Wachtmeister Studer (Erwin Schlumpf Mord) - Friedrich Glauser

  • Nach meinem Reinfall mit einem deutschen Thriller-Debüt zum Ende des letzten Jahres, habe ich das neue Jahr mit dem Klassiker der deutschen Kriminalliteratur begonnen:


    Wachtmeister Studer von Friedrich Glauser


    Erstveröffentlichung unter „Schlumpf Erwin Mord“ 1935
    TB-Ausgabe „Die Arche“ Sämtliche Kriminalromane und Kriminalgeschichten


    Inhalt:
    Im Gerzensteiner Wald, wird der Handelsreisende Witschi erschossen aufgefunden. Der Verdacht fällt sofort auf die in einer Baumschule beschäftigten Ex-Sträflinge. Als einer von Ihnen, Erwin Schlumpf, der auch noch ein Liebesverhältnis mit der Tochter des Ermordeten hat, beim Wechseln einer 100 Franken-Note gesehen wird und flieht, scheint alles klar. Studer wird Beauftragt den Flüchtigen zu verhaften, was im auch gelingt und er bringt ihn in Untersuchungshaft auf dem Schloß Thun.
    Den Versuch von Schlumpf, sich in der Zelle zu Erhängen kann Studer im letzten Moment verhindern. Was als Schuldbekenntnis ausgelegt werden könnte, überzeugt Studer von Schlumpf’s Unschuld und sein Kampf, das auch zu beweisen, beginnt .


    Glauser über Glauser von wikipedia:
    Am 15. Juni 1937 schrieb Glauser in einem Brief an Josef Halperin: 1896 geboren in Wien von österreichischer Mutter und Schweizer Vater. Grossvater väterlicherseits Goldgräber in Kalifornien (sans blague), mütterlicherseits Hofrat. Volksschule, 3 Klassen Gymnasium in Wien. Dann 3 Jahre Landerziehungsheim Glarisegg. Dann 3 Jahre Collège de Genève. Dort kurz vor der Matura hinausgeschmissen... Kantonale Matura in Zürich. 1 Semester Chemie. Dann Dadaismus. Vater wollte mich internieren lassen und unter Vormundschaft stellen. Flucht nach Genf ... 1 Jahr (1919) in Münsingen interniert. Flucht von dort. 1 Jahr Ascona. Verhaftung wegen Mo. Rücktransport. 3 Monate Burghölzli (Gegenexpertise, weil Genf mich für schizophren erklärt hatte). 1921–23 Fremdenlegion. Dann Paris Plongeur. Belgien Kohlengruben. Später in Charleroi Krankenwärter. Wieder Mo. Internierung in Belgien. Rücktransport in die Schweiz. 1 Jahr administrativ Witzwil. Nachher 1 Jahr Handlanger in einer Baumschule. Analyse (1 Jahr) ... Als Gärtner nach Basel, dann nach Winterthur. In dieser Zeit den Legionsroman geschrieben (1928/29), 30/31 Jahreskurs Gartenbauschule Oeschberg. Juli 31 Nachanalyse. Januar 32 bis Juli 32 Paris als ‹freier Schriftsteller› (wie man so schön sagt). Zum Besuch meines Vaters nach Mannheim. Dort wegen falschen Rezepten arrestiert. Rücktransport in die Schweiz. Von Juli 32 – Mai 36 interniert. Et puis voilà. Ce n'est pas très beau ... (Friedrich Glauser an Josef Halperin, 15. Juni 1937)
    "Mo." steht jeweils für Morphium, da Glauser immer wieder stark morphiumsüchtig war.


    Nach Friedrich Glauser ist der Friedrich Glauser-Preis (kurz: Glauser) für den besten Kriminalroman des Jahres in deutscher Sprache benannt. Der Preis wird vom Syndikat, der Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren vergeben.


    Meine Meinung:
    Die Arche-Ausgabe steht schon länger ungelesen im Regal. Am Neujahrstag wollte ich einfach ein kleines schmales, wahrscheinlich sehr gutes Buch lesen und griff zum Wachtmeister Studer.
    Und was für ein Griff. Ein Krimi, der sich heute noch, trotz jeder Menge Zeit- und Lokalkolorit, genauso frisch und unverbraucht liest wie damals.
    Wachtmeister Studer, ein behäbiger Fahnder der Berner Kantonspolizei, kurz vor der Pensionierung, etwas bieder wirkend, gutmütig, wortkarg, dickschädelig, manchmal geradezu begriffsstutzig. Aber er verfügt über Intuition und Gespür für Menschen, die Aussagekraft von Gesten oder Details. Darauf basieren seine Ermittlungen und nicht auf Kriminal-Technik und neunmalkluge Logik.
    Wie Studer sich an Details und Beobachtungen entlanghangelt, seine Einschätzung von Menschen und Situationen, wie er letztendlich ein Komplott in einem Schweizer Dorf aufdeckt, das nur aus Schildern und Musik zu bestehen scheint, seine Kritik an Zuständen und Handlungen ist vom allerfeinsten.
    Heute würde diese Geschichte kein Autor unter 400-500 Seiten erzählen, wobei viele neueren Krimis auch nichts anderes erzählen als Glauser in diesem kleinen Roman


    Für den Krimilesen mehr ist als „Fuselspannung" (O-Ton Glauser), ist Glauser zu lesen, wie für einen Klassiker-Liebhaber Thomas Mann oder Kafka.


