Die unerfüllten Wunschzettel...
Hallo
Bin neu im Forum.
Den unteren Beitrag habe vor kurzem geschrieben. Ich hoffe es gefällt euch.
Gramatik und Rechtschreibeng waren immer mein Problem gewesen.
also nicht so sehr drauf achten
viel Spaß
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Gleich früh am Morgen klopften meine Freunde bei uns ans Tür.
Sie wussten, dass um diese Zeit mein Opa nicht zu Hause war. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht jeden Morgen mit dem Ruf des Muezzins zum Morgengebet ins Moschee, und anschließend ins Teegarten zu gehen um dort mit seinen Freunden cay zu trinken. Er war nicht gerade beliebt bei den Kindern im Dorf. Obwohl er doch ihnen nichts getan hatte, fürchteten sie sich vor ihm.
Vielleicht war es sein nachdenklicher und von Kummer heimgesuchter Anblick, dass bei den Kindern für eine gewisse Abschreckung sorgte. Auch wenn er sich nach außen verschlossen gab, war er ein sehr nachsichtiger und hilfsbereiter Mensch.
Die Männer vom Lande, wie mitfühlend und teilhabend sie auch waren, empfanden das Zeigen der Gefühle als eine Art Schwäche. Ein Mann muss autoritär und konsequent sein sagte immer mein Opa. Wenn er die Autorität zu Hause verliert, dauert es nicht mehr lange bis er zum Gespött aller wird. Das waren harte Worte. Jedenfalls für uns Kinder. Denn wir waren die ersten in der Liste die davon zu spüren bekamen wenn die großen aus irgend einen Grund ihr Dampf ablassen mussten. Wir spürten genau, wann es klüger war ihre nähe zu meiden. Und so mieden wir ihre Nähe, bis sie sich abreagiert hatten.
Wenn früh morgen an die Tür geklopft wurde machte meistens meine Mutter es auf.
-Ist der Güven da ?
-Ja, aber er wird wohl noch schlafen. Was wollt ihr denn von ihm?
-Wir wollten fragen ob er spielen kommt.
Behutsam und mit ihren sanften Händen durch meine Haare streichend weckte sie mich auf.
- güven, mein lieber junge, schläfst du noch? Es ist Zeit zum aufstehen. Deine Freunde sind vor der Tür. Sie fragen ob du mit zum Spielen rausgehst. Aber vergiss nicht, bevor du raus gehst musst du noch frühstücken.
Ihr liebevolles Lächeln ist das erste was ich an diesem Tag sehe. Für ein Kind meines Alters kann es nichts schöneres geben als ein warmes liebevolles Lächeln einer Mutter.
Schnell wird mir warm ums Herz und wir schauen uns einige Augenblicke lang an. Ich wünschte diese Momente könnte ich verewigen, sodass es nie vorbei zieht. Einige Augenblicke, die schon ausreichten ihr Lächeln für immer in mein Gedächtnis zu prägen. Meine noch halb geschlossene Augen reibend richte ich mich auf und weile noch ein paar Sekunden, bevor ich klar denken kann.
Mit etwas Mühe zerre ich mich aus dem Bett, wie ein Schlafwandler zum Fenster hin, stecke meinen Kopf heraus und sehe sie da stehen. Meine Freunde, schlicht gekleidet, mit ihren geflickten Hosen, Plastik Schuhe an den Füßen und in der Hand einen Drachen. Sie stammten genau wie ich aus bescheidenen Verhältnissen. Keiner wurde wegen seiner Kleidung und Verhältnisse verpönt. Entweder verstanden wir uns und wurden Freunde, oder auch nicht.
Es war ein Geflogenheitsprinzip, das man wenn man an einer fremden Tür klopfte einige Meter zurücktritt und wartete bis es einem geöffnet wurde.
