Ein liebender Mann – Martin Walser

  • Verlag Rowohlt, Gebundene Ausgabe, 2008, 288 Seiten


    Umschlagzeichnung: Alissa Walser


    Handlung:
    Der 73jährige Goethe - Witwer und so berühmt, dass sein Diener Stadelmann heimlich Haare von ihm verkauft - liebt die 19jährige Ulrike von Levetzow. 1823 in Marienbad werden Blicke getauscht, Worte gewechselt, die beiden küssen einander auf die Goethesche Art. Er sagt nämlich: Beim Küssen kommt es nicht auf die Münder, die Lippen an, sondern auf die Seelen. «Das war sein Zustand: Ulrike oder nichts.»
    Wie jäh ist da die Enttäuschung, als er begreifen muss, dass er wegen seines Alters kaum Aussichten hat: Auf einem Kostümball stürzt er, und bei einem Tanztee will sie ein Jüngerer verführen. Der Heiratsantrag, den er ihr trotzdem macht, erreicht sie erst, als ihre Mutter mit ihr nach Karlsbad weiterreisen will. Goethe schreibt die «Marienbader Elegie». Zurück in Weimar, lässt ihn die eifersüchtige Schwiegertochter Ottilie nicht mehr aus den Augen.
    Martin Walsers neuer Roman erzählt die Geschichte einer unmöglichen Liebe: bewegend, aufwühlend und zart. Die Glaubwürdigkeit, die Wucht der Empfindungen und ihres Ausdrucks -das alles zeugt von einer Kraft und Sprachleidenschaft ohne Beispiel.


    Über den Autor:
    Martin Walser, 1927 in Wasserburg (Bodensee) geboren, lebt heute in Nußdorf (Bodensee). 1957 erhielt er den Hermann-Hesse-Preis, 1962 den Gerhart-Hauptmann-Preis und 1965 den Schiller-Gedächtnis-Förderpreis. 1981 wurde Martin Walser mit dem Georg-Büchner-Preis, 1996 mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg und 1998 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet.



    Meine Meinung:
    Martin Walsers Romane interessieren mich seit dem springenden Brunnen. Leider machten die Romane danach, vom Lebenslauf der Liebe über der Augenblick der Liebe bis zur Angstblüte immer nach guten Beginn auf mich den Eindruck, dass der Verlauf ins Innerste des Autors mich nicht mehr erreicht. Dadurch wurden die Romane fast unlesbar.


    Ein liebender Mann hat ein spannendes Sujet um den alten Goethe, der sich in eine 19jährige verliebt. Also geht es auch wieder ums Alter, aber dadurch dass Walser sein Thema diesmal ins frühe 19 .Jahrhundert verlegt, wirkt es gleich ganz anders.


    Einiges erinnert an Lotte in Weimar von Thomas Mann, doch die Sprache ist anders. Auch ist der Walserton diesmal nicht so derb und es gibt hervorragende Passagen, wenn Goethe sich selbst betrachtet (Eine Zahnlücke zum Beispiel muss konsequent verborgen bleiben) oder wie er sich freut, wenn ein Kritiker ihm wohlwollend begegnet oder er das Gesicht seiner Ulrike betrachtet und analysiert. Goethe hatte wahrscheinlich durch seinen enormen Ruhm schon zu Lebzeiten auch mit Starallüren und Eitelkeiten zu kämpfen. Damit kennt sich kein deutscher Autor so gut aus wie Walser und was ihn sonst so unerträglich macht, wird hier zur Tugend. Für den Leser wird Goethe menschlich. Die Dialoge zwischen Goethe und Ulrike von Levetzow schwanken zwischen geistvollen flirten, Pathos und Plauderei, sind aber durchweg genussvoll zu lesen. Der Roman wird auch als Hörbuch, gelesen vom Autor erscheinen. Das ist aber fast überflüssig, denn beim Lesen hört man Walser Stimme mit.


    Es geht auch viel um Literatur und das Schreiben, in Goethe entsteht der Plan, den Roman „Ein liebender Mann“ zu schreiben, um seine Liebe zu rechtfertigen.


