Alessandro Baricco - Ohne Blut

  • Über den Autoren:


    Alessandro Baricco, geb. 1958 in Turin, studierte Philosophie und Musikwissenschaft. Seine Werke sind eher kurze, nachdenklich stimmende Erzählungen oder Romane. In Deutschland wurde er hauptsächlich mit seinem 1997 erschienenen Werk "Seide" berühmt.


    Über das Buch:


    Baricco legt hier eine Parabel vor, wie sie eindringlicher nicht sein kann. Auf einem Bauernhof in einem Land, das nicht näher bezeichnet wird, lebt Nina mit ihrem Bruder und Vater. Der Vater hat sich im vergangenen Krieg wohl nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert und bemerkt eines Tages, daß ihn alte Feinde aufgespürt haben und auf dem direkten Weg zu ihm sind. Er versteckt Nina unter einer Falltüre in der Erde, wo sie die Ermordung von Vater und Bruder miterlebt. Auch Ninas Versteck wird gefunden, doch Tito, der jüngste der Mörder, schweigt über seinen Fund und Nina überlebt.


    Jahrzehnte später trifft eine ältere Dame einen Losverkäufer und lädt den Senioren zu einem Kaffee ein. Dieser weiß sofort, daß sein Schicksal ihn eingeholt hat - denn seine Mittäter von damals sind alle keines natürlichen Todes gestorben...


    Meine Meinung:


    Ein Buch, das auf so wenig Seiten so viel sagt - es hat mich in ein tiefes Leseloch gestürtzt! Mit klarer, sachlicher, nüchterner Sprache bringt Baricco die Dinge auf den Punkt, beschreibt so wenig und sagt doch so viel.


    Ich bin schlicht begeistert - Seide, das ich schon kannte, wird als eines der schlechteren Werke Bariccos eingeordnet und ich kann dem nur zustimmen.


    Aber mein Problem bleibt: Was soll ich jetzt lesen....??


    10 Punkte von mir.

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Vielen Dank, Caia, für deine Rezi.
    Ich habe bislang nur "Seide" von Alessandro Baricco gelesen.
    Und es hat mir gerade des Stils wegen, sehr gut gefallen. Poetisch und fliessend habe ich seine Sprache empfunden.

    Zitat

    Seide, das ich schon kannte, wird als eines der schlechteren Werke Bariccos eingeordnet....


    Das überrascht mich sehr. :-(
    Wenn mir schon die "Seide" gut gefallen hat, was eines der schlechtesten Werken sei, dann kann ich von seinem "Ohne Blut"
    viel mehr erwarten. :-]


    LG

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • ...während "Seide" doch eher lieblich für mich dahergekommen ist, hatte ich an "Ohne Blut" recht zu knabbern, gedanklich. Auf jeden Fall haben mir auch alle Bücher dieses Autors gut gefallen.


    :wave lesefieber

  • Ich will es mal so formulieren, mir kam Seide so vor, wie Seide, es war leicht, luftig, aber auch irgendwie nicht faßbar. Bei Ohne Blut war die Atmosphäre mehr "Handfester", ich kann es nicht gut formulieren, aber so war mein Eindruck.


    Levita, viel Spaß beim Lesen.


    Lesefieber, ja, man knackt dran, ich hab zwei Tage gebraucht, bis ich mich auf ein neues Buch einlassen konnte.

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Danke für die Rezi, Caia! :wave
    Nachdem ich gerade "Novecento" gelesen habe, klingt das hier nach einem Buch, das ich mir schnellstens holen muss - auch auf die Gefahr hin, dass ich auch sacken lassen muss.


    "Seide" war mein erstes Buch von Baricco, und es hatte immerhin vollbracht, mich zu einer Leserin zu machen, die seine Werke verfolgt.


    "Ohne Blut" landet hiermit auf meiner Wunschliste! :-)

    Neu 2011:
    Sephira - Ritter der Zeit Band 2: Das Blut der Ketzer HC, September


    Das Krähenweib TB, November


    Aktuelle Bücher:
    Der Lilienpakt
    Sephira - Ritter der Zeit Band1: Die Bruderschaft der Schatten

  • Ich muss sagen, ich fand das Buch nicht so gut. Nachdem ich "Novecento" recht gut fand und der Klappentext von "Ohne Blut" mich auch angesprochen hatte, hatte ich eigentlich mehr erwartet. Gut, die Geschichte hat mich schon irgendwie auch berührt... aber eben auch nur irgendwie und ich konnte nicht so viel daraus mitnehmen - hatte dementsprechend auch kein Problem, danach direkt ein neues Buch anzufangen.

