Der Verräter von Bethlehem - Matt Beynon Rees

  • 1. Fall von Omar Jussuf


    OT: „The Collaborator of Bethlehem“


    Kurzbeschreibung:


    Omar Jussuf ist Geschichtslehrer für muslimische und christliche Kinder in Bethlehem, ein aufgeklärter, aber auch streitbarer Mann, den seine Vorgesetzten lieber heute als morgen im Ruhestand sehen möchten. Die christliche Minderheit schmilzt immer mehr zusammen, und gerade als Omar Jussuf sich dazu durchgerungen hat, mehr Abstand von der Schule zu gewinnen, wird einer seiner ehemaligen Lieblingsschüler verhaftet. George Saba, ein Christ, soll als Kollaborateur an einem Attentat auf einen führenden palästinensischen Widerstandskämpfer beteiligt gewesen sein. Jussuf kann nicht glauben, daß Saba "der Verräter von Bethlehem" sein soll. Als niemand das geringste Interesse daran zeigt, die Wahrheit ans Licht zu bringen, beginnt der Lehrer auf eigene Faust zu ermitteln. Dabei ist er alles andere als ein Held, ihn plagen Rückenschmerzen, ihm zittern die Hände, und besonders waghalsig war er noch nie. Die Morde aber gehen weiter, und Jussuf kämpft mit aller Kraft, damit kein Unschuldiger verurteilt wird. Vor einem politisch brisanten Hintergrund entspinnt Matt Beynon Rees eine tragische Geschichte, die uns am palästinensischen Alltag teilhaben läßt. Besatzung, Korruption und Selbstmordattentate zwischen bewaffneten Banden sind hier Normalität.


    Über den Autor:


    Matt Beynon Rees wurde in South Wales geboren. Bis vor kurzem war er der Jerusalemer Bürochef für die "Time", für die er weiterhin schreibt. Er spricht u. a. Arabisch und Hebräisch und ist der Autor von "Cain's Field: Faith, Fratricide, and Fear in the Middle East". "Der Verräter von Bethlehem" ist sein erster Roman. Matt Rees lebt in Jerusalem.


    Eigene Meinung:


    Fast täglich sehen wir in unseren Nachrichten Berichte aus dem Nahen Osten. Wenn aus den Palästinensergebieten Raketen auf Israel abgeschossen werden, in israelischen Städten Selbstmordattentäter großes Unheil anrichten und Gegenoffensiven Israels geführt werden.


    In diese Welt führt Matt Beynon Rees seine Leser. Omar Jussuf, 56, ist Lehrer für Geschichte an einer UNO Schule in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Bethlehem. Er versucht den Schüler, die zunehmend mit Propaganda überströmt werden, ein anderes Geschichtsbild zu vermitteln. Nach zahlreichen Beschwerden versucht man ihn in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen.


    In diesen Tagen wird sein ehemaliger Schüler, der versuchte sich gegen die Märtyrerbrigarden zur Wehr zu setzen, Opfer eines Komplotts und ihm droht ein Todesurteil. Omar Jussuf versucht Beweise zu sammeln, um ihn zu entlasten.


    Es ist nicht leicht dieses Buch zu beurteilen. Einerseits hat es mir gut gefallen, weil es die „sterilen“ Nachrichtenbilder aus Palästina für mich greifbarer gemacht hat. Ein Einblick in die ständige Unsicherheit in diesem Gebiet, hat Rees gut rübergebracht. Was es bedeutet, wenn man plötzlich Schüsse hört. Man plötzlich erkennt, dass die Angriffe vom Dach des eigenen Hauses geführt werden und man so wieder die Gefahr des Gegenangriffes ausharren muss. Mit welchen Methoden diese Clans auch die palästinensische Bevölkerung terrorisieren.


    Andererseits hatte ich zwischenzeitlich Probleme mit der Hauptfigur. Omar Jussuf will seinen Schülern ein anderes Geschichtsbild vermitteln. Seine Art erscheint dabei etwas zwiespältig, wenn er Kinder, die die Parolen ihrer Eltern nachbetten, sehr hart angeht.


