Bei einem Brand starben 9 Menschen.In Ludwigshafen findet kein Fasching mehr statt: Richtig?

  • Nicht, dass mich Fasching mehr als marginal berühren würde. Es stellt sich die Frage, welches moralische Signal durch die Einstellung von Veranstaltungen aller Art gesetzt werden soll. Eine Demonstration? Von was?
    Warum keine Feier für die über 50 Geretteten, mit Freibier für die Feuerwehr, die unter persönlicher Lebensgefahr Menschen aus einem einstürzenden und brennenden Gebäude bergen konnte?
    Warum wird der Polizist nicht gefeiert und belobigt, der ein kleines Kind, das aus dem 2.Stock sprang auffing?
    Um Himmels Willen: Bitte nicht falsch verstehen! Natürlich ist das ein furchtbares Ereignis, das aufrüttelt, bewegt und erschüttert.


    Ich frage mich (seit Äonen), woher die unbarmherzige Neigung herrührt immer und ausschließlich nur nach hinten, in die unabänderliche grausame Vergangenheit zu starren, und nicht nach vorne, Richtung Hoffnung?

  • Nun, es wird eben gedacht: "Wie können wir feiern, wo doch eben über neun Familien unsagbares Leid hereingebrochen ist!"


    Dabei sind in derselben Zeit in derselben Stadt bestimmt mehr als diese neun Menschen in Krankenhäusern, Hospizen, Altersheimen, bei Unfällen etc. gestorben und haben somit ebensolches Leid über ihre Familien hereinbrechen lassen.


    Ich verstehe hier beide Seiten.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • So ein Ereigniss schockiert und bewegt und traumatisiert. Da verstehe ich auch, dass einem die Feierlaune vergehen mag und man (dieses Jahr) nicht mehr närrisch blödeln kann.
    Die Trauer über die 9 Verstorbenen ist immens.
    Irgendwie weckt es die Erinnerung daran, dass jeder Tag der letzte sein kann.


    Allerdings: mich betrifft dieses Unglück nicht direkt. Darum trauere ich nicht. In Ludwigshafen ist es sicher anders.
    Eine bunte Party für die Feuerwehrleute ... wird es sicher geben, auch für die Polizisten wird es eine Feier geben, aber ich ahne, dass da keinem nach Feiern wirklich zu mute sein wird. Das wird Zeit brauchen, die Erlebnisse zu verarbeiten. Und dann kann man auch das Freibier ausschenken...
    Ich glaub, im Moment ist es wichtig zur Verarbeitung solcher Ereignisse eine gewisse Zeit zu Verharren und auf das Grausame und Unabänderliche zu schauen, um das Unfassbare auch irgendwie fassen zu können. Dann gelingt auch der Blick nach vorn. Im Moment kann das für keinen der Betroffenen gelingen. Immer brav der Reihe nach und Schritt für Schritt....

  • Für alle, die direkt und indirekt betroffen sind, steht jetzt doch erstmal der Schock und die Trauer über das Erlebte in Vordergrund. Und sowas braucht Zeit verarbeitet zu werden.


    Ich denke, jetzt wird keiner von Herzen feiern können, dass ein Kind (und noch mehr Menschen) gerettet wurden.


    Ich finde es auch in Ordnung, wenn jetzt in Ludwigshafen kein Fasching mehr gefeiert wird. Es ist ein Moment des Innehaltens und des Respektes.


    Natürlich sterben auch auf natürliche Weise in derselben Zeit Menschen, aber dies ragt eben heraus, weil es durch äußere Einwirkung über diese neun Menschen hereingebrochen ist.

    Liebe Grüße, Sigrid

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  • licht, deine Worte kann ich unterstreichen. Das habe ich bei einem Grossbrand hier im letzten Herbst so erlebt.


    Aktuell ist in Locarno der Karneval abgebrochen worden [klick] Bereits wurden Stimmen laut, man müsse den berühmtesten Tessiner Karneval, den Rabadan in Bellinzona, absagen.


    Die Menschen sind - was verständlich ist - erst einmal hilflos und müssen sich wieder "ordnen".

  • Vor Jahren ist in dem Ort (10.000 Einwohner), in dem ich wohne, unmittelbar vor dem Karneval, der hier eine über 100jährige Tradition hat, ein schreckliches Unglück mit Toten passiert. Eine der Hauptfiguren des Karneval war auch persönlich betroffen. In der recht kurzen Zeit wurde heftig diskutiert, ob man den traditionellen Karnevalsumzug absagen sollte, aus Respekt vor den Opfern.


    Man hat es nicht getan. Eine Entscheidung, die ich durchaus nachvollziehen kann. Denn es trauerten nicht sehr viele Menschen und man hätte alle zwangsbetroffen gemacht, die das Unglück nicht unmittelbar betroffen hat. Hätte man auf die Feier verzichtet, wäre keins der Opfer wieder lebendig geworden. Was mich aber wirklich sehr betroffen gemacht hat, war das offizielle Statement eines der Entscheidungsträger :"Es hat ja keine alteingesessene Familie getroffen, sondern Zugereiste, die sich nicht so mit den Traditionen vor Ort identifizieren." :wow DAS fand ich unsensibel und unter aller Kanone. Nicht den Verzicht auf die Feiern an sich.

