Die Leiden eines Amerikaners - Siri Hustvedt

  • Ich werde wohl erst mal die Essaysammlung "Being a Man" anfangen. Die ist nicht so lang und scheint recht spannend zu sein. "Was ich liebte" werde ich wohl ein bisschen nach hinten schieben, da zwei aufwendigere LR demnächst anstehen.


    Ich habe mal eine Frage, an die, die diesen Roman schon gelesen haben:
    Ich hatte das Gefühl, dass der Ich-Erzähler eine extrem sensible, freundliche und sich um seine Mitmenschen sorgende Natur hat. Irgendwie beschlich mich beim Lesen die Frage, ob Erik ebenso gut von einem Mann hätte erschaffen werden können.
    Versteht mich nicht falsch - ich bin prinzipiell dagegen, allzu sehr die Unterschiede schreibender Männer und Frauen hervorzuheben und ständig die jeweilige Geschlechterrolle in die Figuren hineinzuinterpretieren. Aber in der Figur des Eriks war es für mich so absolut auffallend, dass ich mich nun frage, ob es nicht doch Unterschiede zwischen schreibenden und beobachtenden Männern und Frauen gibt und ob ein Mann Erik genauso beschrieben hätte.
    Habt Ihr ähnlich empfunden?

  • Zitat

    Original von Vulkan
    Ich habe mal eine Frage, an die, die diesen Roman schon gelesen haben:
    Ich hatte das Gefühl, dass der Ich-Erzähler eine extrem sensible, freundliche und sich um seine Mitmenschen sorgende Natur hat. Irgendwie beschlich mich beim Lesen die Frage, ob Erik ebenso gut von einem Mann hätte erschaffen werden können.


    Das habe ich mich während des Lesens zwar eigentlich nicht gefragt, aber ich glaube, dass die Autorin sich extrem viel Mühe mit der Charakterisierung Eriks gegeben hat und dabei sehr fair vorgegangen ist.
    Paul Austers männliche Charaktere (der Vergleich liegt auf der Hand, weil die beiden Autoren ja doch irgendwie ähnlich schreiben), haben manchmal auch einen unsympathischen Charakterzug, der zu ihrer ansonsten guten Darstellung hinzukommt.Vielleicht unterliegt er im Bestreben größter Ehrlichkeit darin, Männer schlechter darzustellen als sie sind.


    Aber Erik ist auch wirklich eine ungewöhnlich gut gelungene Figur!

  • Hmm, irgendwie muss ich die falschen Bücher von Auster gelesen haben ("New York Trilogie", Anfang von "Timbuktu"). Ich konnte weder mit Austers Schreibstil noch mit seinen Charakteren viel anfangen. Nicht dass ich die Bücher als schlecht bezeichnen würde, aber ich fand keinen Zugang. Naja, ich kann es ja später noch mal versuchen. Wenn Du einen speziellen Auster-Einstiegstipp hast, immer her damit. :grin

  • Zitat

    Original von Vulkan
    Hmm, irgendwie muss ich die falschen Bücher von Auster gelesen haben ("New York Trilogie", Anfang von "Timbuktu"). Ich konnte weder mit Austers Schreibstil noch mit seinen Charakteren viel anfangen. Nicht dass ich die Bücher als schlecht bezeichnen würde, aber ich fand keinen Zugang. Naja, ich kann es ja später noch mal versuchen. Wenn Du einen speziellen Auster-Einstiegstipp hast, immer her damit. :grin


    Ich habe bisher das gleiche Problem gehabt, wie du - ich komme einfach noch nicht wirklich rein bei Auster. Das einzige von ihm, was ich durchgelesen habe und was mir auch wirklich gefallen hat, war die Aufsatzsammlung "Die Kunst des Hungers", das wäre also auch das einzige, was ich dir als Auster-Laie empfehlen könnte. Als nächstes auf meiner Liste steht von ihm "Die Musik des Zufalls" und ich bin schon gespannt, wie es mir gefallen wird.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar


    Warum eigentlich nicht den letzten: Man in the Dark.
    Der ist relativ kurz und abwechslungsreich.
    Mann im Dunkel – Paul Auster


    Ich wagte mich jetzt nicht "Mann im Dunkel" vorzuschlagen, da ich selbst noch nicht allzu viel von P. Auster gelesen habe.


