hatte mich zur Präsentation nach Barcelona eingeladen. Mitgebracht habe ich tausend neue Ideen, tiefe Eindrücke und die Erinnerung an sehr liebe Menschen. Aber der Reihe nach mit einem kleinen „Tagebuch“:


    Sonntag, 9. März:


    Nach dem Mittagessen fahren mein Mann Jan und ich zum Flughafen. Zwei weinende Kinder. Schlimmer Abschiedsschmerz. Auch bei mir.
    Am Flughafen stöbere ich im Zeitschriftenladen durch die Buchauslagen. Auf dem Bestsellerstapel liegt Luigi Brognas „Spätzle al dente“. Das hätte ich ihm gerne erzählt. Ich könnte heulen. Luigi, Du fehlst uns!
    Flug mit Canada Air Jet. 50 Sitzplätze. Rüttelkiste. Zwei Mal leichte Panik, die ich mit dem Kauen auf dem pupstrockenen Schinkenbrötchen aus der Bordküche runterschlucke.
    Landung in Barcelona. Wir warten eine halbe Stunde am Gepäckband. Kein Koffer kommt – unser Gepäck dreht nämlich auf dem Band für den Flug aus Bilbao seine Runden.
    Am Gate warten Pater Ignasi Ricart und Pater Maxím Muñoz. P. Ignasi hält wie versprochen ein Schild mit der Aufschrift „Claret“ nach oben. Wir werden sehr nett begrüßt und ich fühle mich von der ersten Sekunde an wohl.
    Es regnet in Strömen. Pater Ignasi bedankt sich bei uns, dass wir Regen mitgebracht haben.
    P. Maxím ist der Superior der Claretiner in Barcelona. Ein junger, hoch gebildeter Mann, der uns fährt. Wir sprechen so angeregt, dass er eine rote Ampel übersieht. Leider muss mein eingerostetes Englisch erst wieder auftauen, ich verstehe nur die Hälfte.
    Erster kurzer Blick auf La Rambla. Wir biegen in eine Seitenstraße nahe der Plaza Cataluñya ab. Mir stockt der Atem: wir stehen vor der Verlagsbuchhandlung und ein ganzes Schaufenster ist mit dem Roman dekoriert. Dazu ein großes Plakat mit meinem Foto drauf.
    Durchein Labyrinth aus verschiedenen Aufzügen und Fluren gelangen wir in den achten Stock des Gebäudes, in dem die Patres eine mehrstöckige Wohnung haben. Jan und ich werden in „Einzelzellen“ untergebracht, Tür an Tür. An der Türe steht mein Name – die einzige Frau unter all den Herren. Im Zimmer ein Bett, ein Schreibtisch und ein Bücherregal. Und eine Dachterrasse mit atemberaubendem Blick über die Stadt.
    Zum Abendessen gehen wir in die Küche. Es ist wie zu Hause, so gemütlich. Zum Nachtisch esse ich eine sonnig-süße Orange. Pater Ignasi stellt uns den Mitbrüdern vor und sagt, er habe bei google Earth nach Jans Firma geschaut.
    Wir gehen noch aus. Es ist überraschend kühl. Und Jan hat meinen Mantel, statt ihn ins Auto zu legen, zu Hause in Spaichingen zurück an den Haken gehängt. Aaargh!
    Wir bummeln über La Rambla. Zu viele Menschen. Dann flüchten wir ins Café Opera. Ich trinke eine Chocolata Espagña – das ist wie heiße Milka, so dick, dass der Löffel beinahe drin stehen bleibt. Um die Kalorien des Getränks auszugleichen lege ich noch einen Apfelkuchen mit Sahne nach.
    Am Tisch gegenüber sitzt ein Maler mit zerfurchtem Gesicht und wirrem Haar. Er seziert die beiden Schwedinnen am Tisch neben uns mit seinen Blicken und scheint sie zu skizzieren. Dabei tunkt er wieder und wieder den Bleistiftstummel in die Kaffeetasse.
    Es ist 23.40 Uhr. Der typische Großstadtlärm dringt in mein Zimmer. Autos hupen. Mofas knattern. Es ist kühl und ich versuche, mir aus den ungewohnten spanischen Decken ein warmes Nest zu bauen.
    Auf dem Schreibtisch lag „El tejedor de Dios“. Ich habe minutenlang darin geblättert und daran geschnuppert.



