Milderes Urteil im "Autobahnraser"-Prozess

  • Hallo an alle,


    auch mir erscheint diese Diskussion langsam, aber sicher aus den Fugen geraten.


    Nochmals: Ich würde mir wünschen, die nächste Diskussion vielleicht etwas sachlicher und mit dem Versuch, mehr Hintergrundinfos vorab zu bekommen, zu führen?


    Gruß
    Baumbart

  • Hallo, Gheron.


    Zitat

    Man ist in diesem Land zu leicht bereit, den Wert des Lebens gering einzuschätzen.


    Auch, wenn ich vor Gericht schon die erstaunlichsten Sachen erlebt habe, muß ich nun doch versuchen, eine Lanze für unsere Gerichtsbarkeit zu brechen.


    Der Wert des individuellen Lebens ist nicht bestimmbar, er beträgt keine 500.000 Euro (Höchstgrenze für "Schadenersatz bei Tötung"; Angehörige haben übrigens grundsätzlich keinen Anspruch auf Schmerzensgeld bei Tötung eines Familienmitgliedes), er beträgt auch nicht 250 Millionen Dollar, was meiner Kenntnis nach die höchste Summe war, die ein amerikanisches Gericht einer Hinterbliebenen zugesprochen hat. Geld ist zynisch in diesem Zusammenhang. Ein fehlendes Leben kann man nicht ersetzen, das Leid, das durch eine schwere körperliche Verletzung entsteht, kann durch Euros nicht geschmälert werden. Und auch eine drakonische Bestrafung des Täters macht die Tat nicht ungeschehen.


    Rechtsprechung soll emotionslos sein, sich an den Fakten orientieren, durchaus zwar emotionale, physische und psychische Hintergründe beleuchten, aber sich bei der Rechtsprechung selbst um Objektivität bemühen - auch zugunsten der Täter. Jeder Fall betrifft ein ganzes Geflecht von Zusammenhängen, Ursachen, Verhaltensweisen, sozialen Strukturen, Einflüssen usw. usf. Natürlich könnte man sagen: Jemand, der jemand anderen getötet oder dessen Tod verursacht hat - sei es nun vorsätzlich oder "versehentlich", der gehört immer für, sagen wir: mindestens zwanzig Jahre in den Bau. Egal, was genau die Ursachen waren, wie sehr der Täter den Tod des Opfers in Kauf genommen oder sogar beabsichtigt hatte, weg mit ihm. Dann bleiben keine Fragen mehr offen; der brutale Schlächter sitzt für zwanzig Jahre Zelle an Zelle mit jemandem, der mit dem Ellenbogen gegen den Blumentopf gekommen ist, woraufhin dieser zwanzig Stockwerke tief fiel und einen Säugling im Kinderwagen getötet hat. Wollen wir das? Macht es aus Sicht der Opfer Sinn? Sicherlich nicht. Deshalb muß differenziert werden, so übel, wie das manchmal schmeckt, insbesondere, wenn es um stark emotionalisierte Fälle geht, wie diesen hier oder das immer wieder gerne angeführte Beispiel der Kindesmißhandlung, ein Tatbestand, der fast jeden zum Kochen bringt, wo die Rufe nach besonders harter Bestrafung extrem laut werden. Gut, niemand wird ein Kind "versehentlich" sexuell mißbrauchen, aber der Tatbestand der "Kindesmißhandlung" betrifft nicht nur diese, zu den schlimmeren Varianten gehörende Tat, sondern auch psychischen Mißbrauch, Schläge (die bis vor wenigen Jahren noch zulässiges Mittel der Erziehung waren) usw. - und auch hier liegen die Ursachen nicht immer alleine oder ausschließlich beim Täter, haben möglicherweise Umstände gegriffen, die das Schuldmaß beeinflussen können. Als Richter sieht man sich dann mit einer gewaltigen Menge von Umständen, die eben auch zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen sind, konfrontiert, und muß sie berücksichtigen, egal, wieviele Magenschmerzen man selbst dabei hat. Gleichzeitig ist das mögliche Strafmaß durch seine Höchstgrenze, die Fallbestimmungen und Präzendenzurteile begrenzt. Und auch durch den frommen Wunsch der Solidargemeinschaft, Täter reintegrieren zu wollen, Menschen eine zweite Chance zu geben, obwohl sie nach Meinung der Stammtischler nicht einmal ihre erste verdient gehabt hätten ("für dessen Intelligenz ..." - steht die zur Debatte?).


