Barbara Gowdy - Hilflos

  • Inhalt:
    Tagelang beobachtet Ron, ein selbständiger Handwerker, die 9jährige Rachel. Er hat schon vorher Mädchen auf Schulhöfen heimlich beobachtet, doch Rachel fasziniert ihn. Er entwickelt eine psychopathische Liebe zu ihr und bereitet heimlich in seinem Keller ein Zimmer für Rachel vor. Als bei einer seiner Beobachtungen ein Stromausfall die Gelegenheit bietet, greift er zu und entführt Rachel. Seine Lebensgefährtin Nancy weiht er ein und sie hilft ihm, auch um das Mädchen vor Ron und eventuellen sexuellen Angriffen zu schützen. Er hält sie gefangen im Keller, versucht das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen, was ihm nach Wochen auch gelingt, in dem er ihr Horrorgeschichten über die böse Welt draußen erzählt. Doch in ihm wächst der Wunsch, sich ihr körperlich zu nähern.
    Als dieses Verlangen unüberwindbar wird, zieht er die Notbremse.
    Dieser Roman beschreibt die Entführung aus Sicht des Täters, des Opfern, aus Sicht der Mutter, die geplagt ist von nagenden Selbstzweifeln und mit dem großen Medieninteresse konfrontiert wird, daß ihre Lebensweise in Frage stellt.



    Meine Meinung:
    Ron erfüllt nicht die Rolle des bösen Psychopathen - und da liegt gewissermaßen mein Problem mit diesem Buch. Er entführt ein Mädchen in eindeutiger Absicht - und dann schildert die Autorin den inneren Kampf dieses Mannes mit seinem Verlangen. Gewissermaßen macht sie ihn zu einem "Guten".
    Auf mich wirkt das verstörend. Sicher beabsichtigt von der Autorin, die mit den Lesegewohnheiten brechen will. Sie gibt dem Täter ein menschliches Gesicht und zeigt: es gibt nicht nur schwarz und weiß. Auch nicht, wenn es um Kindesentführung geht.
    Nun gehöre ich aber wohl zu den Leserinnen, die das nicht will. Für mich gibt es keinen "guten" Kindesentführer, für mich gibt es keine Graustufen bei einem so unmenschlichen Verbrechen, wie ein Kind in einen Keller zu sperren aus sexuellen Absichten heraus.


    Gowdy hat in einem Interview gesagt, daß sie das Buch geschrieben hat, um zu verstehen, was im Kopf eines Menschen passiert, der der sexuellen Anziehungskraft eines kleinen Mädchens erliegt. Verständnis, Einfühlung, Empathie - das ist etwas, was ich für solcherlei Täter nicht aufbringen kann und nicht aufbringen will - und darum bleibt nicht viel Sympathie für dieses Buch bei mir übrig.

    :lesend
    If you can read, you can empathize, luxuriate, take a chance, have a laugh, hit the road, witness history, become enlightened, turn the page, and do it all again
    Oprah Winfrey

  • Mir ging es bei dem Buch ähnlich wie Janda. Ich kann und will so was gar nicht verstehen. Aber ich hab mich auch kurzweilig dabei ertappt, dass ich Mitleid mit Ron hatte. So ging es mir auch schon bei "Last Man Standing" z. B. Da hatte man auch Mitleid mit einem Mörder. War mal interessant Einblick in den "Bösen" zu bekommen, aber ich kann und will es trotzdem nicht nachvollziehen, was in so einem Menschen vor sich geht.


    Schreibstil war aber gut. Sehr gut hat mir auch die kleine Rachel gefallen, die sehr einfallsreich ein Bild gemalt hat um ihrer Mutter Tipps über ihren Aufenthaltsort zu geben.

    Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele.
    - Cicero


    :lesend Harlan Coben - Ich vermisse dich

  • So sehr ich begrüße, dass Gowdy dieses Thema nicht in der üblichen Weise abarbeitet und damit in gewisser Weise die ausgetretenen Pfade verlässt, so wenig möchte ich dieses Buch lesen.
    Ich werde dieses Buch sicher nie lesen, nach allem, was ich darüber gehört habe, empfinde ich es als zutiefst dekadent, dass in gewisser Weise Mitgefühl oder zumindest Sympathie für den Täter evoziert werden soll ...

  • Ich habe das Buch vorhin beendet und versuche mich auch mal. Übrigens habe ich bei amazon gesehen, dass das Taschenbuch im Juli erscheinen wird.


    Meine Meinung: Rachel ist ein außergewöhnlich schönes Kind und das wird der Neunjährigen zum Verhängnis. Der Mechaniker Ron verliebt sich in das Mädchen und kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er verfolgt sie und redet sich und seiner Freundin Nancy ein, er müsse sie aus ihrem Umfeld „retten“. In seinem Keller richtet er ein Zimmer für sie ein und bereitet alles für ihren „Einzug“ vor. Als sich dann die Gelegenheit ergibt, entführt er sie und schließt sie dort ein.