    Montag, 10. März:


    Das spanische Bettzeug ist gewöhnungsbedürftig – die Matratze auch. Habe mich mehrfach nachts verwickelt.
    Schon beim Frühstück werden wir verwöhnt. Wir fühlen uns wie zu Gast in einer Familie. Das Frühstück ist opulent – sogar mit Schokolade!
    Mit Pater Ignasi gehen wir zur Autovermietung um die Ecke, um uns den Wagen für den Ausflug nach Barbastro zu reservieren. Dann geht es zu Fuß durch – gefühlt! – ganz Barcelona. Auf den Spuren von Pater Claret, durch die engen Altstadtgassen, zur Kirche Santa Maria del Mar, zur Synagoge, Barceloneta, der Hafen…Pater Ignasi schreckt auch eine Weinausstellung in der Llonja nicht ab, jener Universität, an der Claret die Webkunst studierte. Es ist faszinierend, jene Innenhöfe und den Hörsaal zu sehen, in denen Claret wandelte und lernte.
    P. Ignasi führt uns in eine Kirche, in der er als junger Mann ein Orgelkonzert von Duke Ellington hörte. Überhaupt sehen und hören wir so viel, das „normalen“ Touristen mit Sicherheit verschlossen bleibt.
    Zuvor waren wir noch zu einem kurzen Besuch in der Buchhandlung des Verlags – was von außen sehr klein aussieht, ist ein immens großer zweistöckiger Laden. Shakehands mit dem Direktor, der gleich einen Termin hat. Überall „El tejedor de Dios“ und so viele gute und schöne Bücher…die ich mangels Spanischkenntnissen leider nicht lesen kann.
    Mein Englisch taut von Minute zu Minute mehr auf. Und Pater Ignasi spricht exzellentes Deutsch…überhaupt spricht er sieben Sprachen fließend, unterrichtet Griechisch an der Universität.
    Zum Mittagessen sind fünf Patres anwesend. Nach einer kurzen Andacht gibt es Gemüse und – so lecker! – Kartoffelpfanne mit Garnelen und Miesmuscheln. Die Köchin serviert … für uns ungewohnt.
    Am Nachmittag fahren Jan und ich gemeinsam mit Pater Bru Cañigueral nach Barbastro. Jan kämpft mit der gemieteten A-Klasse. Irgendwo in den Bergen schlafe ich ein. Auf halber Strecke machen wir eine kurze Pause. Dann genieße ich den Blick auf das weite, hügelige Land, auf blühende Mandelbäume. Es gibt wenige Bäume, alles wirkt braun, trocken und staubig. Niederes Buschwerk klammert sich an sandige Hügel. Knorrige Pappeln und Olivenbäume ducken sich in den Wind. Ich verstehe, warum P. Ignasi sich für den Regen bedankt hat!
    In Barbastro irren wir mit Pater Bru durch die Gassen. Schließlich finden wir es doch: das Claretiner-Konvent. Heute ein modernes Gebäude, das ein Museum beherbergt. Wir bekommen eine „Privatführung“, meine Hand schmerzt von all den Notizen. Wir gehen auch in die kleine Kathedrale. Ich stehe vor den Gebeinen der Martyrer und sehe jene Briefe, mit denen sie sich bei ihren Familien kurz vor ihrer Hinrichtung verabschiedet hatten. Keine Worte.
    Bevor wir gehen signiere ich das erste Buch – für Maribel, die Köchin des Konvents.
    Dann fahren wir nach El Pueyo. Pater Ignasi sagte: „Das ist wie der Dreifaltigkeitsberg, nur ohne Bäume!“ Davon sehen wir nichts, denn es ist schon dunkel.
    Oben auf dem Berg werden wir in ein Zimmer im ehemaligen Benediktinerkloster gebracht. Dieses Mal ein Doppelzimmer – und was für eins! Jan und ich probieren aus wie es ist, an einem antiken Schreibtisch zu sitzen.
    Dann gibt es Abendessen und wir lernen die drei Claretiner-Patres kennen, die in El Pueyo leben: Benjamín Elcano, Angel Sanz und Mariano Molina. Das Essen ist mehr als gemütlich und wir unterhalten und sehr, sehr angenehm. Allerdings scheint die Bergluft müde zu machen und so fallen wir sehr früh ins Bett. Wind pfeift ums Gemäuer und Dutzende Katzen jammern.


