Barry McCrea - Die Poeten der Nacht

  • Barry McCrea "Die Poeten der Nacht"
    Aufbau Verlag, Februar 2008
    978-3-3551-03222-7


    Über den Inhalt:
    Als Niall Lenihan sein Studium am Trinity College zu Dublin antritt, ändert sich sein Leben auf magische Weise. Er trifft Studenten, die des Nachts in alten Büchern lesen, als ginge es um ihre Seele. Es sind "Literati", Angehörige eines verborgenen Ordens, die einem alten Kult frönen: Mit Hilfe von sogenannten "Sortes" - schicksalsschweren Textstellen aus alten Büchern - sind sie der Zukunft und dem Mysterium des Lebens auf der Spur. Niall verfällt den Literati und den Sortes. Zu spät merkt er, dass sie sein Leben gefährden.


    Über den Autoren:
    Barry McCrea, Jahrgang 1974, wuchs in Dalkey bei Dublin auf und studierte am Trinity College Sprachen und Literatur. Seinen Doktortitel erwarb er an der Universität Princeton. Seit 2004 ist er Professor für vergleichende Literatur an der Yale-Universität. "Die Poeten der Nacht" ist sein erster Roman.


    Meine Meinung:
    Ich hatte dieses Buch in der Buchhandlung in der Hand und musste es unbedingt mitnehmen, weil Titel und Cover mich total angesprochen haben. Und ich habe diesen Roman sehr gerne gelesen!
    Wir begleiten den jungen Studenten Neill während seiner ersten Zeit am Trinity College in Dublin. Er stürzt sich ins bunte Studentenleben, lernt neue Leute kennen und versucht so, seine Jugendliebe Ian zu vergessen. Eher zufällig stößt er auf einer Party auf zwei Menschen, die gedankenverloren einen Stapel Bücher durchstöbern und scheinbar wie in Trance, Textzeile um Textzeile auf der Suche nach Antworten analysieren. Niall ist tief beeindruckt und beginnt, diesem merkwürdigen Orakel auf den Grund zu gehen. Nach und nach gerät er immer tiefer in den Sog der Bücher, bis er bald nicht mehr in der Lage ist, sein Leben ohne Weissagungen und Anleitungen zu gestalten.
    Der Roman lässt sich flüssig lesen, man folgt Niall quer durch Dublin und taucht ganz leicht in seine Welt ein. Und oft genug ertappt man sich selbst dabei, ein Buch aus dem Regal zu ziehen, um diese Faszination begreifen zu können. Meiner Meinung nach ein Roman für alle Bücherliebhaber, gut geeignet zum Abtauchen und Schmökern! Von mir 8 Punkte.

  • OT: The First Verse


    Kurzbeschreibung
    (aus amazon.de zur deutschen Ausgabe "Die Poeten der Nacht" reinkopiert)


    Lesensgefährlich: Barry McCrea hat einen fulminanten Roman über den geheimnisvollen Kosmos der Worte geschrieben. Sein Held wird Mitglied im rätselhaften Club der Literati und betritt eine nachtdunkle Welt der Erotik und der Weisheit - es wird ein Spiel auf Leben und Tod. Als Niall Lenihan sein Studium im altehrwürdigen Trinity College zu Dublin antritt, ändert sich sein Leben auf magische Weise. Er trifft Studenten, die des Nachts in alten Büchern lesen, als ginge es um ihre Seele. Es sind »Literati«, Angehörige eines verborgenen Ordens, die einem alten Kult frönen: Mit Hilfe von »Sortes«, schicksalsschweren Textstellen aus alten Büchern, sind sie der Zukunft und dem Mysterium des Lebens auf der Spur. Niall verfällt den Literati und den Sortes. Zu spät merkt er, dass sie sein Leben gefährden. Spannend und abenteuerlich, kunstvoll und verführerisch: Barry McCrea hat einen ungewöhnlichen Roman über das Lesen und die Literatur geschrieben. Mit diesem brillanten Buch reiht er sich in die Gilde der großen irischen Autoren ein.


    Über den Autor
    (aus der engl. Ausgabe von mir übersetzt)


    Barry McCrea stammt aus Dublin, wo er Spanisch und Französisch am Trinity College studierte. Seit 2004 lehrt er Vergleichende Literaturwissenschaft an der Yale University. Dies ist sein erster Roman.