    Wer sich für diesen Autor interessiert sollte aber auf die Ausgabe achten.
    Die nicht mehr lieferbare 7-bändige „Arche-Ausgabe“ enthält jeweils weiterführende Informationen zum Autor, zur Geschichte und zum Zeitgeschehen, wie zum Beispiel Glausers Erwiderung zu "Zehn Geboten für den Kriminalroman" von Stefan Brockhoff. (auf der Seite etwas nach unten scrollen).
    In den Diogenes-Bänden scheint das zu fehlen, während die Ausgaben des Unions-Verlages in dieser Hinsicht anscheinend besser sein soll.
    Zum 1.2.2008 erscheint dort auch eine Kassette mit den 6 Romanen für 29,90. Aber die Romane, so wie alle Erzählungen gibt es dort auch als einzelne TB


    Mein Empfehlung: ZUGREIFEN


    Wer Glauser nicht liest ist selber schuld und es bleibt wohl ein Geheimnis der Eulen mit einem Krimi-Anteil von 20%, warum so viele drittklassige Krimi hochgelobt werden und bisher der Name Friedrich Glauser im Verzeichnis fehlte (Nix für ungut, habe ihn ja auch jetzt erst gelesen). Aber das ist jetzt geändert.


    Dyke, der die nächsten 5 Monate immer mit einem „Glauser“ anfängt.

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von dyke ()

  • dyke , danke, auf Glauser bin ich seit einer Weile neugierig. Bist du aber sicher, dass du in deinem zweiten Beitrag das richtige Buch verlinkt hast? Ich habe dieses hier als "Wachtmeister Studer" (und Reihenstart, hoffentlich) auf meiner Wunschliste.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Zitat

    Original von MaryRead
    dyke , danke, auf Glauser bin ich seit einer Weile neugierig. Bist du aber sicher, dass du in deinem zweiten Beitrag das richtige Buch verlinkt hast? Ich habe dieses hier als "Wachtmeister Studer" (und Reihenstart, hoffentlich) auf meiner Wunschliste.


    Habe ich, den der Roman wurde von Glauser ursprünglich unter dem Titel "Erwin Schlumpf Mord" veröffentlicht.
    Bei den folgenden Editionen hat sich "Wachtmeister Studer" durchgesetzt, da es halt der 1. Roman mit Studer ist.


    Ich habe die Unionsverlag-Ausgabe verlinkt, da sie, ähnliche wie meine Arche-Ausgabe, mit Zusatzinfos ausgestattet sein soll, im Gegensatz zur Diogenes-Ausgabe. Habe ich aber nur aus dem Internet, da ich die beiden Bücher nicht habe. Vielelicht beim Buch-Dealer Deines Vertrauens mal reinschnuppern.


    Auf jeden Fall Viel Spaß dabie wüsncht


    Dyke

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

  • Der Schuber steht im Ferienhaus meiner Familie und irgendwann habe ich mal ein Buch davon gelesen, ich glaube es war "Der Tee der drei alten Damen" , das fand ich eher langweilig.
    Aber wenn ich deine Rezi so lese, werde ich es im nächsten Urlaub nochmal versuchen.

  • Wenn es hier im Forum eine Top-Ten-Liste der Rezensionen gäbe, würde diese hier für mich hinein gehören. Danke Dir dyke.


    Die Bücher um Wachtmeister Studer habe ich vor vielen Jahrzehnten gelesen. Als das stärkste von allen ist mir MATTO REGIERT in Erinnerung geblieben.
    Ich denke, darauf dafst Du Dich auch noch sehr freuen.


    Vielleicht könnte Dich folgendes interessieren.....über Friedrich Glauser und seinen Wachtmeister Studer haben sich einige Eulen auch schon im Thread Schweizer AutorInnen ausgetauscht. :wave

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Joan ()

  • Es fehlen in Verzeichnis noch viele Klassiker aus vielen Genres- was mich angeht, so geht es mir wie Joan, Studer lässt sich nicht mehr in Jahen, sondern in Jahrzehnten messen, aber ich sollte doch mal wieder-und ja auch mir ist "Matto regiert" in bester Erinnerung.

  • Hi, Dyke,


    danke für das 'Fundstück'. Ausgezeichnetes Buch.


