Belletristik? Humor? Biographie? – ich habe nicht die leiseste Ahnung, unter welcher Rubrik das hier gehandelt wird. Gibt’s vielleicht eine Kochbuch-Ecke??
Julie Powell lebt in New York, fürchtet den 30. Geburtstag, trinkt zuviel, hadert mit sich und ihrem Leben und ist an einem Punkt, an dem sich etwas verändern muss. Eines Tages beschließt sie, zu kochen. Nicht irgend etwas, nicht irgend wie, sondern nicht weniger als alle 524 Rezepte eines Kochbuchs, das in den USA jahrzehntelang der Maßstab aller Koch-Dinge war: Julia Childs „Mastering the art of french cooking“. Ein Jahr will sie sich dafür Zeit lassen, das Ganze zudem in einem blog dokumentieren. Und da gibt es wirklich einiges zu berichten. Umzug, Stromausfall und eine Madenkolonie im Abtropfsieb machen ihr zu schaffen, vor allem aber geht es um den alltäglichen Kampf mit diesem Kochbuch, der zunehmend Leser und Mitesser lockt, die Köchin aber immer wieder an den Rand des Nervenzusammenbruchs treibt. Manchmal auch darüber hinaus. Wie sie das erste Mal alles daran setzt, das Mark aus einem Rinderknochen zu holen, wie sie Hummer heimtransportiert und dann zu töten versucht (ups), wie sie Vögel rupft, den Kampf mit zutiefst verhassten Innereien aufnimmt und entdeckt, dass Gelatine ihr Ding nicht ist – das hört sich blöd an, ist teilweise aber wirklich vergnüglich. Wer selbst hin und wieder unter Zeitdruck Gäste bekocht, und die damit verbundenen Krisen kennt, weiß, wie es geschehen kann, dass vernunftbegabte Wesen plötzlich mit Küchengeräten schmeißen und mit sich überschlagender Stimme Unverständliches brüllen, fluchen, wimmern. Schon erstaunlich, wie oft diese Frau das Wort „Scheiße“ unterbringen kann, ohne öde zu wirken.
Julie Powell hat ganz bestimmt den geduldigsten Mann der Welt, aber selbst er schüttelt sie eines Abends und schreit sie an: „Es ist doch nur Mayonnaise, Herrgott“ (oder so ähnlich; ich hab das Buch bereits vor einer Woche wieder in die Bücherei zurückgebracht). Und Powell erträgt die restlichen Katastrophen dieses an Katastrophen nicht armen Tages leise weinend – wirklich witzig.
Für die Köche: Es finden sich hier einige nützliche Tipps, wie sich das eine oder andere Sößle doch noch retten lässt. Oder man ist ganz einfach froh, sich nicht selbst Stunde um Stunde an seitenlangen Rezepten abarbeiten zu müssen – hat jemand eine Ahnung, was für ein Schweineg'schäft mit Entenlebermousse gefüllter und eigenhändig entbeinter Gänsebraten im Teigmantel ist? Für alle anderen: Julie Powell arbeitet(e?) als Sekretärin in einer Behörde, die nach dem 11. September „Ground Zero“ überplante, und wenn sie während ihres Koch-Marathons nicht in ihrer Küche stand, hatte sie auch im Büro Erlebnisse und Begegnungen der etwas anderen, durchaus unterhaltsamen Art.
Ihre blog-Einträge wurden schließlich mit kleinen Skizzen zu Julia Childs Leben verbunden und zum Buch gemacht, und wenn bei diesen Betrachtungen zum Leben Childs bei all der Heldinnenverehrung manchmal ein etwas seltsamer Ton auszumachen ist, erklärt sich das gegen Ende von selbst.
Julia Child, 1,88 groß, trinkfest, gerne und laut lachend, war vor allem eine lebende Koch-Legende und in Amerika – trotz ihres lausigen Akzents – der Inbegriff alles Französischen. Sie starb 2004 kurz vor ihrem 92. Geburtstag und ließ sich offenbar regelmäßig über das Experiment ihrer Namensvetterin informieren.
Julie Powell stellt alles, wirklich alles auf den Kopf, was ich von einem Buch erwarte. Aber es funktioniert. Trotz der Butterberge leichte Kost, genau das Richtige zum Sektle in der Badewanne oder für die Mußestunde nach einem allzu langen Arbeitstag. Ich weiß nicht, ob jemand den „BAfH" kennt, den bastard assistant from hell, aber irgendwie ist das nun der zweite auf einem blog basierende Roman, der mir innerhalb kürzester Zeit in die Hände gefallen ist und mich mehrfach laut lachen ließ. Bon appétit hat Julia Child nach jeder Kochsendung gesagt, dem schließen Julie Powell und ich uns an.
(edit: Rechtschreibfehler)