Hoffnung 2

  • Ich habe mir ja die schon stattgefundene und berechtigte Kritik zum Schreibwettberb dieses Monats zum Thema "Hoffnung" zu Herzen genommen und möchte Euch allen nun eine Kurzgeschichte zum gleichen Thema von mir vorstellen, die ich heute verbrochen habe.


    Auf Eure Kritik bin ich wie immer sehr gespannt....:-)

    Gruß
    Baumbart





    Die Klappe...


    Noch etwa eine halbe Stunde, dann würde es dunkel genug sein. Noch einmal ließ sich Sanne alles durch den Kopf gehen:...der unter der Tür durchgeschobene Zettel des Vermieters mit der dritten Mahnung nach sofortiger Mietnachzahlung....jetzt drohte er schon mit Räumungsklage, der leere Kühlschrank heute morgen. Wenigstens war die Kleine heute nacht ungewöhnlich zufrieden gewesen und wollte nur zweimal die Brust haben.


    Sanne warf einen Blick hinter sich auf`s Bett. Ungewöhnlich auch, daß die Kleine nach dem letzten Stillen immer noch wach war. Vielleicht spürten Kinder instinktiv etwas?...Müde verscheuchte sie diesen Gedanken und
    sah wieder aus dem Fenster. Der herausgetrennte Zeitungsausschnitt war jetzt kaum noch zu erkennen bei dem schwindenderen Licht. Sie kannte ja auch alles auswendig, auch die Adresse hatte sie sich gut eingeprägt. Von
    hier aus waren es eh nur ein paar Schritte. Doch, es würde das Beste sein...für die Kleine bestimmt!


    Ein paar Minuten noch...


    Schwere Schritte auf der Treppe. Die Frau über ihr ging wieder ihrer, fast allabendlichen Beschäftigung nach. Was sie wohl immer nachts tat? Nach Kitz sah sie zumindest nicht aus, aber das konnte ja täuschen.


    Ein bitteres Lächeln stahl sich in ihre Mundwinkel. Ja, genauso, wie sie sich in IHM getäuscht hatte. Ein paar Geldscheine, die auf das Bett gefolgen waren, als sie es ihm gesagt hatte. Eine Adresse, wo sie`s "wegmachen" könnte, wie er sich ausgedrückt hatte und das klacken, als die Wohnungstür hinter ihm ins Schloß gefallen war.


    Das Geld hatte bis gestern gereicht...naja, nicht ganz. Die Miete stand noch offen, wie so vieles und der gierige Blick des Vermieters fiel ihr auch gleich dazu ein, als er ihr bedeutete, WIE er sich eine Begleichung ihrer Schulden bei ihm auch vorstellen könnte. Ein Schluck Wasser aus der Leitung spülte nur wenig von dem Ekel weg, der in ihr hochstieg bei dem Gedanken. Wenigstens hatten sie ihr das Wasser ja noch nicht abgestellt.


    Die Kleine hatte sie noch extra frisch waschen können und nahm sie jetzt vom Bett, in ein sauberes Handtuch gewickelt. "Sie sollen nicht von uns denken, wir seien dreckig, nicht wahr? Du sollst ihnen doch gefallen, Mäuslein."


    Ein paar Gassen nur noch, das Gebäude war von hier aus schon zu sehen. Sanne wollte es jetzt schnell hinter sich bringen. Nur ihr Mund murmelte ständig vor sich hin: "Verzeih mir. Du sollst es besser haben als ich. Wenn ich kann, werde ich Dich mal besuchen kommen. Ich schwöre es Dir!"


    Es sah sehr sauber aus: eine gepolsterte Schiebetür, die kalten Wind und alle Geräusche von der Straße abhalten würde, leichtgängig zu öffnen. Dahinter - auch mit sterilen, anheimelnden Tüchern ausgelegt - Platz genug, wo sie die Kleine hineinlegen konnte. Dahinter dann die andere Schiebetür, nicht ganz geschlossen.


    Doch was war das? Ein Korb mit Essen und ein großer roter Zettel:
    "Der Bäcker um die Ecke bei uns beiden sucht schon lange einen AZUBI und tagsüber könnte ich die Kleine doch nehmen. Wollen wir`s versuchen? Schlag ein...Ich heiße Anna!"