    ACHTUNG! DAS FOLGENDE IST NICHTS FÜR SCHWACHE NERVEN!


    Ich bin mit einer Kriminalkomissarin bekannt, die ab und zu in meine Stammkneipe kam, vor Jahren, sie ist inzwischen aus dem aktiven Dienst ausgeschieden. An einem dieser Abende war sie völlig fertig und trank erstmal einige Biere, bevor sie überhaupt sprechen konnte. Sie war in eine Sozialbauwohnung gerufen worden, Märkisches Viertel, Berlin-Wedding. Im Wohnzimmer der kleinen, schmutzigen Wohnung saß ein junges Paar, Alkohol, Arbeitslosigkeit, sozialer Abgrund, beide offensichtlich wenig intelligent, vorsichtigt gesagt. Auf der Herdplatte befand sich die verbrannte Leiche eines Säuglings, das sieben Monate alte Kind der beiden. Aus Zorn oder Hilflosigkeit oder Gründen, die unsereins niemals verstehen wird, hatte der Vater das schreiende Kind genommen und auf die eingeschaltete Herdplatte gehalten. Es ist qualvoll gestorben. Die beiden am Tisch hatten nicht einmal begriffen, was geschehen war.
    Ich saß neben ihr und hörte mir das an. Mein erster Gedanke war: Vater und Mutter gehören auch auf die Herdplatte, mindestens. Diese Bestien, diese verachtungswürdigen .... ich weiß nicht. Vielleicht fiel mir das Wort "Tiere" ein, aber das wäre ungerecht. Wie auch immer. Ich wünschte diesen Menschen alles mögliche, nur sicherlich keinen fairen Prozeß. Aber den haben sie bekommen. Ich weiß nicht, wie er ausging, aber ich hätte kein Richter sein wollen.


    Gerechtigkeit? Was ist das? Wir haben eine Rechtsprechung, die versucht, Täter und Opfer zu ermitteln und im Rahmen der Möglichkeiten zu bestrafen, aber gleichzeitig der gesamten Gesellschaft die Chance aufrecht zu halten, weiter zu funktionieren. Und eines darf auch nicht vergessen werden: Unsere technisierte Gesellschaft birgt viele Gefahren, die die Wahrscheinlichkeit, verletzt oder getötet zu werden, dramatisch erhöhen, der Straßenverkehr gehört dazu. Das muß jedem bewußt sein, der sich in dieses Risiko begibt. Das heißt nicht, daß man mit allem rechnen muß. Aber alleine die Teilnahme am Straßenverkehr ist riskant, da beißt die Maus keinen Faden ab.

  • Zitat

    Original von Demosthenes
    Insofern ist es richtig, daß Rolf F. eine Stellvertreterfunktion inne hat. Und gerade deshalb ist das Urteil für mich völlig unverständlich.


    Tja und diese Stellvertreterfunktion ist ja nicht strafbar. Da müsste man viel eher in der Gesetzgebung etwas ändern und z.B. die Straßenverkehrsordnung und/oder das Strafgesetzbuch ändern. Dann hätten die Richter ein scharfes Instrument zu einer möglicherweise etwas gerechteren Abstrafung solcher Taten in der Hand. Solange aber diese Ellenbogenmentalität von der Gesellschaft unterstützt oder auch nur billigend in Kauf genommen wird, wird sich auch an der Rechtsprechung nichts ändern.

