Eric - Emmanuel Schmitt - Adolf H.

  • Was wäre passiert hätte die Wiener Kunstakademie über Hitlers Aufnahme damals anders entschieden ?


    Dieses Gedankenexperiment ist die Basis von Schmitts Roman Adolf H.
    “Adolf H., bestanden”. Kurz: Er wird Student an der Kunstakademie, arbeitet an sich, erfährt Anerkennung, macht eine Psychotherapie und lernt die Liebe kennen. So gewappnet kann er auch das Leid und die schweren Prüfungen seines Lebens unbeschadet überstehen, bleibt eine normaler Mensch.
    Parallel dazu erzählt Schmitt die reale Geschichte Hitlers, seinen Werdegang, literarisch aufgearbeitet. Natürlich nimmt er sich auch hier einige künstlerische Freiheiten, bleibt aber doch im Rahmen relativ nahe bei den Fakten. Die beiden Handlungsstränge wechseln sich stets ab, so das Hitler und der fiktive Adolf H., die natürlich anfangs noch sehr ähnlich sind, Stück für Stück auseinanderdriften und in völlig unterschiedliche Richtungen gehen. Das macht den Spannungsbogen des Buchs aus und diese Entwicklungen wurden auch von Schmitt sehr gekonnt in Szene gesetzt. Besonders hervorzuheben die Beschreibungen des ersten Weltkriegs aus beiden Perspektiven, die doch sehr nahe gehen. Hier entwickelt sich Hitler zu dem Monster Hitler. Auch Adolf H. kehrt nicht als der selbe Mensch von der Front zurück…


    An der Person Hitlers wurde nichts beschönigt, oder verharmlost, wobei ich mir sicher bin, dass dies ein Punkt ist an dem sich die Geister scheiden werden. Es ist ja immer quasi ein Tabubruch von Hitler als Menschen zu sprechen, was er aber nun mal einfach war. Er symbolisiert hier allgemein das Böse, das in jedem Menschen wohnt. Natürlich möchte man diese Seite des Menschen lieber als einmalige Perversion, als Unfall der Natur darstellen, der nicht mehr wiederholbar ist und weist das Monster weit von sich. Doch das jeder Mensch unter gewissen Umständen ein Hitler hätte werden können, das wollte Schmitt vermitteln. Und: nur vor dem was man verstanden hat, vor dem ist man wirklich gefeit.


    Mit Adolf H. wollte Schmitt quasi das Gegenstück zum Evangelium nach Pilatus schreiben. Ein Buch über das Böse. Er hat sich beim Schreiben sehr glaubhaft in die Psyche Hitlers hineinversetzt auch wenn er ihn nach eigenen Angaben nach einer gewissen Zeit kaum noch ertragen konnte und seinen Tod herbeisehnte. Mit Adolf H. jedoch rührt er an die Menschlichkeit und einige starke Momente des Buchs lassen einen schon sehr emotional werden.
    Für mich eine tolle Idee und eine gelungene Umsetzung. Vielleicht mit kleineren Mängeln im Aufbau der Story, die Schmitt aber mit vielen wertvollen Gedanken wieder wett macht.

  • Eric Emmanuel Schmitt erzählt in seinem Buch zwei Geschichten. Die Geschichte von Hitler, seinem erfolglosen Werdegang als Künstler, seiner Zeit auf den Straßen Wiens (zu der er noch kein Antisemit und Rassist war), seinen Jahren an der Front des ersten Weltkrieges, in der erste Veränderungen in seinem Charakter bemerkbar wurden, bis hin zu seiner Wandlung zu dem "Monster", das mit seinem Wahnsinn Europa in den Krieg gestürzt hat.
    Dem gegenüber stellt Eric Emmanuel Schmitt die fiktive Geschichte von Adolf H., der die Prüfung an der Kunstakademie bestanden hat, einige Jahre in Paris verbringt, der die Frauen liebt, ein erfülltes Sexualleben hat, eine Familie gründet. Wir erleben, wie ein Europa ohne den zweiten Weltkrieg geworden wäre.


    Die beiden Geschichten wechseln sich absatzweise miteinander ab. Manchmal erkennbar, manchmal nicht erkennbar, gerade im ersten Teil ist es schwierig, die beiden Lebensläufe auseinander zu halten. Dies ändert sich erst mit der Schilderung des ersten Weltkrieges, den beide Figuren unterschiedlich erleben.