    Sanne zögerte nur kurz, die linke Hand ergriff den Korb mit Lebensmitteln...die Rechte drückte kurz die warme Hand, die sich bei ihrem erleichterten Aufseufzer, den sie nicht hatte unterdrücken können, durch den gegenüberliegenden Türspalt schob.

  • Baumbart:


    Finde ich gut, wäre es doch in Wirklichkeit so einfach.... :knuddel1


    Das Thema Babyklappe wird ja überall immer wieder heiß diskutiert. Ich finde diese Einrichtung einfach nur gut. Wenn man damit nur ein Baby davor retten kann, in einer Mülltonne oder sonst wo zu landen, dann haben die Dinger sich gelohnt.

  • Wirklich sehr schöne Geschichte mit einem Happy-End... Wäre wirklich schön, wenn alle wahren Geschichten auch so aus gehen würden...


    Baumbart, diese Geschichte gefällt mir sehr viel besser, als Dein Beitrag für den Wettbewerb. Obwohl mir auch der sehr gut gefallen hat. Die Idee mit den Anfangsbuchstaben der Absätze fand ich wirklich klasse... :-]

    "Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig."

    - Ernst Reinhold Hauschka

    Zitat

  • Gefällt mir gut, deine Geschichte und zum Thema Babyklappe kann ich BJ nur zustimmen. Davon gibts noch viel zu wenige. Auch die Möglichkeit, ein Kind anonym zu entbinden halte ich für eine gute Möglichkeit, Leben zu retten.

  • Gute Idee, Baumbart!


    Auch ich bin für die Babyklappe. Alles - Babyklappe, anonyme Entbindung etc. - ist besser als auch nur ein einziges Kind, das aus Verzweiflung "weggeworfen" wird, wie man es leider immer wieder erleben muß.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Hallo, Baumbart.


    Holpert anfangs sprachlich noch, dann wird's besser. Sanne hat kein Geld, der Kerl ist weg, und sie beschließt, das Kind abzugeben. In letzter Sekunde reicht ihr jemand - metaphorisch wie physisch - die helfende Hand. Ich find's ein bißchen riskant, die ganze Sache nur am Geld festzumachen, also Geld als einzige Begründung für Sannes Verhalten zu liefern. Das Verhältnis zum Kind wird (auch dadurch) sehr sächlich (nicht: sachlich) dargestellt. Mit einigen Korrekturen und einer Vertiefung/Ausweitung des möglichen Hintergrundes durchaus Potential für eine brauchbare sogenannte "Situationsgeschichte". Was ich mich frage, ist, ob die Perspektive wirklich glücklich gewählt ist. Die etwas flach bleibende Protagonistin könnte z.B. durch die Ich-Perspektive schärfer gezeichnet werden.

  • Naja, mit diesem Satz wollte ich eigentlich den Konflikt in der Protagonistin deutlich machen, die eben falsche Annahme, dass sie ihr eigenes Kind nach der anonymen Abgabe in der Babyklappe jemals wiedersehen würde....daß sich eben eine Beziehung zum 9 Monate ausgetragenem, vor kurzem geborenen Baby zu festigen beginnt, die anfängliche Betonung des sächlichen (Geld, das man zum eigenen Überleben und das des Babys) immer stärker zu kippen beginnt.


    Das Baby wurde auch aus dem Grund noch nicht mit einem Namen versehen.


    Kurz: ich wußte nicht so recht, wie ich das alles in eine so kurze Geschichte zusammenpacken sollte...:-)


    Hmm, in der Ich-Perspektive zu schreiben, stellt aber eine ganz schöne Herausforderung dar, finde ich.


    Nun ja, mal sehen...:-)


    Gruß
    Baumbart

  • Hier also der Versuch einer verbesserten und perspektivisch veränderten Version:


    Mit der Bitte um Kritik (meine Güte, macht das Spaß. Hätte ich nie gedacht. Auch nicht, wenn`s nichts taugt....:-):





    Die Klappe...