    Ich bin nicht sicher, was die Autorin mit dieser Geschichte bezwecken wollte - Wollte sie Absolution für den Täter erreichen, der hier sehr verwundbar und menschlich dargestellt wird, oder aufzeigen wie jemand aus Liebe zum Mittäter wird, so wie seine Freundin Nancy, die ihm hilft, Rachel zu versorgen und die sich mit ihr anfreundet? Versucht hat Barabara Gowdy auf jeden Fall, sich in einen Kindesentführer hineinzudenken. Ich weiß nicht und will es auch nicht wissen, ob ihre Schilderungen wahr sein können, ob ein pädophiler Mann auf diese Art und Weise tickt, ob es möglich ist, dass, wie sie schreibt, der Täter unsicher ist und an sich selbst zweifelt und versucht, das Kind nicht zu berühren, aus Angst vor sich selbst.


    Natürlich will man sich solch einen Mann pauschal eher als Ungeheuer vorstellen, dass die Kontrolle über sich verloren hat, sieht ihn lieber hässlich und von Grund auf Böse und spricht ihm jegliche positiven Eigenschaften ab, denn eine solche eine Tat überdeckt alles, was jemand sonst an guten und menschlichen Zügen aufzuweisen hat. Er darf einfach nicht so geschildert werden, dass er vielleicht ein Stück Mitgefühl oder Milde in uns wachrufen kann – so erwarten wir es als Leser, doch die Autorin hat uns diese Erwartung nicht erfüllt, sondern ist ihre eigenen Wege gegangen. Sie heischt nicht um Mitgefühl, sie zeigt einfach nur auf, dass es in ihrer Geschichte nicht nur schwarz oder weiß gibt, sondern viele kleine Abstufungen. Ob uns das gefällt, oder nicht, das ist unsere Sache und sie überlässt es uns, ein Urteil zu fällen – über den Täter, über ihre Art zu schreiben und natürlich über das Buch an sich. Mein Urteil steht bis jetzt nicht fest. Das Buch ist gut geschrieben, sehr spannend und hat mich nicht los gelassen, doch es trifft sicherlich nicht jeden Geschmack…

  • Zitat

    Original von Sigrid2110
    Ihr macht mir die Entscheidung, ob ich dieses Buch lesen möchte wirklich nicht leicht :gruebel.


    :write Genau das habe ich auch gerade gedacht.

  • Ich habe das Buch vor Kurzem gelesen.


    Es klingt vielleicht verrückt, aber ich habe mir in gewisser Weise "gewünscht", dass Ron Rachel etwas antut. Nicht, weil ich ein böser Mensch bin und Kindesentführung und - missbrauch billige, sondern weil ich sonst eine Entführung irgendwie "sinnlos" und auch unglaubwürdig fände.
    Keine Ahnung, ob das jemand nachvollziehen kann ?( :wave


    Dieses Element hat mir zwar irgendwie gefehlt. Auf der anderen Seite glaub ich nicht, dass es an der Qualität des Buches etwas geändert hätte. Die Art und Weise, wie Barbara Gowdy Rons Gefühle, Rachels Angst und Nancys Unsicherheit beschrieb, fand ich schon sehr gelungen.
    (Naja, bei Nancy dachte ich teilweise schon "Gott, ist die beschränkt" :rolleyes :pille, aber wenn man jemanden liebt....).
    Und dass Barbara Gowdy versucht, Einblick in Gedanken und Gefühle eines Kindesentführers zu geben, find ich auch sehr bewundernswert, weil ich es mir eben nicht einfach vorstelle.
    Was ich dem Buch auch zugute halte, ist eben, dass es nicht das "typische" Kindesentführungs-Buch ist, weil Ron eben anders ist bzw. anders handelt.


    Ich möchte hier noch was zu der Sache sagen, was Mitleid oder Mitgefühl mit Ron angeht. Nein, ich wünsche niemandem, dass sein Kind entführt wird, denn das ist sicher eins der schlimmsten Dinge, die Eltern passieren können. Und mit Menschen, die anderen etwas Derartiges antun, möchte ich auch keinen Mitleid haben.
    Allerdings habe ich vor geraumer Zeit einen Artikel über und mit einem Pädophilen gelesen, der davon erzählt hat, wie schwer es ihm fällt, kleinen Mädchen zu widerstehen und wie sehr er sich bemüht, nicht mal in die Nähe der Kinder zu kommen, weil er weiß, was dann passieren könnte. Und das will er eben nicht. An diesen Artikel musste ich öfter denken bei dem Buch.
    Ein Pädophiler (was Ron für mich ist) ist ein kranker Mensch. Er sucht es sich nicht aus, auf kleine Mädchen zu stehen (denk ich zumindest :gruebel). Aber er tut es. Und wenn er zumindest behandelt wird, dann wird er auch versuchen, diesem Drang zu widerstehen. Ich glaube aber, dass es viel Kraft erfordert und auch nicht jedem gelingt. Umso mehr hab ich schon Respekt vor Pädophilen, die trotz ihrer Neigung keinem Kind was zuleide tun. Und umso mehr tun mir auch diese Menschen leid.


    Und ja, möglicherweise würd ich anders denken, wenn ich Kinder hätte und ihnen würde was zustoßen :wave


    Für mich gibts hier 7 Punkte. Einfach, weil mir das Spannungselement doch gefehlt hat und mich das Buch trotz des Themas nicht ganz so fesseln konnte und mir die Figur von Ron unglaubwürdig vorkommt.


    Mich würde übrigens interessieren, ob es derartige Entführungen (mit diesem Verlauf und Ausgang) statistisch gesehen öfter gibt. Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen :gruebel

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


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