    Dienstag, 11. März:


    Wir öffnen die Fensterläden und…sind platt. Minuten lang schauen wir aus dem Fenster und lassen uns den Wind um die Nase wehen. Der Ausblick ist gigantisch, bis zu den Pyrenäen. Die Dörfer ducken sich an die Hügel, der Himmel ist unendlich weit. Beinahe verpassen wir vor lauter gucken das Frühstück. Doch die Zeit hole ich spielend rein – Shampoo und Föhn vergessen, also nur Katzenwäsche.
    Nach dem Frühstück werden wir durch das Kloster geführt. Das Refektorium, in welchem einst hunderte Benediktiner aßen. Die Kirche. Die endlos langen Gänge, die meterdicken Mauern. Und dann – die Bibliothek. Schon wieder bin ich sprachlos, als ich all die Schätze sehe. Das älteste Buch ist aus dem 15. Jahrhundert und ich darf reinschauen! Hier könnte ich Tage lang stöbern.
    Doch Barbastro ruft. Wir fahren zunächst zum Friedhof, wo die ersten Martyrer hingerichtet wurden und wo die Gebeine der übrigen verscharrt wurden. Dann gehen wir in den Konvent und von dort aus gehen wir zu Fuß jenen Weg durch die schmalen Gassen, den die Claretiner 1936 gingen. Es scheint wie eine Zeitreise und ich denke an George Orwell, der im Bürgerkrieg auch in Barbastro war.
    Im ehemaligen Theatersaal erinnert nichts mehr an die Zeit des Krieges. Dort, wo die jungen Männer inhaftiert waren, ist heute eine Schulaula, in einem abgetrennten Bereich eine Bibliothek. Doch es ist wichtig, diesen Ort zu sehen. Ich sauge alles in mich auf.
    Wir fahren weiter zu den Hinrichtungsstätten außerhalb der Stadt. Beklemmendes Gefühl. Der Wind wird zum Sturm. Wie passend zu meinen Gedanken!
    Ich habe tausend Fragen. Alle werden geduldig beantwortet und mein Notizbuch füllt sich sehr schnell.
    Zum Mittagessen sind wir in El Pueyo. Ich könnte noch Tage lang hier oben bleiben. In der Stille. Die Aussicht genießen und den unzähligen Katzen beim Spielen zuschauen.
    Gegen Abend sind wir zurück in Barcelona. Wir machen einen Bummel und suchen beinahe schon verzweifelt nach einem Spielzeugladen – Max und Nina warten auf ein Reisepräsent! Schließlich landen wir im Corte Inglès… ein Konsumtempel ähnlich wie das KaDeWe. Wir kaufen nichts, sondern bummeln weiter durch die Altstadt, abseits der Touristenpfade. In einem winzigen Laden kaufe ich zwei Flaschen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, die blubbert. Aber: das war kein Sprudel – scheinbar ist alles, was in Spanien Kohlensäure hat, ist Limo…
    In der Nacht wächst die Idee, wie ich den nächsten Roman schreiben könnte. Mein Kopf schwirrt.

  • Mittwoch, 12. März:


