'Der Tribun' - Seiten 001 - 123

  • Hallo ihr Lieben!


    Ich lese mit, bin aber noch etwas zurückhaltend mit Antworten, weil noch nicht allzuviele Kommentare gekommen sind. Ich möchte ja auch niemandem die Spannung rauben.


    Hundefreund , Schilderungen von großen Schlachten sind meiner Ansicht nach sehr schwierig. Außer Tolstoj (Krieg und Frieden) gibt es kaum jemandem, dem das je gelungen ist. Als Leser verliert man extrem schnell den Überblick oder wird von zig Seiten Hauen und Stechen totgeschlagen. Sogar das kann äußerst eintönig werden. :grin
    Zu der Wahl eines "mittleren Charakters" für die Hauptfigur schreib ich später auch noch mal was. :grin


    baumbart : Ich halte es schon für einen "cultural clash", wenn man als verwöhnter Angehöriger der "besseren Gesellschaft" aus einer "hochzivilisierten" Umgebung Knall auf Fall in die Rolle eines Bauernknechts in einer Agrarkultur gestoßen wird. :grin
    Dass Unterschiede vor allem in den Köpfen der Menschen festsitzen, ist selbstverständlich eine Binsenweisheit. Ich möchte das jetzt allerdings hier noch nicht auswalzen, sondern lieber wissen, ob und wieviel von meinen Intentionen ohne Erklärungen ankommen.


    Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
    Iris

  • Hi Iris,


    kleine Frage an dich:


    Wie bist du darauf gekommen, ein Buch über die Zeit während dieser Varus-Schlacht zu schreiben?


    Ich denke, vom Grund her ist es doch sehr gewagt, weil viele Menschen darüber immer ein konkretes, heroisches Bild von dieser Thematik haben. Sowas kann leider in der heutigen Zeit immer wieder in die Hose, weil viele Menschen einfach nur das lesen wollen, was sie glauben, damit sie bestätigt werden können.


    mfg

  • Hallo His!


    Zitat

    Original von Historikus
    Doch. Homer, der Verfasser des wichtigsten Schriftstückes der europäischen Kultur: Illias.


    Chapeau! :grin


    Ich beschränkte mich - sozusagen naturgemäß - auf die neuzeitliche europäische Romanliteratur. Homer hatte aufgrund der sprachlichen Möglichkeiten der Dichtung noch ganz andere Möglichkeiten, aber auch Einschränkungen als ein moderner Autor. Selbst Vergil, Lukan, Nonnos und andere Epiker hätte ich anführen können.
    Aber vergleichen möchte ich mich keineswegs!


    Wobei ich zugestehen muss, dass es Geschmackssache ist, ob einem klassische Epik gefällt. Die Voss-Übersetzung von Homer finde ich - nebenbei bemerkt - grässlich onkelhaft und altväterlich, seitdem ich das Original gelesen habe. Homer hat irrsinnig viel Schwung, ist sehr ausdrucksstark, kann bald extrem brutal, bald sehr, sehr zart sein; Voss ist leider vor allem dunkel und schwerblütig ...


    Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
    Iris

  • Zitat

    Wobei ich zugestehen muss, dass es Geschmackssache ist, ob einem klassische Epik gefällt.


    Ganz gleich, ob einem klassische Epik gefällt, Homers Illias und Odysee sind die Grundtexte der euopäischen Kultur, leider heute viel zu wenig beachtet und gekannt. Da sind wir schon wieder in der Schulpolitik - mein kleiner Bruder hatte letztes Jahr im Geschichtsunterricht Griechenland als Thema - die haben nicht einmal den Pantheon durchgemacht, nur ganz kurz angesprochen. Und vom Trojanischen Krieg immer nur vom Trojanischen Pferd gehört. Hauptsache, die lernen in Biologie durchgehend in 2 Monaten, wie man Käse erstellt, wissen aber nicht, woher wir eigentlich kommen und warum wir so sind wie wir sind.


    Da wird mir schlecht. :fetch


    mfg

  • Hallo His!


