Schon heftig, wie sehr sich alle einig sind, die Ranald Guthrie gekannt haben: Dass der Mann tot ist, macht die Welt zu einem sehr viel angenehmeren Ort. Doch wie ist der Alte gestorben? Der erste Anschein, Selbstmord in der Weihnachtsnacht durch einen Sprung vom höchsten Turm seiner Burg in die Tiefe, trügt allzu offenkundig. Verschiedene Detektive - nur einer unter ihnen Profi - gehen dieser Frage nach, vor allem, als der vermeintliche Selbstmord als Mord behandelt und ein Unschuldiger verdächtigt wird.
Als ich beim Stöbern eine Büchereulen-Hommage an Dr. Fell las, hab ich mich daran erinnert, wie viel Freude ich einst an Dumont's Kriminalbibliothek hatte. Und „Klagelied auf einen Dichter“ ist eines meiner Lieblingsstücke in dieser Kollektion.
Die Ermittlungen zu diesem abenteuerlich absurden Fall in den schottischen Highlands gestalten sich einigermaßen schwierig; immer wenn sich eine Lösung abzeichnet, taucht ein völlig aberwitziges Puzzleteilchen auf - vom abgeschnittenen Finger über die rätselhafte Wintersportausrüstung und den Eulenruf bis hin zu dressierten Ratten - das beim allerbesten Willen nicht ins Bild passen will und eine ganz andere Lösung erzwingt. Die Ratten sind wirklich wichtig. Das steht im Klappentext, der US-Titel ist „The Learned Rats", und trotzdem kommt die allerletzte Wendung überraschend.
Auch die Rahmenbedingungen haben es in sich: Ein abgelegenes , verwahrlostes Schloss, nach heftigem Schneefall auch noch abgeschnitten von der Welt, allgegenwärtiger Irrsinn, ein krankhaft geiziger Schlossherr, der plötzlich verschwenderisch auftischen lässt, ein Schurken-Hausmeister, ein bemitleidenswertes Mündel und ihr unmöglicher Lover, halb verhungerte, rasende Hunde – in einer solchen Umgebung scheint alles möglich.
Die Detektive, unter anderem ein gelehrter Schuster, dessen Liebe zu den Highlands aus jeder Zeile spricht, und ein schlauer Rechtsanwalt aus Edinburgh, der den Vorfall untersuchen soll, kommen selbst zu Wort. Sie ahnen Brüche und Abgründe, wo andere sich von Aberglauben oder allzu Offenkundigem leiten lassen. Aber erst der Serienheld, Scotland Yard-Inspekor Appelby, lässt sich schließlich vom Klagelied auf einen Dichter leiten (timor mortis conturbat me), das auch den Lesern bald nicht mehr aus dem Kopf geht - und von Lösung zu Lösung führt, bis das Verbrechen tatsächlich aufgeklärt ist. Hat mir ein paar wirklich schöne Stunden geschenkt. Viel Spaß!
Der Autor heißt eigentlich John Innes Mackintosh Stewart und wurde 1906 geboren. Er studierte unter anderem in Oxford Englische Literatur. Er reiste viel, hörte in Wien Vorlesungen in Psychoanalytik, und erarbeitete sich durch die Übersetzung der Essays des französischen Moralisten Michel de Montaigne einen Literaturpreis. 1930 fand er Arbeit als Lektor, heiratete und lehrte dann von 1935 an zehn Jahre in Adelaide in Australien – nicht ganz unwichtig für das „Klagelied“, lernte er dort doch die großen Pionier-Mythen kennen. Erst nach dem zweiten Weltkrieg kehrte er nach England zurück und lehrte bis 1973 in Oxford. Seit 1936 schrieb er Kriminalgeschichten, unter Pseudonym, denn für einen Gelehrten war derart profanes Tun indiskutabel. Eine seiner erfolgreichsten Reihen schildert die Abenteuer von Inspector John Appleby, einem „Gentleman-Ermittler der alten Schule“. Die meisten seiner Romane nehmen ihre Handlung und vor allem die Auflösung nicht sonderlich ernst, wohl aber die handelnden Personen; seine Sprache, die klassischen Zitate und nicht zuletzt die ihm eigene Poesie sind die eigentlichen Gründe, dieses Buch zu lesen.
(ISBN-Nummer fehlte)