    Noch etwa eine halbe Stunde, dann würde es dunkel genug sein. Die Schrift auf dem herausgetrennten Zeitungsausschnitt war bei dem schwindenderen Licht hier am Fenster kaum noch zu entziffern, höchstens noch die fettgedrucktere Überschrift, die meine Aufmersamkeit erregt hatte. Egal, ich konnte den Text, die Adresse sowieso auswendig. Von hier war das Dach des Gebäude, wo ich gleich hingehen würde, ja sogar zu sehen. Nicht allzu weit weg, zwei Straßen entlang, über die größere Kreuzung, einmal um die Ecke und schon wäre ich da.


    Die Kreuzung war bestimmt hell erleuchtet. Besser ich nehme doch den Mantel mit und noch ein dickes Handtuch für Lenchen. Sonst friert sie, so klein und zart, wie sie noch ist.


    "Oh Gott, Lenchen!" nun hatte sich doch ein Name festgesetzt in mir für das Kind, das hinter meinem Rücken auf meinem Bett lag. Ich drehte mich fröstelnd und etwas erschreckt um, obwohl es noch gar nicht kalt im Zimmer war, schließlich hatten wir ja erst August. Es wurde also Zeit.


    Zwei lange Schritte brachten mich zu Lena, die heute und auch schon gestern Nacht außergewöhnlich ruhig gewesen war. Nur zweimal war sie wachgeworden, hatte still an meiner Brust getrunken und war dann, nach kurzem Spielen und Streicheln immer gleich wieder friedlich eingeschlafen. Ob so kleine Kinder schon etwas ahnten? "Blödsinn", sagte ich laut und wickelte Lena in ein zweites, dickeres Handtuch. Natürlich wußte sie noch nichts.
    Sie konnte nichts von der Enttäuschung mitbekommen haben, als ER das Bündel Geldscheine mit einer lässigen Handbewegung auf genau dieses Bett hier geworfen hatte. "Laß es halt wegmachen und nerv mich nicht," hatte er verächtlich gesagt, "Du wirst schon klarkommen. Immerhin fickst Du nicht schlecht."Dass die Glasvase, in der noch vor kurzem der Veilchenstrauß von ihm gewesen war, an der zuklappenden Tür zersprang, hörte er schon nicht mehr.
    Und dann der Zettel heute morgen noch vom Vermieter, der dritte schon und diesmal im schärferen Tonfall, die Aufforderung, endlich die rückständige Miete zu bezahlen. Die Erinnerung an seinen Gesichtsausdruck, als ich letztens bei ihm gewesen war, um Aufschub der Zahlung und noch mehr Geduld von seiner Seite bat, ließ mir das Blut in Gesicht und Hals schießen. Wie er sich auch ein anderes Ableisten der Schuld von mir vorstellen konnte, brauchte er dann gar nicht mehr zu sagen.


    Himmel, was war denn bloß mit mir los heute? Erst war mir kalt, dann heiß? Ich hatte mir das Ganze doch nun lange genug gut überlegt. Es war besser für die Kleine und für mich. Wie sollte ich ihr denn das geben, was sie brauchen würde? Ich war doch selbst noch gar nicht fertig mit mir selbst!


    Da hörte ich die allabendlichen Schritte wieder auf der Treppe abwärts kommen. Die Mieterin, die direkt über mir wohnte, ging gewiß wieder zur Arbeit oder was auch immer sie wohl tat abends, nachts. Der feste Tritt auf den Treppenstufen, das schon vertraute leise Knarren der fünften Holzstufe, die sich im Laufe der Jahre wohl verzogen hatte, für mich klang das immer irgendwie beruhigend und ich flitzte schnell, wie jeden Abend zum Türspion, um einen kurzen Blick noch auf die Frau zu erhaschen. Was sie wohl arbeitete? Auf den Kietz ging die sicher nicht, nach ihrer Kleidung zu urteilen - heller Rock, helle Bluse meist, eine leichte Strickjacke.
    Es war ja auch noch nicht Herbst. Das Aussehen konnte aber auch täuschen. Wer wußte das nun besser als ich? Nun aber los. Ich strich mir flüchtig über die Stirn, als ob ich damit die ständigen Grübeleien verscheuchen könnte. Genug jetzt. Ich wickelte das Handtuch um Lena nochmals fester und ging hinaus, die Treppe runter, die dunklen Gassen entlang. Die Kreuznug war, wie vermutet hell erleuchtet, aber ich überquerte sie schnell und stand eher vor dem Haus, als ich gedacht hatte. Die Tür, eher eine Klappe, sah unscheinbar aus, war aber an der Innenseite gut gepolstert. "Wohl gegen kalten Wind und laute Geräusche. Die denken aber auch an alles, " dachte ich beruhigt, als mich ein leises Wimmern auf das Kind in meinem Arm blicken ließ. Ich hatte Lena wohl viel zu fest an mich gedrückt.


