'Von Mäusen und Menschen' - Kapitel IV - VI

  • Zitat

    Original von Paradise Lost
    Zur Sprache ist mir noch etwas aufgefallen. Obwohl die Personen ja durchweg einen recht ungeschliffenen Sprachstil pflegen, tauchen immer wieder Wörter auf, die so gar nicht zu diesem Sprachstil passen wollen. Lennie zum Beispiel benutzt recht häufig die Wörter "Gewiß" und "Wahrhaftig!";


    Mir ist vor allem immer wieder der Ausdruck "nice fella" und "Well, I ain't" aufgefallen.

    Zitat

    Original von Paradise Lost
    George sagt, als Candy ihm Curleys tote Frau zeigt (in meiner Ausgabe S. 100): "Mich dünkt, ich wußte, wir würden's nie schaffen." Das klingt doch sehr merkwürdig. Redet so ein Landarbeiter? Mich würde interessieren, was dort in der englische Ausgabe steht.


    Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es diese Stelle ist, in meiner Ausgabe steht das hier:
    "George said softly: "-I think I knowed from the very first. I think I knowed we'd never do her. He usta like to hear about it so much I got to thinking maybe we would."


  • Das sind interessante Aspekte.


    Am Anfang des Buches dachte ich, dass George seine Freundschaft zu Lennie dazu benutzt, sich aufzuspielen. Gegenüber Lennie ist er der Boss, Lennie ist wohl der einzige, der sich von George etwas sagen lässt.


    Aber auf der andeen Seite übernimmt George die große Verantwortung für George. Das ist eine große und schwere Sache, die ihm hoch anzurechnen ist, daher sehe ich schon einen sehr großen Teil Freundschaft in ihrer Beziehung.


    Aber nachdem Lennie getötet hat, kann George ihn auch nicht wirksam beschützen. Ich glaube schon, dass George Lennie nur tötete, um ihn vor Curlys Untaten zu beschützen oder um ihn vor dem Einspeeren zu bewahren. Das wäre für Lennie kein Leben!
    Unwohl ist mir die Lösung auch und die Frage, ob sie doch hätten fliehen können, ist eine neue Sichtweise, die ich mir fast wünsche würde.
    Aber John Steinbeck hatte schon aus dramaturgischen Gründen keine andere Wahl, als den Roman so enden zu lassen. Nur so bleibt eine große Wirkung.

  • Zitat

    Original von Patricia_k34
    Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es diese Stelle ist, in meiner Ausgabe steht das hier:
    "George said softly: "-I think I knowed from the very first. I think I knowed we'd never do her. He usta like to hear about it so much I got to thinking maybe we would."


    Ja, das ist die Stelle, danke Patricia. Also aus "I think" "Mich dünkt" zu machen ist schon arg gestelzt übersetzt, noch dazu, wo es um einen Landarbeiter mit Slang geht. Find ich nicht wirklich gut.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda


  • Da läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter.... :-(


    Danke für den Link, dyke!

  • Zitat

    Original von milla


    Da läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter.... :-(


    Danke für den Link, dyke!


    Allerdings. :yikes Unglaublich wie da geradezu ein "Sport" draus gemacht wurde und die Trophäen gesammelt.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Zitat

    Original von dyke


    Wie kommst Du darauf?
    Nur weil Crooks Bücher in seinem Refugium hat?


    Mag sein, das liegt an der Übersetzung- aber Crooks spricht am saubersten und kultiviertestem (z.B. spricht er von "Morgen", wenn die anderen "Acker" sagen.

    Zitat

    Original von dyke
    Alle, außer Lennie wahrscheinlich, können Lesen und Schreiben. Allerdings werden Wanderarbeiter wohl kaum kleine Bibliotheken mit sich herumschleppen.


    Sie lesen Heftchenromane- keine Bücher.


    Zitat

    Original von dyke
    Crooks ist ein Nigger, er ist ausgeschlossen, er darf nicht mit den anderen in einem Raum sein, er wird von den Weißen, außer beim Hufeisenwerfen, gemieden. Er ist letztendlich nur geduldet, so lange er durch seine Arbeit wertvoll ist. Aber er ist nichts wert. Sein Rückzug, als in Curleys Frau zurechtweist, beweist, dass er sich seiner „Wertlosigkeit“ bewusst ist. Einen Nigger hängen, war damals eine kleine Straftat, wenn überhaupt.
    Er arbeitet schon lange, also sammelt sich einiges bei ihm an. Auch Bücher, denn sie sind seine einzigen „Ansprechpartner“. Was das für Bücher sind, ob Unterhaltungsromane oder Literatur, bleibt offen.


    Das finde ich heftig spekuliert- Steinbeck beschreibt, das und was er aus den Büchern reflektiert- und genau diese Fähigkeit meine ich auch mit Bildung


    Zitat

    Original von dyke
    Vielleicht sind es auch nur von Wanderarbeiter zurückgelassene Exemplare, denn viel Lohn, wenn überhaupt, dürfte er als „Nigger“ nicht bekommen haben.


