Fast ein bisschen Frühling - Alex Capus

  • Irgendwie war mir so, als hätte ich den Tipp von den Eulen, aber ich habe keine Rezension gefunden - allerdings diesen Zwischenbericht von keinkomma (:wave), der mich damals neugierig gemacht hat ;-)


    Kurzbeschreibung:
    Zwei arbeitslose Burschen, Kurt Sandweg und Waldemar Velte, suchten im Winter 1933 den Seeweg von Wuppertal nach Indien. Um sich das Reisegeld zu beschaffen, überfielen sie eine Bank, wobei sie versehentlich den Filialleiter erschossen. Auf der Flucht vor ihren Verfolgern kamen sie nicht sehr weit: In Basel verliebte Kurt Sandweg sich in die Schallplatten-Verkäuferin Dorly Schupp. Tag für Tag kauften er und sein Freund eine Tango-Platte, bis das Geld aufgebraucht war und der nächste Banküberfall nötig wurde. Abend für Abend gingen die drei am Rhein spazieren. Mit von der Partie war die junge Sportartikelverkäuferin Marie Stifter, die dreißig Jahre später die Großmutter des Erzählers wurde und die sich entscheiden musste zwischen einem Bankräuber und ihrem Verlobten.


    Über den Autor:
    Alex Capus, geboren 1961 in Frankreich, studierte Geschichte und Philosophie in Basel. Er arbeitete als Journalist bei verschiedenen Schweizer Tageszeitungen, davon vier Jahre als Inlandsredakteur bei der Schweizerischen Depeschenagentur SDA in Bern. Er lebt heute als freier Schriftsteller in Olten, Schweiz.


    Meine Meinung:
    „Fast ein bisschen Frühling“ ist es in Basel im Winter 1934, als die beiden deutschen Bankräuber Kurt Sandweg und Waldemar Velte hier auf der Flucht stranden und sich verlieben. So unterschiedlich die beiden sind, so unglaublich ist ihre Situation, fast vergleichbar mit dem zeitgleich in Amerika agierenden Gangsterpärchen Bonnie und Clyde. Und ähnlich wie bei diesen beiden sympathisiert man mit den Bankräubern und ist zugleich aber abgestoßen von deren Brutalität. Alex Capus gelingt es auf knapp 160 Seiten ein derart authentisches Bild der Figuren und vor allem des politischen und gesellschaftlichen Hintergrunds zu malen, dass es eine wahre Freude ist, ihm zu folgen. Als Erzähler fungiert der Enkelsohn der Frau, die zusammen mit der Schallplattenverkäuferin Dorly und den beiden Männern zwei schöne Abende am Rhein verbringt. Auch wenn das Hauptaugenmerk auf den Ereignissen vor über 70 Jahren liegt, so werden doch immer wieder einzelne Episoden aus der Gegenwart bzw. näheren Vergangenheit eingeblendet, mit denen der Leser ein noch umfassenderes Bild der beiden Figuren und vor allem deren Leben erhält.


    Diese Geschichte, die aus den Zusammenfassungen des Erzählers, aber auch Zeitungsberichten und Zeugenaussagen besteht, sprüht trotz aller Dramatik vor Witz - die Figuren und Ereignisse pendeln zwischen düsterer Realität und absurder Skurrilität und nicht selten bleibt einem das Lachen im Halse stecken oder das Stirnrunzeln wird von einem Schmunzeln verscheucht. Und wenn der Erzähler am Ende der Geschichte berichtet, was aus den Beteiligten später geworden ist, ist dies der gelungene Abschluss eines kleinen feinen Romans, den ich all denen bedenkenlos weiterempfehlen kann, die besondere Geschichten zu schätzen wissen.


    Von mir 9 Punkte! :-]




    P.S. Bei einer kleinen anschließenden Recherche habe ich diesen Link (BITTE NICHT lesen, wenn ihr das Buch noch lesen wollt, da hier das Ende verraten wird!!) aus dem Stadt-Archiv Basel entdeckt, wo es offenbar eine Akte zu dem Fall geben soll :wow Da würde ich ja zu gerne einmal drin blättern!


    Und jetzt gehe ich mal auf die Suche nach weiteren Büchern von Alex Capus :-]

  • Vielen Dank für die Rezension milla.
    Auch ich bin gerade auf der Suche nach weiteren Büchern von Alex Capus.
    Vielleicht lese ich nun "Fast ein bisschen Frühling" als nächstes.


    Auch "Reisen im Licht der Sterne" (ein Roman über R.L.Stevenson) soll sehr gut sein.


    Ich habe soeben "Munzinger Pascha" fertig gelesen, werde ich gleich mal rezensieren.

  • Dieses Büchlein fand gestern seinen Weg zu mir, und heute hab ich's durch. 10 Punkte. :wow


    Wäre es ein Krimi, hätte ich irgendwann gemeckert "Muss es da wirklich so viele Tote geben? :fetch" Es ist aber kein Krimi, es ist eine authentische Geschichte, die der Autor sorgfältig recherchiert hat und mit vielen Zitaten aus Polizeiberichten, Zeitungsartikeln etc. belegt. Dazu spinnt er sehr lebensecht und greifbar, aber kein bisschen kitschig, sondern geradezu nüchtern-realistisch und dank kleiner lakonischer Miniaturen äußerst lesbar die eine oder andere Liebesgeschichte.