    Zitat

    Original von Historikus
    Ganz gleich, ob einem klassische Epik gefällt, Homers Illias und Odysee sind die Grundtexte der euopäischen Kultur, leider heute viel zu wenig beachtet und gekannt.


    Was aber auch an extrem unzeitgemäßen (weil klassizistischen und nicht werkangemessenen) und sprachlich nicht wirklich guten Übersetzungen liegt. Leider wird traditionell Voss aufgelegt.
    Wie es auch eigentlich keinen Platon in den Buchhandlungen gibt, sondern immer nur Schleiermacher! :fetch


    BTW: Für ältere Kinder und Jugendliche empfiehlt sich die Nachdichtung von Rosemary Sutcliffe: Schwarze Schiffe vor Troja und Die Rückkehr des Odysseus (auf keinen Fall Auguste Lechner - sterbenslangweilig!) und zur Odyssee gibt es einen wunderbaren Comic von einer Schweizerin, der aus Aristophanes' Feder stammen könnte! :lache
    (Wenn ich 's finde trag ich 's nach!)
    Aber das ist ein anderes Thema! :knuddel1


    Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
    Iris

  • Als so, da sich ja schon wieder mal die Fachleute die Fachbegriffe um die Ohren hauen...!!!


    Obwohl ich kein Leser von historischen Romanen bin, habe ich mich dazu durchgerungen (und ich habe es nicht bereuht), mir den Tribun an zu tun. Bin damit auch schon eine ganze weile fertig.


    Und wie schon erwähnt, ich habe ihn von Anfang an genossen.
    Wie Iris es hinbekommen hatt, auf den ersten Seiten, eine Spannung mit den Hauptpersonen aufzubauen, alle Achtung. Ich war echt angetan davon. Genauso wenig war mir die Volterszene zu brutal, so wie die Behandlung durch Liuba (dies verfluchten alten Wörter).


    Denn was bringt es, wenn man diese Handlungen nur kurz anreist, und Friede, Freude, Eierkuchen daraus macht. Ne dass ist schon Richtig so.


    Das einzige was mich mal von unser Autorin interessieren würde, wie lange, Iris, hast du gebraucht, bist du diese Römischen Wörter, fehlerfrei geschrieben hast. Ich habe mir beim Lesen manchmal die Zunge gebrochen.



    Micha, der sich gemühtlich einen Scones hinters Zäpchen schiebt !!

    Auf dem Dachboden lebten wir vier, Christopher, Carrie, Cory und ich.
    Nur drei gehen wieder fort von hier.


    V.C. Andrews

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Fdlmich ()

  • Zitat

    Original von Fdlmich


    Denn was bringt es, wenn man diese Handlungen nur kurz anreist, und Friede, Freude, Eierkuchen daraus macht. Ne dass ist schon Richtig so.


    Hmm, nein, so meinte ich das nicht. Friede, Freude, Eierkuchen?...*staun*...nur, weil es mir etwas langatmig vorkam, was ich halt erst nicht verstand? Sorry, aber wenn nur Lobhudelei hier angesagt ist.. Iris ??? Dann kann ich hier nicht mitreden.


    Toller Roman, bestimmt sogar...voll Klasse. Dann lese ich bei den Buchbesprechungen besser nur mit...:-)


    Lieben Gruß
    Baumbart

  • Oha. Was dieses Forum von anderen unterscheidet, sind eben das Vermeiden von ständigen unsinnigen Lobhudeleien, sondern das Einsetzen von kritischen, auch selbstkritischen Beiträgen. Gerade das hat doch gerade einige Autorin bewegt, sich im Forum anzumelden und gar mitzumachen.


    Jede Meinung ist zu akzeptieren. Und eine Diskussion ist erst eine Diskussion wenn positive und negative Meinungen gegenübergestellt werden.


    Ich habe leider nichts schlechtes in Iris Buch finden können, dass ich aufzählen könnte. Natürlich sind hier und dort einige Macken, aber punkto schriftstellerische Fähigkeit und historisches Verantwortungsbewusstsein bekommt Iris von mir die Note 1, und das nicht, weil sie hier im Forum schreibt, sondern weil ich ein Liebhaber exzellenter Historischer Romane bin, die ohnehin nur noch selten sind.