    Meine Meinung


    Beim Kauf und der Lektüre des Buches bin ich Opfer der amazon-Kurzbeschreibung, des englischen Klappentextes und v.a. des deutschen Titels geworden.
    Bei "Die Poeten der Nacht" drängte sich mir sofort die Assoziation an die "School of Night" auf, einen legendären Kreis von Intellektuellen um Christopher Marlowe Ende des 16. Jahrhunderts in England. Und der Inhalt ließ mich eine Mischung aus "Der Club der toten Dichter" und Dan Brown vermuten.
    Weit gefehlt.


    Niall kommt aus einer Kleinstadt nach Dublin, um mit einem Stipendium sein Sprachenstudium am Trinity College zu beginnen. Die Großstadt und das Studentenleben sind eine Offenbarung für ihn: nicht nur, dass er in Dublin endlich seine bisher im Verborgenen gehaltene Homosexualität ausleben kann - er lernt durch Zufall auch John (zu dem er sich sofort hingezogen fühlt) und Sarah, dessen Freundin, kennen. Die beiden verbringen ihre Zeit fast ausschließlich damit, jede Entscheidung und Handlung davon abhängig zu machen, aus willkürlich aufgeschlagenen Büchern Zeilen herauszupicken und die Antworten auf ihre Fragen daraus herauszuinterpretieren. Auf der Stelle ist Niall davon fasziniert und läuft den beiden buchstäblich hinterher, bis sie ihn widerwillig ins Vertrauen ziehen. Sehr schnell verliert Niall den Bezug zur Realität, verstrickt sich in das obsessive Nachschlagen, in seltsamen séance-ähnlichen Sitzungen, in denen Buchpassagen so schnell reihum gelesen werden, bis er halluziniert. Er schläft nicht mehr, vernachlässigt sein Studium, seine Familie und "echte" Freunde wie seinen Schulfreund Patrick, seine Mit-Stipendiatin Fionnuala und vor allem Chris, seinen Liebhaber, der in Charakter, Herkunft und Interessen ein "reales" Gegengewicht zu der "irrealen" Welt von John und Sarah darstellt. Niall gelingt in einem Kraftakt der Ausstieg aus der Scheinwelt des Bücherorakels, doch nur kurze Zeit später erliegt er dieser Verlockung wieder und reist nach Paris, um John, der sich auf der Suche nach der verschwundenen Sarah dort aufhält, zu finden.


    Ich bin ziemlich hin- und hergerissen, was dieses Buch betrifft. :gruebel
    McCrea schreibt brillant, und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Vielleicht, weil ich auf irgendeinen Knüller, ein Highlight gehofft habe. Doch beides habe ich bis zur letzten Seite vergeblich gesucht - lassen wir einmal die Séance von Niall, John und Sarah in Kapitel vier außer Acht, die wirklich großartig und packend geschrieben ist.
    Ich fand den Roman nicht halb so dramatisch, wie es Klappentext und Kurzbeschreibung erwarten lassen. Die "Gefahr" für Niall besteht in seinem Realitätsverlust, der nicht nur sein Stipendium gefährdet, sondern auch seinen Gesundheitszustand. Dabei bleibt er als Charakter jedoch sehr blass. Dies ist für mich überhaupt die größte Schwäche des Buches: es ist sehr nüchtern, richtiggehend kühl geschrieben, die Charaktere bleiben oberflächlich, ihre Emotionen allenfalls angedeutet, kaum spürbar.
    Möglicherweise ging es dem Autor genau darum - Charaktere zu schildern, die keine Tiefe haben, die sich aus ihrem langweiligen Dasein heraus in Obsessionen verstricken, die ihnen einen Halt bieten, den sie weder in ihrer Umwelt noch in sich selbst finden.
    Bei mir hat diese Erzählweise jedoch bewirkt, dass ich wenig mit den Protagonisten anfangen konnte und noch weniger Empfindungen ihnen gegenüber hatte. Niall mit seinem unentschlossenen Schlingerkurs nervte mich irgendwann nur noch, und ich konnte zwar in gewisser Weise nachvollziehen, was ihn so an John und Sarah und dieser Orakelei fasziniert, aber wirklich glaubwürdig wirkte er dabei auf mich nicht. Irgendwann wirkten mir auch die Antworten per Buchzitat auf Nialls Fragen zu konstruiert, zu perfekt, und den Schluß fand ich gleich völlig franselig und unbefriedigend.


