'Geisterfahrer' - Seiten 199 - Ende

  • Arrrgh,bei der Beschreibung von Giselas Verkommenheit, ist mir fast das Buch in die Badewanne gefallen, so sehr haben sich meine Zehnägel nach oben gerollt. Gruselig. Gibt es sowas wirklich im realen Leben?
    Ich meine wir haben ja auch eine Reihenhausscheibe :lache, aber so rennt hier keiner rum- weder wir, noch die Nachbarn. Wir scheußlich buah.


    Also da wundert es mich null, dass er sich lieber im Kabuff mit sich selbst vergnügt statt an diese Gisela ranzugehen.


    Komisch empfand ich, dass er nach 17 Jahren ein wenig stutzte, dass Roland so gar nichts von ihm hat, zumal Gisela ja auch sagte, dass sie alleine die Erziehung übernimmt.


    Wie schrecklich muß es für einen Mann sein zu erfahren, dass er nicht der Vater des Kindes ist, was er 17 Jahre als sein eigenes gesehen hat, auch wenn Tim nicht so die Bindung zu Roland hatte. Zum Glück ist er konsequent und entschließt sich sofort zurück zu fahren in seine alte Heimat.


    Frank...hm...der war mir das ganze Buch schon zu aalglatt. Irgendwie läßt mich das zufrieden grinsen, dass gerade Jens so vorzeigefähiger Sohn ill- egal ist.


    Bei Pepe ab ich irgendwie ständig Freddie Krüger vor mir gesehen. Konnte seine Krankheit förmlich lesen. Schon komisch, manchmal ist man in einem Buch so drin, dass man die Gerüche förmlich riechen kann :rolleyes.


    So, viel mehr kann ich noch nicht sagen. Ich bin jetzt auf Seite 275, und werde es mir jetzt gemütlich machen.


    Habe heute für meine Kur eine große Büchertasche gepackt. Arrrgh, da fehlt eindeutig noch ein Liehr und ich hab keinen zuhause :cry. Hoffe ich kann auf Amrum irgendwo einen auftreiben :help.

    LG Katja :wave


    "Die reinste Form des Wahnsinns ist es ,
    alles beim alten zu lassen .
    Und gleichzeitig zu hoffen , das sich etwas ändert."-Albert Einstein ."


    :lesend "FÜNF "- Ursula Poznanski

  • So, nun bin ich auch fertig mit diesem wirklich wunderschönen Buch :-). Am Ende konnte ich gar nicht mehr aufhören zu lesen.


    Die anderen haben ja schon viel dazu geschrieben, dem habe ich nicht mehr viel hinzu zufügen. Für mich war der Sprung zwischen Teil 2 und 3 stimmig- und auch nötig.


    Was mich interessiert Tom (hatte keine Zeit vorher alle postings nachzulesen, entschuldige, wenn ich eine Frage wiederhole):


    Hast Du den Begriff Parkinsonstraße ganz bewußt gewählt im Bezug auf Tim? Beim lesen dachte ich ständig wie treffend dieser Name ist, denn im Grunde schüttelt es ihn ja seit der Hochzeit, wenn er sein Leben so betrachtet wie es "passiert" :lache.


    Vielen Dank Tom für diesen wirklich sehr schönen Lesegenuss, dies war mit Sicherheit zwar das erste Buch von Dir, aber nicht das letzte was ich lesen werde!!!

    LG Katja :wave


    "Die reinste Form des Wahnsinns ist es ,
    alles beim alten zu lassen .
    Und gleichzeitig zu hoffen , das sich etwas ändert."-Albert Einstein ."


    :lesend "FÜNF "- Ursula Poznanski

  • Hallo, Katja.


    :anbet


    Zitat

    Hast Du den Begriff Parkinsonstraße ganz bewußt gewählt im Bezug auf Tim?


