Noch eine Stunde bis wir Richtung Neukölln aufbrechen würden. Anspannung lag in der Luft, Tom hatte gerade noch ein paar Ausschnitte aus Geisterfahrer probegelesen.
"Bin ich zu schnell? Ich nuschle, oder?" Tom fing an Hektik zu verbreiten. Den ganzen Tag schon gingen Anrufe und SMS ein, dass dieser und jener Freund, Bekannte oder Verwandte leider sein Kommen zur Buchpremiere absagen musste. Auch vom angekündigten Laudator, der am Nachmittag noch in einem Flugzeug aus Venezuela kommend saß, war weit und breit nichts zu sehen oder zu hören.
"Mein Lektor kann wahrscheinlich auch nicht kommen. Und mein Agent sollte zwar in Berlin sein, aber die Öffentlichen streiken." Tom verbreitete nicht nur Hektik, sondern Hektik die leichte Anflüge von Hysterie zeigte. Wir beruhigten unsere Nerven mit Tiefkühlpizza und dem Eintüten von 50 exklusiv für die Buchpremiere hergestellten Geisterfahrer-Hits-CDs, die die Buchkäufer auf der Lesungsparty als einmalige kostenlose Dreingabe geschenkt bekamen. Dann ging es endlich los.
Angekommen in Neukölln wurden wir in Toms Stammkneipe "Lange Nacht" vorstellig und während Tom mit einem Kumpel den Sound aufbaute, stapelte der Rest der Roadie-Mannschafft Bücher und CDs auf den Verkaufstisch und übte sich im Bestellen von Alkoholika und anderer Getränke. Nach und nach füllte sich die Kneipe, deren Gäste sich trotz des auch in Berlin geltenden Nichtraucherschutzgesetzes eine Fluppe nach der anderen anzündeten und so langsam den Flair verbreiteten, der zu so einer Lesungsumgebung einfach dazu gehört. Als die Kneipe dann gegen 20.30 Uhr brechend voll war und so gut, wie jede Steh- und Sitzgelegenheit vergeben war, begrüßte Tom die Anwesenden und übergab das Wort auch gleich wieder an den in letzter Minute eingetroffenen Laudator, der in launiger Art und Weise über "Geisterfahrer" und seinen Freund Tom referierte und das Publikum gut einzustimmen wusste. Anschließend durften sich alle an einem hervorragenden Auftritt des Stand-up-Comedians Thomas Nicolai erfreuen, der - passend zum Thema des Abends - eine grandiose Nummer über die Tücken moderner Navigationsgeräte zum Besten gab. Als Tom dann nach einer halben Stunde die Bühne erklomm waren alle Zuhörer bereits bestens eingestimmt und in Feierlaune. Und Tom legte sofort jegliche Nervosität ab, würzte seinen gelungenen Vortrag mit kleinen, eingestreuten Zwiegesprächen mit den Publikum und las alles andere als zu schnell oder nuschelnd mehrere hervorragend ausgewählte Stellen aus "Geisterfahrer" und erläuterte hier und da einige Szenen.
Völlig zurecht tobte ein wahrer Applaussturm durch die Zuhörer, als Tom den offiziellen Teil der Lesung beendete und die Bühne für den DJ freimachte, der fortan bis weit nach Mitternacht für Stimmung sorgen sollte. Die fünfzig Bücher inkl. der limitierten Geisterfahrer-Hits-CD gingen weg wie warme Semmeln und waren innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Und auch das zurecht.
Anschließend steppte sozusagen der Berliner Bär durch die "Lange Nacht". Mit kostenloser Suppe gestärkt durfte man das Tanzbein zu "Geisterfahrer"typischen Klängen schwingen und mitwippen, wenn DuranDuran, Depeche Mode, Men without Hats oder Yazoo den Geist der 80er Jahre durch die Reihen bliesen und sich wahrscheinlich ein Großteil der Anwesenden mindestens 20 Jahre jünger fühlen durfte.
Irgendwann, die Zeiger der Uhr rückten unaufhaltsam gegen drei Uhr morgens, verließen wir Neukölln und die "Lange Nacht" und machten uns einige Kilometer weiter auf die abenteuerliche Suche nach einem Parkplatz, aber das ist eine andere Geschichte.
Gruss,
Doc