    Jetzt wird es reine Spekulation- er war scliesslich sehr wichtiger Spezialist auf dem Hof.


    Zitat

    Original von dyke
    Ich weiß nicht welche Intension John Steinbeck mit seinem Roman verfolgte. Aber er schildert in einer kleinen Episode eindrücklich ein Leben, eine Lebensweise, eine Realität, die das „reiche“ Amerika gern ausgeblendet hätte.


    Das reiche Amerika war generell nicht sehr reich in dieser Zeit.

  • beowulf .


    Möglicherweise liegt einiges an unserer unterschiedliche Sichtweise an der Übersetzung. Das kann ich nicht beurteilen. Vielleicht hilft einer der „native“ Leser hier aus.


    Zitat

    Original von beowulf


    Mag sein, das liegt an der Übersetzung- aber Crooks spricht am saubersten und kultiviertestem (z.B. spricht er von "Morgen", wenn die anderen "Acker" sagen.


    Das Thema „Morgen“ und Acker“ wurde schon im anderen Fred ausgiebig behandelt. Es ist schlicht ein Übersetzungsfehler von Frau Rotten.
    In meiner Übersetzung spricht Crooks auch nicht anders als die anderen. Aber Klärung bringt hier wohl nur der Originaltext.


    Zitat

    Original von dyke


    Sie lesen Heftchenromane- keine Bücher.


    Das halte ich für eine Spekulation. Die Arbeiter lesen mit Vorliebe keine „Heftchen“ sondern bei mir „Wildwest-Zeitschriften“, deren Inhalt sie bespötteln, obschon sie insgeheim daran glauben. Übrigens wurden die ersten Taschenbücher in den USA erst 1939 gedruckt (in England 1935).


    Zitat

    Original von dyke


    Das finde ich heftig spekuliert- Steinbeck beschreibt, das und was er aus den Büchern reflektiert- und genau diese Fähigkeit meine ich auch mit Bildung.


    Dazu einige Teststellen aus denen ich das abgeleitet habe:


    Zur Bibliothek von Crooks:
    Er hatte auch Bücher: ein abgegriffenes Wörterbuch und ein zerfetztes Exemplar des Bürgerlichen Gesetzbuches für Kalifornien vom Jahre 1905. Zerlesene Zeitschriften und ein paar verschmutzte Bücher standen auf einer besonderen Leiste über dem Bett.


    Mich will man in der Baracke nicht haben, und ich will dich in meiner Stube nicht haben - Warum will man dich nicht haben? - Weil ich schwarz bin. Die spielen dort Karten, aber ich darf nicht mitspielen, weil ich schwarz bin. Sie sagen ich stinke.


    Und jetzt hier auf der Ranch ist nicht ein einziger Farbiger, und in Soldedad auch nur eine Familie. Wenn ich was sage, tja, dann ist's ja bloß ein Nigger, der's gesagt hat.


    Wenn du nicht in die Baracke gehen und Rummy spielen dürftest, weil du schwarz wärst. Wie tät dir das gefallen? Wenn du hier draußen allein sitzen und Bücher lesen müßtest. Bis zum Abend könntest du ja beim Hufeisenspiel mitmachen, aber dann müßtest du Bücher lesen. Mit Büchern ist's auch nicht getan. Ein Mensch braucht jemand... einen, der bei ihm, ist.


    Nicht nur diese Stellen, Diese ganze Sequenz zeigt seine nicht gewollte, ihm verordnete Einsamkeit. Ich sehe keinen Ansatz dafür, dass er Bücher reflektiert.


    Zitat

    Original von dyke


    Jetzt wird es reine Spekulation- er war scliesslich sehr wichtiger Spezialist auf dem Hof.


    Wenn man sich einmal mit der Rolle der Afroamerikaner in den USA befasst, ist es keine Spekultaion sondern hohe Wahrscheinlichkeit.
    Hierzu zwei links zu wkipedia
    Afroamerikaner
    Gesetz gegen Lynchjustiz
    Bestimmt gibt es dazu jede Menge weiterer Informationen.
    Und zum wichtigen Spezialisten:
    Curleys Frau zu Crooks:
    Na, dann nimm dir nichts heraus, Nigger. Es kostet mich so wenig Mühe, dich an einen Baum hängen zu lassen, daß es nicht einmal ein Spaß wäre.
    Und leider entspricht das den damaligen Gegebenheiten. Dank Crooks "Spezialistentum" darf, trotz seiner Verkrüppelung, auf der Ranch leben. Und wenn er soviel Lohn bekäme, wie Du andeutest, warum bittet er darum bei dem Traum mitmachen zu dürfen, umsonst zu arbeiten. Er könntem sich doch mit einkaufen, wie Candy.


    Übrigens ist für mich die Szene nach der Zurechtweisung Crooks durch Curleys Frau eine der eindringlichsten im ganzen Roman. Selten habe ich so kurz und intensiv das vorherrschende Lebensgefühl der Farbigen in der damaligen Zeit geschildert gelesen:


    Es war sozudagen nichts mehr von ihm vorhanden: keine Persönlichkeit, kein Ichbewußtsein, nichts, was noch Gefallen oder Mißfallen erregen konnte.