    Nein, jedenfalls definitiv nicht bewußt. Offenbar gibt es, wie mir aufgefallen ist, ganz unterschiedliche Arten der Verkehrsanbindung, und manchmal scheinen die Straßen, die in irgendwelche sehr kleinen Orte führen, ganz besonders nachlässig geteert worden zu sein. Zuweilen sieht es sogar so aus, als wären die Arbeiter Schlangenlinie gefahren. Das wolte ich in der Hauptsache bildhaft wiedergeben. Ob es unbewußte Hinweise auf Tims Lebensweg enthält, weiß ich echt nicht. Möglich. ;-)

  • Ich hab's gestern ausgelesen und bin zufrieden.


    Die einzige Szene, die mich wirklich gestört hat, war die Begegnung mit Kuhle und Sabrina. Da wurde doch etwas zu tief in die Klischee-Kiste gegriffen. Klar, dass die beiden Therapeuten gerade aus der Toskana zurück gekehrt waren... Und wenn Kuhle schon Bier im Haus hat, wäre es da nicht normal gewesen, dass er mit seinem alten Kumpel mitzieht und auch eines trinkt? Auch der Hera Lind-Vergleich hinkte. Deren Figuren bewegen sich doch eher in der bodenständigen Mittelschicht. Rosamunde Pilcher hätte hier besser gepasst.


    Das wäre aber alles noch gegangen, wäre nicht der ACHTjährige Junge aufgetaucht, in einem Schlafoverall (wo kann man sowas in der entsprechenden Größe noch kaufen??), der sich zufrieden mit HOLZSPIELZEUG beschäftigt. Erst dachte ich: "Ach Gott, sie haben ein behindertes Kind.", aber es folgte keinerlei Hinweis darauf. Da merkte man dann doch, dass du dich in einer dir eher fremden Welt bewegtest, Tom. (Jedenfalls vermute ich das.)


    Ansonsten kann ich zu diesem Buch nur sagen, was ein amerikanischer Basketballstar auf die Frage nach seinem Erfolgsgeheimnis sagte: "If you got it, you got it." Du kannst es einfach, Tom! :-)


    Edit: Mir fällt gerade noch ein: Zwar hatte ich mit der Zeitspanne, die übersprungen wurde, keine Probleme, aber mit einer Vorstellung von Tim in dieser Zeit. Was war das für ein Typ, dieser EDV-Mensch in der tiefsten Provinz, der Pantoffelheld an Giselas Seite, der vor dem Fernseher dahinvegetierte und sich im Büro einen runterholte? So cool konnte der doch nicht mehr sein? Zurück in Berlin wird er dann immer noch als extrem gutaussehend beschrieben, und eine aktuelle Musikdatenbank hat er auch im Gepäck. Das hätte ich nicht erwartet.


    @ Tom
    Was für einen Tim hattest du denn vor Augen in seiner schier endlosen Nieder-Sengrichter Zeit?

    Ich habe keine Lösung, aber ich bewundere das Problem.

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Waldfee ()

  • Na das wurde ja auch Zeit, dass Tim sein Leben endlich in die Hand nimmt und es lebt und nicht leben lässt. Schon bitter, dass die Affäre Janine ausgerechnet die Augen öffnet. Leider etwas zu spät. Aber daran ist Tim ja nicht ganz unschuldig. Schließlich hat er 17 Jahre seine Augen nicht geöffnet.


    Giselas gibt es ja viele hinter Ein-Familien-Fassaden. :-]


    Ich fand den Zeitsprung auch gut gelungen. 17 Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Die Menschen ändern sich, die Städte ändern sich. Berlin durch die Wiedervereinigen noch viel mehr. Ein kürzerer Zeitraum wäre nicht so passend gewesen. Nach vier, fünf Jahren kann man eventuell noch an alte Freundschaften anknüpfen - aber nach 17 Jahre nicht mehr wirklich.


    Die Begegnung mit Kuhle fand ich persönlich nicht so schön. Hätte mir mehr versprochen. Es kam nicht mehr das Gefühl beste Kumpels auf. Klar nach der langen Zeit wohl kaum machbar, aber bei Mel hat es doch auch geklappt. :-]
    Kuhle und Sabrine, beide Psychotherapeuten - was für ein Zufall. :lache.


