Aggressionen gegen geistig Behinderte

  • Ich kann es nicht erklären, weiss auch nicht, ob dies der richtige Ort ist, aber ich habe seit Jahren Probleme mit geistig Behinderten umzugehen, mit ihnen zu sprechen, in ihrer Nähe zu sein oder mich gar von ihnen anfassen zu lassen.


    Ich fühle eine latente Aggression in mir aufsteigen und es fällt mir schwer diese zu verstecken und ich denke, ich hatte bisher Glück, dass ich sie noch nicht ausgelebt habe.


    Ich kann es nicht wirklich rational erklären und bei körperlich Behinderten oder sonstigen Menschen passiert mir das normalerweise nicht.


    Geht es irgendwem ähnlich?
    Irgendeine Idee, diese Aggressionen abzubauen?

  • Hallo Oryx,


    Du hast in Deinem Beitrag jetzt nicht geschrieben, welche Art der geistigen Behinderung bei Menschen Dich genau dazu bringt, Deiner Meinung nach aggressiv macht und wie genau sich dann die Agressionen Deinerseits bemerkbar machen?


    Zumindest schreibst Du ja latent, also wirst Du ja nicht wirklich aggressiv.


    Ich bin natürlich kein Psychologe, würde aber sofort vermuten, daß sich die eigene Hilflosigkeit im Umgang gegenüber geistig behinderten Menschen so äußert...und Du eigentlich böse oder aggressiv gegen Dich selbst bist, weil Du die Reaktionen, die gesamte Verhaltensweise dieser Menschen nicht so einschätzen kannst, wie man es bei sogenannten normal reagierenden Menschen meint zu können.


    Um zu verdeutlichen, was ich meine: die Körpersprache dieser Menschen ist ja auch oft anders bzw. überhaupt nicht berechenbar - eben außerhalb der Norm....und ich würde sagen, daß Du und auch bestimmt viele andere dadurch eher verunsichert sind.


    Auf Situationen, die ein Mensch nicht überblickt, nicht gut einschätzen kann, reagiert homo sapiens ganz archaisch wie alle Tiere nur auf zwei Arten: Angriff oder Flucht.


    Da ich nicht davon ausgehe, daß Du einen schwächeren und hilflosen Menschen angreifen würdest, Du andererseits aber auch nicht fliehen möchtest...denn diese Menschen rufen ja eher in Dir gewiß auch den Beschützerinstinkt hervor....reagierst Du für Dich gesehen aggressiv bzw. fühlst, wie Du ja schreibst, eben diese latente Aggression in Dir aufsteigen.


    Was man dagegen machen kann?


    Wahrscheinlich auch wieder nur zwei Möglichkeiten: bewußt solche Menschen meiden, weil Du merkst, DASS Du damit eigentlich nicht umgehen möchtest. By the way: sollte das der Fall sein bei eingehender Selbstanalyse...solltest Du nicht unbedingt böse auf Dich selbst sein. Oryx, kein Mensch kann alles ertragen oder mittragen....:-)


    Oder daran arbeiten, was heißen würde, daß Du eventuell freiwillig in einer Einrichtung für geistig Behinderte eine zeitlang mithilfst, um Berührungsängste Deinerseits abzubauen und für Dich selbst zu einem besseren Verständnis für diese Menschen zu kommen.


    Hoffentlich haben Dir meine etwas laienhaften Ausführungen ein wenig geholfen?


    Gruß
    Baumbart

  • Hi Baumbart,


    ich war tatsächlich mal als Praktikant in einem Camphill, also einer Einrichtung für Behinderte, gleich welcher Art. Davor waren mir geistig Behinderte schon unangenehm, aber mir eigentlich egal, weil ich keinen Kontakt mit ihnen haben musste. Ich bin nach nicht einmal einer Woche krank geworden, d.h. mit richtig hohem Fieber, weil ich mich unwohl fühlte und während ich mich hervorragend mit einem Mädchen mit Glasknochen unterhalten und Zeit verbringen konnte, hätte ich die mit Down Syndrom, Spastiker, etc. nach kürzerster Zeit gegen die Wand schlagen können.


    Ich halte sie tatsächlich für unberechenbar und habe auch erlebt, wie selbst "harmlose" Mongolide andere in die Backe bissen oder einem Jungen Teller über den Kopf schlugen. Ich bin auch 2mal von ihnen urplötzlich hart angefasst worden und wusste auch nicht, ob ich mich wehren sollte und ob dann die Situation nicht noch weiter eskalieren würde.