    Iris:


    Zitat

    der aus Aristophanes' Feder stammen könnte!


    Für alle: Aristophanes ist quasi der Kömidiant der Komidanten. Er lebte im alten Griechenland und hat die Kömodie zu dem gemacht, was sie heute ist.
    Siehe hier:


    http://de.wikipedia.org/wiki/Aristophanes


    mfg

  • Zitat

    aber wenn nur Lobhudelei hier angesagt ist...


    Und das meinte ich nicht damit, nur Lobhudelei wäre ja das absolut falsche.


    Ich finde es nur sehr gut, dass man solche Szenen detaliert beschreibt und nicht nur anreist.


    Wie z.B. er wird auf die Streckbank gelegt und der Henker begann mir seiner Arbeit. Punkt Ende und Schluss.
    Dann kann man zwar als Leser seine Phantasie walten lassen, aber mir ist es lieber so wie Iris es geschrieben hat und das hat nichts mit Lobhudelei zu tun.



    Micha!!!

    Auf dem Dachboden lebten wir vier, Christopher, Carrie, Cory und ich.
    Nur drei gehen wieder fort von hier.


    V.C. Andrews

  • Hi Micha,


    ja genau, die Folterszene ist jene Szene, die Iris auszeichnet. Leider sind Historische Romane oft ziemlich verlogen in dieser Sache, verharmlosen und verniedlichen Szenen der Gewalt.


    Iris hat dies nicht gemacht. Damals waren die Zeiten anders - und die Methoden psychisch und physisch oftmals jenseits der menschlichen Vorstellungskraft.


    Man darf die Geschichte einfach nicht verleugnen, und darüber hinwegsehen. Das ist ein Fehler, den ausgerechnet wir Deutschen und Österreicher ständig hinterher hinken:


    Das Nicht-Klarkommen mit der Vergangenheit.


    mfg

  • Zitat

    Original von Historikus
    Oha. Was dieses Forum von anderen unterscheidet, sind eben das Vermeiden von ständigen unsinnigen Lobhudeleien, sondern das Einsetzen von kritischen, auch selbstkritischen Beiträgen. Gerade das hat doch gerade einige Autorin bewegt, sich im Forum anzumelden und gar mitzumachen.


    Jede Meinung ist zu akzeptieren. Und eine Diskussion ist erst eine Diskussion wenn positive und negative Meinungen gegenübergestellt werden.


    Dachte ich auch?...Auch von völligen Laien?


    Und was heißt schlecht? Es gibt ja nicht immer nur schwarz oder weiß...Ich schrieb ja, daß ich mich fragte, warum Iris wohl diese durchaus ja sehr gut beschriebene Quälerei von Liuba so detailliert beschrieben hat....es drängte sich mir persönlich ein wenig der Vergleich zu den "Stirb langsam"- Filmen auf eine zeitlang...nun WEISS ich ja, daß das einen Grund hatte, den ich hier nicht vorwegnehmen will.


    Nur mal so: der Roman ist da, Iris hat sehr gute Kritiken bekommen und wird gewiß wegen einer Stelle, die eine von den Büchereulen nicht so ganz nachvollziehen kann, bestimmt nicht ihr Buch nochmal ändern... :grin


    Aber seine Meinung sagen darf man doch?


    Gruß
    Baumbart

  • Es hat zwar jetzt nichts mehr mit den Buch zu tun, aber Baumbart, mich würde mal interessieren, wie kommst du auf den Vergleich zu "Stirb langsam ..."


    Das klingt fast so wie, mit absicht diese Szene so dargestellt um das Buch in die Länge zu ziehen.


    Aber Iris kann darüber bestimmt Klarheit schaffen.



    Micha !!!

    Auf dem Dachboden lebten wir vier, Christopher, Carrie, Cory und ich.
    Nur drei gehen wieder fort von hier.


    V.C. Andrews

  • Nein, um Himmels willen...wieder entweder falsch augedrückt von mir, oder falsch verstanden worden.