    Das Wiedersehen mit Mel fand ich ja noch ganz gut, das erneute Näherkommen allerdings ging in meinen Augen einfach zu schnell. Vielleicht mag ich die Vorstellung einfach nicht, dass man in jungen Jahren schon seine große Liebe kennen lernt und dieses niemals vergisst. Vielleicht bin ich zu unromantische oder einfach schon zu abgeklärt. Ich weiß es nicht. Mir ging es einfach zu schnell.


    Im Großen und Ganzen hat mir das Buch aber gefallen. Ein nettes Buch zum Schmunzeln und Nachdenken - und zum Erinnern.

  • Ein sehr schoener Abschluss! Ich mag dieses 3/4 happy end - 100% waere einfach unglaubwuerdig gewesen und haette Tim nicht endlich die Kurve gekriegt, waere es einfach zu depressiv geworden.


    Und ich hab ein neues Lieblingszitat "Das Leben kommt immer von vorn" ist wirklich passend!


    Witzig, dass Waldfee haargenau beschrieben hat wie diese Klischeeszene auch fuer mich ruebergekommen ist. Es musste ja die Toskana sein ... und beim dem Kind wartete ich auch noch auf was: "what's his challenge" haette ich hier als hoefliche Halb-Kanadierin gefragt ...


    Tjaaa, und sonst faellt mir hier wirklich nichts neues mehr ein, was nicht schon in den letzten Wochen gesagt wurde ;-)

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • So, ich bin nun durch und blicke mit zwiespältigen Gefühlen auf die Lektüre zurück.
    Zugegeben, ich war ziemlich fasziniert, konnte das Buch kaum aus der Hand legen, habe mich an manchen Stellen wunderbar amüsiert und auch die Schilderungen von Tims frostiger Kindheit fand ich beeindruckend. Ein Trip in die Vergangenheit, auch wenn die achtziger Jahre in einem schwäbischen Provinznest vielleicht nur bedingt mit denen in Berlin zu vergleichen sind.


    Andererseits: mit diesem Tim bin ich nicht warm geworden und bis zum Ende des Buches war mir nicht klar, wie dieser Typ eigentlich tickt. Das Motiv der Geschichte ist ja ungeheuer romantisch: die wahre Liebe, die über Zeit und Entfernung hinweg zu einem glücklichen Ende findet. Hm, was auch schon einige Vorrednerinnen bemängelt haben: die Tiefe dieser Beziehung erschließt sich mir aus dem Text nicht, vielmehr empfand ich Mels und Tims Freundschaft als oberflächliches Teenagergefummel.


    Richtig genervt haben mich die manchmal doch sehr klischeehaften Beschreibungen.
    Der Trip nach Ostberlin, beispielsweise, enthielt so ziemlich alle Klischees über die DDR, die damals und heute in den Köpfen der Bundesrepublikaner herumspuk(t)en: muffige Grenzposten, stinkende Trabis, verfallene Häuser und grässliche DDR-Bauten, Ossis, die keine Ahnung haben und glauben, im Volkshaus in Marzahn geht die Post ab, wo doch nur der geneigte Wessi weiß, was 'ne richtige Sause ist. Das war mir irgendwie zu platt.
    Oder auch das das Reihenhausidyll mit Gisela: anstatt sich für ihren Angetrauten auch am Wochenende gefälligst schick zu machen, wagt sie es doch tatsächlich, mit unrasierten Achselhöhlen und Hosen, die Tims Geschmack nicht unbedingt treffen, beim Frühstück zu erscheinen! Da ist dann durchaus legitim, dass Tim sich eine Geliebte zulegt, hohl, aber wenigsten gepflegt. Da ist es nur folgerichtig, dass der dumpfe, übergewichtige Sohn nicht von ihm sein konnte.