    Eric Emmanuel Schmitt versucht nicht, Verständnis für Hitler zu wecken. Er sucht nach Gründen, warum Adolf Hitler zum Monster wurde. Sein Narzissmus, der schon in der Jugend ausgeprägt war, sein Glaube, ein verkanntes Genie zu sein. Interessant fand ich die Theorie, dass Hilter der Gedanke, er müsse Deutschland retten, durch eine Hypnose eingegeben worden wurde, die eigentlich nur den Zweck hatte, seine vorübergehende Blindheit zu heilen.


    http://www.3sat.de/kulturzeit/lesezeit/64833/index.html


    Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass diese Hypnose etwas ausgelöst hat, was nicht sowieso schon vorhanden war. Hier weiche ich von Schmitts Therie ab, der glaubt, dass aus jedem von uns durch bestimmte Umstände und Erlebnisse ein Adolf Hitler werden könnte. Dieser Meinung bin ich nicht. ich glaube, dass gewisse Anlagen dafür in einem Menschen vorhanden sein müssen (ich hoffe es zumindest).


    Alles in allem ein interessantes Buch, das zum Nachdenken anregt. Der Schreibstil ist flüssig und die kurzen Abschnitte machen es leicht, innezuhalten und seinen Gedanken nachzugehen.


    Zum Fan von Eric Emmanuel Schmitt hat es mich aber nicht gemacht. Es war iinteressant, aber nicht mitreißend.

  • Eric-Emmanuel Schmitt ist einer meiner Lieblingsautoren. Dieses Buch werde ich sicherlich auch noch lesen.
    Danke für die schönen Rezis :wave

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965

  • Puh, was ein krasses Buch...!
    Ich habe es gestern durchgelesen und es läßt mich immer noch nicht los; obwohl das Nachwort von Schmitt hilfreich bei der Verarbeitung für mich war/ist. Ein gut recherchiertes Buch von einem für den erstaunlichen Umfang.
    Es ist wirklich erschreckend, daß Hitler irgendwo menschlich war. Ich finde aber die Idee faszinierend, die er mit dem an der Wiener Kunstakademie angenommenen Adolf H. weiter ausgearbeitet hat. Was wäre wohl passiert, hätte die NSDAP nicht Hitler gehabt? E.-E. Schmitt bietet da eine für mich nachvollziehbare Weltgeschichte an in diesem Handlungsstrang.


    Keine leichte Lektüre - aber genial!

  • Es subbt bei mir seit einer Weile und wartet auf den richtigen Moment, um gelesen zu werden. So wie eure Rezis ausfallen, könnte das bald sein! Ich melde mich dann nochmal hier! :wave

  • Ich würde mich über deine Meinung freuen, Cookiemonster. Ich habe bei Schmitt immer wieder das Gefühl er verwurstet nach und nach alle möglichen philosophischen (darin inbegriffen auch Religiöses) Problemstellungen. Eigentlich hab ich eine Schwäche dafür, aber leider gelingt es ihm nicht immer, zu überzeugen ...

  • Zwei Geschichten einer historischen Person, eine Geschichte, wie sie sich wahrscheinlich zugetragen hat und eine "hätte-sein-können" Geschichte. Die Person, um die es hier geht, ist nicht einfach irgendeine Persönlichkeit sondern "Das Monster des 20. Jahrhunderts" schlecht hin.


    Eine spannende Geschichte, wie hätte Adolf Hitler leben können, wenn er die Aufnahmeprüfung zu Akademie bestanden hätte? Was wäre aus der Welt geworden? Alles in Allem eine sehr spekulative Angelegenheit, aber die gibt Raum für Träume. Wie hätte sich die Weltgeschichte verändert?


    Mir hat diese Lektüre gut gefallen. Es war verständlich geschrieben. Aus dem Monster Hitler wurde ein Mensch und gleichzeitig hat man die Geschichte Hitlers erzählt bekommen und hat das Grauen ,das er hervorgebracht hat, nicht vergessen.


    E. E. Schmitt Nachwort hat mir ausgesprochen gut gefallen, weil es eine Erklärung gibt, warum er sich überhaupt mit diesem schwierigen Thema befasst hat und darüber geschrieben hat.


    Von mir gibts 9 von 10 Punkten

    Who is Keyser Soze?


    (\__/)
    (o ,o)
    (>_<) <- This is Bunny.


    Copy Bunny into your signature to help him on his way to world domination.

