Dollys großer Tag - Enid Blyton (ab ca. 12 J.)

  • OT: In the Fifth at Malory Towers 1950


    Für ihren fünften Band der Internatsserie um Darrell Rivers/Dolly Rieder hat sich Blyton etwas Besonderes ausgedacht. Im Unterschied zu den vorherigen Bänden - und auch zu ihrer Vorgehensweise in anderen Serien, das muß man hier dazu sagen, - beschränkt sie sich nicht darauf, die bekannten Szenen abzuspulen. Für einmal geht es nicht um die Abfolge von Einzelereignissen, deren Zusammenhalt durch eher unbestimmte große Klammern wie ‚Unterricht’, ‚Schulsport’ oder ‚Freizeit’ bestimmt ist. In diesem Band steht Gemeinsamkeit im Vordergrund, das Zusammenagieren der Mädchen, das Sammeln und Bündeln der Kräfte für ein einziges Ziel.


    Das gemeinsame Ziel ist die Produktion eines Theaterstücks für die Weihnachtsfeier, die sogenannte Christmas Pantomime. Das sind Aufführungen vor allem von Märchen, die in England im 19. Jahrhundert zu einer ganz besonderen Tradition als Teil des Familienfestes Weihnachten geworden sind und die sich bis heute gehalten hat. Es ist wiederum charakteristisch für Blyton, daß sie ein etwas verändertes Konzept bietet, ohne die fundamentale Vertrautheit der Leserinnen mit ihren Geschichten zu durchbrechen. Schwerpunkt und Fokus sind verschoben, aber wer hat Angst vor Weihnachtsmärchen?


    Der fünfte Band Malory Towers also mit einem neuen Element, das Spiel im Spiel, die Bühne auf der Bühne. Wir sind TheaterbesucherInnen. Dementsprechend setzt das Buch ein, es gibt keine Beschreibung der Anfahrt zur Burg, im Gegenteil, wir sind sofort am Spielort, sobald sich der Vorhang gehoben hat.


    „Felicity! Look there’s Malory Towers at last.“


    Das ist der erste Satz, Darrell spricht ihn und er könnte tatsächlich ein erster Satz aus einem Theaterstück sein.


    Natürlich folgen umgehend die bekannten Szenen, wohlfühlen will man sich beim Lesen, alte Gesichter sehen und Spaß haben. Da kommen sie aufmarschiert, unsere Heldinnen und Freundinnen, Alicia und Sally, die chaotische Irene - klar, daß sie wieder mal ihr Gesundheitszeugnis verschlampt hat - , und Bill, selbstverständlich auf dem Pferderücken.
    Raum nehmen inzwischen auch die Erstkläßlerinnen ein, Felicity und ihre Freundinnen, ein erstes, sanftes Zeichen eines bevorstehenden Endes für Darrell. Sie hat die Schule fast durchlaufen. Blyton ist bei aller Schnellschreiberei keine Autorin, die so etwas übersehen würde.


    Hier aber geht es erst einmal um Theater und so sind auch die weiteren Auftritte bekannter wie neueinzuführender Personen effektvoll in Szene gesetzt. Zunächst gibt es einen kräftigen Schuß Komödie. Die weist nicht selten sehr gelungene Slapstick-Elemente auf. Gwendolyn Mary/Evelyn bekommt eine ihrer besten Szenen in der Serie. Ihr stets höchst gefühlvoller Abschied von der Mama unten im Schulhof wird von ihren Klassenkameradinnen oben am Fenster in bester parodistischer Manier zeitgleich mitgespielt.
    Kaum ist sie anschließend im Kreis ihrer Klassenkameradinnen angelangt, wird ihr schon eine neue Schülerin als beste Freundin angedient. Diesem Mädchen, der die Rolle der eitlen und albernen Naiven zugeteilt wurde, hat man wiederum vorgemacht - vorgespielt - daß Gwendolyn Mary das netteste Mädchen sei. Irrtümer und Täuschungen, die ältesten Elemente der Komödie überhaupt.