  • Zitat

    Original von Sigrid2110
    Ich finde es auch in Ordnung, wenn jetzt in Ludwigshafen kein Fasching mehr gefeiert wird.


    Ich finde es schön, wie die Medien vielde Dinge extrem hochbauschen. In Ludwigshafen herrscht keine Trauerstimmung. Die Leute, die sich betroffen fühlen, werde kein Fasching mehr feiern, den anderen ist es "egal", sie machen trotzdem weiter.


    Was ich sehr interessant finde, es betrifft türkische Mitbewohner und gleich ist wieder das Thema "Rassimus" und "Vorsätzlich" in den Straßen zu hören, obwohl noch keine Ergebnisse der Untersuchung da sind. Und die türkische Regierung durfte sich auch gleich einschalten und Ermittler schicken, da wir hier in Ludwigshafen nicht dazu in der Lage sind, diese "korrekt" zu führen.


    Wie oben schon geschrieben, wird es immer schlimme Ereignisse gehen, welche einige zum trauern und nachdenken brinen und andere die nicht betroffen sind und ihr leben ganz normal weiterleben.



    Liebe Grüße


    Beatrice

  • Zitat

    Original von kamikazebaer
    Und die türkische Regierung durfte sich auch gleich einschalten und Ermittler schicken, da wir hier in Ludwigshafen nicht dazu in der Lage sind, diese "korrekt" zu führen.


    So ähnlich müssen sich die Türken auch im Fall Marco gefühlt haben.


  • Also die Medien haben da wohl wenig Einfluss auf meine Meinung dazu. TV habe ich nicht, Radio habe ich nicht gehört und nur einen Beitrag zu dem Thema in unserer Tageszeitung gelesen.


    Das andere weiß ich nur aus diesem thread.


    Mir ist es ehrlich gesagt auch egal, welche Ludwigshafener Fasching feiern oder nicht.
    Das war nur meine Meinung.

    Liebe Grüße, Sigrid

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  • Vielleicht eine kleine Insiderinformation ( ich habe zwei Jahre lang in Ludwigsahafen gelebt): Der Höhepunkt der Ludwigshafener Fastnacht ist immer der gemeisame Ludwigshafen-Mannheimer Fastnachtsumzug am Fastnachtssonntag, der abwechselnd in Mannheim und Ludwigshafen stattfindet. Montags und Dienstags haben dann noch einige Vereine in Ortsteilen ihre Veranstaltungen.


    Da das Unglück im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Fastnachtsumzug, der diesmal in Ludwigshafen stattfand, geschah, ist eine Absage der (nachgeordneten und auf das Stadtgebiet beschränkten) Veranstaltungen montags und dienstags für mich absolut logisch. Und ja: Ich glaube, dass die Mehrzahl der Ludwigshafener trauert. Dass der Ministerpräsident deshalb nicht am Rosenmontagszug in Mainz teilnahm, finde ich ebenso verständlich, logisch und konsequent.


    Dagegen hatte ich vor Jahren (muss wohl Anfang der 90er gewesen sein) absolut kein Verständnis für die flächendeckende Absage des Karnevals wegen des Golfkriegs. Da ist (bis heute) der innere Zusammenhang für mich nicht nachzuvollziehen gewesen.

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Zitat

    Original von Sigrid2110


    Mir ist es ehrlich gesagt auch egal, welche Ludwigshafener Fasching feiern oder nicht.
    Das war nur meine Meinung.


    Anders hab ich das auch nicht aufgefasst. Wollte Dich nicht angreifen oder habe mich angegriffen gefühlt.


    Liebe Grüße


    Beatrice

  • Zitat

    Darum trauere ich nicht. In Ludwigshafen ist es sicher anders.


    Ab welcher Entfernung gilt das? Drei Häuserblöcke? Oder müssen einstellige Kilometerzahlen vorgewiesen werden können? Was verbindet Ludwigshafener eigentlich miteinander? Deutsche? Europäer? Warum wird Karneval gefeiert, obwohl in Saudi-Arabien Frauen gesteinigt, in Mittelafrika Mädchen beschnitten, und Südamerika Menschen verschleppt, im Nahen Osten Nachbarn erschossen, auf Kuba Gefangene gefoltert und in China Diebe hingerichtet werden? Wie kann man Fasching machen, wenn täglich hunderttausende an Hunger und heilbaren Krankheiten sterben?


    Diese geheuchelten Betroffenheitsdemonstrationen sind widerlich. Gut, Karneval ist es auch. Aber irgendwas ist ja immer. ;-)

  • Hallo, licht.