    Aber dann gab's es wiederum Szenen, die mir richtig gut gefallen haben, sein verkorkstes DJ-Comeback z.B., und weil Tom Liehr so herrlich schreiben kann, hat es mir trotzdem Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    Richtig genervt haben mich die manchmal doch sehr klischeehaften Beschreibungen.
    Der Trip nach Ostberlin, beispielsweise, enthielt so ziemlich alle Klischees über die DDR, die damals und heute in den Köpfen der Bundesrepublikaner herumspuk(t)en: muffige Grenzposten, stinkende Trabis, verfallene Häuser und grässliche DDR-Bauten, Ossis, die keine Ahnung haben und glauben, im Volkshaus in Marzahn geht die Post ab, wo doch nur der geneigte Wessi weiß, was 'ne richtige Sause ist. Das war mir irgendwie zu platt.


    Interessant, diese Szenen mal aus dem Blickwinkel eines "Zonis" zu betrachten. Ich als Wessi wäre gar nicht auf die Idee gekommen, sie in Frage zu stellen, so selbstverständlich erschienen sie mir. :-)

  • Zitat

    Original von Waldfee


    Interessant, diese Szenen mal aus dem Blickwinkel eines "Zonis" zu betrachten. Ich als Wessi wäre gar nicht auf die Idee gekommen, sie in Frage zu stellen, so selbstverständlich erschienen sie mir. :-)


    Ja, es sind einerseits Klischees. Andererseits wird die Reise nach Ostberlin eben aus Sicht eines Wessis - Tim - beschrieben. Und der kann ueber die Klischees nicht hinaussehen. Was so gesehen eben auch zeigt, dass Tim kein sonderlich tiefsinniger Charakter ist.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Der Trip nach Ostberlin, beispielsweise, enthielt so ziemlich alle Klischees über die DDR, die damals und heute in den Köpfen der Bundesrepublikaner herumspuk(t)en....


    Das finde ich interessant. Ich war *grübel* 1982 auf Klassenreise in Berlin und war sehr gespannt, ob die DDR "anders" ist als es im Westen damals war.


    Am Transitübergang kamen die Grenzer und kontrollierten unseren Zug. Die haben uns alle damals angesehen, als wären wir Mörder und Verbrecher. Dabei waren wir doch nur eine Zugladung Teenies. :wow


    Was ich sehr deprimierend damals empfand war, daß die Häuser entlang der Zugstrecke sehr monoton wahren: groß, grau, viereckige Kästen. Und die einzige Werbung, die man irgendwo gesehen hat, waren große Plakate mit Aufschriften wie "VEB Sonstnochwas: 20% über Plan!"


    In Ostberlin selbst wiederum wirkte alles ganz "normal" auf mich. Aber die Transitstrecke empfand ich als deprimierend.


    Gut, das waren meine subjektiven Eindrücke als Halbwüchsige. Ich empfand die Beschreibungen im Buch also auch nicht als so klischeehaft, zum Teil haben sie für mich eigenes Erleben widergespiegelt.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Naja, Waldfee, ich bin eigentlich kein "Zoni", war nur in meiner Jugend sehr oft in der DDR, konspirative Kirchentreffen, sehr aufregend :grin
    Ich habe noch mal nachgedacht, und versuche, meine Gedanken zu konkretisieren: es ist durchaus möglich, dass viele Wessis die DDR genau so empfunden haben.


    Allerdings erinnerte mich dieser Abschnitt inhaltlich stark an den Aufsatz eines Vierzehnjährigen, der mit seiner Schulklasse einen Tagesausflug nach Ostberlin gemacht hat, und nun über das Erlebte (bzw. Nichterlebte) schreibt: graue Häuser, stinkende Autos, trübsinnige Menschen. Das wurde schon hundertmal so geschrieben, weshalb ich diesen Abschnitt für überflüssig halte, es sei denn, damit sollte Tims "wenig tiefsinniger Charakter" demonstriert werden :lache


    Für die Ostberliner dagegen stellten sich solche Besuche ganz anders dar:
    da kamen irgendwelche Jungspunde ausm Westen, machen eine dicken Max mit ihrem Zwangsumtauschgeld, benehmen sich in "feinen" Restaurants daneben (kost ja fast nix), deren Besuch für einen Ossi der Höhepunkt des Jahres ist, fahren Autos, für die sie womöglich keinen Finger krumm gemacht haben und spotten über den Trabbi, für den ein anderer 10 Jahre gerackert hat.
    so betrachtet, kein sehr sympathischer Menschenschlag. Aber ich bin eh immer noch nicht sicher, ob ich Tim sympathisch finde :gruebel

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • DraperDoyle

    Zitat

    Richtig genervt haben mich die manchmal doch sehr klischeehaften Beschreibungen


    Das is ja nu auch mal ne Frage des subjektiven Empfindens, oder etwa nicht?