    Heute reicht es nur in der Nähe der Nichte einer Freundin zu sein, und ich versuche immer Treffen zu vermeiden, wenn sie ihre Familie dabei hat. Gestern habe ich den mongoliden Sohn der Zeitungsverkäuferin nur gesehen und ich bin den Leuten weiträumig aus dem Weg gegangen.


    Ich denke nicht, dass ich einen Beschützerinstinkt gegenüber diesen Menschen habe, sondern eher das Gegenteil.

  • Guten Morgen Oryx,


    oha, schlimmer als ich dachte.


    Danke Dir, daß Du noch mehr Informationen zu dem Thema, daß Dich doch stark beschäftigt - vermutlich ja dadurch wieder, daß jemand in Deiner direkten Nähe (Nichte) von einer geistigen Behinderung betroffen ist und man da eben nicht so einfach ausweichen kann, geliefert hast.


    Ich hoffe sehr, Du verstehst mich jetzt nicht falsch, wenn ich Dir dringend raten würde:


    Oryx, laß es bleiben, weiche ruhig aus in Abstimmung mit den Eltern Deiner Nichte und mache Dir keine Vorwürfe, daß Du mit geistig behinderten Menschen nicht umgehen kannst. Du weißt ja schon aus Erfahrungen, die Du gesammelt hast, daß es Dich sogar KRANK macht. Was Dich krank macht, kann nicht gut sein - für Dich nicht und für andere auch nicht!


    Wie gesagt: kein Mensch muß alles können und fähig sein, das gesamte Elend der Menschheit auf seinen Schultern zu tragen.


    Ein ganz persönliches Beispiel von mir selbst: meine Söhne sind jetzt erwachsen und ich suchte für mich selbst nach einer sinnvollen Arbeit.
    Erster Gedanke war der soziale Bereich und auch viel nach dem Motto: "Wenn nicht Leute in meinem Alter und der Zeit, die zur Verfügung steht, wer denn dann?"
    Altenpflege etc. standen zur Wahl...und ich mußte mir nach einer geraumen Zeit selbst eingestehen, daß ich da nur begrenzt für geschaffen bin...Grund: ich würde zuviel mitleiden im wahrsten Sinne des Wortes, weil ich den nötigen Abstand, das sogenannte dicke Fell nicht besitze und im Endeffekt daran kaputt gehen würde...und damit hilft man eben keinem.


    Einzusehen, daß das nichts mit mangelnder Hilfsbereitschaft oder sozialer Inkompetenz zu tun hat, wenn man sich eingesteht, daß man eben irgendwo NICHT helfen kann, war das Schwerste daran.


    Also suche ich mir lieber etwas, was ich kann, worunter andere nicht leiden und ich selbst auch klar kommen kann....und da gibt es auch viel, was man tun kann, um etwas für die Allgemeinheit zu bewirken.


    Verstehst Du, was ich sagen will?


    Lieben Gruß
    Baumbart

  • Noch ein Zusatz:


    Heute verstehe ich sogar Menschen, die ihre eigenen Eltern lieber in ein Altenpflegeheim abgeben zum Beispiel, oder Geldspenden einer aktiveren Hilfe vorziehen...und verstehe das nicht mehr gleich als Egoismus, oder das Gefühl, es handele sich um rücksichtslose Menschen.


    Schaut man da auf die tieferen Ursachen und Umstände, relativieren sich oft die eigenen Vorurteile und der Gedanke: "Wie kann man nur?"


    Sich selbst einzuschätzen und ehrlich gegenüber sich selbst zu sein, ist das Schwerste, was man tun kann oft.


    :wave


    Baumbart

  • Thanks, aber es ist glücklicherweise nicht meine Nichte, sondern die einer Freundin. Ich kann dieser Freundin nicht sagen, dass ich ihre Nichte nicht in meiner Nähe ertrage, aber ich versuche die Situation zu umgehen.


    Ich verstehe aber, was Du meinst. Danke.

  • hm Oryx,


    finde ichja gut, dass du es zugibst, die meisten Menschen würden sich das nicht so eingestehen.


    Geistig Behinderte Leute sind impulsiv, distanzlos und daher tatsächlich unberechenbar, und genau damit können einige Leute nicht umgehen.
    Und zwar gerade Menschen, die Wert auf Ordnung, Disziplin und im weitesten Sinne "Erziehung" legen.


    Du kannst mal versuchen, wenn du sie wieder triffst, sich "ihre Schuhe anzuziehen" und damit ein paar Meter zu laufen. Lass dich auf sie ein, und schmeiß deine "Erziehung" mal von dir.
    Du wirst sehen, dass kann sogar Spaß machen.


    Wenn es gar nicht geht, dann meide tatsächlich den Umgang.
    Geistig Behinderte nehmen viel mehr Stimmungen anderer auf, als "Normale"