    Ins Spiel gezogen werden auch Lehrerinnen. Alles ist eben ein wenig übertrieben in dieser Geschichte, theatralisch. Eine der Französischlehrerinnen, die, die am meisten unter den Streichen der Mädchen zu leiden hat, beschließt, den Mädchen ihrerseits einen Streich zu spielen. Das kann sie, weil sie endlich dahintergekommen ist, daß man die Hilfsmittel zu diesen ‚Tricks - treeks, sagt Mam’zelle Dupont immer - , per Katalog bestellen kann. Zaubertricks, Bühnenshow, eine einfallsreiche Ausweitung des Grundthemas.
    Mam’zelles treek gelingt übrigens und er ist wirklich komisch. Schade, daß die deutschen Leserinnen daran früher nicht teilhaben konnten, in den Übersetzungen fehlten diese Kapitel.


    Aber auch Negatives kommt in diesem Band zur Sprache. Es gibt echte Drameneinlagen, am Rand der Tragödie. Sie sind ebenso theatralisch überhöht wie die komödiantischen Anteile. Es geht um Neid und Haß. Das ist mit einfachen Mitteln großartig in Szene gesetzt, vom Konflikt zwischen Schwestern über Kompromißlosigkeit und Herrschsucht bis hin zu anonymen Briefen als zersetzendes Gift in der Gemeinschaft.
    Zudem schlägt so manches, was als Komödie angelegt wurde, hin und wieder ins Gegenteil um. Die erzwungene Freundschaft zwischen Gwendolyn Mary/Evelyn und Maureen/Margaret führt zu einem recht schmerzlichen Prozeß der Selbsterkenntnis. Es geht aber auch andersherum, Schwestern, die sich im Wortsinn bis aufs Blut bekämpfen, erkennen in Bedrängnis plötzlich, daß sie doch zusammengehören.
    Emotional ist man erstaunlich gefordert beim Lesen des fünften Bands.


    Im Mittelpunkt aber steht selbstverständlich die Produktion des Weihnachtsspiels. Ausgesucht wurde Cinderella, die beliebteste Christmas Pantomime, warum also nicht in Malory Towers? Die Mädchen machen alles selbst, Text, Musik, Bühnebild, Kostüme, Choreographie. Es geht um Kreativität und Inspiration, um Selbständigkeit in einem ganz neuen Bereich. Auch Organisation und ihre Untiefen ist nicht ausgenommen. Es gibt großen Einfallsreichtum, Beifall, Begeisterung und schrecklichen Streitereien. Es ist immer wieder verblüffend, wie mühelos Blyton das Thema einwebt und wie ihre Personen wachsen.


    Möglicherweise schreibt sie auch ein wenig über sich selbst. Sie gönnt uns nämlich einen ersten Blick auf Darrell als künftige Schriftstellerin. Möglicherweise, der Vorhang wird hier nur ganz kurz gelüftet. Es reicht aber, um eine beim Lesen fühlen zu lassen, wie das ist, wenn man einen Text geschrieben hat und ihn einem Publikum vorträgt. Wie es sich anfühlt, wenn sich die eigenen Worte verselbständigen, weil eine andere Person sie spricht, wieder eine andere sie vertont und eine Dritte sie auf der Bühne singt.
    Wie man leidet, wenn das Stück ins Wasser zu fallen droht und wie sich das Glück anfühlt, wenn es doch noch zustandekommt.


    Entsprechend dem Einstieg endet das Buch mit dem letzten Akt des Weihnachtsstücks. Keine turbulente Abschiedsszene beim Aufbruch in die Ferien hier. Wir erleben den Augenblick eines Triumphs auf der Bühne und hinter der Bühne. Ende gut, alles gut. Der Vorhang fällt, auf der Schulbühne ebenso wie auf der Bühne, auf der Blyton Malory Towers für uns inszeniert hat.


    Uns bleibt nur noch, kräftig Beifall zu klatschen für dieses meisterhaft geschriebene und inszenierte Stück Mädchenschulgeschichte.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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