    "Ich bin dreimal angeschossen worden – was soll man da machen." (Robert Enke)


    "Accidents" happen in the dark.

  • Sehr beeindruckend, spröde, einfache Sprache, Der Schrecken des Krieges in seiner Brutalität in der Auswirkung auf den Menschen ein Leben lang wird beschrieben mit einer Eindringlichkeit die ihres gleichen sucht. Mord und Vergeltung, Schuld und Sühne, Rache und Vergebung komprimiert auf ein kleines Büchlein.

  • Mir hat "Seide" besser gefallen als "Ohne Blut", das mag allerdings auch am Thema liegen. Auf jeden Fall eine lesenswerte Lektüre.
    Das Buch hatte meiner Meinung nach auch die ideale Länge, viel mehr hätte ich nicht ausgehalten...

  • Eigene Meinung:


    Nachdem mich Caias Rezension so angesprochen hat, habe ich dieses Büchlein von gerade einmal hundert Seiten in der Bibliothek bestellt. Ich habe zwei Stunden zum Auslesen gebraucht und bin bis vor einigen Minuten noch in Überlegungen bezüglich dieses Buches getroffen. Es lässt mich nicht los, diese Geschichte um Schuld und Sühne. Diese Geschichte mit der Frage nach dem "historischen" und dem "wirklichen" Ende eines Krieges.


    Nina (... Mich würde das italienische Original interessieren, ob der im ersten Teil jungen, im zweiten Teil älteren Frau wirklich ein Name gegeben wurde. "Nina" ist ja auch das Wort für "Mädchen, Mädel"....) versteckt sich in einem Erdloch, über ihr verdorbenes Obst, Arbeitsgeräte, Möbel. Versteckt wurde sie, versteckt vor denjenigen, die ihren Vater töten und ihren kleinen Bruder. Sie tun es, weil er große Verbrechen begangen hat, die für diese Menschen nicht genug gesühnt wurden. Im Gegenteil, der Krieg ist "vorbei", die Menschen versuchen zu vergessen, aber diese vom Krieg unmittelbar Betroffenen haben noch kein Ende des Krieges "gesehen". Sie rächen sich; Tito, ein junger Bursche von vielleicht 20 Jahren schützt, ohne zu wissen warum, das Leben der kleinen Nina.
    Jahre später wird sie ihn wieder treffen und mit den Fragen konfrontieren, die sie schon seit ihrer Kindheit nicht mehr loslassen: Warum nahm man ihrem Vater das Recht auf ein Gerichtsverfahren? Warum tötete man ihren Bruder? Warum hat er sie verschont? Warum haben sie überhaupt getötet?


    Dieses Buch erzielt seine Wirkung, in dem es dem Leser an all den Taten teilhaben lässt. Man ist stiller Zuschauer mehrerer Morde. Man schaut zu, wie Ninas Vater stirbt, wie der Junge stirbt und doch ist da noch der Lichtblick - Nina überlebt. Ob ihr Leben damit eine bessere Wende genommen hat, muss der Einzelne entscheiden.
    Dieses Büchlein glänzt durch eine schöne, dennoch sehr einfache Sprache. Keine Verschachtlungen, wenig Stuckatur, wenig Zierendes. Die bloße Geschichte wird einem präsentiert, und obwohl nur wenig zu den Charakteren gesagt wird, so scheint es, weiß man doch mehr über sie, als einem wirklich lieb ist.


    Fazit: Wieder einmal eine Rosine. Ein kurzes, schönes, nachdenklich - machendes Werk.

    „Die Literatur greift immer dem Leben vor.
    Sie ahmt das Leben nicht nach, sondern formt es nach ihrer Absicht.”

