Warum Robben kein Blau sehen und Elche ins Altersheim gehen. Pleiten und Pannen im Bauplan der Natur - Jörg Zittlau
das meint amazon
Immer besser an die Umwelt angepasst, stark und siegreich: So stellen wir uns die Ergebnisse der Evolution vor – vor allem uns selbst, versteht sich. Dieses strahlende Bild bekommt jedoch schnell Flecken, wenn man sich die verrückten und rätselhaften Eigentümlichkeiten ansieht, die manche Tiere entwickelt haben. Jörg Zittlau hat genau hingesehen und allerlei Erstaunliches entdeckt. Da gibt es Tropenameisen, die bei Überschwemmungen ihr Heim leertrinken – und das Wasser gleich nebenan wieder ablassen. Oder die Schlange, die jede Menge Nahrung zur Auswahl hat, am liebsten aber Molche frisst, deren Gift sie so lähmt, dass sie ein leichtes Opfer für Feinde wird. Oder die männliche Ruderente, die einen so langen Penis hat, dass er sie bei allem, was sie tut, behindert. Oder die sexuell kinderleicht in die Irre zu führenden Pfauen. Oder die selbstmörderischen Walrosse, die pingeligen Störche, die regelmäßig betrunkenen Seidenschwänze ...
Doch nicht nur die Tierwelt, die wir noch leicht mit amüsierter Distanz betrachten können, steckt voller spielerischer und aus Sicht der Evolutionstheorie unerklärlicher Überraschungen. Von Beginn an lässt Zittlau keinen Zweifel daran, dass der Mensch selbst auch den einen oder anderen gravierenden evolutionären Mangel aufweist. So leistet der Mensch sich ein riesiges Großhirn, das durchaus von zweifelhaftem Nutzen ist. Unter anderem hat es dazu geführt, dass menschliche Babys so große Köpfe haben, dass eine Geburt grundsätzlich schwierig, gefährlich und kaum ohne fremde Hilfe zu bewältigen ist. – Aber warum sollte der Mensch auch von den Launen der spielsüchtigen Natur ausgenommen sein?
Dieses Buch ist etwas Besonderes. Nicht nur weil Zittlau all die verrückten Eigenheiten und evolutionären Schwächen von Tier und Mensch humorvoll und sprachlich gekonnt beschreibt. Sondern vor allem deshalb, weil er auch die größten Absonderlichkeiten mit einem liebevollen Blick betrachtet. Ein sehr unterhaltsames Buch, das wissenschaftliche Aha-Erlebnisse beschert, zum Lachen bringt und beim “Luxusirrtum Mensch” trotz all seiner Schwächen ein rundum gutes Gefühl hinterlässt. Was will man mehr? -- Gabi Neumayer
Über den Autor
Dr. Jörg Zittlau ist Soziologe und Sportmediziner und als langjähriger Hochschullehrer ein Kenner der Wissenschaftsszene. Heute arbeitet er in Bremen als freier Journalist mit den Schwerpunkten Ernährung und alternative Heilverfahren.
Meine Meinung
Wie bekommt mas es doch immer zu hören, sei es bei Wahlkampfveranstaltungen einer Grünen Mittelstandsmutti in der Garage irgendwo in der schwäbischen Provinz oder aber auch von umweltbewegten Großstadthexen und -hexern: Jedes Tier ist perfekt an seine Umwelt angepasst und nur der Mensch ist durch die Zerstörung eben jener Umwelt für das Verschwinden dieser Arten verantwortlich. Und wenn das in vielen Fällen auch tatsächlich so sein mag, zeigt uns Jörg Zittlau die ganze Geschichte einmal von der anderen Seite: die meisten Tiere sind keineswegs perfekt an ihre Umwelt angepasst, genaugenommen nur gerade so viel, dass sie in dieser Umwelt überleben können.
Witz- und kenntnisreich zeigt er uns die teilweise nicht unerheblichen Päckchen evolutionärer Altlasten, die so manche Tierart mit sich herumschleppen muss, und nicht wegen, sondern trotz derer sie sich mehr oder weniger erfolgreich in ihrer Umwelt behaupten:
Ist die prächtige Löwenmähne womöglich nicht eine Zeichen von Majestät, wie der Mensch gerne interpretiert, sondern höchst unpraktisches Ergebnis eines entgleisten Testosteronspiegels? Haben sich die vielbewunderten Geparden blitzschnell in eine evolutionäre Sackgasse gesprintet, aus der sie auch ohne Zutun des Menschen wahrscheinlich nicht heil herauskommen werden? Und ist womöglich nicht überlebensnotwendige Ernährungstaktik sondern grober Unfug, wenn Pottwale versuchen, in der Tiefsee Riesenkalmare zu erbeuten, was viele mit dem Leben bezahlen, anstatt sich der viel einfacher zugänglichen Nahrungsquellen kurz unterhalb des Wasseroberfläche zu bedienen?
Dieser unkonventionelle Blickwinkel stimmt nachdenklich, was unsere vom romantischen Naturbild geprägte Ansichten und auch Dogmen zur Natur angehen und zeigt die pragmatische Dimension der Evolution: solange eine Eigenschaft nicht so bescheuert ist, das sie sofort zum Erlöschen einer Population führt, bietet die Natur genügend Spielraum, um auch diese Eigenschaft ohne erkennbaren Nutzen weiterzuschleppen und noch seltsamere Taktiken zu entwickeln, um die Nachteile dieser Eigenschaften wieder auszugleichen.
Nachteilig sei bemerkt, dass einigen der Gedankengänge Jörg Zittlaus etwas an Tiefe fehlt, als Biologin hätte ich mir manchmal etwas fachkundigere Erklärungen gewünscht. Dennoch ist gerade für naturgeschichtlich interessierte Laien dieses Buch eine spannende Lektüre, da es eben mal einen anderen Blickwinkel auf das vielgepredigte „Survival of the fittest“ (was fälschlicherweise immer als „Überleben des Stärkeren“ interpretiert wir, aber das ist eine andere Geschichte) wirft: Man muss nicht perfekt sein, durchmogeln funktioniert oft genug auch.