Kleists Geschichte meiner Seele - Roman Bösch

  • Kleists Geschichte meiner Seele, Roman Bösch, Knecht Verlag, Freiburg, 2007, 362 Seiten, ISBN 978-3-7820-0901-0, 19,90 €


    Zum Autor: (lt. Klappentext)
    Roman Bösch, Jahrgang 1964, ausgebildeter Kaufmann und studierter Philosoph, lebt und arbeitet als Autor und Dozent in Zürich. Ein ungewöhnliches Schicksal, welches ihn auch zu dieser Romanbiographie inspirierte, ließ ihn gänzlich eigene Wege gehen. „Kleists Geschichte meiner Seele“ ist sein erster Roman.


    Meine Meinung:
    Über den großen deutschen Schriftsteller Heinrich von Kleist ist schon viel geschrieben worden. Das weiß auch der Autor Roman Bösch. Dennoch hat er sich die Aufgabe gestellt einen Roman über Kleist, der jenseits von Klassik und Romantik in die sogenannte Paraklassik eingeordnet wird, zu schreiben und sich dabei vor allem den tieferen Schichten des geheimnisumwitterten Wesens Kleists zu widmen.


    Als sich Heinrich von Kleist 1811 im Alter von 34 Jahren zusammen mit der krebskranken Henriette Vogel erschießt, ist dies ein ungeheurer Skandal, vor allem ist es aber der Endpunkt einer langen seelischen Auseinandersetzung und Zerrissenheit. Eigentlich war Heinrich von Kleists Weg vorgezeichnet. Als Sprössling einer alten pommerschen Adelsfamilie mit langer Militärtradition trat Kleist frühzeitig in das Garderegiment zu Potsdam ein, nahm an Militärfeldzügen teil und blieb trotz Zweifel am Soldatensein zunächst beim Militär. Mittlerweile im Dienstgrad eines Leutnant verließ Kleist 1799 auf eigenen Wunsch das Militär, um sich wissenschaftlichen Studien vor allem Mathematik, Physik, Kulturgeschichte und Latein zu widmen. Aber auch das Studium brachte ihm nicht die gewünschte Zufriedenheit. Der mittlerweile Verlobte Heinrich von Kleist brach bereits nach drei Semestern das Studium ab, und begann eine Tätigkeit als Volontär im preußischen Wirtschaftsministerium, obwohl dies so gar nicht seiner Geisteshaltung entsprach. Reisen nach Paris und Thun und die Auseinandersetzung mit Schriften der Aufklärung beeinflussten den im geistigen Wandel befindlichen Kleist, der in diesen Jahren mit dem Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ beginnt. Ab 1804 arbeitete Kleist in Königsberg als Beamter im Vorbereitungsdienst und schrieb an einigen dramatischen und erzählerischen Werken. 1806 beschloss er den Staatsdienst zu verlassen und von seinem schriftstellerischen Werk zu leben. Eine Verhaftung als Spion führte ihn zunächst in ein französisches Gefängnis und anschließend in ein französisches Kriegsgefangenenlager. Nach seiner Freilassung lernte er in Berlin und Dresden zeitgenössische Schriftsteller, Maler, Philosophen und Historiker kennen und startete einige Zeitungsprojekte. 1811 wurde sein letztes Zeitungsprojekt wegen verschärfter Zensurbestimmungen eingestellt, sein Schauspiel Prinz Homburg wurde von Friedrich Wilhelm III. mit einem Aufführungsverbot belegt und so war Kleist gezwungen in kurzer Zeit einige Erzählungen zur Absicherung seines Lebensunterhalts zu schreiben und veröffentlichen. Seine Gedanken kreisten zunehmend um den Freitod, den er mit seiner Begleiterin Henriette Vogel im November 1811 suchte und fand.