    Schwieriger an der Person war für mich aber eine starke Schwarz/Weiß Färbung. Er versucht zu ermitteln und geht dabei ohne Rücksicht auf Verluste vor. Er denkt sich zwischenzeitlich, dass ein weiterer Mord wohl nur aufgrund seiner Nachforschungen verübt wurde, darüber reflektiert er gar nicht. Als seine Familie bedroht wird, scheinen ihm keine Zweifel an seinem Tun zu kommen. Als sein berufliches Fortkommen bedroht ist, kommen solche Gedanken plötzlich.


    In diesem Buch ist der Kriminalfall vor allem Aufhänger für die politischen Zustände in Palästina. Die Ermittlungen treten daher oft in den Hintergrund und das Leben in dieser krisengebeutelten Region in den Vordergrund. Die Stimmung dieses Lebens konnte Rees mMn gut vermittlen. Oft erschien es mir aber zu gewollt bereits im ersten Buch zu viele Aspekte einzubringen. Stellenweise wirkte das Buch dadurch etwas überladen.


    Fazit: Ein interessantes Buch, welches Potential für weitere Fälle mit Omar Jussuf aufzeigt – derzeit sind sechs weitere Bücher geplant. Ich vergebe gute 7 Punkte.

  • Danke für die interessante Rezi! Ich werde das Buch mal im Auge behalten, denn gerade nachdem ich vor kurzem "Ein schönes Attentat" gelesen habe, bin ich sehr an dem Konflikt Israel/Palästina in der Literatur interessiert - und ein Krimifan ja sowieso ;-)

  • Matt Rees
    Der Verräter von Bethlehem (UK: The Bethlehem Murders)


    Kurzbeschreibung (Amazon):
    Omar Jussuf ist Geschichtslehrer für muslimische und christliche Kinder in Bethlehem, ein aufgeklärter, aber auch streitbarer Mann, den seine Vorgesetzten lieber heute als morgen im Ruhestand sehen möchten. Die christliche Minderheit schmilzt immer mehr zusammen, und gerade als Omar Jussuf sich dazu durchgerungen hat, mehr Abstand von der Schule zu gewinnen, wird einer seiner ehemaligen Lieblingsschüler verhaftet. George Saba, ein Christ, soll als Kollaborateur an einem Attentat auf einen führenden palästinensischen Widerstandskämpfer beteiligt gewesen sein. Jussuf kann nicht glauben, daß Saba "der Verräter von Bethlehem" sein soll. Als niemand das geringste Interesse daran zeigt, die Wahrheit ans Licht zu bringen, beginnt der Lehrer auf eigene Faust zu ermitteln. Dabei ist er alles andere als ein Held, ihn plagen Rückenschmerzen, ihm zittern die Hände, und besonders waghalsig war er noch nie. Die Morde aber gehen weiter, und Jussuf kämpft mit aller Kraft, damit kein Unschuldiger verurteilt wird. Vor einem politisch brisanten Hintergrund entspinnt Matt Beynon Rees eine tragische Geschichte, die uns am palästinensischen Alltag teilhaben läßt. Besatzung, Korruption und Selbstmordattentate zwischen bewaffneten Banden sind hier Normalität.


    Autor:
    Geboren und aufgewachsen in Süd-Wales. Er war Journalist im Mittleren Osten für ein Jahrzehnt, u.a. Bürochef von Time in Jerusalem. Er hat mehrere Sachbücher über den Nahen Osten geschrieben; "Der Verräter von Bethlehem" ist sein erster Roman.


    Meine Meinung:
    Eigentlich ein deprimierendes Buch. Das Leben in Bethlehem ist für alle Beteiligten – Christen, Moslems – deprimierend und düster, der Fall ist deprimierend. Der Held ist sympathisch (irgendwie scheinen "alternde" Helden im Kommen zu sein… Dr. Siri, der Camel Club…) aber nicht ohne Fehl und Tadel (Ex-Alkoholiker, Ramadan beachtet er eher nicht) und man lernt das alltägliche Leben in Bethlehem hautnah kennen. Aufgrund der vorhergegangenen journalistischen Tätigkeit des Autors unterstelle ich dem auch eine gewisse Authentizität (Vorwort des Autors: alle Verbrechen in dem Buch basieren auf wahren Begebenheiten), insbesondere in der Beschreibung des täglichen Lebens in mitten einer "battlezone".