    "Oh, Du meine Güte. Entschuldige, mein Schätzchen. Hab ich Dir weh getan?" Ich schaute schnell noch einmal nach, wollte mich vergewissern, daß es der Kleinen an nichts fehlte, nichts passiert war und bekam gar nicht recht mit, daß sich die andere Schiebetür etwas geöffnet hatte und etwas in den Zwischenraum gelegt wurde, während ich mit Lena beschäftigt war. Ein letztes Streicheln der von zartem Flaum bedeckten Wangen wollte, mußte ich mir noch gönnen. Dann blickte ich auf und wollte sie gerade in den steril wirkenden Zwischenraum legen, als mir der Zettel ins Auge sprang, durch seine rote Farbe schon allein, unübersehbar.
    "Der Bäcker um die Ecke bei uns beiden sucht schon lange einen AZUBI und tagsüber könnte ich die Kleine doch nehmen. Wollen wir`s versuchen? Schlag ein...Ich heiße Anna!" Große, mit kräftiger Hand geschriebene Buchstaben, vertrauenerweckend für mich wie schon die ganze, oft gesehene Frau und ich zögerte nicht lange, sondern ergriff die Hand, die sich mir aus der sich weiter öffnenden Schiebetür entgegenstreckte und sagte leise: "Anna und Lena, das paßt."

  • Hallo Baumbart,


    ich denke um Kritik zu üben bin ich nicht wirklich die richtige und ich kann hier eigentlich auch nur sagen, dass mir Deine Geschichte jetzt noch besser gefallen hat, als beim ersten Mal... :knuddel1


    Ich bin schon gespannt darauf, was Tom dazu sagen wird. Ich persönlich denke auch, dass es ganz ohne konstruktive Kritik vielleicht eher langweilig ist. Aber ich habe leicht reden, schreibe ich ja selber nicht. Ich bewundere nur immer die Leute die es können... ;-)

    "Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig."

    - Ernst Reinhold Hauschka

    Zitat

  • Zitat

    Original von Morgana
    Hallo Baumbart,


    ich denke um Kritik zu üben bin ich nicht wirklich die richtige und ich kann hier eigentlich auch nur sagen, dass mir Deine Geschichte jetzt noch besser gefallen hat, als beim ersten Mal... :knuddel1


    Danke, Morgana... :knuddel1
    Motivierend vor dem Totalverriß unseres neuen Marcel-Reich-Ranicki hier...;-)


    Zitat

    Ich bin schon gespannt darauf, was Tom dazu sagen wird. Ich persönlich denke auch, dass es ganz ohne konstruktive Kritik vielleicht eher langweilig ist. Aber ich habe leicht reden, schreibe ich ja selber nicht. Ich bewundere nur immer die Leute die es können... ;-)


    Ernsthaft: siehst Du, das will ich ja gerade ausprobieren, ob ich`s ein wenig kann...hier bei den Büchereulen. Mit Netz und doppeltem Boden sozusagen...je mehr sachliche Kritik von mehreren kommt, desto besser ist es doch. Vor allem eigentlich für jüngere Leute, die sich dadurch eher noch motivierter fühlen sollten....und nicht angegriffen. Ist doch Quatsch, wenn man sich persönlich angegriffen fühlt?!


    Tom Liehr sagt doch dauernd selbst, daß man grade das nicht tun sollte! Und auch andere hier täten das meiner Meinung nach nicht....so ist dieses Forum hier einfach nicht.


    Doc...das ist KEIN Geschleime...:-)


    Gruß
    Baumbart

  • Hallo Baumbart!