    Iris beschreibt bloß, daß Cinna seinen Geist unter der brutalen Folter zurückzieht...und das bleibt eben dann in der Regel auch so bei menschlichen Wesen. Man erholt sich von so etwas entweder nur ganz langsam, oder gar nicht mehr. Nachdem, was ich eben darüber weiß.


    Wenn ich "Stirb langsam" sehe, kommen mir auch immer Zweifel, wie der Protagonist überhaupt noch wieder auf die Beine kommt, daher der, gewiß schiefe Vergleich.


    Das sollte kein Angriff gegen Iris sein...um Himmels willen nicht.


    Gruß
    Baumbart

  • Hallo, ihr Lieben!


    Ähmm ... woraus, liebe Baumbart, hast du geschlossen, dass hier nur Lobhudeleien erlaubt seien? :help
    Selbstverständlich "darfst" du dich äußern, wenn dir etwas an einem Text nicht gefällt.


    Bitte fasse das Folgende nicht als "Belehrung" auf, sondern als Versuch einer Erklärung, warum ich so schreibe, wie ich schreibe. Ich habe mir nämlich auch über diesen Aspekt viele Gedanken gemacht und mich letztendlich aus natürlich völlig persönlichen Gründen für die vorliegende Form entschieden.


    Das Problem, das du anreißt, ist eine Frage der Perspektive. Ich habe eine subjektive, involvierte, personale Perspektive gewählt, d.h. lasse die Leser nachvollziehen, was Cinna wahrnimmt und wie er empfindet -- allerdings ohne jegliche Deutung oder Wertung dieser Wahrnehmungen und Gefüle, also nur die "physiologische Reaktion".
    Liubas Motivation für dessen Verhalten kann Cinna nicht kennen, und damit erfährt es auch der Leser erst zu einem Zeitpunkt, an dem Cinna es erfährt.
    Man hätte es umgehen können, wenn Liuba Cinna anfangs seine Motivationen eröffnet hätte - aber was hätte Liuba dazu motivieren sollen? Welche Veranlassung hätte er haben sollen?
    Personen, die sich gewalttätig verhalten, sind erfahrungsgemäß selbst (direkt oder indirekt Gewaltopfer gewesen oder sind es zum Zeitpunkt der Tat immer noch, aber sie sind sich dieses psychologischen Komplexes nicht bewusst! Bestenfalls in abstrakter, verallgemeinerter Form, die eine Rechtfertigung des eigenen gewalttätigen Handlens ermöglicht. Die prügelnde Mutter, die selbst geschlagen ist, zieht nicht den Schluss, dass sie abreagiert, was ihr selbst angetan wurde - der würde voraussetzen, dass sie sich dessen bewusst ist. Aber sie rechtfertigt ihre Schläge damit dass "Kinder" schlecht sind bzw. "ihr Kind" besonders schlecht ist o.Ä.


    Eine Alternative wäre die auktoriale Erzählperspektive gewesen, d.h. ein Erzähler, der über den Dingen schwebt, alles über jeden weiß und dem Leser ad hoc alle Informationen liefert, damit dieser die jeweilige Situation "richtig" einschätzen kann. Also quasi eine Erzählperspektive "ohne Geheimnisse".
    Ich persönlich mag diese Perspektive überhaupt nicht. Ein Buch muss sprachlich und erzählerisch schon sensationell gut sein, um nicht allein aus diesem Grund in die Ecke gepfeffert zu werden. Es ödet mich an, wenn ein Autor mir alles "vordenkt".
    Das ist keine objektive Wertung, sondern nur eine Frage des individuellen Geschmacks.


    Eine Erzählweise, die Cinnas Wahrnehmung der Dinge und seine Sicht als Perspektive für den Leser bietet, muss logischerweise auch die Intensität seiner Gefühle berücksichtigen. Die "Langatmigkeit" bzw. die "Wiederholung" des Leidens ist einfach eine subjektive Tatsache für die Hauptfigur. Wenn ich das quasi bagatellisiere, habe ich bei der gewählten Erzählweise doch wieder einen dieser langweiligen "tollen Kerls", die alles locker durchstehen. Genau den wollte ich nicht.


