Die Siechenmagd von Ursula Neeb

  • Historischer Frankfurt-Roman
    Societäts-Verlag 2006
    Originalausgabe
    Broschur
    Euro 9,90
    294 Seiten + Anhang
    Vorsatzseiten: Faber'scher Belagerungsplan von 1552
    Zeichnung von Christian Pfeiffer


    Inhalt:
    Freie Reichsstadt Frankfurt, anno 1506: In der Ständegesellschaft der freien Reichsstadt lebt die Familie Dunckel auf der untersten Stufe des sozialen Gefüges. Der »Schundmummel« Eduard Dunckel verrichtet als Schinder, Abdecker, Kloakenreiniger und Hundshäuter die »unehrlichen« Aufgaben für die Stadt. Seine Frau Anna steht als Magd in den Diensten eines begüterten Aussätzigen auf dem benachbarten Gutleuthof. Die fünfzehnjährige Tochter Maria, von allen nur »die Mäu« genannt, beginnt auf Vermittlung der Mutter ebenfalls als Siechenmagd für einen der begüterten Leprakranken zu arbeiten. Doch dem jungen Mädchen graut es vor der gefährlichen Arbeit beim aussätzigen, ehemaligen Kaufmann Ulrich Neuhaus. Als ihr Herr sie körperlich zu nötigen beginnt, kommt es zum Eklat. Die Mäu flieht vor dem Gesetz und versucht, sich in Richtung Prag durchzuschlagen, um ein neues, besseres Leben zu beginnen.


    Zur Autorin:
    Ursula Neeb, 1957 in Bad Nauheim geboren, studierte Kulturwissenschaften, Geschichte und Soziologie in Frankfurt. Neben verschiedenen Essays und Fachartikeln hat sie ein kulturgeschichtliches Buch über die Frankfurter „Wasserhäuschchen“ veröffentlicht.


    Meine Meinung:
    Seit einiger Zeit werden ja „Historische Romane“ von Mittelalter-Romanen deren Hauptprotagonist eine Fraui st, fast schon dominiert. Bedauerlicherweise folgen sie meist dem Aschenputtel-Prinzip, das wohl für die damalige Zeit doch mehr Wunschdenken als Realität ist.
    In diesem Roman liegt der historische Schwerpunkt auf dem Leben und den Tätigkeiten der Parias, der Unehrlichen, denen man ausweichen muss, die man nicht berühren darf.
    Das Leben in einer Großstadt des ausgehenden Mittelalters wird durch das Schicksal des Frankfurter Mäu'sche hautnah vermittelt, Regeln und Gesetze, die das Leben der „Unberührbaren“ einschränken, geschickt eingebunden. Unbekannter Berufsbezeichnungen, Redewendungen und regionaler oder gesellschaftlicher Eigenarten werden in einem Anhang erläutert.
    Endlich ein Roman, der mit eindringlichen Stimmungsbildern und einem spannenden Plot über die damalige alltägliche Gesellschaft und deren Werte und Gefahren informiert ohne je ins schulmeisterliche abzugleiten.
    Hier wird ein herzzerreißendes Schicksal geschildert, dass den Leser fassungslos und wütend zurücklässt und viele der „historischen Mittelalter-Romane“ als Schmonzetten entlarvt.
    Auch wenn möglicherweise einigen Lesern die Schilderung des letzten Lebensabschnittes von Mäu zu kurz ausfällt, für mich war es richtig, den es hätte möglicherweise den Eindruck über eine Zeit, in der Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit hohle Worte waren, verwässert.


    Fazit:
    Wer sich dafür interessiert, wie es in deutschen Großstädten im Mittelalter, nicht nur ausgehenden und nicht nur in Frankfurt, zuging, ist mit dem Roman bestens beraten, daher TOP-Wertung


    Edit: Preis war falsch


    EDIT: Autorenvorname geändert

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

    Dieser Beitrag wurde bereits 3 Mal editiert, zuletzt von dyke ()

  • Vielen Dank für die tolle Rezension. Ich hatte das Buch bereits in der Hand, ist ja als Fast-Frankfurterin schon beinahe Pflicht, zu lesen. Kommt jetzt auf die Wunschliste :-]