    Eine Geschichte über ein schwieriges Thema: Für oder gegen ein (bereits geborenes) Kind.


    Ich muss zugeben, dass ich grundsätzlich ein Problem damit habe, wenn große Themen in Kurzgeschichten thematisiert werden; man neigt als Autor dazu (und da nehme ich mich gar nicht aus) ausgerechnet den Moment zu suchen, welcher der dramatischste ist.
    Grundsätzlich ist es meiner Ansicht nach besser, einen weniger spektakulären Moment zu wählen, einen stilleren Zeitpunkt, in dem man das Problem präziser angehen kann. Ich denke dabei an Geschichten wie die wunderschöne Weihnachtsgeschichte von O. Henry (The Gift of the Magi), wo zwei Jungverheiratete ein ganz besonderes Weihnachten verleben, weil jeder von beiden sozusagen das letzte Hemd opfert, um dem anderen eine Freude zu machen. Die Geschichte ist aus der Sicht des jungen Mannes geschrieben, und es ist auf eine stille Weise herzzerreißend, wie er erkennt, dass sie beide nahezu alles füreinander tun würden.
    Noch ein gutes Beispiel ist eine Geschichte aus James Joyce' Anthologie Dubliners, Eveline, in der eine junge Frau eine Entscheidung darüber fällt, ihrem Geliebten nach Südamerika zu folgen oder nicht.
    Spannung entsteht aus der Psychologie einer Geschichte, das gilt bei Kurzgeschichten noch mehr als bei großen Werken. Es sind Miniaturen wie feinste Buchmalerei. Die Kürze macht die Sache nicht leichter, sondern schwerer ...
    Ich gebe unumwunden zu, dass auch ich dieses Metier nicht so beherrsche, wie ich mir wünsche.


    Das hat jetzt alles nichts mit deiner Geschichte zu tun. Andererseits denke ich, dass die Geschichte genau diese Probleme sehr deutlich zeigt: Der gewählte Moment ist eigentlich der dramatischste, den man hätte wählen können, und das zwingt eigentlich dazu, die Handlung voranzutreiben. Stattdessen bewegst du dich sehr viel in der Innenwelt der jungen Frau, lässt sie sich erinnern, sinnieren usw. Das gehört meiner Ansicht nach in einen anderen stillen Moment, indem keine "äußeren" umstände die Handlung vorantreiben.


    Ich denke, dass dieses Eingreifen in letzter Sekunde durch die "geheimnisvolle" Nachbarin ebenfalls einen Tick zu weit geht. In einer Kurzgeschichte müsste sich das eigentlich aus einem Gespräch der beiden ergeben. Schließlich erfordert es doch ein gerüttelt Maß an Vertrauen, jemandem sein Kind, ein Baby, anzuvertrauen.


    Außerdem werden mir die Widrigkeiten zu viel. Der geile Vermieter obendrein war kein Sahnehäubchen, sondern ging mir einen Tick zu weit. Im übrigen wurden die beiden erwähnten mit Klischees zugeschüttet, auch der Erzeuger ist einfach nur gedankenlos. Damit erreicht man zwar wahrscheinlich bei vielen Lesern Kopfnicken, aber es bewegt nichts, es erreicht nicht die, die es erreichen soll.
    Die junge Mutter ist einfach nur arm dran und beim einzigen Fehler, den sie hätte begehen können, springt ihr eine Unbekannte wie ein Engel zur Seite!
    Insgesamt fehlt das Subtile, Feinziselierte, dass eine Kurzgeschichte haben sollte, wenn wie wirken soll.


    ABER: Nur nicht den Mut verlieren, denn alles ist "reparabel". Wenn du dich in diesem Fall auf eine Einheit von Zeit und Ort beschränkst, eine wenn auch nur lose Bekanntschaft zwischen der jungen Frau und der Nachbarin voraussetzt, und dich auf einen Zeitpunkt beschränkst, bevor sie aufbricht, kriegst du es sicherlich hin. Es ist ja alles da -- alle Ingredienzien sind vorhanden, von einigen eine Überdosis, aber das klappt beim nächsten Mal wieder besser.


    Nur nicht den Mut verlieren! Von jeder meiner Kurzgeschihcten gibt es mindestens 5-6 Versionen, bis ich auch nur halbwegs zufrieden bin. Und wenn man es raushat und Geduld aufbringt, dann wird es auch was.


