Ein Pferd im Internat - Enid Blyton (ab ca. 12 J.)

  • OT: Third Year at Malory Towers - 1948



    Umfragen zum Leseverhalten im England in den 1940er Jahren zufolge, zeigten Mädchen eine deutliche Vorliebe für Internatsgeschichte und für Pferdegeschichten. Es gibt keinen Hinweis dafür, ob Blyton das wußte. Immerhin hatte sie Töchter und die hatten die landesüblichen Ponys.
    Wie auch immer, mit Band drei dieser ehrwürdigen und doch offenbar ewig modernen Schulgeschichte um die Burg Möwenfels - Malory Towers im Original - und die Heldin Dolly/Darrell hält ein Pferd Einzug im Internat. Mit dem Pferd kommt eine Reiterin mit ganz eigenen charakteristischen Kennzeichen - nicht neu für Blyton, aber neu in dieser Serie.


    Neu ist vieles im dritten Jahr, wie Darrell/Dolly erfahren muß. Die etwas engen, aber noch sehr schützenden Mauern der Schule weiten sich. Die Mädchen sind 14, eine weitere Entwicklungsstufe beginnt.
    Zunächst wird es ausländisch. Eine Schülerin aus den USA kommt nach Malory Towers. Da ihre Eltern Bekannte von Darrells Familie sind, hat Darrell das Vergnügen, das fremde Mädchen schon auf der Fahrt nach Cornwall kennenzulernen. Ein zweifelhaftes Vergnügen, wie sie findet. Die Neue hört auf den wirklich wunderbar gewählten Namen Zerelda. Im Deutschen heißt sie Marilyn, keine schlechte Wahl, aber das wirklich Exotische fehlt. Zerelda/Marilyn ist zwar nur ein Jahr älter als Darrell, aber sie tritt auf wie eine Erwachsene. Sie schminkt sich! Darrell weiß nicht, ob sie lachen soll oder entsetzt sein. Sie selber ist ja eher so der Frischluft-Typ. Und von ‚erwachsen’, sprich mit den weiblichen Reizen spielen, hat sie offenbar noch nichts gehört.


    Zereldas Auftreten, ihr US-Akzent und ihre Arroganz gegenüber den Leutchen in Merry Ole England führen in den folgenden Monaten zu nicht wenigen herrlich komischen Situationen.
    Die dritte Klasse muß aber nicht nur damit zurande kommen, sondern zunächst vor allem mit einem gleichaltrigen Neuzugang, Wilhelmina. Das hat die Klasse nun wirklich noch nicht erlebt, ein Mädchen, das unter sieben Brüdern aufgewachsen ist, die Haare stoppelkurz trägt und Bill/Will gerufen werden will! Und dann kommt sie auch noch weder mit dem Zug noch im Auto mit ihren Eltern angefahren, wie sich das für ein Mädchen gehört, nein, Bill hat sich kurzerhand aufs Pferd geschwungen und ist mitsamt ihren Brüdern zur Schule geritten! Pferd bedeutet hier übrigens Pferd, nicht Pony oder anderes Kleingetier. Das will schon etwas heißen.


    Es ist tatsächlich ein erstes vorsichtiges Spiel mit Geschlechterrollen, das uns Blyton hier bietet, sehr zurückgenommen, sehr versteckt, aber auch höchst geschickt innerhalb einer Mädchengruppe, die sich vom Alter her gesehen allesamt in der Pubertät befinden müssen. Immer wieder wird Weiblichkeit thematisiert, im Auftreten Zereldas z.B. und dann Bills burschikoses Auftreten dagegen gesetzt. Bill findet als Figur auch eine Weiterführung in einer der Lehrerinnen, die auch fürs Reiten zuständig ist, beherzt und direkt daherkommt und die ‚weiblicheren’ Mädchen, wie Gwendolyn/Evelyn, Daphne/Diana, aber auch die eher schüchterne Mary-Lou/Marlies abstößt oder zumindest erschreckt.


    Dazu kommt die Frage von frühen Talenten und Begabungen. Zerelda hält sich für eine künftige Hollywoodschauspielerin, Darrell hofft, endlich in die Lacrosse-Mannschaft (im Deutschen: Handball) aufgenommen zu werden und vernachlässigt darüber so manches andere, Irene, das Musikgenie, kämpft mit ihrer Vergeßlichkeit. Zentral illustriert wird dieser Handlungsstrang am Beispiel von Mavis/Margot, die eine wirklich gute Gesangsstimme hat und aus Ehrgeiz alle Vernunft in den Wind schlägt, als sich eine Möglichkeit zu bieten scheint, diese Stimme in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Hier gibt es Raum für eine sehr dramatische Szene gleich aus zwei Handlungssträngen, in Nacht und Regen, und Blyton nützt ihn nach Kräften. Die deutsche Übersetzung allerdings ist an der Stelle etwas gekürzt.


    Den angemessenen Platz im Leben und in der Gesellschaft finden, ist das Hauptthema. Was heißt es, vierzehn Jahre alt zu sein, wo die Grenzen sind, wo die Wege, die man gehen kann oder auch muß. Das muß Zerelda erfahren, die böse stolpert in ihrem größten Berufswunsch, Schauspielerin zu werden, das muß Bill erfahren, die lernen muß, daß es noch andere Dinge im Leben gibt als Pferde. Das erfährt, am schlimmsten bestraft, Mavis.
    Selbstverantwortlich denken und handeln lernen, darum geht es. Den Platz in der Gemeinschaft finden, das ist das Wichtige.


    Wenn Darrell dann endlich im Lacrosse-Team siegt, dann haben auch die anderen Grund, sich ihrer Siege zu freuen. Der Siege über sich selbst, nämlich und die sind angeblich die schönsten.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Hier die englische Ausgabe, wenn ich es recht sehe, Darrell mit dem ordnungsgemäßen Fanggerät für den Ball im Lacrosse-Spiel ausgerüstet.


    :lache

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Danke für die schöne Rezi, magali. HAb mich gleich wieder an die Zeiten erinnert, als ich selbst die Dolly-Bücher las und mir nichts mehr als ein Pferd wünschte. Schade, dass in den deutschen Ausgaben die Namen auch mit verdeutscht wurden. Die englischen gefallen mir eindeutig besser.