  • Vielen lieben Dank für Deine schöne und informative Rezi.
    Das Buch kommt jetzt erstmal auf meine Wunschliste.
    Ist aber ein ganz schön stolzer Preis bei gerade mal 294 Seiten :yikes
    Naja, ich rechne halt immer noch in DM um :lache


    Aber vielleicht kann ich es günstig bei Tauschticket erwerben oder als Eulen Wanderbuch.
    Seit ich arbeitslos geworden bin, muss ich sehr sparsam sein :rolleyes

    to handle yourself, use your head, to handle others, use your heart
    SUB 15
    _______________________________________________________
    :kuh:lesend

  • Gestern habe ich die Siechenmagd in einem Rutsch verschlungen.
    Ich kann der Rezi von Dyke voll zustimmen. :fingerhoch
    Ich habe jede einzelne Seite genossen, der Schreibstil ist flüssig und vermittelt sehr schön die Eindrücke im Spätmittelalter in Frankfurt.


    Sehr schön fand ich auch die Kupferzeichnungen am Anfang und Ende und im Anhang werden u. a. 49 unbekannter Berufsbezeichnungen, Redewendungen und regionale/ gesellschaftliche Begriffe erklärt.


    Ich vergebe 10 Punkte
    100 % Kaufempfehlung für Freunde des historischen Genres und besonders für die, die gerne einen Roman über die "unreinen" Leute lesen wollen.


    Ich wünsche dieser Autorin sehr viele Leser für diesen Roman, ich werde auf jeden Fall auch das nächste Buch von Ursula Neeb lesen/verschlingen.

    to handle yourself, use your head, to handle others, use your heart
    SUB 15
    _______________________________________________________
    :kuh:lesend

  • Das ist ein spannendes und ergreifendes Buch! Ich mochte es kaum mehr aus der Hand legen und hoffe, dass die Autorin noch mehr solche Romane schreibt.
    Ich fand auch sehr interessant, mehr über die "Siechenmagd" zu erfahren, was mir vorher überhaupt kein Begriff war!

    ************


    Hazel


    "Ganze Weltalter voll Liebe werden notwendig sein,
    um den Tieren ihre Dienste und Verdienste an uns zu vergelten."


    Christian Morgenstern

  • "Endlich ein Roman, der mit eindringlichen Stimmungsbildern und einem spannenden Plot über die damalige alltägliche Gesellschaft und deren Werte und Gefahren informiert ohne je ins schulmeisterliche abzugleiten."
    (dyke)


    :write


    ich möchte hinzufügen: "...und dabei auf effekthäscherische ausweitung brutaler und/oder erotischer szenen verzichtet."

    "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leute ohne Laster auch sehr wenige Tugenden haben." (A. Lincoln)

  • Gestern habe ich "Die Siechenmagd" beendet und war ziemlich beeindruckt vom Schreibstil und von der Geschichte an sich. Wenn man sich das alles , was ja wahr sein soll, mal bildlich vorstellt, so kann man nur noch eine Gänsehaut bekommen, da kommt so mancher blutiger Thriller nicht mit.


    Da ich hier nicht ins Detail gehen möchte, weil ich sonst zuviel verraten würde, nur noch eines:
    Das ist eine Lektüre, die mal abseits vom Mainstream angesiedelt ist, sowohl von Lokalität in Frankfurt, über die Klasse der "Unehrlichen" , das Ganze verbunden mit einer einzigartigen Recherche.


    Kleines Manko: Es war mir ein bissl zu sachlich geschrieben - mir fehlte ein bisschen der Spannungsbogen und mehr Persönlichkeit bei den Protagonisten. Meiner Meinung nach hätte man noch mehr daraus machen können.


    Aber leider kann man oft nicht alles haben. Dafür war der geschichtliche Aspekt einzigartig. Und ich liebe solche Bücher, in denen die Handlung an der Wirklichkeit anlehnt, bzw. sogar Wirklichkeit wahr.

  • Ich habe das Buch im Urlaub in kürzester Zeit gelesen. Den Schreibstil fand ich angenehm zu lesen und der Plot war spannend bis zum Ende.


    Die Geschichte war sehr interessant und das Leben der jungen Siechenmagd sehr berührend. Die Atmosphäre, die Zustände im Mittelalter, die Menschen und vor allem das Leben der Randgruppen wurde eindringlich beschrieben. Niemand von uns möchte zu der Zeit gelebt haben und vor allem im Kerker quasi vergessen werden.