    Roman Bösch hat sich keine leichte literarische Form gesucht, um sich dem Dramatiker, Lyriker, Erzähler und Publizist, vor allem aber dem Menschen Heinrich von Kleist zu widmen: er wählte die fiktive Autobiographie, eine literarische Form, die sicherlich ideal für ein sensibles Porträt eines Menschen wie Heinrich von Kleist geschaffen ist, die aber an Autor und Leser höchste Anforderungen stellt. Auch wenn Roman Bösch sich nicht anmaßt, die Sprache des Dramatikers Heinrich von Kleist nachzuahmen, ist er zumindest gezwungen seine Sprache der damaligen Zeit und der inneren Struktur und Haltung Kleists sonderbaren Wesens anzupassen, um sein Ziel zu erfüllen und größtmögliche Authentizität zu erreichen. In seiner fiktiven Autobiographie konzentriert sich Roman Bösch nicht allein auf das Innere Heinrich von Kleists. Er setzt Kleists Erleben, Denken und Handeln notwendigerweise in den korrekten historischen Kontext und zeigt Kleist so als Menschen, der sich in einer historischen Zeitenwende orientieren muss, der seine auf der Aufklärung beruhenden Ideale neuen politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Geistes- und Gegenströmungen stellen muss, um zu einer eigenen Geisteshaltung zu finden und sich in der Gesellschaft zu positionieren. Die Tatsache, dass vieles zur Biographie Heinrich von Kleists nach wie vor unbekannt ist, erschwerte Roman Bösch sicherlich die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, andererseits gab sie ihm zweifellos auch einige Möglichkeiten hinsichtlich der inneren Ausgestaltung Kleists. Um dem Menschen Kleist auf den Grund zu gehen, stützte sich Roman Bösch auf bekannte und belegte Fakten und Verhaltensweisen, auf persönliche Äußerungen in Briefen und auf das dichterische Werk des Autors, das dessen Innerstes am unmittelbarsten vermittelt.


    Der Knecht-Verlag hat Roman Böschs fiktive Autobiographie „Kleists Geschichte meiner Seele“ als gebundenes Buch mit Leseband herausgebracht und mit hilfreichen Zusätzen wie einer zeitgenössischen Karte, einer Lebenstafel Kleists, einem detaillierten Glossar und einem ausführlichen Nachwort des Autors versehen.


    Da ich kein Kleist-Experte bin, kann ich nicht beurteilen, wie zutreffend Roman Bösch in seiner fiktiven Autobiographie den Menschen Heinrich von Kleist beschrieben hat. Dennoch ist offensichtlich, mit welchem Engagement, welcher Akribie und welcher Leidenschaft sich der Autor mit der Person Kleists beschäftigt hat. Seine Darstellung Kleists in dessen innerer Widersprüchlichkeit und Rätselhaftigkeit hat mich nachhaltig beeindruckt. Roman Böschs fiktive Autobiographie „Kleists Geschichte meiner Seele“ ist aufgrund seiner sprachlichen Gestaltung, vor allem aber wegen der charakterlichen Darstellung Kleists kein Werk, das man nebenher liest. Es fordert die Auseinandersetzung des Lesers mit dem Text, ist aber gleichzeitig eine Anregung an seine Leser sich mit dem Leben Kleists und dessen dichterischem Werk intensiver auseinander zu setzen, als es in der Schulzeit geschehen ist, und gibt gleichzeitig einen tiefen Einblick in eine Zeit des Umbruchs.

  • Tolle Rezension! Ich habe in der Schule mal ein Referat über Kleist gehalten. Traue mich kaum zu gestehen, warum ich gerade ihn gewählt habe: weil ich gesehen habe, daß er nur 16 (?) Werke geschrieben hat, ich die also alle elegant vor dem Referat lesen konnte.
    Aber, seither ist er sowas wie mein Lieblingsklassiker.
    Nicht zuletzt deshalb, aber auch wegen der schönen Rezension klingt das schon sehr reizvoll.
    Lassen wir den Zufall entscheiden, wenn mir das Buch mal irgendwo über den Weg läuft ...

  • Ich mochte Kleist in der Schule eigentlich auch sehr gerne und habe damals leichter Zugang zu Kleist gefunden als zu den Klassikern oder den Romantikern.


    Deshalb hat mich dieses Buch auch gleich angelacht. Ich werde diesem Buch mit meiner Rezi sicher in keiner Weise gerecht (daher ganz vielen Dank Grisel :sprung), zumal es wirklich einen Experten bräuchte, dieses Buch zu würdigen. Ich bin mir auch gar nicht sicher, daß ich es in Gänze verstanden habe (dazu werde ich es wohl mindestens noch einmal lesen müßte, vielleicht sogar noch öfter).