    Da Herr Palomar es nun genannt hat :grin, kann ich nur sagen, es hat mir sehr gut gefallen.
    Also nur zu......

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Ein Hering, der an die Wand genagelt wurde


    Hustvedt ist fraglos eine großartige Stilistin und eine sehr kluge Frau, und dass sie eine bemerkenswerte Erzählerin ist, scheint seit ihrem Weltbestseller "Was ich liebte" festzustehen. Alleine, ihr jüngster Roman überzeugt mich nicht. Ganz im Gegenteil.


    Erik ist in den Vierzigern, Psychiater in New York, geschieden. Sein Vater stirbt, nach langem Leiden und turbulentem Leben, und er hinterlässt die eigene Geschichte in Form vieler Dokumente, Briefe und Tagebucheinträge. Im Nachlass befindet sich auch ein merkwürdiges Schreiben, das Erik und seine Schwester Inga, eine Künstlerin, die mit einem genialen Schriftsteller verheiratet war, der ebenfalls kürzlich verstorben ist, dazu veranlasst, in der Vergangenheit des Vaters und damit in der eigenen zu forschen. Etwa zur gleichen Zeit vermietet Erik die Einliegerwohnung seiner New Yorker Stadtvilla an Mirinda, die schöne, schwarze und alleinerziehende Mutter. Während der Psychiater fast sofort von Mirindas Tochter Eglantine, genannt "Eggy", ins Herz geschlossen wird, bleibt die Mutter auf Distanz. Dafür nähert sich ihr Ex-Freund an, Eggys Vater, ein durchgeknallter Performance-Fotokünstler. Auf eher gewaltsame Art.


    Die Autorin hat viele autobiographische Elemente eingearbeitet, direkt und indirekt, steht die Schwester Inga beispielsweise im Schatten des genialen Autorenehemannes, wie Siri Hustvedt lange Zeit nur wahrgenommen wurde, wenn Paul Auster mitgenannt wurde. Aber das ist kein Argument für oder gegen irgendwas, obgleich es das Buch natürlich aus Sicht jener hervorhebt, denen Authentizität viel bedeutet. Ich gehöre nicht zu diesen Leuten; Geschichten müssen gut erzählt sein, und es scheint mir weniger wichtig, was ihre Ursprünge sind.


    "Die Leiden eines Amerikaners" steckt so voller Schläue, Weisheit, genauer Beobachtung, Analyse, Deutung und Geschichtsverarbeitung - auch der 11. September spielt eine erhebliche Rolle -, dass man fast daran erstickt. Psychiater Erik bestätigt sämtliche Berufsklischees und kann selbst in romantischen und zärtlichen Momenten nicht aus seiner Rolle schlüpfen; eine Figur, die ganz Kopf ist, weshalb man ihr Gefühle bald nicht mehr glaubt. Die anderen Personen zitieren Kierkegaard aus dem Gedächtnis oder reden pausenlos wie ausgebildete Psychoanalytiker.


    Hustvedt hätte sich und den Lesern einen größeren Gefallen getan, hätte sie gleich eine Autobiographie geschrieben. Ihr überintellektualisierter Versuch, die eigene und die amerikanische Vergangenheit in Symbole, Avatare, Träume und von allen Beteiligten fabrizierte Kunstwerke zu hüllen, erschreckt in seiner Distanziertheit und Künstlichkeit. Das entstandene Sittenbild zeigt eine narzisstische New Yorker Bohème, die wie das hölzerne Personal einer Provinzbühne wirkt, das einen verkopften Zweiakter vor dem falschen Publikum aufführt, und dabei so glaubhaft und authentisch wirkt wie ein Hering, der an die Wand genagelt wurde.


    Eine Familiengeschichte, deren Personal an keiner Stelle Familie ist, sondern immer nur Facette der Autorin - oder Staffage. Larmoyant, manchmal fast schwülstig, zwanghaft interpretierend, schmerzhaft exhibitionistisch in seiner aufdringlichen Klugheit. Verblüffend, dass ein so vortrefflich geschriebenes Buch so schlecht sein kann.