    Damit will ich deine Kritik nicht abwerten -- aus deiner Sicht ist sie sicherlich gerechtfertigt. Dies ist ja nur eine Erklärung, warum ich es so beschrieben habe, wie es dasteht.


    Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
    Iris

  • Hallo Baumbart!


    Zitat

    Original von Baumbart
    Iris beschreibt bloß, daß Cinna seinen Geist unter der brutalen Folter zurückzieht...und das bleibt eben dann in der Regel auch so bei menschlichen Wesen. Man erholt sich von so etwas entweder nur ganz langsam, oder gar nicht mehr. Nachdem, was ich eben darüber weiß.


    Das ist richtig -- allerdings zwingt der Überlebenswille (oder meinetwegen auch -trieb) dazu, eine traumatische Erfahrung zu verdrängen, sie abzukapseln, quasi eine Zyste aus Leid zu bilden, die gelegentlich überfallsartig aufplatzt. Das Motiv kommt auch vor, du wirst sehen. Er steckt traumatische Erfahrungen keineswegs locker weg, er verdrängt sie wie jeder normale Neurotiker! :grin


    Aber weil er sie verdrängt, kann ich es dem Leser auch nicht so einfach unter die Nase reiben. Die Rätsel offenbaren sich allmählich im Charakter der Hauptperson und in ihrem Verhalten - niemals in einer Deutung durch den Autor! (Das ist einfach nicht mein Ding!)


    Liebe Grüße,
    Iris

  • Zitat

    Original von Iris
    Hallo, ihr Lieben!


    Ähmm ... woraus, liebe Baumbart, hast du geschlossen, dass hier nur Lobhudeleien erlaubt seien? :help
    Selbstverständlich "darfst" du dich äußern, wenn dir etwas an einem Text nicht gefällt.


    Dachte und denke ich doch auch...:-)


    Zitat

    Bitte fasse das Folgende nicht als "Belehrung" auf, sondern als Versuch einer Erklärung, warum ich so schreibe, wie ich schreibe.


    Iris, dazu mal unter uns und von mir aus auch für alle anderen grundsätzlich: ich gehöre zu den seltsamen Personen, die sich sogar gerne belehren lassen und auch gerne etwas lernen. Also nur zu...:-)


    Zitat

    Das Problem, das du anreißt, ist eine Frage der Perspektive. Ich habe eine subjektive, involvierte, personale Perspektive gewählt, d.h. lasse die Leser nachvollziehen, was Cinna wahrnimmt und wie er empfindet -- allerdings ohne jegliche Deutung oder Wertung dieser Wahrnehmungen und Gefüle, also nur die "physiologische Reaktion".
    Liubas Motivation für dessen Verhalten kann Cinna nicht kennen, und damit erfährt es auch der Leser erst zu einem Zeitpunkt, an dem Cinna es erfährt.


    Wie schon gesagt: ich fand es nur ungewöhnlich zuerst und später erklärte sich das Ganze. Diesen Aha-Effekt fand ich sogar sehr gut gelöst von Dir. Respekt...:-)


    Zitat

    Man hätte es umgehen können, wenn Liuba Cinna anfangs seine Motivationen eröffnet hätte - aber was hätte Liuba dazu motivieren sollen? Welche Veranlassung hätte er haben sollen?
    Personen, die sich gewalttätig verhalten, sind erfahrungsgemäß selbst (direkt oder indirekt Gewaltopfer gewesen oder sind es zum Zeitpunkt der Tat immer noch, aber sie sind sich dieses psychologischen Komplexes nicht bewusst! Bestenfalls in abstrakter, verallgemeinerter Form, die eine Rechtfertigung des eigenen gewalttätigen Handlens ermöglicht. Die prügelnde Mutter, die selbst geschlagen ist, zieht nicht den Schluss, dass sie abreagiert, was ihr selbst angetan wurde - der würde voraussetzen, dass sie sich dessen bewusst ist. Aber sie rechtfertigt ihre Schläge damit dass "Kinder" schlecht sind bzw. "ihr Kind" besonders schlecht ist o.Ä.