    1977 bin ich als 18jähriger und linker Juso und SPDler über die Transitstrecke nach Berlin und zurück gereist . Die DDR fand ich immer in Ordnung, Richard Löwenthal war für mich ein Nazi und Kanzler Schmidt ein Kriegstreiber und Provokateur.
    Ich reiste allein, daher im Zug und retour per Mitfahrzentrale.
    Als der Zug die Zonengrenze überquerte klebte ich fassungslos am Fenster: Exakt so stellte ich mir die Einfahrt in ein Konzentrationslager vor.
    Stacheldraht, acht bis zehn Meter hohe Mauern, Wachtürme, MGs, bewaffnete Patroullien mit MP im Anschlag, Finger am Abzug, Schäferhunde mit Maulkorb, Schaftstiefel, Kordelepauletten (wie bei der SS).
    In Berlin-Kreuzberg blickte ich rund 15 Minuten über die Mauer und die Rückfahrt vermittelte den gleichen Eindruck wie die Hinfahrt.
    Bis heute kann ich die ganze Ostalgie und Stasiverharmlosung nicht mal ansatzweise nachvollziehen.
    Die DDR war die Fortsetzung der deutschen Diktatur: Eine Scheindemokratie mit Scheinparteien und Scheinparlament (Gerhard Schröder: Entscheidungen).


    Welche Klischees waren da nicht angebracht?



    Tim:
    Tim hat etliche sympathische Züge und einen Sinn für Realität, ist integriert, passt sich an , schuftet. Um nicht einen Heiligen zu beschreiben, musste Liehr wohl einige negative Eigenschaften herausarbeiten, die auch einigermaßen in ein Gesamtbild passen.
    Tim ist strammer Egoist.
    Er nutzt sein Wissen um das Inzestkind und presst seinen Vorteil daraus und schließt gleichzeitig mit der Scheinidylle des Reihenhauses im Neubauviertel ab. Tims Kaltschnäuzigkeit ist konsistent und macht ihn nicht "negativ". Warum Tom Liehr in seinen Figuren durch autobiographische Ähnlichkeiten mit der Einflüsterung an seine Leser spielt "Das könnte der Autor selber sein" verstehe ich nicht so ganz, ist aber irgendwie ein gewolltes "Mysterium" mit dem man sich ein bisschen ummanteln kann ... oder so.

  • Zitat

    Original von Humpenflug


    In Berlin-Kreuzberg blickte ich rund 15 Minuten über die Mauer und die Rückfahrt vermittelte den gleichen Eindruck wie die Hinfahrt.


    Das klingt ja nach einer profunden Kenntnis der DDR und somit einer Einschätzung des Lebens in der Ehemaligen fernab jeglicher Klischees :lache

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • DraperDoyle,


    natuerlich hast du Recht, dass keine sonderlich tiefsinnige und auf Verstaendnis beruhende Erkenntnis ist. Tatsache bleibt aber, dass so wirklich die meisten empfunden haben. Waere Tim anders/jenseits dieses Klischees beschrieben worden, so haette es wohl sehr unrealistisch und falsch geklungen.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Hallo, DraperDoyle.