  • Den jüngste Hustvedt-Roman habe ich als äußerst lesenswert empfunden. Es ist ein unaufdringliches, manchmal rätselhaftes Buch und steht meiner Meinung nach den Vorgängerromanen der Autorin in nichts nach. Stilistisch ist es eine Wohltat im Vergleich zu dem, was der Büchermarkt sonst bietet.

    Der Ich-Erzähler berichtet aus seinem ganz eigenen Vakuum von Gedanken und Wahrnehmungen heraus, ohne den Leser an sich heranzulassen. Insofern ist er ein glänzender Vertreter seiner Berufsgruppe. Sowohl er wie auch Mitglieder seiner Familie befinden sich in einer Phase der äußeren Veränderungen und versuchen - jeder auf seine Weise - innerlich damit zurecht zu kommen, wozu die Auseinandersetzung mit Vergangenem, vor allem der eigenen Familiengeschichte, unausweichlich ist.


    Besonders interessant finde ich, dass die Autorin hierzu die Aufzeichnungen ihres Vaters in die Handlung einbezieht.


    Hier und dort tauchen zwar Klischees auf, die beinahe zu platt für die Geschichte sind, aber ich denke, letztlich wird in diesem Roman sehr viel Persönliches aufbereitet und das hat einen ganz eigenen Reiz.


    Auch ist richtig, dass die Figuren teilweise überdimensional sind, was ihre Charakteristika angeht, aber auch das stört nicht, sondern fügt sich in die oft traumhaft anmutende Grundstimmung ein.


    Persönlich kann ich das Buch in jeder Hinsicht empfehlen. Die Geschichte ist wie ein Kleidungsstück, das nach selbstentworfenem Schnittmuster genäht wurde -und sämtliche Fäden laufen nahtlos zusammen und ergeben ein wunderbares Muster.

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • Also ich fand es ganz fürchterlich - es war so langweilig und stellenweise sehr obszön mit einer derben Sprache, das passte einfach nicht zum Rest des Erzählstils.


    Eindeutig autobiographische Züge trägt der neueste Roman von Siri Hustvedt. Genau wie sie ist Inga, die Schwester des Protagonisten und Ich-Erzählers Erik Davidsen, die Frau eines erfolgreichen Autors. Sie steht immer in seinem Schatten und wahrscheinlich kennt Hustvedt die Probleme aus eigener Erfahrung, die ein erfolgreicher Ehepartner mit sich bringt. Genau wie Hustvedt hat auch Inga mit ihrem Mann Max eine Tochter. Im Buch stirbt Max aber an Krebs, die Hinterbliebenen haben schwer mit dieser Tatsache zu kämpfen.


    Leider ist es Siri Hustvedt gründlich misslungen, eine spannende oder einfühlsame Geschichte zu schreiben. Das Buch strotzt nur so von Fachausdrücken, Einblicke in die Psychologie, die Neurowissenschaften und die Philosophie kommen auf fast jeder Seite ausführlich vor. Dadurch bleiben die Charaktere dem Leser fremd, sie wirken nicht menschlich sondern immer nur wie Statisten, die gerade zur Hand sind, um einen Sachverhalt zu erläutern. Außer bei Erik gibt es kaum wirkliche Einblicke in ihr Seelenleben, Gefühle äußern sich eher in zwanghaftem Ordnungswahn oder dem Heben einer Augenbraue. Alle Charaktere haben mit ihren eigenen Tragödien zu kämpfen und wirken ablehnend, selbst Eggy, Mirandas Kind, agiert überdreht oder nicht ihrem Alter entsprechend. Sie verleihen der Steifheit eine neue Bedeutung, Gefühle werden nicht gezeigt, das würde sie verletzlich machen. Und das sind sie alle nicht, sie wollen starke Charaktere sein und ihr Leben mit Bravour meistern – was ihnen aber leider nicht gelingt und der Leser oft den Kopf schüttelt über dieses introvertierte Verhalten.


