"Rebellische Engel" von Robertson Davies

  • Ich hab' all meine Lieblingsbücher, die hier noch nicht besprochen sind, verliehen; aber als nagelneuer Besen will ich unbedingt kehren. Hier also die „Rebellischen Engel“ von Robertson Davies - in erster Linie eine satirische Betrachtung zum Universitätsbetrieb.
    Den Professoren Mc Varish, Darcourt und Hollier wird als Testamentsvollstreckern ein sehr ungewöhnlicher Nachlass anvertraut - unter anderem finden (und verlieren) sich dort Rabelais‘ verschollene "Strategeme" sowie die Entwürfe zu drei ganz besonderen Briefen an Paracelsus. Die vermisste Handschrift, ein Mord und ein Selbstmord bestimmen die Handlung freilich nur vordergründig.
    Erinnernswert sind allein die Charaktere.
    Da ist vor allem Maria Magdalena Theotoky, die am kanadischen College of St. John and the Holy Ghost - einigermaßen respektlos „Spook“ genannt - ihren Doktorvater Clement Hollier liebt. Na ja, es gab da mal ein Stelldichein auf einem alten Sofa, dem in der Erinnerung der beiden höchst unterschiedliche Bedeutung zukommt. Die vielsprachige Studentin ist Rabelais-Kennerin - für sie waren die verschollenen Dokumente ursprünglich bestimmt - und konzentriert sich wie besagter Hollier auf die Paläopsychologie (wusste ehrlich gesagt nicht einmal, dass es so ein Forschungsgebiet gibt). Das heißt, sie erforscht, was die Menschen zu einer Zeit dachten, als ihr Denken noch „ein Mischmasch von Religion, Volksglauben und einigen Fetzen missverstandener klassischer Bildung“ war. Im Gegensatz zum Mischmasch von Materialismus, Volksglauben und einigen Fetzen missverstandener wissenschaftlicher Bildung. Ihr „zweites Paradies“ - nach dem verhinderten Liebhaber - ist das Streben nach Weisheit, und so ist „Rebellische Engel“ nicht nur Satire, sondern eben auch eine Liebeserklärung an Gelehrsamkeit um ihrer selbst willen. Maria hat vor allem eine Aufgabe: Sie muss sich mit ihrem Erbe versöhnen und irgendwann den Richtigen finden.
    Dabei hilft ihr eher unfreiwillig der zweite Ich-Erzähler Simon Darcourt, Reverend Professor mit ausgeprägtem Sinn für Humor, der zur Überzeugung gelangt ist, „dass ernsthafte Wissenschaft in diesem materialistischen Zeitalter das einzige tiefreligiöse Geschöpf ist“. Und natürlich Dr.Parlabane bzw. Bruder John, ein begnadeter Denker und leider streng riechender Ex-Mönch, der über scholastischen Streitgesprächen und seiner Hingabe an Skeptizismus – Alkohol und Drogen nicht zu vergessen – mehr als nur ein wenig aus der Spur geraten ist: glattzüngig, unterhaltsam, manchmal furchteinflößend wie der Teufel im angeschmuddelten Gewand eines fahrenden Scholaren.
    Auf sehr verschlungenen Pfaden (haha) wird auch Ozy Froats gebraucht, der menschliche Exkremente untersucht, sprich Individuelles und Charakteristisches im Stuhl sucht. Er glaubt, dass der Körper das Unbewusste ist, von dem Psychoanalytiker reden – jener unbekannte Faktor, aus dem das Unvorhergesehene und das Unkontrollierbare im menschlichen Charakter entspringt: Wenn alle Menschen lernten, intelligent mit ihrem Körper umzugehen, wäre das demzufolge ein Weg zu geistiger Gesundheit. Für seine Kritiker ist er freilich der „Scheißeschnipsler“, und selbst seinen Freunden fällt eine Vielzahl bemerkenswerter Wortspiele ein, etwa zu „zwölf Metern Literatendarm“. Ozy ist nur ein Beispiel für die skurrilen Gestalten, die diesem Buch Leben geben, hier allerdings mit gutem Grund angeführt. Denn seine Foschungsarbeit über Fäkalien führt zu Marias Mutter, einer Zigeunerin, die mit nahezu unbezahlbaren alten Geigen arbeitet und dazu unter anderem Pferdemist nutzt. So darf man sich ein funkelndes Kaleidoskop vorstellen.
    Nicht vergessen werden dürfen dieses Ekelpaket Mc Varish („er war einfach nur unausstehlich, und das gilt aus irgend welchen Gründen nicht als Entschuldigung für den Wunsch, sich jemanden vom Hals zu schaffen“) und all die anderen Gestalten, die in erster Linie boshafte kleine Betrachtungen zum Wesen eines Elfenbeinturmes sind - angefangen beim schrulligen Fabulierer bis hin zum ausgemachten Dummschwätzer. Am meisten aber mag ich an diesem Buch, dass Zusammenhänge, die unbedingt erklärt werden müssen, so vollendet in die - durchweg geschliffenen - Dialoge einfließen, dass den Lesern niemals das Gefühl vermittelt wird, belehrt zu werden oder schlicht dämlich zu sein.


    Der Autor, leider 1995 im Alter von 83 Jahren gestorben, war einer der großen kanadischen Schriftsteller. Nach dem Studium in Kingston und Oxford versuchte er sich zunächst als Schauspieler, dann war er Kulturredakteur verschiedener Zeitungen und wurde schließlich als Professor für englische Literatur an die Universität Toronto berufen. Seine Romane wurden in fast alle europäischen Sprachen übersetzt. Neben den Rebellischen Engeln sind im Paul Zsolnay Verlag weitere empfehlenswerte Titel erschienen: „Der Fünfte im Spiel“, „Das Fabelwesen“ oder „Welt der Wunder“.
    (Edit: Rechtschreibfehler und neue ISBN-Nummer)