Brontë, Anne - Die Herrin von Wildfell Hall

  • Originaltitel: The tenant of Wildfell Hall


    In das beschauliche Landleben von ***shire zieht die mysteriöse Mrs. Graham. Sie versucht die Gesellschaft zu meiden und zieht sich in ihre Unterkunft Wildfell Hall zurück. Natürlich bleibt sie nicht lange allein, sind die Dorfbewohner doch sehr neugierig auf die neue Bewohnerin. Sie statten ihr Besuche ab und versuchen, ihre Geschichte zu erfahren. Auch der junge Bauer Gilbert Markham interessiert sich für die Zugezogene und gewinnt zunehmend ihr Vertrauen. Doch Spekulationen und Gerüchte formieren sich bald und die scheinbare Ruhe, die Mrs. Graham zu finden hoffte, zerbricht.
    Gilbert Markham informiert seinen Schwager J. Halford über die Art ihrer Bekanntschaft durch einen langen Brief. Er legt dem Brief zudem Mitschriften von Mrs. Grahams Tagebuchaufzeichnungen bei, in denen sie ihre Geschichte erzählt.


    Mehr möchte ich zum Inhalt nicht verraten, aber wer eine ausführliche Inhaltsangabe sucht, wird mit Hilfe von Google und Wikipedia auf vielen Seiten fündig.


    Mir hat dieser Klassiker sehr gut gefallen. Nachdem ich bisher nur zwei Romane der Brontëschwestern kannte (Charlottes „Jane Eyre“ und Emilys „Sturmhöhe“), war ich auf Annes Ansatz sehr gespannt.


    Die Ehegeschichte, die Anne Brontë erzählt, war für ihre Zeit wahrscheinlich sehr radikal, aber nicht außergewöhnlich. Sie hatte viel Kritik dafür einzustecken. Während der gesamten Lektüre fragte ich mich, ob sich vielleicht zu viele Kritiker auf den Schlips getreten fühlten, um subjektiv zu urteilen. (Reine Spekulation meinerseits.)


    Anne beschreibt sehr detailliert und präzise, welche Auswirkungen ein egoistischer Ehepartner auf sich selbst, seine Ehe und seine „Lieben“ hat. Dieser Teil der Schilderung macht für mich die Essenz des Romans aus. Die Nebenhandlung um Mrs. Graham und Gilbert Markham wirkte auf mich wie ein Zugeständnis an den Geschmack der Zeit. Insbesondere das Ende erschien mir nicht mehr so glatt.


    Fazit:
    Der Roman hat mich gefesselt und gebannt. Solch schonungslose Offenheit hatte ich nicht erwartet und war positiv überrascht. Der Teil, in dem man die Tagebucheintragungen liest, war sehr aufwühlend und mitunter sehr modern gestaltet. Natürlich darf man nicht vergessen, dass es sich hier um ein Zeitdokument des 19. Jahrhunderts handelt und die Konventionen zwischen damals und heute mitunter sehr unterschiedlich sind. Allerdings existiert das grundlegende Problem auch in der heutigen Zeit noch. Die Umstände mögen sich unterscheiden, die Auswirkungen nicht unbedingt.
    Für mich empfehlenswert für Leser dieses Genres!

  • Ach, wie toll!
    Das ist mein Favorit unter den Romanen der Schwestern Bronte.


    Ich fand ihn überraschend modern im Ansatz, die Charaktere packend und die Geschichte sehr überzeugend. Ich gebe aber zu, daß ich beim ersten Lesen (gut zwanzig Jahre her!) ein bißchen gebraucht habe, bis ich begriffen habe, wie mutig Helen wirklich war.


    Anne Bronte schreibt eher schlicht im Vergleich zu ihren Schwestern, ihre Sätze wirken erst im Nachhinein. Es wirkt zuweilen so dahingesagt, ist es aber gar nicht. tatsächlich formuliert sie präzise.


    Sehr empfehlenswert.





    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Na spitze, und ich war der Ansicht, von Anne Bronte gäbe es nur "Agnes Grey" und ich hätte somit alle Bücher der Brontes gelesen :pille
    Da gilt's wohl, eine Bildungslücke zu schießen...

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Nach Agnes Grey hatte ich eigentlich nicht mehr vor etwas von Anne zu lesen, da ich Agnes als sehr flach und gesellschaftskonform kennengelernt hatte.
    Aber dann habe ich doch noch "Die Herrin von Wildfell Hall" gelesen und war überrascht, denn das hatte ich Anne wirklich nicht zugetraut so offen und schonungslos und unbeschönigt mit einem Thema wie diesem umzugehen.


    Die Protagonisten Helen Huntigton "Graham" und Gilbert Markham waren beide sehr sympathische Figuren, wenn auch etwas grob umrissen, zumindest was Gilbert betrifft. Helens Persönlichkeit enthüllt sich in ihren Tagebuchaufzeichnungen und man kann die Entwicklung von der jungen, hoffungsvollen Braut zu desillusionierten, ernüchterten Frau verfolgen. Helen teilt das Schicksal, das viele Frauen dieses Jahrhunderts zu tragen hatten: verheiratet mit einem Mann, der sie nur oberflächlich geliebt hat, allein gelassen, gedemütigt in der Ehe. Helen wagt etwas, was wohl im wirklichen Leben nie geschehen wäre: sie verlässt ihren Mann und versucht unter falschem Namen sich und ihrem Sohn ein Leben zu ermöglichen. Dabei sieht sie sich den Voruteilen der ländlichen Bevölkerung ausgesetzt. Durch die Erfahrungen ihrer Ehe gezeichnet begegnet sie Gilbert, als potentiellem Verehrer, sehr reserviert und verstockt - eine verständliche Reaktion. Was mich wunderte war, dass Gilbert so völlig anders wirkte als der Rest der Familie: ein liebenswerter, ein klein wenig narzisstischer aber durchaus gebildeter Kerl, dessen Familie eigentlich nur so vor vorgefassten Meinungen und engstirniger Ansichten überquillt - eine seltsame Kombination. Dennoch wandelt sich Gilbert ja durch die Freundschaft zu Helen: er wird ernster, ein Stück reifer und erkennt die Engstirnigkeit der Welt in der er lebt - die äußert er ja auch in den Briefen an seinen Schwager Jack Halford, an den er die Briefe und Tagebucheinträge sendet.


    Übrigends wurde die Herrin von Wildfell Hall 1996 von BBC verfilmt mit Tara Fitzgerald als Helen und Toby Stephens als Gilbert Markham. Die Verfilmung bleibt sehr eng am Roman und zeigt gerade Helens Ehealltag mit Arthur sehr präzise und genau, das war ein sehr positiver Aspekt. Allerdings gefiel mir Hellen nicht wirklich. Sie wird im Buch als blasse, schwarzhaarige Schönheit beschrieben, Tara Fitzgerald passte da nicht wirklich vom Typ, aber sie hat Helen sehr schön gespielt.

  • Ja ... die Verfilmung war nicht übelst, aber wie so oft, wird sie dem Buch nicht gerecht. Besonders das Ende lässt mich etwas ... schmollen.


    Ich liebe dieses Buch von Anne und muss gestehen, dass ich auch nach dem fünften oder sechsten Mal lesen kaum das Buch beiseite legen kann. So sehr zieht es mich rein.


    Eine Geschichte, die noch heute gelebt wird.


    das zur Zeit Englisch lerndene, um die Werke im Original lesen könnende, eyre