    Viel zu viele Handlungsstränge verlangsamen bereits den Anfang. Hustvedt springt mal hierhin, dann wieder dorthin, erzählt unwichtige Nebenhandlungen in epischer Breite und macht es dem Leser allzeit sehr schwer, die gebührende Aufmerksamkeit zu halten. Unwillkürlich schweift man immer wieder ab, teilweise muss man die Sätze dreimal lesen, bis man sie halbwegs begriffen hat und weiß, in welcher Handlung man sich gerade befindet. Eriks Vater ist gerade gestorben, in Briefen erfährt er Näheres von seiner Kindheit. Zusätzlich schlägt sich Inga mit einem Geheimnis ihres verstorbenen Mannes herum, Miranda, Eriks Untermieterin, wird von einem Stalker verfolgt, der ihr und ihrer Tochter Eggy mit abscheulichen Bildern Angst einjagt. Außerdem erfährt man viel von Eriks Patienten, ausführlich werden Sitzungen und Beratungsgespräche wiedergegeben. Auch vor einer Selbstanalyse macht Erik nicht halt, immer wieder beleuchtet er sämtliche Aspekte seines eigenen Handelns.


    Aussagekräftige Wörter aneinandergereiht ergeben leider kein spannendes Buch, ausdrucksvoll geschrieben und doch so langweilig, zuviel gewollt und zuwenig ergeben, so kann man das Buch beschreiben. Es ist voller Fachbegriffe, Analyse, Weisheit und Geschichtsverarbeitung, aber die fehlende Empathie mit den Charakteren macht es schwer lesbar. Zudem die unnötig vielen Handlungsstränge, immer wieder neue Namen und Gesichter, und der völlige Mangel von Humor und Witz führen zu Ermüdungserscheinungen. Da man sich in keine Person richtig hineinversetzen kann, will man eigentlich auch gar nicht wissen, was eigentlich passiert oder wie sich die einzelnen Handlungen auflösen.


    Fazit


    Fast unberührt von den Charakteren und der Geschichte kann der Leser das Buch zuklappen. Immerhin hat er eine ausführliche Anleitung in die Psychoanalyse erhalten. Ein Charakter, der jede seiner Handlungen analysiert und in Frage stellt, kann einem nicht ans Herz wachsen. Der verwirrende Schreibstil mit ständigen Abschweifungen fesselt einfach nicht und dient lediglich noch als Einschlafhilfe. Hochgeistige Literatur auf einem langweiligen Niveau – nur etwas für Fachpublikum aber nicht für die breite Masse.


    LG
    Patty

  • Dies war nun mein erster Roman von Siri Hustvedt und ich bin sehr angetan. Unaufgeregt, nüchtern, aber mit großer Intensität läßt die Autorin den Psychiater Erik erzählen und hat es an keiner Stelle nötig, haarsträubende Wendungen einzubauen. Ganz im Gegenteil, alles bleibt realisitisch und ruhig, so etwa der Strang um Vater Lars und Lisa, auch Mirandas Anziehungskraft auf Erik oder die mysteriösen Briefe von Max an seine Geliebte; dies alles entpuppt sich im Grunde als gar nicht so weltbewegend, was ich ganz großartig und bemerkenswert fand.


    Der sensible, empathische Erzähler Erik ist eine beeindruckende Figur, die mir ungemein sympathisch ist, so auch seine Schwester Inga, deren Tochter und die Untermieterin samt Tochter, eigentlich fast alle, denn an keiner Stelle verfällt Hustvedt bei der Figurenzeichnung in Schwarz-Weiß-Denken, sondern zeigt Menschen mit ihren Stärken und Schwächen.
    Erstaunlich, daß es gerade zu diesem wirklich intelligent geschriebenen und einfach lesenswerten Buch so vehemente Verrisse gibt, da sieht man wieder, wie verschieden die Geschmäcker sind.


    Ich freue mich jedenfalls sehr auf weitere Bücher dieser Autorin.

  • Danke, buzzaldrin, genau das wird auch mein nächstes Buch von ihr werden, da es eh schon seit längerem auf der WL steht und wohl auch ihr erfolgreichstes Buch ist. Wird aber noch etwas dauern, habe erst heute Morgen andere Bücher geordert. :wave