    Es ist ein Buch, für das man sich Zeit nehmen muß, das man nicht gestresst sondern wirklich in Mußestunden angehen sollte. Ich fand es aber sehr lohnend. Interessanterweise hat es mir nicht nur Lust gemacht, mal wieder etwas von Kleist aus dem Schrank zu ziehen, sondern mich auch mal wieder mit Georg Büchner und Federico Garcia Lorca zu beschäftigen.

  • Wird eigentlich auch auf seine Werke eingegangen? ZB sein Scheitern an "Robert Guiscard", das ja nur als Fragment überdauert hat? Was ich bis heute bedauere. Hätte leidenschaftlich gern das ganze gelesen. Und das eben viiiiele Jahre, ehe ich über die Staufer wieder auf die Normannen in Sizilien gestoßen bin.
    Oder, was die Ursachen waren, warum er manche Stoffe aufgegriffen hat, oder ist es eher sein Leben als Mensch und weniger als Künstler?


    Am allerliebsten mochte ich "Prinz Friedrich von Homburg" von den Dramen und "Der Zweikampf" von den Novellen.
    Und "Das Bettelweib von Locarno", weil es nur 2 Seiten lang war. So kann man auch Leselisten füllen. :lache

  • Auf seine Werke wird natürlich auch eingegangen, allerdings nicht im Sinne einer Analyse seines Werks sondern mehr seine Beziehung zu seinem Werk, Gedanken zur Rezeption seiner Werke, die Schwierigkeiten seiner Zeitungsprojekte und durchaus auch die leidige Situation seinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten und das vergleichsweise wenig. Wesentlich ist wirklich die Innensicht und der Mensch Kleist, seine Gedankenwelt, weniger die Ergebnisse Kleists als kreativ Schöpfender.


    Da es eine fiktive Autobiographie ist, wird die Frage, was die Ursachen waren, warum er manche Stoffe aufgegriffen hat und andere nicht, nicht explizit behandelt. Zum Teil läßt sich das aber natürlich auch aus seiner Innensicht ableiten oder zumindest vermuten.


    Hast Du von Kleists politischen Schriften etwas gelesen? Die kannte ich bisher gar nicht.

  • Zitat

    Original von Pelican
    Hast Du von Kleists politischen Schriften etwas gelesen? Die kannte ich bisher gar nicht.


    Nein, nur seine Werke. Für eine intensivere Beschäftigung bräuchte man dann sicher eine Biographie, aber zu der hat es mich bisher noch nie gelockt.
    Ich belasse es mal dabei, daß ich schaue, ob mir das Buch zufällig über den Weg läuft.

  • Durch die Szenen aus einem Kleistseminar aus "Der gestohlene Abend" wurde ich zusätzlich zu Pelicans Rezension für dieses Buch angefixt und es hat mich letztlich auch fast den ganzen Jänner hindurch begleitet. Der Einstieg fiel mir recht schwer. Der Roman ist zwar äußerst interessant, die anspruchsvolleren Satzkonstruktionen erfordern jedoch volle Aufmerksamkeit und so ist dieses Buch wirklich kein Buch, um es nebenbei zu lesen. Diese eingeforderten Anstrengungen lohnen sich jedoch wahrlich.


    Neben der an sich bereits interessanten Persönlichkeit Heinrich von Kleist, sind auch die historischen Entwicklungen sehr anschaulich und gut dargestellt. Einerseits wird das Gedankengut der Aufklärung greifbar, andererseits wird auch die politische Entwicklung um ein in den napoleonischen Kriegen verstricktes Europa erlebbar.


    Ein besonderes Buch. Für mich war die einzige Schwachstelle des Buches, das in der Mitte durch einen langen Briefwechsel, - wobei immer nur die Briefe von Kleist wiedergegeben werden und sich die Antworten nur teilweise aus den Erwiderungen ableiten lassen - der für mich zu einigen Längen geführt hat.


    Der Knecht Verlag stellt auf seiner Homepage eine kostenlose E-Book-Fassung des Buches zur Verfügung.