    Das sind keine Klischees, die in den "Köpfen der Wessis" herumspuk(t)en. Ich bin Berliner. Ich habe Ostberlin das eine ums andere Mal besucht, sogar ziemlich häufig, und ich hatte so viele Freunde dort, wie möglich war. Man mag das aber bitte nicht mit dem Empfinden der Figur Tim Köhrey verwechseln, die (pflegevaterbedingt) Angst vor Knästen hat, die von der ersten Durchfahrt durch die DDR beeindruckt war und die in der fraglichen Szene vom Pflegebruder durch die Hauptstadt der DDR geschleift wurde. Ich will hier keinesfalls den Totschläger "Authenizität" zücken, aber ich halte gerade diese Beschreibung der Erstwahrnehmung Ostberlins durch einen tendentiell verunsicherten Besucher für ziemlich realitätsnahe. Wenn man die Grenze überschritt, bekam man das Gefühl, eine sehr düstere Kulisse zu betreten.

  • Zitat

    Original von Tom
    Wenn man die Grenze überschritt, bekam man das Gefühl, eine sehr düstere Kulisse zu betreten.


    :write


    Ich fand es damals einfach nur beklemmend. Es war eine völlig andere Welt und das von einem auf den nächsten Augenblick.

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965

  • Ja, so habe ich es auch jedesmal wieder empfunden. "Muffige Grenzposten, stinkende Trabis, verfallene Häuser und grässliche DDR-Bauten" trifft es schon ganz gut, dazu die gefühlten Heerscharen russischer Soldaten auf den Bahnhöfen... und Grenzübergänge wecken in mir heute noch traumatische Erinnerungen.
    Klar habe ich auch andere Erinnerungen an meine DDR-Besuche - Sonnenbrand im Schwimmbad, idyllisch-hoppeliges Kopfsteinpflaster auf den Dorfstraßen, Brausetrinken, Eisessen, die besten selbstgemachten Nudeln der Welt, die über dem Küchenofen zum Trocknen hingen - aber das gehörte alles zur privaten Familienwelt, die wieder eine ganz andere war.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Vielleicht hat mich das deshalb so gestört, weil alle, die vom ersten Ostberlinausflug zurückkamen, es so beschrieben haben. Grundtenor: "Wie können die so leben...". Damit wäre die Szene "authentisch", aber eben nicht sehr originell.


    Interessanter, vielleicht gerade für Menschen, die die DDR nicht kannten, wäre z.B. ein konspiratives Treffen mit Bluesmusik im völlig verrauchten Keller einer Kirche gewesen. Oder ein Punkkonzert im Hinterzimmer einer Kneipe....


    Sei's drum, Tim wäre bestimmt nicht der geeignete Protagonist gewesen, andere Dinge als die "Mehrheit" wahrzunehmen, selbstbezogen wie er ist und sein Bruder nicht unbedingt ein intimer Kenner des Ostberliner Undergrounds.

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  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    Sei's drum, Tim wäre bestimmt nicht der geeignete Protagonist gewesen, andere Dinge als die "Mehrheit" wahrzunehmen, selbstbezogen wie er ist und sein Bruder nicht unbedingt ein intimer Kenner des Ostberliner Undergrounds.


    Hallo Draper :wave
    Es ging ja in erster Linie um den ersten Eindruck, den man gewinnt, wenn man die Grenze überschreitet. Und diese Dinge musste einfach jeder wahrnehmen, nicht nur die Mehrheit. Es gab einfach nichts anderes zu sehen, als das was Tom beschrieben hat.

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965

  • Zitat

    Original von Tom
    Ich will hier keinesfalls den Totschläger "Authenizität" zücken, aber ich halte gerade diese Beschreibung der Erstwahrnehmung Ostberlins durch einen tendentiell verunsicherten Besucher für ziemlich realitätsnahe. Wenn man die Grenze überschritt, bekam man das Gefühl, eine sehr düstere Kulisse zu betreten.


    hab ich mir auch so gedacht - das sind die ersten, sicher oberflächlichen, eindrücke eines jungen menschen.


    ich komme von der anderen seite. habe mich gerade gefragt, was ostberliner über ihren ersten besuch in westberlin erzählen würden. wahrscheinlich fast jeder sowas wie: schicke autos, bunte läden, in denen es immer gut riecht... bla bla


    bo