  • Und damit hast du es auf den Punkt gebracht - womit wir schon wieder bei der Politik wären und die findet Doc polemisierend. :]

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Zitat

    Original von Demosthenes
    Und damit hast du es auf den Punkt gebracht - womit wir schon wieder bei der Politik wären und die findet Doc polemisierend. :]


    Ja ja, schon gut. Dann antworte ich halt doch ausführlicher. :-)
    Politik ist ja eh meist recht selbstherrlich und polemisierend. Mir ging es aber um Deine Aussagen, wie "Neandertaler", "Zivilisationstünche", "Darwin", etc. Das hat in der Sache nichts mehr mit Argumentation zu tun, sondern ist eben polemisierend - oder etwa nicht?


    Um nicht falsch verstanden zu werden. Ich verurteile solche Menschen ebenfalls, aber in diesem speziellen Fall (und als Einzelfall muss man dieses Gerichtsverfahren eben bewerten - sonst können wir auch gleich wieder die Hexenverbrennung einführen) muss man eben leider die juristischen Waffen strecken und sagen: mehr war nicht drin. Dazu ist die Sachlage nach wie vor zu undurchsichtig und sehr schwer nachweisbar.


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Dazu ist die Sachlage nach wie vor zu undurchsichtig und sehr schwer nachweisbar.


    Die Richter werden es auch in einem dritten Prozess nicht leichter haben, mit der Wahrheitsfindung. Trotzdem bin ich gespannt, wie sich dieser Fall weiter entwickelt. Viel Hoffnung habe ich allerdings nicht, denn ich gehe mal davon aus, dass keine neuen Beweise auftauchen werden. Auch wird dieser Fall, wenn die Volksseele sich wieder beruhigt hat und ihre Aufmerksamkeit neueren Schandtaten zugewandt hat, nicht dazu führen, dass die Gesetzgebung sich in diesem Punkt ändert, so traurig das auch ist.


  • Zitat

    Original von Doc


    ...muss man eben leider die juristischen Waffen strecken und sagen: mehr war nicht drin. Dazu ist die Sachlage nach wie vor zu undurchsichtig und sehr schwer nachweisbar.



    Zitat

    Original von Idgie


    Die Richter werden es auch in einem dritten Prozess nicht leichter haben, mit der Wahrheitsfindung. Trotzdem bin ich gespannt, wie sich dieser Fall weiter entwickelt. Viel Hoffnung habe ich allerdings nicht, denn ich gehe mal davon aus, dass keine neuen Beweise auftauchen werden. Auch wird dieser Fall, wenn die Volksseele sich wieder beruhigt hat und ihre Aufmerksamkeit neueren Schandtaten zugewandt hat, nicht dazu führen, dass die Gesetzgebung sich in diesem Punkt ändert, so traurig das auch ist.


    Wenn ich mir Eure Beiträge so durchlese und das dagegen halte, was so durch Presseveröffentlichungen in der Volksseele erzeugt wird an Vorverurteilungen, stelle ich mir die Frage, ob es nicht bei derartigen Prozessen in Deutschland besser wäre, wenn nach amerikanischem Vorbild vorgegangen worden wäre, wo den Rechtssprechenden bei bestimmten Prozessen völlig verboten wird, TV und Presse zu verfolgen?


    Gruß
    Baumbart

  • Hallo, Idgie.


    Zitat

    Auch wird dieser Fall, wenn die Volksseele sich wieder beruhigt hat und ihre Aufmerksamkeit neueren Schandtaten zugewandt hat, nicht dazu führen, dass die Gesetzgebung sich in diesem Punkt ändert, so traurig das auch ist.


    Wer zu dicht auffährt, der macht sich der Straßenverkehrsgefährdung schuldig (das ist ein Straftatbestand), der Nötigung (dito) und einer Ordnungswidrigkeit. Für letztere gibt es Punkte, Geldbuße und Fahrverbot. Für die ersteren richtet sich die Bestrafung - wie immer - nach der Schwere der Tat und ihren möglichen Folgen.