    Kann ich nachvollziehen...:-)


    Zitat

    Eine Alternative wäre die auktoriale Erzählperspektive gewesen, d.h. ein Erzähler, der über den Dingen schwebt, alles über jeden weiß und dem Leser ad hoc alle Informationen liefert, damit dieser die jeweilige Situation "richtig" einschätzen kann. Also quasi eine Erzählperspektive "ohne Geheimnisse".
    Ich persönlich mag diese Perspektive überhaupt nicht. Ein Buch muss sprachlich und erzählerisch schon sensationell gut sein, um nicht allein aus diesem Grund in die Ecke gepfeffert zu werden. Es ödet mich an, wenn ein Autor mir alles "vordenkt".
    Das ist keine objektive Wertung, sondern nur eine Frage des individuellen Geschmacks.


    Dito! Mag ich auch nicht. Auktorial nennt man das also. Schön, etwas zu lernen. Meine ich ehrlich!



    Zitat

    Eine Erzählweise, die Cinnas Wahrnehmung der Dinge und seine Sicht als Perspektive für den Leser bietet, muss logischerweise auch die Intensität seiner Gefühle berücksichtigen. Die "Langatmigkeit" bzw. die "Wiederholung" des Leidens ist einfach eine subjektive Tatsache für die Hauptfigur. Wenn ich das quasi bagatellisiere, habe ich bei der gewählten Erzählweise doch wieder einen dieser langweiligen "tollen Kerls", die alles locker durchstehen. Genau den wollte ich nicht.


    Stimmt. Kann ich auch nachvollziehen jetzt....:-)


    Zitat

    Damit will ich deine Kritik nicht abwerten -- aus deiner Sicht ist sie sicherlich gerechtfertigt. Dies ist ja nur eine Erklärung, warum ich es so beschrieben habe, wie es dasteht.


    Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
    Iris

  • Zitat

    Original von Iris
    Hallo Baumbart!



    Das ist richtig -- allerdings zwingt der Überlebenswille (oder meinetwegen auch -trieb) dazu, eine traumatische Erfahrung zu verdrängen, sie abzukapseln, quasi eine Zyste aus Leid zu bilden, die gelegentlich überfallsartig aufplatzt. Das Motiv kommt auch vor, du wirst sehen. Er steckt traumatische Erfahrungen keineswegs locker weg, er verdrängt sie wie jeder normale Neurotiker! :grin


    Normaler Neurotiker... :grin


    Zitat

    Aber weil er sie verdrängt, kann ich es dem Leser auch nicht so einfach unter die Nase reiben. Die Rätsel offenbaren sich allmählich im Charakter der Hauptperson und in ihrem Verhalten - niemals in einer Deutung durch den Autor! (Das ist einfach nicht mein Ding!)


    Sorry, das hab ich jetzt nicht ganz verstanden, was Du damit meinst. Kannst Du das eventuell nochmal anders erklären, bitte?


    Lieben Gruß
    Baumbart


    Liebe Grüße,
    Iris [/quote]

  • Hallo,


    ich habe gerade das 4. Kapitel beendet, d.h. ich bin bis Seite 100 gekommen und muß sagen, daß mir das Buch bisher noch nicht besonders gefällt.


    Die Personen werden nicht beschrieben, es findet keine äußerliche Charakterisierung statt, außer bei den Frauen und die ist leider sehr klischeehaft und etwas trivial, so wie auch die Beziehung zwischen Cinna und Sunja, die sich, zumindest bis auf Seite 100 auf arrogante, zickige Frau und gedemütigter Mann, der nach Rache und Eroberung dürstet, beschränkt. Daher bleiben sowohl Cinna als auch alle andere Personen, die kurz am Anfang gestreift werden, sehr blutleer und schablonenhaft. Ich weiß noch nicht mal, wie Cinna aussieht, außer, daß er schwarze Haare hat.


    Was ich auch nicht so gut finde, ist die Überfrachtung mit Adjektiven, die zwar einerseits für eine gewisse Lebendigkeit sorgt, aber doch etwas zu extensiv ist. Auch zieht sich bis Seite 100 jedenfalls die Gefangennahme Cinnas ziemlich hin, ohne das besonders viel geschieht.