    Zitat

    Original von dyke


    Das reiche Amerika war generell nicht sehr reich in dieser Zeit.


    Gegen heute wohl, aber damals trotz der "Großen Depression" eines der reichsten Länder, wenn nciht sogar das reichste
    Vielelicht gefällt Dir


    die die Ober- und Mittelschicht der USA


    besser.


    Dyke, den das Buch immer noch nicht losläßt.

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

  • Ein berührendes Buch - man weiss von Anfang an, dass es kein gutes Ende nehmen kann.


    Ich kann die Entscheidung von George nachvollziehen, er hat Lennie vor einem viel qualvolleren Ende bewahrt.
    Berührend die Darstellung der Träume und Wünsche der Männer in ihrer Einfachheit und doch so viel aussagend.
    Selbst alte, desillusionierte Männer wie Candy und Crooks waren bereit, auf den Zug der Hoffnung aufzuspringen.


    Für mich ein Meisterwerk und ganz sicher nicht das letzte Buch von John Steinbeck. :anbet


    Deshalb natürlich uneingeschränkte 10 Punkte von mir.

  • Ist eigentlich jemand aufgefallen, dass ohne die Szene mit der Tötung des Hundes das Ende ein anderes gewesen wäre ?


    Dann nur dadurch hat George gewußt, das Carlson eine Luger in seinem Gepäck versteckt hat und wohin er schießen muß, um schnell und wenig schmerzhaft zu töten.

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

  • Ich habe das Buch gerade beendet und bin hin und weg, so daß mir noch die richtigen Worte fehlen. Ich lese nun erstmal eure Kommentare durch und werde dann noch eine abschließende Meinung schreiben.


    Aber eins ist mir jetzt schon klar. Dies ist eines der besten und bewegendsten Bücher, die ich je gelesen habe.

  • Gestern Nacht habe ich es nun auch beendet. Im Prinzip kannte ich es ja schon durch das Theaterstück, aber es zu lesen hat natürlich nochmal eine ganz andere Qualität.
    Eigentlich habe ich Euren Kommentaren nichts mehr hinzuzufügen, möchte Euch aber noch gerne auf die Bedeutung des Titels aufmerksam machen:
    Steinbeck hat ihn aus einem Gedicht von Robert Burns übernommen. Die Zeile lautet: "The best laid schemes o' mice an' men / Gang aft agley", was soviel bedeutet wie "Die am besten durchdachten Pläne von Mäusen und Menschen schlagen oft fehl".
    Der englische Wikipedia-Artikel zu dem Buch ist recht interessant, so hat Steinbeck offensichtlich in seiner Jugend selbst als Farmarbeiter gearbeitet.

    :lesendR.F. Kuang: Babel


    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)

  • Bin ich wirklich die einzige, die Lennie gegenüber etwas anderes als Mitgefühl empfindet? Furcht Scheinbar hat niemand die Tötungsszene aus der Sicht der Frau betrachtet. Sie kann doch tun, was sie will: Schreien, nicht schreien etc. die Wahrscheinlichkeit, dass er es schafft, sie nicht zu töten, ist verdammt gering. Ich hätte den allergrößten Bammel vor jemandem, der mich umbringen könnte, weil er nicht merkt, was er tut.


    Mir kam sein Gemüt nicht einfach kindlich, sondern gefährlich vor. Allein schon die Szene bei Crooks, in der Lennie aufsteht und ihm bedrohlich näher kommt. Ich finde nicht, dass das die Reaktion eines Kindes ist.

  • Zitat

    Original von JASS
    Allein schon die Szene bei Crooks, in der Lennie aufsteht und ihm bedrohlich näher kommt. Ich finde nicht, dass das die Reaktion eines Kindes ist.


    Doch, gerade da kommt er mir wie ein Kind vor. Hast Du dir schon mal überlegt was ein kleines Kind alles anrichten würde, wenn es so stark wäre wie ein Erwachsener? Die Sorte die beisst und mit aller Kraft um sich schlägt wenn etwas nicht nach ihrem Willen geht? Es fehlen einfach noch die richtigen Vorstellungen von Moral und die Fähigkeit sich selbst einzuschätzen.


    Ich kann aber gut nachvollziehen, dass Du dabei nicht (nur) Mitleid sondern vor allem Furcht empfindest. In erster Linie ist Lennie eine Bedrohung. Sowohl für sich selbst als auch für andere und er bräuchte wirklich ständige Bewachung. Aber das kann George einfach nicht gewährleisten.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Das stimmt natürlich auch, was du sagst. Daher ist es ja so wichtig, dass Kinder den Umgang mit andern Lernen, bevor sie groß und stark genug sind, eine "Bedrohung" zu werden. Wenn ich da an "Die Super Nanny" Videos denke, die so im Internet kursieren... nen Kind mit ner Schere in der Hand aufzuhalten geht meist noch irgendwie... aber so etwa ab dem Jugendalter wird das kritisch.