    Beinahe hätte ich das Frühstück verschlafen. Mein Kopf ist voller Eindrücke – wahrscheinlich geht mein Gehirn auf Standby.
    Nach dem Frühstück fahren wir mit Pater Bru in der Metro zum Provinzialat. WOW! Ein ganzer Straßenzug wird von dem Neubau, der Kirche und dem Altbau des Konvents beherrscht – und die Straße heißt natürlich nach Pater Claret.
    Die Claretiner haben hier neben dem Konvent und der Verwaltung ein eigenes Altersheim, wo die Patres sehr liebevoll und würdig betreut werden. Eine moderne Schule – und ein hochmodernes Fitness-Studio mit Geräten, Wellnessbereich, Sauna und Schwimmbad, in dem gerade eine Schulklasse planscht. Pater Bru sagt dazu: „In der Kirche kümmern wir uns um den Geist, im Sportstudio um die Gesundheit der Menschen, und damit finanzieren wir wieder unsere geistliche Arbeit“.
    Wir besichtigen auch die Kirche. Dort ist das Grab von Jaime Clotet, des engsten Freundes von Pater Claret. Und im Altarraum sehe ich die Reliquien Clarets – auch jene kratzenden Wollsocken, über die ich in meinem Buch geschrieben habe.
    Danach geht es zur Sagrada Familia. Es ist beeindruckend, einen im Bau befindlichen Dom zu sehen, auch wenn die vielen Roma-Kinder einen bedrängen und man wie ein Fuchs auf seinen Geldbeutel aufpassen muss. Danach besichtigen wir – mangels Zeit leider nur von außen – noch ein Haus von Gaudí, das aussieht wie ein schuppiger Drache.
    Zurück bei Pater Ignasi bekomme ich Hausaufgaben – ein schriftliches Interview muss beantwortet werden. Das vertage ich bis nach dem Mittagessen, bei dem es Fisch gibt und…Erdbeeren bis zum Abwinken! Wir lernen, dass man Erdbeeren auch mit einem Schuss Whisky verzehren kann. Auf den habe ich zum Glück verzichtet, denn ich kämpfe mit der spanischen Tastatur, als ich am PC in der Bibliothek sitze. Wo ist das „ß“? Ganz klar – hinter der Tastenkombination ALT 0223…
    Der nächste Kampf des Tages: wo finden wir Mitbringsel für die Kinder? Pater Ignasi hat nachgefragt, wo es Spielwaren gibt und lotst und zu „Abakus“. Das ist ein immens großer Laden, der von den Lehrern Barcelonas initiiert wurde. Es gibt alles, was man für die Schule braucht zu sehr günstigen Preisen. Für Nina finden wir einen Rucksack. Für Max gibt es dort keinen in seiner Größe. Also laufen wir noch einmal zum Corte Inglès und tatsächlich, in der Sportabteilung hängt ein sogar reduzierter Kinderrucksack. Der Verkäufer an der Kasse merkt, dass wir Touristen sind und pult das rote Preisschild ab. Nun will er fast 30.-€. Erst fällt uns nichts ein, dann wird Jan laut. Hilft nichts.
    Jan geht zurück zu Abakus und kauft einen Baukasten für Max. Ich stöbere derweil durch die Verlagsbuchhandlung und kaufe drei CDs mit Zarzuelas. Die Bücher kann ich ja, mein Geldbeutel wird’s mir danken, alle nicht lesen. Als ich durch die Regalreihen stöbere, flüstert eine Dame hinter mir ihrem Begleiter zu: „L’autora!“. WOW! Das kenn ich in Deutschland nicht…
    Von Pater Bru bekommen wir neue Schlüssel. In der Nacht, als wir in Barbastro waren, wurde in das Gebäude eingebrochen. Zum Glück „nur“ in die ebenfalls dort untergebrachten Büros (unter anderem haben die Claretiner an die Weight Watchers vermietet). Im Konvent selbst wurden lediglich Schlüssel gestohlen – auch Gottesmänner sind also vor Langfingern nicht gefeit.
    Nach dem späten Abendessen – Pater Ignasi verwöhnt uns und plündert den Kühlschrank – gehen wir bummeln. Durch pittoreske Hinterhöfe abseits von La Rambla. In fast verfallenen Häusern entdecken wir die schönsten Bars.
    Irgendwie landen wir am Hafen und sehen zu, wie eine Balearenfähre beladen wird. Da kommt Urlaubsstimmung auf!
    Trotz luftgepolsterter Sohle habe ich die gefühlte Schuhgröße 46 und wir steigen in ein Taxi. Der Fahrer scheint nicht sehr an seinem Leben zu hängen und ich wette, er hat einen neuen Streckenrekord aufgestellt.