    Was ich gut finde und generell schätze ist historische Präzision - das ist in dem Buch gegeben.


    Ich werde weiterlesen und mal gucken, ob sich mein erster Eindruck ein wenig revidiert.

  • Hallo Baumbart!


    Zitat

    Original von Baumbart


    Sorry, das hab ich jetzt nicht ganz verstanden, was Du damit meinst. Kannst Du das eventuell nochmal anders erklären, bitte?


    Ich vermeide sogenannte deutende oder wertende Eigenschaftswörter wie "schrecklich", "grausam", "glücklich", "wütend" etc. (also Begriffe, die etwas bewerten), außer wenn es um Wertungen durch Cinna selbst geht. Er nimmt sein Gegenüber eigentlich nur von außen wahr, was darüber hinausgeht, ist "seine" Deutung bzw. Wertung, nicht "meine".


    Ich versuch 's mal mit einem Beispiel (S. 106/107):
    <...>
    Zwei Gestalten huschten näher. Das Licht einer Lampe schälte Sunjas makelloses Gesicht aus dem Schatten des Mantels. Sie hielt Saldirs Hand. »Was macht ihr hier?«
    »Da fragst du noch?«, zischte Hraban. »Hast du nicht gesehen, was Liuba treibt?«
    Sunja hob die Schultern, ließ sie wieder fallen.
    Wieder zupfte jemand an Cinnas Ärmel, diesmal sachter, und er fühlte, wie eine warme, weiche Kinderhand in seine glitt und seine Finger sanft drückte. Sie stand dicht neben ihm, blass, aber mit einem Leuchten in den Augen.
    »Ich bringe Saldir ins Dorf. Sie muss schlafen – aber nicht in dieser … Taberna!« Sunjas Daumen wies auf das Elternhaus zurück, aus dem immer noch Wellen von Geschrei und Gelächter strömten.
    »Ich will noch nicht schlafen!«, protestierte das Mädchen.
    Mit einem Seufzer drehte sich Sunja nach ihr um; Hraban grinste. »Das hättest du dir denken können.«
    »Und was machen wir jetzt?«, fragte Sunja ratlos. »In diese Taberna gehe ich heute Nacht nicht mehr.«
    Saldir ruckte an der Hand ihrer Schwester. »Was ist mit der Linde? Wir machen ein Feuer und erzählen uns Geschichten.«
    Warm presste sie Cinnas Hand, wie eine Bitte um Beistand, als er bemerkte, dass Hrabans Blick an ihm herabwanderte, verharrte, ihm wieder ins Gesicht schaute. Er spreizte die Finger, um Saldirs festen Griff zu lösen, spürte, wie sie losließ, als auf Hrabans Lippen ein feines Lächeln erschien. »Das machen wir.«
    Das letzte Wort war noch nicht ausgesprochen, als das Mädchen sich losmachte und auf die weit ausladende Linde zurannte, die neben der Koppel stand. Hraban schob Cinna vor sich her. Das Schnauben der Pferde, die Saldir geweckt hatte, begrüßte sie. Von weitem sahen sie, wie das Mädchen auf der unteren Stange des Zaunes stehend versuchte, Liubas großem Rotschimmel die Nase zu streicheln. Ein leichter Stoß traf Cinnas Schulter; er wandte sich um und sah Hrabans Grinsen. »Sie mag dich.«


    In dieser Situation habe ich versucht, die Konstellation der Geschwister untereinander zu zeigen - und darzustellen, dass Saldir wie ein Katalysator den Prozess der Integration Cinnas in die Gemeinschaft beschleunigt, während Liuba in der eigenen Familie zunehmend zum Außenseiter wird. Und dass, ohne es irgendwo zu "sagen", sondern ausschließlich durch die Schilderung des Verhaltens und das Gespräch.
    Ein einziges Mal kommt ein abstrakter Begriff für ein Gefühl vor: "Zorn", und auch der nur im Zusammenhang mit einer ziemlich rhetorischen (bildlichen) Umschreibung einer inneren Wahrnehmung Cinnas.


    Vielleicht wird jetzt klarer, was ich meine.


    Liebe Grüße
    Iris