Es waren drei meiner Freunde, mit denen ich meistens zusammen war. Zu Linken stand „Servet“, den wir wegen seiner Taub und Stummheit „rara“ nannten. Ich weis nicht mehr warum wir ihn diesen Rufnamen gegeben hatten. Wahrscheinlich, weil er keinen anderen Laut von sich gab als „rarara“ mit dem er versuchte mit uns zu kommunizieren. Es war sehr schwierig für uns sein Anliegen zu verstehen. Aber auch für ihn, es uns klarzumachen. Doch irgendwie klappte es aber immer. Mit der Zeit hatten wir ein Gespür dafür entwickelt und verstanden sofort was er uns sagen wollte, was er mochte und was nicht.
Mit den Händen, Armen und Gesichtsausdrücken versuchte er sich verzweifelt auszudrücken. Und wenn diese Methoden nicht ausreichten wurde er wütend und schrie wild um sich rum. Es konnte auch mal passieren das er handgreiflich wurde und ohne langes Zögern einfach zum praktischen überging und sich durchsetzte. Er war unser Freund, aber trotzdem fürchteten wir uns vor ihm.
Mit gutem Grund.
Einmal als ich ihn aus mir irgendeinem Grund verärgert hatte zog er ein kleines Taschenmesser aus seiner Hosentasche und jagte mich durch das halbe Dorf. Die Hetzjagd endete damit, das ich an den Gleisen stolperte und mit der Stirn an einem Gleis aufschlug, wobei mir die linke Stirnseite, über meinen Augenbrauen platzte und zu bluten anfing. Ich lief voller Schmerzen zu dem uns bekanntem Arzt, der mir meiner aufgeplatzten Wunde nähte. Das war Anlass dafür, dass ich tagelang mich nicht raus traute, bis wir uns eines Tages wieder versöhnt hatten. Noch heute, immer wenn ich in den Spiegel schaue sehe ich diesen einen Nat, und werde an den einen Tag erinnert.
Der Zweite war sein Bruder Gürsel. Er war, wenn ich es mal mit heutigem Ausdruck sagen darf ein "cooler Typ". Er war der art Mensch, der es schaffte alle anderen Kinder um sich zu scharren.
Ein Siegertyp, den ich wegen seiner Persönlichkeit sehr achtete. Er war der „Clan Anführer“, der uns zeigte, wo es entlangging, wenn wir uns in irgend einer Sache nicht entscheiden konnten. Zudem sahen wir uns gegenseitig als Konkurrenten, wenn es darum ging, wer das sagen in der Gruppe hatte. Meistens behielt er die Oberhand. Er war stattlicher gebaut und war um eine Handbreite länger als ich. Nicht selten kam es vor, das wir uns auf dem staubigen Boden um die "Vorherrschaft" ringten, das damit endete das unsere großen eingriffen und uns zeigten, das doch sie das sagen hatten.
Der dritte war der Mehmet, den wir wegen seiner Übergewicht auch „Sisko Mehmet“, Mehmet der dicke nannten. Der Arme musste damit Leben, das er wegen seines Übergewichtes zum Sündenbock abgestempelt wurde. Wenn zum Beispiel unsere Mannschaft ein Fußballspiel verlor oder uns grad mal nichts anderes einfiel und wir uns seine Kilos zum Thema des Tages machten.
Ich sehe ihn noch vor mir, so als wäre es gestern passiert, wie er einmal verärgert und weinend davonging. Seinen verstimmten Gesichtsausdruck, die Tränen in seinen Augen und seinen uns den Rücken gekehrten, gekränkten, langsamen und trägen Gang werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen können.
Heute noch bedauere ich es zu tiefst, unser rücksichtsloses und fern von jeden Anstand geprägtes Verhalten. Nach Jahren der Trennung sollte ich erfahren, das er bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. O wie ich mich dafür gehasst habe, das auch ich ihn verpönt hatte. Und doch bleibt mir nichts anderes übrig, als für ihn zu beten und ALLAH um Vergebung zu bitten, für das Leid, den wir ihn angetan haben. Mein einziger Trost ist die, dass wir noch kleine Kinder waren. Aber doch wühlen diese Erinnerungen tiefe Schmerzen in mir auf, die seit dem ein Teil von mir geworden sind. Seit den Tagen, wo es doch scheint, das die ersten Schriftansätze des Schicksals unser noch ungeschriebenes Lebensblatt zu beflecken anfing. Wie wäre es mir sonst möglich, mich noch daran zu erinnern, und den tiefen Schmerz in mir zu fühlen, hier und jetzt, vor meinem Schreibtisch, so bildhaft, klar und gegenwärtig als würde ich es noch einmal durchleben. Wäre es mir nur möglich diese Erinnerungen, oder die Schmerzen die sie in mir hervorrufen mit einem Amputiermesser tief aus meinem Herzen herauszuschneiden und sie für immer aus meinem Leben zu bannen...