    Ich bin voller Vorfreude und mit hohen Erwartungen an das Buch herangegangen, habe die Lektüre nicht bereut, war letztlich aber froh, es ausgelesen und vor allem nicht viel Geld dafür ausgegeben zu haben. Vor allem aber hat es keinen besonders tiefen Eindruck bei mir hinterlassen... :-(

  • Na, da bin ich ja gespannt! :wow


    Ich habe den Klappentext gelesen und keine Sekunde gezögert, mich mit dem Buch zu belohnen... :grin
    Eure Rezis lassen jetzt allerdings doch einige Grauschattierungen einer Bewertung zu.

  • Zitat

    Original von Nicole
    es ist sehr nüchtern, richtiggehend kühl geschrieben, die Charaktere bleiben oberflächlich, ihre Emotionen allenfalls angedeutet, kaum spürbar.
    Möglicherweise ging es dem Autor genau darum - Charaktere zu schildern, die keine Tiefe haben, die sich aus ihrem langweiligen Dasein heraus in Obsessionen verstricken, die ihnen einen Halt bieten, den sie weder in ihrer Umwelt noch in sich selbst finden.
    (


    Diesen Eindruck hatte ich bereits bei den ersten Seiten - weshalb ich das Buch schon dreimal angefangen habe und schon dreimal abgebrochen habe.

  • @ Eli


    ich bin ebenfalls sehr gespannt, wie es Dir mit dem Buch gehen wird! :wave


    @ Pelican


    puh, da bin ich ja beruhigt, dass Du es ganz ähnlich empfunden hast! :lache


    @ Delphin


    ich habe zu Beginn der Lektüre ein paar Mal gedacht: "Mensch, das müsste doch ein echtes Delphin-Buch sein!" :grin
    Und ich geb zu, ich hatte auf ein paar Szenen à la Hollinghurst gehofft...
    war aber nix... :-(


    @ Eskalina


    Die Grundidee und manche ausgearbeiteten Details sind auch interessant, keine Frage! :wave Vielleicht wäre ich weniger enttäuscht gewesen, wenn meine Erwartungen aufgrund des Klappentextes nicht so hoch gewesen wären...

  • Vorgewarnt durch eure Rezensionen bin ich mit relativ geringen - vor allem aber mit anderen - Erwartungen an dieses Buch herangegangen und vor diesem Hintergrund fand ich es gar nicht so schlecht ;-)


    Meine Rezension:
    "Die Poeten der Nacht" ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Klappentext den Leser irreführen kann, denn hier wird ein Verschwörungsthriller in Literaturkreisen suggeriert, so dass der Leser nach der Lektüre dieses Romans zwangsläufig enttäuscht sein muss. Es handelt sich nämlich mitnichten um einen Thriller und auch nicht um eine Verschwörung im herkömmlichen Sinn. "Die Poeten der Nacht" ist vielmehr die Geschichte eines - nicht zuletzt wegen seiner im verborgenen ausgelebten Homosexualität - unsicheren Jugendlichen, der Gefallen an merkwürdigen literarischen Ritualen findet und durch sie den Bezug zur Realität und letztendlich sich selbst in ihnen verliert. Wer Action sucht, wird hier nicht fündig, stattdessen wird das Hinübergleiten in eine Art Wahnsinn oder Besessenheit und die Abgabe jeglicher Kontrolle über das eigene Leben an eine vermeintlich höhere Macht (den Zufall?) detailliert beschrieben.
    Barry McCrea gelingt es durch einen - meinem Empfinden nach - sehr nüchternen, und dadurch gleichzeitig sehr eindringlichen Erzählstil, die Abhängigkeit der Hauptfigur Niall und seine emotionale Verunsicherung, die er versucht mit dem Extra-Kick und den Rausch, den er bei den literarischen Sitzungen erfährt, zu kompensieren versucht, gut darzustellen. Wie er der Versuchung des Geheimnisvollen erliegt, sich gleichzeitig dagegen wehrt, versucht ein normales Leben zu führen und mit sich, seiner Sexualität und seinen Partnern ins Reine zu kommen und doch immer wieder dem Drang nach dem "anderen Leben" nachgebeben muss, bis hin zur Selbstzerstörung, hat mir sehr gut gefallen.
    Dass die Figuren selbst weitgehend distanziert bleiben, hat mich weniger gestört als das doch etwas abrupte Ende, das meiner Meinung nach durchaus noch etwas differenzierter hätte ausfallen können. Wurden im Laufe des Buches ganze Tage minutengenau beschrieben, ist das Ende in seiner ganzen Bedeutsamkeit doch etwas zu kurz geraten. Auch die Hintergründe blieben mir bis zum Schluss verborgen und einige Fragen offen, doch nach längerem Nachdenken bin ich zu dem Schluss gekommen, dass dies wohl so gewollt ist und angesichts der undurchsichtigen Materie auch Sinn macht.