    Der "Held" ist kein Held im herkömmlichen Sinne, ist nicht allwissend, macht folgenschwere Ermittlungsfehler, aber durch seine Augen kriegt man praktisch so nebenbei etwas über das Leben in Palästina mit, was Nachrichten nie vermitteln können.


    Die Geschichte hat einige Überraschungen parat, ganz persönlich für Yussef an seiner Schule aber auch in Bezug auf den eigentlichen Kriminalfall.


    Ich vergebe 9 von 10 Punkten.

  • Autor: Matt Beynon Rees
    Titel: Der Verräter von Bethlehem - Omar Jussufs erster Fall
    Verlag: Heyne
    Seiten: 336
    Originaltitel: The Collaborator of Bethlehem



    Über den Autor:


    Matt Beynon Rees wurde in South Wales geboren. Bis vor kurzem war er der Jerusalemer Bürochef für die "Time", für die er weiterhin schreibt. Er spricht u.a. Arabisch und Hebräisch und ist der Autor von "Cain's Field: Faith, Fracticide, and Fear in the Middle East". "Der Verräter von Bethlehem" ist sein erster Roman, Matt Rees lebt in Jerusalem.




    Über das Buch:


    Omar Jussuf ist Moslem, gehört aber nicht zu den Dogmatikern, er arbeitet als Geschichtslehrer für Muslime und Christen in einem Flüchtlingscamp in Bethlehem, das unter dem Protektorat und unter der Leitung der UNO steht.
    Omar hat eine bewegte Vergangeheit, einst streitbarer, idealistischer Student ist er in eine Alkoholabhängikeit gerutscht, aus der er sich erst nach vielen Jahren des Verfalls befreien konnte.


    Er ist ein früh gealterter, von vielen Dingen des Alltags enttäuschter unverbesserlicher Idealist, doch kämpft er nun mit bescheideren Mitteln, denn er steht unter Beobachtung der Schulbehörde und des Leiters seiner Schule, da er stets versucht, seinen Schülern wahre Werte zu vermitteln, abseits der von ihren Eltern oft beschrittenen Pfaden der Vorverurteilung und des Fundamentalismus´.


    Als ihn eines Tages die Nachricht erreicht, dass einer seiner ehemaligen Lieblingsschüler Sabe, der Christ ist und mit seiner Familien in der Nähe von Omar lebt, beschuldigt wird, ein Attentag an einem der führenden palästinendschichen Widerstandkämpfers begangen zu haben, und niemand an der tatsächlichen Wahrheit interessiert ist, macht sich Omar daran die Unschuld seines Schülers zu beweisen



    Meine Meinung:


    Ich habe den Verräter von Bethlehem als Mileustudie und als sehr politischen Krimi empfunden, bei dem die eigentliche Krimihandlung angesichts der Probleme der Region immer mehr und mehr in den Hintergrund rückt.


    Nicht nur die Veränderung in der palästinensischen Gesellschaft, der Wegfall, oder sogar das Verleugnen der alten Traditionen und Gebräuchen bei vielen jüngeren Menschen wird hier zum Thema gemacht.
    Man erfährt viel über die Traditionelle Familie, über das zusammenleben und den Umgang der Menschen untereinander.
    Und über allem schwebt, oft in Gestalt des Hubschraubers, die Gefahr eines Angriffes durch die Israelischen Grenzpatrouillen, die nicht nur das Tal von Betlehem beschießen, sondern auch mit schwerem Geschütz und Panzern immer wieder in die Stadt selbst vorstoßen, um Attentate die auf israelischer Seite verübt wurden zu vergelten oder vermeintlich Kommende zu verhindern.