    Oscar Wilde, irischer Schriftsteller und Aphoristiker

  • Was auch sehr von Hr.Baricco zu empfehlen ist, ist Novecento Die Legende vom Ozeanpianisten
    Ein wunderschönes Werk erzählt die Geschichte eines Jungen der auf den Ozean zu Welt kommt und sein Leben auf ihm verbringt mit 88 Tasten die sein und das Leben anderer bereichert.
    In Hannover in der Cumberlandschen Galerie beim Schauspielhaus findet ab und an eine Lesung des Buches statt. EIN TRAUM!!! Der Schauspieler macht das schon länger und ich muss gestehen er hat es drauf :-). Sehr bewegend und überzeugend liest er und spielt er zu einer Piano Begleitung in einer wunderschönen Atmosphäre.
    Viel Spass für alle die es sich ansehen wollen

  • Titel: Ohne Blut
    Originaltitel: Senza Sangue
    Autor: Alessandro Baricco
    Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv)
    Erschienen: Januar 2006
    Seitenzahl: 103
    ISBN-10: 342313416X
    ISBN-13: 978-3423134163
    Preis: 7.50 EUR


    Zum Inhalt (Klappentext):
    Auge um Auge, Zahn um Zahn. Der Krieg ist bereits vorbei, als vier Männer das abgelegene Bauernhaus stürmen, um Manuel Roca hinzurichten. Wie nebenbei erwischt es auch den Sohn, nur die kleine Nina überlebt in ihrem Erdversteck. Zwar wird sie von Tito, dem jüngsten der Killer, entdeckt, doch er schweigt und schenkt ihr damit das Leben. Jahrzehnte später steht eine schöne alte Dame vor einem Losverkäufer und lädt ihn zu einer Tasse Kaffee ein. Der alte Mann spürt, dass ihn sein Schicksal eingeholt hat, denn seine Kumpane von damals sind allesamt eines unnatürlichen Todes gestorben. Gemeinsam kehren Nina und Tito in die Hölle ihrer Erinnerung zurück und setzen die Vergangenheit zusammen: eine Geschichte aus Tod, Rache, Vergeltung und nicht gelebtem Leben. So lange, bis sich beide fragen: Was bleibt noch zu tun?


    Der Autor:
    Alessandro Baricco wurde 1958 in Turin geboren, studierte Philosophie und Musikwissenschaften. 1996 machte er mit dem Buch „Seide“ nachdrücklich auf sich aufmerksam und zählt seit dem zu den großen italienischen Autoren.


    Meine Meinung:
    Auf 103 Seiten hat Alessandro Baricco eine sehr beeindruckende Geschichte geschrieben. Mit kurzen, fast emotionslos wirkenden Sätzen, schafft er es dieser Geschichte ein ganz besonderes Flair zu geben. Baricco erzählt sehr kühl und sehr distanziert, selbst in den blutigen Szenen dieses Buches hält er sich selbst emotional zurück, sondern lässt vielmehr die Szenen für sich sprechen. Mit wenigen Strichen schafft er es die handelnden Personen zu skizzieren. Da stimmt jedes Wort, da steht jedes Wort an der richtigen Stelle, Füllwörter haben beim ihm keine Chance. Auch mit dieser Wortsparsamkeit schafft er es eine beeindruckende Geschichte über Schuld, Vergeltung und Vergebung zu erzählen. Ein wirklich lesenswertes Buch.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Nightfall
    Eigene Meinung:



    Nina (... Mich würde das italienische Original interessieren, ob der im ersten Teil jungen, im zweiten Teil älteren Frau wirklich ein Name gegeben wurde. "Nina" ist ja auch das Wort für "Mädchen, Mädel"....)


    nina (mit dieser komischen wellenlinie auf dem zweiten n) heißt auf Spanisch zwar Mädchen, aber auf Italienisch ist dem nicht so. ;-)

    Unser Unglück erreicht erst dann seinen Tiefpunkt, wenn die in greifbare Nähe gerückte praktische Möglichkeit des Glücks erblickt worden ist. (Michel Houellebecq, Elementarteilchen)

  • Baricco stellt in seiner 100-Seiten-Erzählung eine ganze Menge Fragen:


    Kann man auf dem Blut der Anderen eine bessere Gesellschaft aufbauen? Oder ist Rache das eigentliche Motiv beim Abschlachten der Anderen zum Wohle zukünftiger Generationen?


    Kann es überhaupt eine bessere Gesellschaft geben oder ist das nur ein immer wiederkehrender weltfremder Menschheitstraum? Ist das Böse dem Menschen immanent, wie es auf Seite 79 steht:


    „Wir können uns noch so sehr anstrengen, nur ein Leben zu leben, die anderen werden dennoch tausend andere darin entdecken, und deshalb ist es unvermeidlich, dass wir einander wehtun.“


    Und auf der nächsten Seite wird „die Banalität des Bösen“ mit wenigen Worten so ausdrucksstark beschrieben. Hannah Arendt hätte es kaum besser ausdrücken können.


    Es ist ein moralisches Buch, das nachhallt. Ein gutes Buch. Ein echter Baricco.