Kurzbeschreibung:
War der römische Kaiser Tiberius, Stiefsohn und Nachfolger des Augustus, ein verantwortungsbewusster Lenker des Staates oder ein skrupelloser Tyrann, der in der Einsamkeit Capris seine Obsessionen auslebte? Der israelische Althistoriker Zvi Yavetz untersucht die widersprüchliche Überlieferung und entwirft ein differenziertes und facettenreiches Bild des »traurigen Kaisers«.
Er erklärt die psychischen Folgen zahlreicher Kränkungen, die Tiberius von Augustus erdulden mußte, schildert seine Verdienste auf militärischem, sozialem und verwaltungstechnischem Gebiet, zeigt aber auch seine schuldhafte Verantwortung für Fehlentwicklungen und seine Gnadenlosigkeit im Umgang mit politischen Gegnern.
Über den Autor:
Zvi Yavetz, geboren 1925, gehört zu den bedeutendsten Altertumswissenschaftlern Israels und genießt international hohes Ansehen. 1990 erhielt er den Israel-Preis, die höchste Auszeichnung des Landes auf dem Gebiet der Kultur. François Mitterand ernannte ihn zum Mitglied der Academie Internationale de Culture. 1997 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Ludwig-Maximilians-Universität München verliehen. Werke u.a.: ›Cäsar in der öffentlichen Meinung‹ (1979); ›Judenfeindschaft in der Antike‹ (1997).
Eigene Meinung:
Da dtv dieses Buch als Biographie bezeichnet, stelle ich es auch in dieser Rubrik vor. Allerdings scheint mir diese Einordnung des Buches keine besonders glückliche Entscheidung zu sein. Das Buch beginnt als Tiberius als 54 Jähriger zum Kaiser erhoben wird. Sein Leben davor kommt höchstens in kurzen Rückblicken an rar gestreuten Stellen vor – das Buch selbst hat samt Anhang auch nur 197 Seiten.
Aber selbst, wenn man es auf eine Biographie über seine Kaiserzeit bezeichnen wollen würde, wäre ich mit der Einordnung immer noch nicht sonderlich zufrieden. Was unterscheidet eine Biographie von einem „normalen“ Geschichtssachbuch? Für mich liegt der Unterschied darin, dass in einer Biographie neben den wichtigen politischen „Leistungen“ die Person dahinter dem Leser näher zubringen versucht. Diesen Anspruch erfüllt dieses Buch genau auf zwei Seiten, wo besprochen wird, ob Tiberius wirklich nicht Kaiser werden wollte oder alles bloß Show war, worauf Yavetz verschiedene Persönlichkeitsmodelle ins Treffen führt.
Ob Yavetz eine Biographie schreiben wollte oder nicht, weiß ich nicht. Die Tatsache, dass dieses Buch auf Basis von Vorlesungen über Tiberius entstanden ist, verleitet mich zu der Annahme, dass Yavetz vielmehr ein Sachbuch über die Regierungszeit Tiberius geschrieben hat.
Dies gelingt ihm auch gut. Er zitiert viele Quellen, vor allem Tacitus, Sueton und Cassius Dio. Im Grunde vergleicht er zu den markanten Ereignissen Tiberius Regierungszeit die Quellen, zeigt Widersprüche auf, argumentiert was ihm wahrscheinlicher erscheint und zeigt mit welchen Stilelementen die genannten antiken Historiker gearbeitet haben, wodurch er indirekt für diese auch Lesehilfestellungen gibt.
Diese Nähe an den Quellen, wobei sich Yavetz vor allem an der Darstellung von Tacitus anlehnt, ist einerseits ein positives Kriterium des Buches, andererseits hat mir die Ausgewogenheit zwischen eigener Darstellung des Autors und Zitaten der Quellen nicht überwiegend gefallen. Ich hätte mir oft eine stärke Ausarbeitung der eigenen Position von Yavetz gewünscht. Schließlich gehe ich davon aus, dass er sich mit dem Thema umfassend beschäftigt hat und hätte mir auch erwartet mehr in seinen eigenen Worten geschildert zu bekommen.
Summa summarum vergebe ich an das Buch 7 Punkte, wobei bei einer anderen Erwartungshaltung an das Buch und einem besseren Preisleistungsverhältnis sicher 8 Punkte drinnen gewesen wären.