    Summa summarum vergebe ich 7 Punkte! :wave


  • Mir geht es genauso. Ich habe das Buch vor einiger Zeit für ein paar Euro bestellt und bin im Nachhinein froh, dass ich dafür nicht zu viel Geld ausgegeben habe. Ich habe nun etwa die Hälfte des Buches gelesen und habe allmählich gar keine Lust mehr, es überhaupt zu Ende zu lesen. Wie du sagtest, fehlt den Figuren jede Tiefe. Ich kann mich v.a. nicht mit Niall, dem Protagonisten, anfreunden. Seine Handlungen und Denkweisen erscheinen dem Leser gar nicht nachvollziehbar. Man könnte nun natürlich sagen oder mutmaßen, dass dies vom Autor beabsichtigt wurde, aber dann hätte es immer noch interessanter gemacht/geschrieben werden müssen. Der Titel hat mich ursprünglich dazu "überredet", das Buch zu kaufen, da er eine geheimnisvolle und tiefgründige Story versprach, aber nichts dergleichen passiert! Ich bin ziemlich enttäuscht, werde mich aber wohl doch noch dazu überwinden, bis zum Ende durchzuhalten (ich hasse es, Bücher halb gelesen wegzulegen). Vermutlich wird meine Schlussbewertung daher auch nicht sehr gut ausfallen. Momentan würde ich dem Buch max. 3 Punkte geben, da ich den Schreibstil ebenfalls nicht sehr gut finde (für einen Literaturprofessor). Wie ergeht es euch?

    Gruß
    misswalker :lesend



    "Eigentlich weiß man nur, wenn man wenig weiß. Mit dem Wissen wächst der Zweifel." (Johann Wolfgang von Goethe)

  • @ misswalker


    Zitat

    Original von misswalker
    werde mich aber wohl doch noch dazu überwinden, bis zum Ende durchzuhalten (ich hasse es, Bücher halb gelesen wegzulegen).


    So geht's mir auch mit Büchern - vor allem hoffe ich immer, wenigstens noch einen merkenswerten Satz zu finden, selbst in einem Buch, das mich sonst so überhaupt nicht packt.


    Zitat

    Original von misswalker
    da ich den Schreibstil ebenfalls nicht sehr gut finde (für einen Literaturprofessor). Wie ergeht es euch?


    Der Stil an sich gefiel mir schon - aber er wirkte auf mich irgendwie leer. Als ob's dem Autor allein um die Wirkung der Sprache ging.
    Auch hier drängt sich mir die Vermutung auf, dass das die Absicht des Autors gewesen sein könnte, das als besonderes Ausdrucksmittel genauso zu machen und nicht anders - aber anfreunden konnt ich mich nicht damit. :-(

  • Wenn Barry McCrea tatsächlich ein besonderes Ausdrucksmittel bezweckt, was natürlich der Fall sein könnte, dann ist es ihm nicht sehr gut gelungen. Zwar ist es interessant zu lesen, wie er den Sprachstil mit der Handlung und den in ihr vorkommenden Figuren verbindet, aber auf Dauer ist das echt langweilig. Meiner Meinung nach ist ein Autor auch nur dann ein guter, wenn er eine stimmige Verbindung zwischen Sprache und Inhalt schafft. Du hast also definitiv Recht: Anfreunden kann man sich mit diesem Roman nicht. Leider! :-(

    Gruß
    misswalker :lesend



    "Eigentlich weiß man nur, wenn man wenig weiß. Mit dem Wissen wächst der Zweifel." (Johann Wolfgang von Goethe)

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  • So, ich bin nun endlich mit "Die Poeten der Nacht" fertig und habe es mit 4 Punkten bewertet. Ursprünglich wollte ich diesem Buch nur 3 Punkte geben, aber da mich das Ende doch noch mit seiner plötzlich aufgetretenen Spannung - die trotz alledem nicht überaus groß war - überrascht hat, hat der Roman meiner Meinung nach nun doch einen Punkt mehr verdient. Alles in allem würde ich Mc Creas Werk jedoch nicht weiterempfehlen...

    Gruß
    misswalker :lesend



    "Eigentlich weiß man nur, wenn man wenig weiß. Mit dem Wissen wächst der Zweifel." (Johann Wolfgang von Goethe)