    Die Gefühle in einer Stadt unter unterschiedlichen Familien und Menschen werden nur allzudeutlich, aus der ständigen Angst wird allzuoft nicht nur Panik oder Resignation, sondern auch blinder Haß, der sich völlig der Realität entzieht, keine Gesetze mehr gelten lässt und auf fruchtbaren Boden fällt, was Bewunderer und Nachahmer betrifft und so die Spirale der Gewalt am Leben erhält.


    Was wir mit abnehmender Sensibilität im Fernsehen in den Nachrichten verfolgen, ist hier die nackte Realität, die der Autor ohne Filter direkt auf den Leser überträgt und es geschafft hat, eine Betroffenheit zu schaffen, die zumindest bei mir lange nachwirkt.


    Omar verkörpert den traditionellen Palästinenser, der sich oft fragt, was aus seiner Welt geworden ist und mit sich und seinem Schicksal und auch seiner Schwäche hadert.


    Wer einen klassischen Krimi erwartet, wird hier sicherlich enttäuscht, denn es gibt keine typische Krimihandlung, keinen wirklichen Ermittler und vor allem auch kein Ende, mit dem man so einfach leben kann.


    Mich hat das Buch beindruckt und ich würde mir wünschen, dass es einige Leser bekommt.



    beeindruckte Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

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  • Das Buch steht schon lange auf meiner geheimen Wunschliste, ist mir aber noch too expensive.
    Ich warte auf die Taschenbuchausgabe und hoffe, das die bald kommt, nachdem ja schon der zweite Band erschienen ist.
    Danke für die Rezi, elbereth, nach der Vorstellung im Tagesspiegel war ich mir schon sicher, dass ich das lesen muss.


    :bonk
    ooops. habe grad gesehn, das das ja schon die TBausgabe ist, gleich bestellen.

    "Leute die Bücher lesen, sind einfach unberechenbar." Spruch aus "Wilsberg "
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  • Danke uert :nerv


    ich hab doch geschaut, komisch, dass ich da nichts gefunden habe... ich meld dann mal :lache, das wäre dann der dritte zu dem Thema..



    tütdelige Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

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  • Zitat

    Original von Elbereth
    Ach Findus, das Buch ist jetzt als TB erschienen... :-]



    Hinweisgrüße von Elbereth :wave


    Danke, :-)habs ja gleich nach meinem post entdeckt und in die edit gesteckt. Ist schon bestellt.

  • Wollte nur mal melden, dass ich jetzt fast am Ende bin- mit dem Buch natürlich.


    Ja, ein Krimi im eigentlichen Sinne ist es nicht, dafür spielen zu viele politische Dinge mit. Mich hat es trotzdem oder vielleicht auch deswegen gefesselt.


    Wie alle Vorposter kann ich nur sagen, eine lesenswertes Buch, das sich wegen der Problematik aus dem Krimieinerlei heraushebt.

  • Zitat

    Zitat von taciturus:
    Schwieriger an der Person war für mich aber eine starke Schwarz/Weiß Färbung. Er versucht zu ermitteln und geht dabei ohne Rücksicht auf Verluste vor. Er denkt sich zwischenzeitlich, dass ein weiterer Mord wohl nur aufgrund seiner Nachforschungen verübt wurde, darüber reflektiert er gar nicht. Als seine Familie bedroht wird, scheinen ihm keine Zweifel an seinem Tun zu kommen. Als sein berufliches Fortkommen bedroht ist, kommen solche Gedanken plötzlich.


    Dieser Sinneswandel ist für mich ein Zeichen für die Zwiespältigkeit, die Omar Jussuf quält. Einerseits will er einen Schüler, für den er sich immer noch verantwortlich fühlt, retten, andererseits fürchtet er um das Leben seiner Familie, seine Arbeit.
    Ich finde schon, das er über die Nachfolgemorde reflektiert, er sucht ja auch verzweifelt, wer die Informationen, die er von den Opfern erhalten hatte, weitergegeben hat. Will oft die Ermitllungen einstellen, aber immer passiert etwas, das ihn zwingt weiter zu machen.


    Hat man nicht selbst schon Situationen erlebt, bei denen man seine Handlungsweise des öfteren überdacht, in Frage gestellt und geändert hat?


    Das macht den "Helden" menschlich und real.