    Nicht alle Romane sind so gut gelungen wie Wachtmeister Studer und Matto regiert. Ein Leseerlebnis sind sie aber allemal.
    Der Band mit den Erzählungen ist auch empfehlenswert, wenn ich auch die eine oder andere Geschichte etwas schräg finde.
    Glauser ist nicht so leicht zugänglich.


    Und ja, die Arche-Ausgabe ist wunderbar, ich besitze aber merkwürdigerweise bloß zwei Bände davon - manchmal verwirrt mich meine eigene Bibliothek - die anderen habe ich als Diogenes -Ausgabe. :gruebel


    Wachtmeister Studer wurde bereits 1939 verfilmt, natürlich von Leopold Lindtbergh und natürlich mit dem großartigen Heinrich Gretler als Studer. Ein ganz eigener Film, man findet sowohl die Atmosphäre des Romans als auch die besondere Handschrift von Lindtberg. Cum Gretler.
    Tolle Mischung.


    Hier der Link zum Film.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich hatte auch mal die Gesamtausgabe im Schuber aus dem Arche-Verlag. 4 Bände hab ich geschafft, dann war irgendwie bei mir die Luft raus, bzw. das Interesse weg... Aber trotzdem: empfehlenswert!!! Man sollte sich auch ein wenig mit der Biographie Glausers vertraut machen - sehr interessant, sehr bewegt!

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Beim nächsten Eulentreffen kann sich eine Eule über "Wachtmeister Studer" freuen - ich hab mir nämlich gerade den Schuber vom Unionsverlag bestellt! :-]


    Ich habe den "Wachtmeister Studer" erst halb durch, aber ich bin völlig begeistert, wie der Autor mir hier Bilder zaubert. Von der ersten Seite an habe ich gedacht "Das muss unbedingt verfilmt werden" - jetzt sehe ich wieder, dass es schon einen Film gibt, den würde ich gerne mal sehen. Das Buch ist wundervoll gemütlich, ich sehe das Dorf Gerzenstein und das Büro des... wiehießernoch... förmlich vor mir. Die schweizerische Atmosphäre scheint mir auch sehr authentisch eingefangen, und die schweizerdeutschen Einsprengsel tun ein Übriges.


    Wieder mal ein Beispiel dafür, dass es nicht immer "das fulminante Debüt eines viel versprechenden neuen Autoren" sein muss, sondern dass die alten Schätzchen oft die lohnenderen sind.


    Das Einzige, was zeitweise nervt, sind die drei Punkte hinter so vielen Sätzen... Meistens nicht mal in wörtlicher Rede... Und auch nicht, um irgendeinen Cliffhanger einzuleiten... Aber man gewöhnt sich dran... :grin

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von MaryRead ()

  • Als alter Krimimuffel, der ich nun einmal bin, brauchte es erst Voltaire, um mich auf diese Perle zu stoßen. Ich bin begeistert von der leicht antiquierten, schönen Sprache, den charakterlichen und physischen Zeichnungen der Figuren sowie nicht zuletzt dem gemächlichen Erzähltempo. Die nächsten vier Studer-Romane werde ich sofort im Anschluss lesen, und das nicht nur, weil ich sie als Sammelband (Arche) geschenkt bekommen habe. :-)

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Im Rahmen des Alt-SUB-Abbaus bin ich dann endlich auch dazu gekommen....


    Meine Meinung:


    Wachtmeister Studer ist ein kauziger Ermittler - nicht nur angesichts der Zeit, in der er von Friedrich Glauser (1896-1938) zum Leben erweckt wurde. Lange vor DNA-Proben und anderen kriminaltechnischen Errungenschaften macht sich Studer daran, den Tod eines Mannes aufzuklären, der erschossen im Wald gefunden wurde. War es Mord, Selbstmord oder gar ein Unfall? Ein Mord auf dem Land aufzuklären, so heißt es selbst im Roman, sei schwerer als in der Stadt, da Dörfler zusammenhalten und im Zweifelsfall schweigen. Und tatsächlich muss sich Studer auf seine Intuition, seine Kenntnis der Dorfbewohner und ihrer Eigenheiten verlassen, um Licht ins Dunkel zu bringen. Es bedarf schon einer gewissen Ruhe und Geduld, Studer zu begleiten und die einzelnen Puzzlestücke zusammenzusetzen und die vielen sprachlichen Eigenheiten zu überlesen, die man als Nicht-Schweizer nicht versteht. Letzteres schmälert das Lesevergnügen etwas, denn man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, einen Teil dieses ganz besonderen Flairs zu verpassen, das Glauser seinen Figuren mit auf den Weg gegeben hat. Studer selbst bleibt unkonventionell und gerne hätte man noch mehr über ihn als Privatperson erfahren, doch diese Eigenheit des Kriminalromans hat sich wohl erst später entwickelt. Hier bleibt Studer voll und ganz Ermittler und obwohl der Fall nicht spektakulär ist, wird er dennoch irgendwie im Gedächtnis bleiben.


    7 Punkte von mir.