    Ich halte es für falsch, immer dann nach einer Verschärfung von Gesetzen zu rufen, wenn ein Fall eintritt, der das zu verlangen scheint. Dadurch entstehen wieder neue Probleme, wie die Sache mit den Kampfhunden gezeigt hat, wo ja tatsächlich - nach einem Aufschrei durch Medien und Bevölkerung - der Gesetzgeber reagiert hat - falsch, meines Erachtens, und die Änderungen sind ja auch zurückgenommen oder relativiert worden.


    Wenn ich auf der Autobahn fahre, dann passiert es ungefähr alle zwanzig Minuten, daß mir jemand viel zu dicht auffährt oder versucht, mich zum Verlassen der Spur zu bewegen, etwa durch Lichthupe oder Linksblinker. Und das, obwohl ich vergleichsweise schnell fahre und auch relativ gut motorisiert bin. Es wäre an mir, das Kennzeichen dieses Menschen zu notieren, möglichst noch dasjenige eines anderen Verkehrsteilnehmers, und dann stantepede zur Polizei zu fahren oder sie gleich anzurufen, auf daß dieser Mensch umgehend zurechtgewiesen, auf die Gefährlichkeit seines Verhaltens hingewiesen und bestraft wird. Einmal habe ich das sogar getan, da hat ein LKW-Fahrer versucht, mich abzudrängen, weil ich - wie es die StVo vorschreibt - eine endende Spur bis zur ihrem Ende nutzen wollte, sich aber alle LKWs schon eingefädelt hatten, was diesen Fahrer dazu bewegt hat, rüberzuziehen, als ich links von ihm war, was mich fast in die Leitplanken getrieben hat. Ich habe die Polizei gerufen, weil es wirklich gefährlich war, was dieser Typ versucht hat, habe mir das Kennzeichen meines Hintermannes gemerkt, bin dem LKW bis zur nächsten Ausfahrt hinterhergefahren, wo die Polizei schon wartete. Das ist zwar unbequem und man kommt sich ein bißchen wie ein tumber Hilfssheriff vor, aber eigentlich ist es richtig. Nur so kann man diese Leute dazu bringen, sich weniger asozial und eben auch gefährdend zu verhalten. Aber wer macht das schon? Man nimmt es zur Kenntnis, ärgert sich, zieht dann aber trotzdem bei nächster Gelegenheit rüber und läßt den Rowdy auf den nächsten zufahren. Um dann, wenn es zu einem Fall wie diesem hier kommt, bequem vom Schreibtischstuhl aus zu schreien: Ja, endlich wird es diesen Monstren mal gezeigt! Verstehe einer die Welt ...


    Was ich sagen will: Ja, dieses Verhalten ist grundfalsch. Wenn Ihr ihm begegnet - und das scheint ja häufig der Fall zu sein -, dann tut etwas.

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Politik ist ja eh meist recht selbstherrlich und polemisierend. Mir ging es aber um Deine Aussagen, wie "Neandertaler", "Zivilisationstünche", "Darwin", etc. Das hat in der Sache nichts mehr mit Argumentation zu tun, sondern ist eben polemisierend - oder etwa nicht?


    Bescheidene Frage: Was hat die allgemeine Betrachtung einer Rückentwicklung sozialer Strukturen mit Polemik zu tun? Neuerdings scheint man mit solchen Schlagworten immer rasch zur Hand zu sein. Das erlebe ich derzeit in einem anderen Forum, in dem Mobilfunkgegner mundtot gemacht werden sollen, noch stärker.
    Also lieber Doc, achte doch bitte ein wenig mehr darauf, was gesagt wird und wie.