    Zum Abschluss noch die "Korinthen" (Detailkritik):

    Zitat

    Original von Baumbart
    Die Schrift auf dem herausgetrennten Zeitungsausschnitt war bei dem schwindenderen Licht hier am Fenster kaum noch zu entziffern, <...>


    Besser: ... im schwindenden Licht.


    Zitat

    höchstens noch die fettgedrucktere Überschrift,


    ... fett gedruckte / fettgedruckte ... (kann man nicht steigern!)


    Zitat

    Nicht allzu weit weg, zwei Straßen entlang, über die größere Kreuzung, einmal um die Ecke und schon wäre ich da.


    Lieber: Nicht allzu weit weg, zwei Straßen entlang, über die größere Kreuzung und einmal um die Ecke. (das reicht)


    Zitat

    Die Kreuzung war bestimmt hell erleuchtet.


    Besser: Die Kreuzung war hell erleuchtet. (das weiß sie, wenn sie dort wohnt)


    Zitat

    Dass die Glasvase, in der noch vor kurzem der Veilchenstrauß von ihm gewesen war, an der zuklappenden Tür zersprang, hörte er schon nicht mehr.


    Hat sie eine gepanzerte Wohnungstür? :grin
    Lieber: Die Tür klappte hinter ihm zu, als die Glasvase, in der noch vor kurzem der Veilchenstrauß von ihm gewesen war, daran zersprang.


    Zitat

    Ich war doch selbst noch gar nicht fertig mit mir selbst!


    Ungute Formulierung: "mit etwas/jdm. fertig sein" ist sehr negativ. Außerdem 2x "selbst" ...
    Lieber: Ich war doch selbst noch nicht im Reinen mit mir. o.ä.


    Zitat

    ... das schon vertraute leise Knarren der fünften Holzstufe, die sich im Laufe der Jahre wohl verzogen hatte, ...


    Bisschen merh Mut zeigen! Lieber: ... das schon vertraute leise Knarren der fünften Holzstufe, die sich im Laufe der Jahre verzogen hatte, ...


    Zitat

    und ich flitzte schnell, wie jeden Abend zum Türspion, um einen kurzen Blick noch auf die Frau zu erhaschen.


    Diese Neugier geht mir irgendwie zu weit. Sie kann auch spekulieren. ohne zu "spionieren". :grin


    Zitat

    Auf den Kietz ging sie wohl nicht ...


    Vom Kiez war sie wohl nicht ... oder Auf den Strich ging sie wohl nicht


    Zitat

    Die Kreuznug war, wie vermutet hell erleuchtet, aber ich überquerte sie schnell ...


    Lieber: Schnell überquerte ich die hell erleuchtete Kreuzung ...


    Zitat

    Die Tür, eher eine Klappe, ...


    Tür oder Klappe? (Scharniere an der Seite oder oben?)


    Zitat

    ... vertrauenerweckend für mich wie schon die ganze, oft gesehene Frau ...


    Woher weiß sie das auf einmal? An der Schrift erkannt? Da fehlt eine Information! :-)


    Liebe Grüße,


    Iris :wave

  • Hallo Iris,


    Du hast mich wirklich gerettet, weißt Du das? @Doc Horst Hollywood dachte ja schon, ich fahre auf unseren Hauskritiker hier voll ab... :lache :lache :lache


    Nein, aber nun mal ernsthaft: vielen Dank für die ehrliche und ausführliche Kritik. So hatte ich mir das wirklich gewünscht, zu diesem Thread, wo man seine kleinen Versuche der Öffenntlichkeit präsentieren kann... :knuddel1


    Und demotiviert fühle ich mich ganz gewiß nicht. Im Gegenteil. Ich werde mir die Tipps und Hinweise noch öfter durchlesen und zu beherzigen versuchen.


    Zusätzlich würde ich mir ganz allgemein wünschen, daß sich viel mehr Kritik zutrauen...wie gesagt: wir trauen uns doch auch. Man kann doch nur lernen, wie es besser geht.


    Danke Dir herzlich, Iris :kiss
    Baumbart