    Im letzten Teil dominieren die Briefe Goethes, ein Abschnitt, den er selbst als Die Leiden des alten Werthers bezeichnet. Darin ist auch eine mehrere Seiten lange, prachtvolle Elegie enthalten, aus dem ich einen kurzen Abschnitt zitieren möchte, um einen Eindruck zu vermitteln:


    Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren,
    Der ich noch erst den Göttern Liebling war;
    Sie prüften mich, verliehen mir Pandoren,
    So reich an Gütern, reicher an Gefahr;
    Sie drängten mich zum gabeseligen Munde,
    Sie trennten mich, und richten mich zu Grunde.


    Ein positiver Nebeneffekt des Romans ist, dass man Lust bekommt, auch mal wieder Goethe zu lesen. Das beschränkt sich aber auf die im Buch erwähnten Romane, z.B. Wilhelm Meisters Wanderjahre und Die Leiden des jungen Werther oder Novellen wie Ein Mann von fünfzig Jahren.


    Ich kann kein Nachlassen in Martin Walsers Prosa feststellen, seine tiefe Emotionalität in diesem Roman hat die gleiche Kraft wie der vor 50 Jahren geschrieben Ehen in Philippsburg, wohl Martin Walsers persönlicher Werther.


    ASIN/ISBN: 349925350X

  • Von der Thematik würde mich das Buch durchaus interessieren, aber mit so etwas:


    Zitat

    Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren,
    Der ich noch erst den Göttern Liebling war;
    Sie prüften mich, verliehen mir Pandoren,
    So reich an Gütern, reicher an Gefahr;
    Sie drängten mich zum gabeseligen Munde,
    Sie trennten mich, und richten mich zu Grunde.


    kann man mich heute noch genauso jagen wie zu meiner Schulzeit... :cry

  • Diese Marienbader Elegie ist aber der einzige Auszug aus Goethes Werk, den Walser in seinem Buch zitiert. Immerhin ist Goethe ja die Hauptfigur, da lässt sich das nicht ganz vermeiden.
    Die Briefe Goethes in diesem Buch sind aber fiktiv, Walser hat sie erfunden.

  • Ich überlege auch schon, ob ich mir dieses Buch nicht besorgen soll.
    Allerdings habe ich im Spiegel einen nicht gerade positiven Artikel darüber gelesen.
    Dann aber einige Interviews mit Walser gehört, und es schien so als hätten ihn alle (die Kritiker vor allem) ziemlich missverstanden.
    Es ist ein wunderschönes Thema, dem man bis jetzt in dieser Form keinerlei Beachtung geschenkt hat. Ich bin mal gespannt. ?(

    "Die Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene."
    (Carl Hillty)

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  • :-) Ich habe es nun auch gelesen und versuche mich mal:


    Meine Rezension: Ich gestehe, ich habe ein seit frühester Jugend ein „Werther-Trauma“ und was Martin Walser betrifft, so hat mich bis jetzt kein Werk aus seiner Feder so recht begeistern können. Es gibt Bücher, oder sollte man besser sagen, Autoren, die liegen einem nicht so und Walser zählte bis jetzt dazu. Köstlich amüsierte mich damals der Satz von Elke Heidenreich sie habe genug von Walser und Grass, den eitlen alten Männern, die den Mund nicht halten können und dieser „ekelhaften Altmännerliteratur“. Umso überraschter war ich, als sie in ihrer letzten Sendung dann „Ein liebender Mann“ sehr lobte und empfahl.