    Zitat


    Um nicht falsch verstanden zu werden. Ich verurteile solche Menschen ebenfalls, aber in diesem speziellen Fall (und als Einzelfall muss man dieses Gerichtsverfahren eben bewerten - sonst können wir auch gleich wieder die Hexenverbrennung einführen) muss man eben leider die juristischen Waffen strecken und sagen: mehr war nicht drin. Dazu ist die Sachlage nach wie vor zu undurchsichtig und sehr schwer nachweisbar.


    Auch falsch. Das Gericht hat geurteilt, die Schuld des Angeklagten für erwiesen betrachtet und nach unserem Rechtsgefüge ist damit der Einzel-Fall erst mal erledigt. Grundsätzliche Änderungen gehören in den Bereich der Politik, schließlich haben wir Gewaltenteilung.
    Über die Bewertung des Einzelfalles Rolf F. ist ohnehin schon alles gesagt. Worum es jetzt offensichtlich geht, ist die Frage nach dem Versagen unserer gesellschaftlichen Strukturen, die solche Exzesse auf den Straßen mehr oder weniger fördern. Und in diesem Zusammenhang habe ich auch die von dir monierten Begriffe angewandt. Die Rückentwicklung zu steinzeitlichen Verhaltensmustern ist doch wirklich nicht mehr zu übersehen.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Zitat

    Original von tomliehr
    Was ich sagen will: Ja, dieses Verhalten ist grundfalsch. Wenn Ihr ihm begegnet - und das scheint ja häufig der Fall zu sein -, dann tut etwas.


    Da hast Du zwar vollkommen recht, Tom - aber das hat mit dem eigentlichen Thema nur noch am Rande zu tun. Es ging und geht um die Rechtssprechung, die (so wie ich manchen hier verstanden habe) zu lasch mit Rolf F. umgeht bzw. umgegangen ist. Und dabei stehe ich nach wie vor auf dem Standpunkt, dass in diesem Fall die Sachlage so zweifelhaft, also kaum nachweisbar ist, dass eine "scharfe" Verurteilung, zumindest bei mir, einen rechtstaatlichen faden Beigeschmack hat. Denn gerade hier ist die Gefahr eben gross, dass nicht der Einzelne, sondern eben der Einzelne stellvertretend für die vielen Uneinsichtigen abgeurteilt werden soll. Und das kann nicht wirklich im Sinne unseres Rechtverständnisses sein, oder?


    Gruss,


    Doc

  • Hallo, Doc.


    Ich bin ja Deiner Meinung, wie ich mehrfach zu sagen versucht habe. Nur hat diese Diskussion ihre Ursache m.E. eben auch darin, daß viele sich jetzt als stellvertretende Staatsanwälte fühlen, weil sie selbst schon häufig ähnliche Situationen (ohne derartig dramatische Folgen allerdings, glücklicherweise) erlebt haben, ohne etwas zu unternehmen. Der Fehler liegt nicht nur darin, daß es Leute gibt, die so handeln - vermeintlich, irgendwer muß der Täter gewesen sein -, sondern auch darin, daß viele Menschen dieses Handeln dulden, ohne etwas zu unternehmen, obwohl sie es könnten.

  • Zitat

    Original von Demosthenes
    Das Gericht hat geurteilt, die Schuld des Angeklagten für erwiesen betrachtet und nach unserem Rechtsgefüge ist damit der Einzel-Fall erst mal erledigt.


    Ja anscheinend ist es damit aber nicht erledigt. Das sieht man ja schon an den vielen Reaktionen in diesem Topic. Vielen ist das Urteil zu lasch, sie wollen das ein Exempel statuiert wird - und das halte ich für falsch und gefährlich.


    Gruss,


    Doc

  • Hi Tom,
    damit wir uns hier nicht falsch verstehen. Ich hab damit nicht gemeint, dass man diesen Fall als Anlass nehmen sollte, nach Strafverschärfung zu schreien und ich gehöre auch nicht zu denen, die bequem vom Schreibtischstuhl aus schreien, wohlmöglich noch inspiriert durch irgendeine Berichterstattung.