  • Donnerstag, 13. März:


    Heute ist DER Tag – die Buchvorstellung. Ich habe schon überall Einladungen gesehen, gedruckt auf feinem Papier. Eigentlich müsste ich schon nach dem Aufwachen sehr nervös sein, aber ich bin sehr entspannt.
    Nach dem Frühstück machen wir uns mit Pater Bru auf zum Monte Tibidabo, wo wir einen phänomenalen Blick auf ganz Barcelona haben sollen. Zunächst fahren wir mit der Metro, dann mit einer Seilbahn. Wir wollen in den Bus umsteigen. Und warten. Und warten… bis der Wirt aus der Kneipe gegenüber aus seiner winzigen Türe tritt (durch die ich nur zwei Minuten vorher gegangen war, um auf die Toilette zu gehen). Wirt brüllt – ich werde kleiner – Pater Bru gestikuliert – ich werde noch kleiner… was hab ich angestellt? Dann kommt Pater Bru zurück: der Wirt hat uns mitgeteilt, dass die Busfahrer streiken. Können wir ja lange warten!
    Jan saust auf die Straße und bringt so ein Taxi zum Stehen, das eben den Berg hinunterfährt. Über die Serpentinen geht es nach oben. Mit jedem Meter wird der Nebel dichter. Jan bittet den Taxifahrer, auf uns zu warten. Ist dem aber egal – er fährt weg. Na, irgendwie werden wir schon wieder runterkommen. Zur Not setzen wir uns zu der britischen Reisegruppe in den Bus, die sind sowieso einen zweiten Blick wert: trotz nur knapp acht Grad und dichtem (!) Nebel haben alle Shorts und leichte Tops an…
    Wir gehen in die Kirche. Ein wunderschöner Bau – vom dem wir leider die Türme nicht sehen können, denn die liegen im Nebel. Überhaupt ist der Nebel so dicht, dass man die Schwaden beinahe greifen kann. In der Kirche beobachten wir die Putzfrau und selbst Pater Bru lernt etwas Neues: die großen Heiligenfiguren werden mit einem Teleskopfeudel abgestaubt.
    Der Vergnügungspark auf dem Berg ist geschlossen – die Achterbahnen und Karussells stehen still. Himmlische Ruhe. Wir trinken einen Kaffee und Pater Bru verhandelt mit den Männern, die offensichtlich im Park arbeiten. Tatsächlich: nach einer halben Stunde Warten bringt uns eine noch antikere Seilbahn als die vorherige wieder nach unten. Die Wartezeit vertreiben wir uns mit einem Zerrspiegel – darin sind wir alle so breit wie lang wie tief.
    Bis zum Mittagessen ist noch ein wenig Zeit und ich tue, was eine Frau tun muss: in unserer Straße ist ein Humana-Laden. Ich kann einfach nicht an den sensationell günstigen Designerklamotten aus zweiter Hand vorbeigehen. Aber auch hier bin ich – wie in allen Buchhandlungen – sehr sparsam: wenn in Spanien Gr. 38 draufsteht, dann passt höchstens eine deutsche Gr. 34 rein.
    Der Duft des Mittagessens empfängt uns schon im Hausflur: PAELLA! Eine Sensation. Ich könnte drin baden – ein extra Lob für die Köchin! Die Patres servieren dazu Champagner, zur Feier des Tages. Ich nippe aber nur am Glas – schließlich habe ich ja noch zu arbeiten. Dafür gönne ich mir ein extra Stück von der gigantischguten Cremetorte.
    Trotz leichter Nervosität kann ich noch zwei Stunden schlafen. Die Ruhe im Haus tut mir sehr gut. Und dann ist es soweit: gemeinsam mit Pater Ignasi gehen Jan und ich in die Verlagsbuchhandlung. Ein ganzer Stapel Bücher liegt da – und eine Menge leerer Stühle. Was ich sehr optimistisch finde, aber Pater Ignasi ist zuversichtlich, dass das voll wird.