  • Eine interessante Idee verarbeitet Eric-Emmanuel Schmitt in seinem Buch Adolf H. – Zwei Leben. Er schreibt einerseits eine Art Biographie über Adolf Hitler, andererseits parallel dazu eine fiktive Biographie über Adolf H.. Adolf H., so hätte Hitler werden können, hätte er den Eintritt in die Kunstakademie geschafft. Adolf H. stellt sich seinen Problemen und verarbeitet sie, was Hitler hingegen nicht geschafft hatte und in seine Neurose verfällt. Man erfährt viel über Hitlers große Leidenschaft zu Wagner, über seine Beziehungen zu Frauen und seinen Weg in die politische Laufbahn bis hin zum Tod.


    Mir hat das Buch gut gefallen, jedoch hatte ich hin und wieder Probleme damit, über wen ich jetzt gerade lese - von Hitler oder von Adolf H. – v.a. wenn ich das Buch nach einiger Zeit wieder in die Hand nahm. Ich habe dann 2 Post its erstellt und diese von Kapitel zu Kapitel weitergeklebt.


    Auch wenn ich das Buch sehr interessant fand, schnell weglesen konnte ich es nicht und zwischendurch hatte ich den Eindruck, dass es sich ein wenig zieht.


    Dennoch hat es auf jeden Fall 8 Punkte verdient.

  • wenn man sich einmal daran gewöhnt, dass der echte hitler immer als hitler, der wunschklon aber als adolf h. betitelt wird, klappts mE mit dem auseinanderhalten recht gut.
    aufgefallen ist mir eine unstimmigkeit: laut vieler quellen war es "mutter" magda goebbels, die ihren kindern kein leben ohne den nationalsozialismus zumuten wollte - hier im buch hab ich es so verstanden, dass sie hitler das leben ihrer kinder abbitten wollte.
    das nachwort gefiel mir teilweise noch besser als das buch.
    interessantes gedankenspiel!

    Mögen wir uns auf der Lichtung am Ende des Pfades wiedersehen, wenn alle Welten enden. (Der Turm, S. King)


    Wir fächern die Zeit auf, so gut wir können, aber letztlich nimmt die Welt sie wieder ganz zurück. (Wolfsmond, S. King)


    Roland Deschain

  • Seit meine Tochter im Geschichtsunterricht lernte das sich Hiltler an der Kunstakademie beworben hatte und abgelehnt wurde, gilt bei uns das gflügelte Wort : Ach wenn sie ihn nur angenommen hätten.....


    Dann fand ich das Buch und bin momentan mittendrin. Momentan - wir befinden uns im 1. Weltkrieg - zieht es sich ein wenig. Aber alles in allem kann ich bisher auch 8 Punkte vergeben. Bin auch auf das Nachwort gespannt.


    Ausserdem liebe ich die anderen Bücher des Autors, besonders : Oskar und die Dame in Rosa, was demnächst auch verfilmt wird.

  • Zum Nachwort direkt ein Wort: So einen Schwachsinn habe ich selten gelesen. Wie selbstmitleidig und stumpf ist das denn? Vieles was dort gesagt wird, finde ich aber auch schlicht und einfach falsch oder stark übertrieben. Manche Punkte, bei denen Schmitt sich ziemlich sicher ist, sind keineswegs so klar, wie er es darstellt.
    Nur um mit dem Hauptkritikpunkt anzufangen... Nun gut...
    Zu dem Roman selber: Was man draus macht, kommt sehr stark auf den Leser an. Man darf niemals einen Roman lesen und alles für bare Münze nehmen. So etwas ist immer, immer, immer gefährlich, und in diesem Fall besonders. ich musste zwischendurch immer wieder nachschauen (Nachschlagewerk, google, was auch immer...), was denn nun wohl Fakt ist und was Fantasie des Autors. Und er legt natürlich eine blühende Fantasie hier an den Tag. Selbstverständlich geht es nicht anders in einem solchen Roman. Es geht ja auch sehr viel um Hitlers Gefühle, und woher sollte man das wohl so genau wissen. Hier fand ich es dann fast schade, dass es nicht noch tiefgründiger ist. Aber das liegt wahrscheinlich eben hier begründet, denn dann wäre es ja noch mehr Spekulation.
    Einiges in dem Alternativ-Lebenslauf war reichtlich kitschig, aber sei's drum...
    Gegen Anfang hatte ich auch Probleme, die beiden Lebensläufe auseinanderzuhalten, aber je mehr die voneinander abweichen, desto einfacher wird es natürlich auch.
    Insgesamt ist es schon sehr fesselnd geschrieben und auch durchaus, mit den genannten Einschränkungen, weiter zu emfehlen.


    7,5 von 10 Punkten gibt es von mir.

    "Ich bin dreimal angeschossen worden – was soll man da machen." (Robert Enke)


    "Accidents" happen in the dark.