    Nicht jede Straßenverkehrsgefährdung ist erfüllt die Voraussetzungen für einen Straftatbestand. Klar gibts für Ordnungswidrigkeiten einen hübschen Bußgeldkatalog und so gesehen gibt es schon Instrumentarien, um solche Ordnungswidrikeiten oder Straftaten zu sanktionieren. Ob das ausreicht, wage ich manchmal zu bezweifeln, wobei mir klar ist, dass es darauf keine allgemeinverbindliche Antwort gibt.


    Mit dem von dir zitierten Satz wollte ich lediglich zum Ausdruck bringen, dass in den meisten Fällen die Empörung mit den Schlagzeilen der nächsten Woche verpufft und die Menschen, solange es sie nicht selbst betrifft, schnell wieder zur Tagesordnung übergehen. In meinen Augen auch ein Ausdruck von fehlender Rücksicht gegenüber ihren Mitmenschen. Wir leben in einer Gesellschaft, die zunehmend egozentrisch aufgebaut ist und in der Zivilcourage bestenfalls belächelt und als skuril empfunden wird. Das wird man durch härtere Gesetze ganz sicher nicht ändern.


    Zu deiner Erfahrung mit dem LKW-Fahrer kann ich nur sagen, dass du wohl Glück hattest, einen Zeugen oder einen einsichtigen Fahrer gefunden zu haben. Meist stehen doch in solchen Fällen Aussage gegen Aussage und man erreicht nicht den gewünschten erzieherischen Effekt, vorausgesetzt, man schafft es überhaupt, in solch einer Situation, sich das Kennzeichen zu merken und dann noch die Polizei zu verständigen.

  • Hallo, Doc.


    Zitat

    Vielen ist das Urteil zu lasch, sie wollen das ein Exempel statuiert wird


    Diese vielen sind aber, bitte um Entschuldigung vorab, glücklicherweise keine hauptamtlichen Richter.


    Übrigens: Wer möchte und über einen entsprechenden Leumund verfügt, kann sich jederzeit bei der Gemeinde- oder Stadtverwaltung darum bemühen, als Schöffe berufen zu werden. Dann ist man, dem Richter gleichberechtigt beisitzend, Laienrichter u.a. in Strafprozessen - und kann sein eigenes Verständnis von Schuld und Bestrafung im täglichen Rechtswesen einzubringen versuchen. Infos dazu finden sich reichlich im Netz.

  • Hmm, mag sein, daß man das auch so sehen kann. Ich jedenfalls habe aus der ganzen Diskussion lediglich herausgelesen, daß man allgemein mit dem Urteil unzufrieden war. Endweder ist er unschuldig, dann hätte er nicht verurteilt werden dürfen, oder er ist schuldig, dann böte das Gesetz durchaus die Möglichkeit, den Täter härter zu bestrafen.
    Die Exempel-Diskussion sah ich hingegen eher akademisch. Quasi als eine Standortklärung unserer heutigen Gesellschaft. Und da kristallisiert sich die Erkenntnis heraus, daß ein Menschenleben derzeit nicht sonderlich viel gilt. So war auch meine "Stellvertreterfunktion" des Rolf F. zu werten. Also ein Negativ-Beispiel für philosophische Betrachtungen. :-]

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Hallo, Idgie.


    Straßenverkehrsgefährdung ist ein Straftatbestand. Ohne Wenn und Aber. Wer andere gefährdet, ob fahrlässig oder vorsätzlich, risikiert eine Strafe.