    Mittlerweile hatte ich schon viel über das Buch gelesen, bevor ich zu ihm griff. Es sei das beste Buch Walsers – die Krönung seines Schaffens und ein Meisterwerk. Es geht um Goethe und seine späte Liebe zu Ulrike, um den Altersunterschied von 55 Jahren, die auch ein Dichterfürst nicht so einfach wegdichten kann. Goethe trifft Ulrike mit ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern in Marienbad und obwohl er sich bewusst ist, dass er trotz seines hohen Ansehens, nicht in die Zukunftspläne für Ulrike passt, macht er ihr den Hof.
    Er legt sich mit allen seinen Mitteln und seiner Erfahrung ins Zeug, doch letztlich muss er damit rechnen, dass jeder seiner Briefe an Ulrikes Mutter vorbei muss und so ist er, der sich gewöhnlich in der Schrift verwirklicht, gerade hier in seinem Mètier zur Zurückhaltung gezwungen. Trotzdem kann er mit ihr flanieren und ihre Gesellschaft genießen. Die beiden liefern sich amüsante Dialoge – Er, immer nur mühsam beherrscht, sie mit seinem Verlangen nach ihr nicht zu erschrecken - sie, mal intelligent und verspielt, mal ironisch und immer mehr ahnend, dass er mehr mit ihr im Sinne hat, als nur geistreiche Gespräche zu führen. Er zeigt sie vor, präsentiert sie der anwesenden Gesellschaft, da sie - seiner Meinung nach- zusammengehören und weckt beim Lesen ein Schmunzeln, ob seines Verhaltens. Doch genau dieses Verhalten ist es, das dieses Buch so authentisch wirken lässt. Alte Herren, die sich verliebt haben, oder die zu flirten versuchen, wirken, so will es die Literatur, so wollen es die Medien, immer etwas unbeholfen und ungeschickt, wenn nicht gar lächerlich.


    Ich habe mich beim Lesen häufig gefragt, was und welche Erfahrungen Walser da in seine Geschichte gepackt hat. Hat er selbst vielleicht seine „Ulrike“ umworben und ist sich der/seiner Unmöglichkeit bewusst geworden? Gescheitert, an den Grenzen, die die Gesellschaft und die Biologie ihm aufgezeigt hat? Manchmal meint man einen Schmerz, eine Wehmut zu spüren, die entweder nur ein sehr guter Schriftsteller in der Lage ist, so auszudrücken, oder jemand, der diesen Schmerz selbst gespürt hat und der noch weiß, wie er sich anfühlt. Das sind Vermutungen - Vielleicht hat er einfach nur eine Liebesgeschichte ausgearbeitet, deren Protagonisten ihm am Herzen lagen, die er deshalb fast liebevoll schildert und die den Grund dafür bieten, dass dieses Buch so gut gelungen ist? Ich denke, das wird Walser nicht verraten und das erwarte ich als Leser auch nicht, denn diese Fragen sind es, die den zusätzlichen Charme des Buches ausmachen.


    Der Schreibstil, die Satzbildung, die Dialoge - alles wirkt, als hätte es ein Schriftsteller wenn nicht sogar Goethe selbst zur damaligen Zeit verfasst und die etwas altmodische, manchmal umständliche Ausdrucksweise passt meiner Meinung nach hervorragend zu der Handlung und zu den Protagonisten.


    Ich kann es auf jeden Fall denjenigen empfehlen, die Literatur lieben, die Goethe zumindest ein wenig mögen und die bereit sind, sich auf die etwas ungewöhnliche Schreibweise (es gibt keine Abgrenzung der wörtlichen Rede) einzulassen.




    Edit: Tippfehler

  • Ich habe heute das Buch zu Ende gelesen und für mich war es vom Anfang bis zum Ende der reinste Lesegenuss.
    Vom Inhalt her ist es zwar alles andere als eine Weltneuheit, aber was Martin Walser sprachlich aus dem Thema gemacht hat, ist schon sehr beachtlich.
    Einfühlsam beschreibt er diese späte Liebe des Herrn Geheimrates, der im Innersten seines Herzens wohl um deren Aussichtslosigkeit weiß, und dennoch alle Stadien der Verliebtheit, wie ein junger Mann, durchleidet.
    Besonders berührend geschildert finde ich die Szene, als das Paar den Maskenball verläßt und Goethe auf dem dunklen Weg stürzt: sein Versuch, das Unglück noch zu verhindern, das Gerudere mit den Armen, seine Angst, sich vor der Geliebten zu blamieren.
    Und so ist es mir beim Lesen noch oft ergangen. Banale Szenen mit einer Sprachgewalt beschrieben, die sich einprägen und für mich das Genie des Autors ausmachen.
    Was ich mir nicht so recht vorstellen konnte ist, dass dieses Alter noch so stürmische Liebesgefühle hervorrufen kann, aber Walser schildert diese Liebe so glaubhaft, dass ich gar nicht weiter daran zweifeln möchte.
    Dass Goethe der Weiblichkeit bis ins hohe Alter sehr zugetan war, ist ja bekannt. Und auch dem über 80jährigen Autor will man eine gewisse Authentizität zu dem Thema nicht absprechen.