    Er übersetzt mir noch kurz, was Pater Maxím Muñoz und Pater Bellella, ein Historiker, sagen werden. Letzterer kommt dann dazu und spricht mit mir über die Grenzen, die ein Roman gegenüber der realen Person Clarets hat. Hoch interessant und ich vergesse, dass ich nervös sein müsste. Als ich wieder aufblicke, sind die Stühle alle besetzt!
    Pater Ignasi macht mich mit einer älteren Dame bekannt, jenseits der 80 Jahre, hellwache Augen… sie ist eine Urgroßnichte von Pater Claret! Geboren in Katalonien, im Bürgerkrieg nach Berlin emigriert. Dann wieder zurück in die Heimat, wo sie mit ihrem Mann lebte. Leider habe ich zu wenig Zeit, um mit ihr zu sprechen, denn es ist 19 Uhr und die Veranstaltung beginnt…
    Dank der vorherigen Übersetzung verstehe ich sogar annähernd, was die Patres sagen. Spanisch klingt in meinen Ohren wie Musik, wie Tango, eine Zarzuela…ich lasse mich vom Rhythmus der Worte treiben und beobachte das Publikum, ignoriere so gut es geht das Blitzlichtgewitter der Fotografen.
    Plötzlich sind alle still und starren mich an. Ich bin dran. Ich soll etwas sagen…
    Mein Spanisch tendiert gegen Null. Vorlesen, wie sonst bei einer Buchpremiere üblich, kann ich also nichts. Knoten im Kopf!
    Ich stammele etwas in denglisch, dann kriege ich die Kurve und die nette Dame, deren Schwester auch eingetroffen ist, übernimmt die Übersetzung. Die Fragen sind sehr tiefgehend und ganz anders, als ich sie aus Deutschland kenne. Ein großes Thema ist, wie ich als evangelisch getaufte Frau es überhaupt schaffen konnte, einen Roman über einen katholischen Heiligen zu schreiben. Oder was das Buch jungen Lesern sagen kann. Ein Herr fragt, wie er das Buch lesen soll, was es ihm in seinem Glauben bringen kann. Ich stammele irgendetwas (das Jan später als „politik- und diplomatentaugliche Antwort ohne Inhalt“ bezeichnet). Der Herr wird der einzige sein, der das Buch nicht kauft.
    Dann ist es vorbei, wie im Fluge. Pater Muñoz bittet zum Sektempfang mit Häppchen. Vor dem Tisch steht eine Schlange. Meine Hand schmerzt irgendwann, vom vielen Signieren. Ich signiere auf Englisch – und damit die spanischen Vornamen korrekt geschrieben werden, lasse ich mir das von den Lesern auf keine Zettel notieren.
    Eine große Ehre: Lluís Miñarro, ein Filmproduzent, mit dem ich nach der Berlinale 2006 schon Kontakt hatte, ist auch gekommen. Ich bin baff!
    Irgendwann leeren sich die Reihen. Von hinten tritt der Leiter der Buchhandlung an mich heran und drückt mir ein Monster von Blumenstrauß in die Hand. Ich weiß dazu nichts zu sagen… ich schaffe es noch, ein Häppchen und ein Glas Sekt zu ergattern. Es gibt noch einige sehr interessante, aber leider kurze Gespräche.
    Jan und ich beschließen, zur Feier des Tages in die Altstadt zu gehen. Wir entdecken ein winziges Restaurant mit moderner spanischer Küche – zu sensationell günstigen Preisen. Das also wird unser neues Stammlokal in Barcelona!