    Die vielen Toten hat es tatsächlich gegeben. Die beiden deutschen Bankräuber kannten keine Skrupel, und man ist entsetzt ob der Brutalität, die im Laufe der Geschichte immer größer wird. Man mag sie aber dennoch nicht pauschal als Mörder verdammen, denn sie sind einem zuvor einfach sympatisch geworden in ihrem Werben um die beiden Verkäuferinnen, und man hat ohnehin Verständnis dafür, dass sie 1933 nichts Eiligeres zu tun hatten als aus Deutschland zu verschwinden.


    Hervorragend, die Verbindung aus erzählter Handlung und eingestreuten Dokumenten/Erläuterungen. Die Polizeiberichte, Auszüge aus Verhörprotokollen etc. machen den Text dabei kein bisschen trocken, sondern vielmehr erst recht farbig, zumal gelegentlich einfach auch ein kleiner leichtfüßiger Exkurs über deutsche Motorräder oder teure französische Autos eingestreut wird.


    Mir hat natürlich der Basler Lokalkolorit ganz besonders gefallen, denn ich sah die Tramhaltestellen vor mir, an denen sie im Regen aufeinander warteten, die Straßen, durch die sie zum Bahnhof eilten, um den letzten Zug noch zu erwischen, die Straßenecken, um die die stets gut gekleideten und scheinbar über jeden Verdacht erhabenen Mörder scheinbar arglos bogen. Im "Globus" gibt es heute keine Schallplattenabteilung mehr, aber Sportartikel-Sonderangebote lassen sich auch heute noch finden.


    Aber auch wer Basel nicht kennt, wird bestimmt von der Atmosphäre des Buchs gefangengenommen und wird hin und her schwanken zwischen Sympathie für die beiden netten jungen Männer und Entsetzen angesichts der sich entfaltenden Schreckenstaten. Warum und weshalb alles so gekommen ist - es bleibt trotz aller Erklärungen offen und lässt sich vielleicht auch gar nicht nachvollziehen, ohne die ganze Situation der damaligen Zeit zu berücksichtigen.


    Geschickt gemacht auch die (vermutlich größtenteils erfundene?) Geschichte der Großeltern des Erzählers; es ist keine rosarot-romantische Liebesgeschichte, sondern sie hat ihre Ecken und Kanten und Bitterkeiten und ergänzt darum sehr gut die grausame Geschichte der beiden deutschen Bankräuber.


    Fantastisches Buch. Es liest sich leicht, wie eine Reportage, aber wie eine sprachlich sehr liebevoll gemachte, man hat es schnell durch, es erzählt eine abgeschlossene Geschichte, es ist spannend, es ist verstörend, und irgendwie ist es trotzdem versöhnlich und ein klein bisschen humorvoll.


    Ich werde nach weiteren Büchern des Autors Ausschau halten, aber ich vermute ganz stark, dass dieses einzigartig ist.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Ich habe das Buch „Fast ein bißchen Frühling“ als Unterwegs-Taschenbuch gelesen, d.h. immer nur ein paar Seiten am Stück.


    Ich habe es genauso genossen wie „Eine Frage der Zeit“. Es war nicht so, dass ich die Geschichte überragend spannend fand, aber der Stil wie sie erzählt wurde, traf ganz meinen Geschmack. Die Personen waren mir sehr nah – die Handlung dadurch sehr berührend.


    Mal sehen, welche Bücher von Capus sich noch zu lesen lohnen.

  • Fast ein bisschen Frühling – Alex Capus


    Meine Meinung:
    Alex Capus wählt für diese Geschichte einen teilweise dokumentarischen Stil und ist dabei überraschenderweise keineswegs zu sachlich. Aber er schafft dadurch eine Distanz zu den Hauptfiguren. Dabei handelt es sich um zwei junge bewaffnete Bankräuber aus Deutschland, die bei Auseinandersetzung mit Wachpersonal und Polizisten auch nicht scheuen, Gewalt anzuwenden. Einige Leichen bleiben zurück. In Basel lernen sie 2 Frauen kennen, ohne sich als Kriminelle erkennen zu geben. Die Beziehungen gestalten sich unterschiedlich, werden aber bald durch neue Gewalttaten zerstört.


    Eine der wichtigsten Hauptfiguren des Romans ist die Zeit, in der die Geschichte handelt. 1933 ist eine so üble Zeit, dass die deutschen Bankräuber sogar positive Züge gewinnen, da sie sich als Arbeitslose nicht den Nazis angeschlossen haben, sondern einen eigenen Weg wählten.


    Nicht umsonst gibt es Anspielungen mit Zeitungsartikeln auf das amerikanische Duo Bonnie und Clyde. Doch hier ist es ein männliches Team, die zwar gegensätzliche Typen sind, aber doch eine geschlossene Einheit bilden.


    Capus hat eigentlich ein gutes Buch geschaffen, aber seinen halbdokumentarischen Stil verfeinerte er in späteren Romanen mehr, insbesondere in „Eine Frage der Zeit“, der ebenfalls eine vergangene Zeit beleuchtet, aber eine deutlich größere Komplexität aufweist sowie die Charaktere besser gestaltet.
    In „Fast ein bißchen Frühling“ war er anscheinend stilistisch noch nicht so weit, denn insgesamt bleiben die Figuren ohne größeres Profil, wodurch sie dem Leser über weite Strecken gleichgültig bleiben.
    Aber es gibt genügend gute Ansätze, die auch dieses Buch lesenwert machen!