    Das Problem des Beweises existiert immer (wie z.B. im vorliegenden Fall), und das ist m.E. auch gut so, denn es gibt ja umgekehrt viele Anschwärzler, Neider und Arschlöcher, die einfach so Leute anzeigen, es gibt Fehleinschätzungen, Irrtümer usw. Insofern ist schon sinnvoll, daß eine Schuldbezichtigung nicht direkt zur Verurteilung führt. Aber das sollte niemanden davon abhalten, es wenigstens zu versuchen, wenn einem derlei begegnet, denn das Wegsehen ist es, das Fehlverhalten gefahrlos, fast schon salonfähig macht.
    In meinem Fall übrigens wurde der Zeuge nicht einmal gehört, weil der LKW-Fahrer geständig war, er sagte noch im Prozeß, daß er es für eine Unverschämtheit gehalten hätte, daß ich die Spur weiter nutzen wollte, obwohl sich alle bereits eingefädelt hatten und daß er deshalb der Meinung war, mich auf dieses unverschämte - aber richtige! - Verhalten "hinweisen" zu müssen.

  • Hi Tom,
    scheint so, als würdest du dich im Straßenverkehrsrecht gut auskennen. Wahrscheinlich habe ich einen Gedankenfehler gemacht und die Terminologie etwas durcheinandergewürfelt. Richtig hätte es wohl lauten müssen: Nicht jede Ordnungswidrigkeit ist eine Straßenverkehrsgefährdung.


    Ich nehme mal an, dass der LKW-Fahrer sich seiner Sache sehr sicher war und deshalb auch im Prozeß noch davon überzeugt war, dass er recht hatte mit seiner gefährlichen Erziehungsmaßnahme.


    Ich hatte mal unglaubliches Glück, als mich ein LKW-Fahrer durch unachtsames Ausscheren auf die linke Spur in die Leitplanke abgedrängt hat. Niemand der übrigen Verkehrsteilnehmer hat von diesem Vorfall Notiz genommen und es war meine Sache, den Fahrer nach der ersten Schrecksekunde zu verfolgen und anzuzeigen. Da er mich "nur" abgedrängt, aber nicht berührt hat, war die Beweislage mehr als dürftig. Ich hatte Glück, dass er der Polizei gegenüber zugegeben hat, dass es so gewesen sein könnte, wie ich es geschildert hatte. Er kam mit einer geringen Geldbuße davon, die er gleich an Ort und Stelle bezahlt hat. Viel wichtiger war mir aber damals, dass er einsah, wie sehr er mich mit seinem stahlbeladenen LKW gefährdet hat. So gesehen kommt es nicht in allen Fällen auf harte Bestrafung an, sondern auf den Lerneffekt, den vielleicht so mancher Fahrer erzielt.

  • Hallo Tomlier,


    ich bin durchaus dafür, die Schwere einer Schuld zu differenzieren. Jemand, der aus versehen einen Blumentopf hinunterwirft, ist im allgemeinen, wenn er auf seinem Balkon sitzt, keine potentielle Gefahr für seine Umwelt. Ein Autofahrer, der mit überhöhter Geschwindigkeit über die Autobahn brettert, dabei andere abdrängt, beiseite scheucht und schneidet, hingegen schon. Das ist für mich das Selbe, als wenn sich jemand einen scharfen Kampfhund hält, der jederzeit einen Passanten, ein Kind oder sogar die eigene Familie anfallen kann. Ich zähle hier auch einen kleinen Teil der LKW-Fahrer hinzu, die ihr Gehirn auch mit dem Hintern durchgesessen haben. Ich habe mit denen auf meinen Autobahnfahrten einiges erlebt.


    Das hat etwas mit Hirn zu tun, mit sozialer Intelligenz! Leider ist die beim Homo Sapiens Sapiens mehr als gering ausgeprägt.



    Hallo Demosthenes,


    ich verwahre mich sehr gegen deinen Vergleich mit den Neandertalern, der diesen Zweig der Menschheit in die Nähe solcher Leute rückt. Im allgemeinen war der Neandertaler nämlich ein sehr soziales Wesen, das sich um seine Kranken und Alten gekümmert hat.


    Liebe Grüße
    Gheron :wave