    Was Walsers Romane mit ekelhafter Altmännerliteratur zu tun haben sollen, kann ich nicht nachvollziehen, und ich weiß auch nicht, warum manche Kritiker Autoren wie Walser oder Grass das Wort verbieten möchten.
    Das ist für mich keine gute Literaturkritik, weil man auch das, was nicht gefällt, anders formulieren kann.


    Ich bin schon gespannt, wie anderen Eulen das Buch gefällt.


    Liebe Grüße, Sylli7.

  • Ich kann mich euren positiven Meinungen nicht anschliessen. Nachdem das Buch bei ElkeHeidenreich so positiv besprochen wurde, musste ich mir das Buch ausleihen und wurde bitter enttäuscht. Normalerweise gebe ich jedem Buch 100 Seiten um mich von seinen positiven Aspekten überzeugen zu können, dieses habe nach 30 Seiten entnervt zur Seite gelegt aber ich werde dem Buch trotzdem noch eine "zweite Chance" geben.


    Dieses Buch ist vom Inhalt her ähnlich und gefällt mir deutlich besser-

    Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht. (Abraham Lincoln, 12.02.1809 - 15.04.1865)

  • Mir geht es auch oft so, dass mir ein von allen hochgelobtes Buch nicht gefällt.
    Es war halt nicht dein Stil.


    Aber was hat Dir so absolut mißfallen, dass Du schon nach 30 Seiten abgebrochen hast, fabulanta?


    Das würde mich doch interessieren,


    Sylli

  • Vor ein paar Wochen habe ich dieses Buch auch gelesen. Ich mag sowohl Goethe als auch Walser. Das wurde ja schon als eine gute voraussetzung für den Lesespaß genannt. Und wirklich, ich hatte ihn.


    Ich konnte in diesem Buch in die Gefühlswelt alternder, eitler und selbstverliebter Herren abtauchen. Ein Blick, die sich mir in diesem Maße noch nicht eröffnet hatte. Manches wurde mir dadurch verständlicher, manche Szenen empfand ich nur als bizarr. Die Selbstzweifel, die Ängste, aber auch die Hochgefühle kamen mir sehr lebensecht vor. Ulrike ist der Jungbrunnen des Dichterfürsten, sie erscheint mir sehr modern und selbstbewusst. Ich hatte bisher immer einen anderen Eindruck von ihr. Aber dies ist ja auch keine Biografie sondern ein fiktiver Roman, da darf der Autor schon etwas kreativer ans Werk gehen. Mir hat die Sprache ausnehmend gut gefallen. Besonders die Wort- und Satzspielereien im Geplänkel zwischen Ulrike und Goethe hatten es mir angetan.


    Auch ich kann dieses Buch empfehlen.

  • @ Sylli7


    Deine Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Nachdem ich Elke Heidensreichs überaus positive Kritik im Fernsehen sah, habe ich die Messlatte wahrscheinlich zu hoch gehängt und bin daher enttäuscht, dass mir das Buch so gar nicht gefallen hat. Es kann aber nur sein, dass es einfach das falsche Buch zum falschen Zeitpunkt war.
    Ich war dabei, als eine Bibliothekarin aus dem Buch vorgelesen hat, von der ich weiß, dass es ihr auch nicht besonders gut gefallen hat.
    Vielleicht hole ich das Versäumte bei passender Gelegenheit nach. :wave

    Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht. (Abraham Lincoln, 12.02.1809 - 15.04.1865)

  • Mir ist es mit dem Buch "Und Nietzsche weinte" so ergangen.
    Von so gut wie allen begeistert aufgenommen, hat es mir gar nicht gefallen. Einfach das falsche Buch zur falschen Zeit, dem ich aber sicher noch seine Chance geben werde.


    Liebe Grüße, Sylli.

  • Mir hat's gefallen :-]


    Auch der Schreibstil hat mir zugesagt.


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Können wir in Österreich wohl nicht hören. Schade! Das Buch habe ich gleich nach seinem Erscheinen gelesen. Es hat mir die meiste Zeit über gut gefallen, bloß gegen Ende hin fand ich es etwas langatmig. Aber zugehört hätte ich gerne.