    Freitag, 14. März:


    Pater Ignasi verabschiedet sich nach dem Frühstück von uns, er muss zur Vorlesung. Ich bitte ihn (intensiv!), demnächst mal nach Spaichingen zu kommen. Er lacht und sagt: „Wenn meine Oberin das befiehlt, dann muss ich kommen“.
    Wir packen und gehen dann noch einmal auf die Dachterrasse. Die Sonne kommt heraus und Barcelona zeigt sich von seiner schönsten Seite.
    Dann ist es soweit und wir müssen auch von Pater Bru Abschied nehmen. Ich hoffe, wir sehen auch ihn bald wieder!
    Ein Pater bringt uns zum Flughafen. Nach langem Suchen finden wir den Lufthansaschalter. An der Sicherheitskontrolle muss Jan sogar seine Schuhe ausziehen – aber wir dürfen passieren und freuen uns, dass wir punktgenau zum Boarding da sind. Am Gate wieder erste schwäbische Worte der Mitreisenden…und eine Durchsage: der Flieger hat zwei Stunden Verspätung.
    Und nun? Wir durchqueren den kompletten Flughafen hin und zurück. Dann setzen wir uns mit immens teuren Brötchen bewaffnet in ein Bistro. Wir lassen die ganzen Eindrücke noch einmal voller Begeisterung Revue passieren und planen unseren nächsten Besuch in Barcelona. Davon hält uns dann aber eine Lady aus Belfast ab, die nach dem Genuss eines Piccolo redselig wird und erzählt, erzählt, erzählt…sie sieht aus wie die alt gewordene Version von Lady Di.
    Endlich dürfen wir dann doch ins Flugzeug. Ein letzter Blick auf die schönste Stadt, die ich kenne. Und die Gewissheit: ich komme wieder!

  • Da bekommt man wirklich Lust selbst nach Spanien zu gehen, um sich dort die herrlich - mediterrane Landschaft mit den Klöstern, Palmen und Sandstränden anzuschauen. Nicht zuletzt durch "Der Schatten des Windes" finde ich Spanien als Land, und auch Barcelona im besonderen sehr beeindruckend.
    Nur ein Frage, du hast deinen eigenen Roman vorgestellt, der ins Spanische übersetzt wurde, als du in der Buchhandlung deine Präsentation gehalten hast oder? Darf man fragen, worum es in diesem Werk geht? (Wenn es auch ganz leichte Werbung ist, aber wenigstens mal eine mit Nachdruck.)

    „Die Literatur greift immer dem Leben vor.
    Sie ahmt das Leben nicht nach, sondern formt es nach ihrer Absicht.”

    Oscar Wilde, irischer Schriftsteller und Aphoristiker

  • Ein toller Bericht, liebe Silke. So konnten wir auch an deiner Reise teilhaben! :knuddel1


    Silke, ich verschiebe den Thread in die Rubrik "Autorenlesungen". Der Bericht ist zwar keine Autorenlesung, es wäre aber zu schade, wenn dieser Thread durchrutscht. Jeder sollte die Möglichkeit haben deine Reise nachlesen zu können. :wave

  • Danke, Silke. Ich nehme an, die Wiedersehensfreude war bei den Kindern und euch beiden genauso groß wie der Abschiedschmerz :-)


    Da scheint es ja tatsächlich eine ganze Reihe gebildete sympathische katholische Patres zu geben ... in Spanien ;-)

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Freut mich, wenns Euch freut - Katalonien ist wirklich (mehr als) eine Reise wert!
    @ nightfall: es gibt auch einen wunderschönen Reiseführer "Mit Carlos Ruíz Zafon durch Barcelona". Den hatten wir dabei (leider nicht wirklich Zeit für diese Routen), das lohnt wirklich!
    @ Wolke: Danke fürs Verschieben!
    Und zum Thema Bilder...tja. kommt...versprochen...iiiiirgendwann, sobald die Technik wieder mitspielt!!!

  • Danke, dass ich dich auf der Reise gedanklich begleiten durfte :-)
    Schön, was ihr alles erlebt und gesehen habt. Nun bin ich natürlich neugierig aufs Buch und werde schauen, dass ich es bald lese kann...


    Barcelona selber kenne ich (noch) nicht, aber den "französischen Teil Kataloniens", vieles im Languedoc-Roussillon ist zweisprachig angeschrieben und die Landschaft am Fusse der Pyrenäen ist einfach wunderschön. Irgendwann schaffe ich es hoffentlich auch bis Barcelona :-)

  • Zitat

    Original von keinkomma
    @ Nachtgedanken: wolltest Du auch nach Barcelona? Du musst unbedingt hin, es ist sooo schön! Vor allem abseits der Touristentrampelpfade!


    Ich war letztes Jahr, allerdings zu einem Touri-Höhepunkt (1.Mai) und wir wollten dieses Jahr im Februar wieder hin, aber leider mussten wir alles stornieren. Aber auch im Mai war es super.

    :lesendR.F. Kuang: Babel


    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)