Und so standen sie draußen vor meiner Haustür.
In den Händen, frisch, mit Schafskäse und Petersilie gefülltes Brot, den man sehr günstig nebenan beim Bäcker für nur einen Lira bekam, schmatzend und mit großem Genuss, fest mit beiden Händen umklammert verleibten sie es sich ein. Die frische des Brotes konnte man förmlich hören. Das Knuspern, wenn sie hineinbissen, drang sogar bis zu mir hinüber. Ein Anblick, der einem auch wenn man kein Hunger hatte zum nachahmen einlud.
Wenn der Bäcker früh am Morgen das köstliche Weißbrot, den„Carsi ekmegi“ oder Somun, wie wir es auch nannten, backte erfüllte es das ganze Dorf mit seinem deftigen, nach Weizen riechenden Duft. Auch nach Hunderten von Metern konnte man es riechen, bis in den Mittagsstunden hinein.
-Was wollt ihr denn?
-Komm, lass uns Drachen steigen, das Wetter ist ideal dafür.
-Mmm, aber ich hab doch keinen Drachen.
-Macht nichts, wir lassen dich mitspielen. Versprochen, du darfst auch einen Wunschzettel aufsteigen lassen, einverstanden?
-Na gut, ich komme mit.
Ich ziehe mich an, wasche mich kurz und eile geschwind aus dem Haus. Bevor ich das Haus verlasse drückt mir meine Mutter noch eine Teigrolle mit in Butter gebratenes Spiegelei in die Hand. Sie weis, das ich es gerne esse. Die Eier stammen von unseren Hühnern aus dem Stall und schmeckten auch dementsprechend, frisch und wohlriechend, in dem ebenso hausgemachten Butter gebraten, eingerollt in Dünnfladen, den „Jufka ekmek „den mein Oma noch früh morgen auf den Erdofen, den „ Tandir“ gebacken hatte.
Ich harke mir die Schuhe schnell an die Füße, die sich unterwegs meinen Füßen anpassen werden und laufe geflügelt zu der Spielwiese. Das Leben ruft. Keine Sekunde darf verschwendet werden. Die aufgehende Sonne, die meinen Schatten derart in die Länge zieht als wäre ich über Nacht um die Hälfte gewachsen, der morgendliche frische Duft des Tages, und das Zwitschern der sich auf den Ästen der Bäume versammelten Vögel, die genauso wie wir bestrebt waren eins mit dem Leben zu sein. Mit Beiden Füßen, bis an die Ohren standen wir mitten im Leben. Und das Leben drang tief in uns hinein....