    Das Zitat lautet vollständig so:


    Zitat

    Allerdings: mich betrifft dieses Unglück nicht direkt. Darum trauere ich nicht. In Ludwigshafen ist es sicher anders.


    Ich habe das so verstanden, als wäre man als Ludwigshafener direkt von dem Unglück betroffen (generell). Das ist m.E. nämlich Unsinn. Fraglos sind einige Ludwigshafener von diesem tragischen Unglück betroffen, aber nur ein paar, nämlich Angehörige, Freunde usw. Der Rest der Ludwigshafener wohnt nur zufällig auch dort.

  • Ich kann mir vorstellen, dass es Ludwigshafener gibt, die es anders sehen als ich und es geht nicht allen, die dort wohnen so, wie wir lesen konnten.


    Was hier nur aber geheuchelte Betroffenheitsdemonstration sein soll, erschliesst sich mir immer noch nicht.
    Dass ich mir etwas vorstellen kann? - Dass ich nicht trauere?? :gruebel

  • Hallo, licht.


    Vielleicht habe ich mich mißverständlich ausgedrückt. Erstens wollte ich zum Ausdruck bringen, daß Ludwigshafener (jedenfalls solche, die nicht mit den Opfern verwandt oder bekannt waren) nicht betroffener (im Sinne von: konfrontiert) sind oder gar sein müssen als irgendwelche anderen Leute, sei es in Rheinland-Pfalz, in Deutschland, in Europa oder in der restlichen Welt. Wenn Menschen mit einem tragischen Schicksal konfrontiert werden, spielt keine Rolle, wo das geschieht (sollte jedenfalls keine Rolle spielen). Wenn die Ludwigshafener jetzt kollektiv eine absonderliche Form von Trauer für sich okkupieren, erregt das mein Mißfallen. Ich finde das heuchlerisch. Nicht nur in diesem Fall. Und was hilft es schon, auf eine Narrenkappe und ein paar Bierchen mehr als sonst zu verzichten? Was ist das für ein Signal? An wen? Zudem beschleicht mich das ungute Gefühl, die Anzahl der Opfer würde eine Rolle spielen. Vorgestern ist eine siebenundfünfzigjährige Frau aus Hamburg beim Brand ihres Wohnwagens umgekommen. Auch nicht mehr oder weniger tragisch als das Geschehen in Ludwigshafen. Vielleicht sind weniger Leute mittelbar betroffen. Aber was macht das für einen Unterschied? Jedenfalls wurde in Hamburg nichts abgesagt.


    Ich finde, zweitens, daß es sich Menschen zu einfach machen, generell und in solchen Einzelfällen. Es ist so leicht, auf ein bißchen was zu verzichten, um das eigene Gewissen zu beruhigen und/oder sich mit dem Nimbus des Trauerhelden umgeben zu können.


    Dann gibt es da noch das Argument, der Verzicht wäre ein Ausdruck des Respekts vor den Verstorbenen und ihren Angehörigen. Mit Verlaub. Würde man das ernst meinen (und nehmen), dann käme man aus dem Verzicht nicht mehr heraus. Nie mehr. Siehe Eingangsposting.


    Um nicht falsch verstanden zu werden - ich finde das tragisch und beklagenswert, wenn Menschen aus ihrem Leben gerissen werden, wenn Freunde Freunde verlieren und Liebende Geliebte. Aber sich mit der Plakette des indirekten Opfers zu schmücken, in dem man sich an irgendwelchen medienwirksamen Aktionen beteiligt, das finde ich auch tragisch. Und es hat m.E. mit ehrlichem Mitgefühl nur wenig zu tun.

  • danke für die Klarstellung. :)
    mir ist Deine Position nun deutlicher geworden, auch wenn ich ihr nur teilweise folgen mag.
    Ich finde es recht befremdlich, die wie auch immer motivierten Gefühle wie auch immer betroffener Menschen derart abzukanzeln, nur weil man sich selbst nicht betreffen lassen möchte (was natürlich völlig ok ist).

  • Tom hat das wie immer sehr treffend geschrieben.


    Ich finde es falsch, Menschen eine Trauer aufzuzwingen. Jeder muss das für sich selbst entscheiden. Wahrscheinlich haben viele dennoch auf privaten Parties Fasching gefeiert.


    Ohne respektlos zu sein: Dann müsste man angesichts des Klimawandels auf Veranstaltungen mit CO2-Stinkern (Traktoren etc) verzichten...


    bea

    Die Dichter
    Es soll manchen Dichter geben,
    der muß dichten um zu leben.
    Ist das immer so? Mitnichten,
    manche leben um zu dichten.
    Heinz Erhardt

  • bist du sicher? Ich bin fest davon überzeugt, dass es die eigene Betroffenheit ne Menge damit zu tun hat, ob man sich betreffen lassen will oder nicht. Selbst wenn man (von aussen betrachtet) ganz objektiv betroffen ist.