Drachen steigen lassen war einer unserer beliebtesten Spiele. Nur konnte nicht jeder sich einen Drachen leisten. Wir nannten unsere Drachen „citali“, das soviel heißt wie „Stabdrache“. Wer einen besaß war entweder wohlhabend, oder er war handwerklich begabt und baute es selber. Wenn ein Kind genug Taschengeld hatte um sich Eis zu kaufen, oder sogar ein Fahrrad besaß galt schon als wohlhabend. All die anderen Kinder die es nicht hatten folgten ihn auf Tritt und Schritt, bewunderten, ja beneideten ihn um seinen kostbaren Besitz. Es waren die Kinder, dessen Eltern entweder einen guten Job hatten oder als Gastarbeiter in einem fernen Land arbeiteten. Ich gehörte zu keinen der beiden Gruppen an. Zwar arbeitete mein Vater in Deutschland, aber wohlhabend waren wir trotzdem nicht. Das bisschen Geld das er uns monatlich schickte bekam mein Opa, der es wie er sagte, für unser Wohlergehen ausgab. Ausgeben tat er es, ohne Frage, aber von Wohlergehen konnte nicht die Rede sein. Jedenfalls nicht für den Rest der Familie. Um einen mittelmäßigen Drachen herstellen zu können brauchten wir vier ca. vierzig cm lange Holzstäbe, etwas Zeitungspapier, dünnflüssigen Teig und ausreichend Schnur. Nur besaß ich noch nicht die nötige Handfertigkeit um es in Alleingang zu schaffen und rief meistens meinen Onkel oder meinen Opa um Hilfe. Mit bisschen Geduld war auch schon der Drache fertig. Nicht selten ging der eine oder andere Handgriff daneben und die ganze Arbeit war um sonst. Aber wir waren beharrlich und bastelten so lange daran, bis es fertiggestellt war. Natürlich war es notbedürftig und bei weitem nicht mit den fertig zu kaufenden Drachen zu vergleichen, aber es war unser Drache. Wir hatten es gebaut und die Ehre es steigen zu lassen gebührte alleine mir. Mit aufgerichtetem Haupt, und schnellen, aber stolzen Schritten begab ich mich zum Dorfplatz um die Wiese. Es war ohne Frage mein Tag, mein Auftritt, meine Vorstellung. Der Höhepunkt war der Zeitpunkt, wo wir unsere höchstpersönlichen, aber vom Inhalt her geheimen, Wunschzettel zum Drachen hoch schickten. Es hieß, wer auf einen Zettel ein Wunsch aufschreibt und schafft das es zum Drachen hinaufgleitet, dem wird dieser Wunsch erfüllt werden.
Dabei rissen wir den Zettel bis zur Hälfte seitlich auf und wickelten es um das Seil herum. Für den Rest sorgte der Wind. Entweder wehte er den Zettel rauf zum Drachen, oder entriss ihn und trug es fort. In diesem Fall schauten wir unseren verlorengegangenen Wunschzettel traurig hinterher, bis es aus unserem Blickfeld verschwand. Obwohl es doch nur ein Zettel war, berührte es uns so sehr, das der eine oder andere Kind mal auch weinte. Nach der Regel durfte man nämlich einen Wunsch den man sich gewünscht hatte nicht ein zweites mal wünschen. Also blieb uns nichts anderes übrig als den Zettel hinterher zu schauen, wie es im Schoße des Windes fortgetragen wurde.
-Hey, der Wind hat dein Wunschzettel devongeweht!
-Ich weiß, ich probiere es noch einmal.
-Gut, aber du weißt, das du den selben Wunsch nicht ein zweites mal wünschen darfst.
-Aber warum darf ich es denn nicht noch einmal versuchen? Versprochen, diesmal schaffe ich es.
-Du hast es versucht, aber das Schicksal hat für dich entschieden. Du musst dich damit abfinden.
Was hattest du dir denn gewünscht?
- Wer, ich? sag ich nicht, immerhin ist es ein Geheimniss. Und Geheimnisse sagt man nicht. Wenn ich’s dir sagen würde wäre es ja keines mehr.
Nun war es geschehen. Mein Traum war mit dem Wunschzettel zusammen unwiederbringlich verflogen. Und es war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, das ein Traum von mir vom Winde davongetragen wurde. Und ich konnte nichts dagegen tun.
Was ich mir gewünscht hatte?
Was sich ein Kind von sechs Jahren wünscht, der seinen Vater nur einige Monate zu Gesicht bekam, bevor dieser nach Deutschland reiste.
Das Vater doch wieder käme, weil ich ihn doch so vermisste. Seinen letzten Anblick hatte ich noch genau in Erinnerung. Sein letzter Anblick, als er in den schwarzen Zug stieg und uns anlächelte, bevor der Zug ihn uns erbarmungslos entriss und mit ihm ein Teil von mir, das ich ab den Tag bis heute noch misse.
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LG Güven