Der sogenannte Regionalkrimi, der sich in Deutschland in den letzten zehn, fünfzehn Jahren rasant ausbreitete, hat in mir keine Anhängerin gefunden. Ortsbeschreibungen, die direkt den Hochglanzbroschürchen von Tourismusmarketingfirmen entspringen, Ermittler, die, gleich ob privat oder offiziell, einfachste Alltagsweisheiten kumpelhaft im lokalen Idiom zum Besten geben, Leichen, die kunstvoll am örtlichen Wahrzeichen hindrapiert werden, der unvermeidliche Kotau vor lokalen ‚Größen’ - nichts läßt die Provinz provinzieller erscheinen. Von der oft eher mangelnden schriftstellerischen Qualität gar nicht erst anzufangen.
Es gibt aber auch in diesem eher trüben Bereich Ausnahmen, regelrechte Überraschungen sogar, und das vorliegende Buch ist eine.
Es handelt sich hier nicht um einen Roman, sondern um eine Sammlung von zwanzig Kriminalerzählungen. Mit zwei, drei Ausnahmen spielen die Geschichten in und um Mannheim - das Wort ‚Quadrat’ im Titel weist auf den legendären Grundriß der Innenstadt hin. Mehr als ein Hintergrund aber ist weder die Stadt noch sind es ihre Vororte oder die Städtchen im Neckartal. Es gibt auch keinen Dialekt, keine mehr oder weniger verdeckte Tourismus-Werbung, keine Anbiederei an Lokalgößen.
Was es gibt, sind ausgezeichnet erzählte Geschichten. Kriminalgeschichten sind es, aber nicht in jedem Fall klassische. Einige von ihnen handeln von Fällen des ortsansässigen Kriminalkommissars Lauer. In anderen sprechen meist namenlose Ich-Erzähler. Ein paar spannende Krimis gibt es und ja, mindestens eine Geschichte wäre weit besser geworden, hätte Landin auf den Mannheim-Bezug verzichtet.
Es geht aber nicht grundsätzlich um die glatte Aufklärung der jeweiligen Fälle und es geht auch nicht in jedem Fall um eine krönende Pointe. Manchmal ist das ‚Warum’ wichtiger als das ‚Wie’.
Es sind oft genug kleine Charakterstudien, Skizzen, anschaulich bebilderte seelische Vorgänge. Die Geschichten sind kurz gehalten, die meisten haben weniger als zehn Seiten. Hin und wieder muß man sehr genau lesen, um den Dreh zu verstehen, aber jeder weitere Satz wäre falsch gewesen, so dicht kann der Autor schreiben. Die letzte Geschichte gar beschreibt das Fehlgehen einer Kriminalerzählung beim Schreiben. Oder ist es vielleicht doch ein Kriminalfall und gar kein Unsinn?
In anderen Geschichten geht es mehr darum, was der Erzähler sich vorstellt oder gar einbildet, als um das, was wirklich passiert ist. Das letzte Urteil darf man als Leserin und Leser selber treffen, wenn man unbedingt will. Der Autor fordert einen keineswegs dazu auf. Es ist eben so, wie es ist.
Es gibt eine Geschichte, in der Landin Leserinnen und Leser bewußt im Unklaren läßt und dann auch noch ihre Enttäuschung thematisiert, die sie deswegen empfinden. Beeindruckend.
Hier haben wir also einen Autor, der sich traut. Der, von ein paar wenigen Ausreißern (der Dialekt-Einschlag?) abgesehen, nicht nur sehr gut formulieren kann, sondern an den Grenzen der herkömmlichen Krimierzählung rüttelt. Das ist originell gedacht und geschrieben und auf gar keinen Fall auf die Region beschränkt.
Auf Kommissar Lauer bin ich sogar regelrecht neugierig geworden. Vielleicht gibt es ja eines Tages einen richtigen Krimi mit ihm. Den würde ich kaufen, auch wenn er mitten in Mannheim spielte. Dem Autor traue ich nämlich zu, daß er mehr kann, als die Gartenzwerge hinterm Jägerzaun zum Schaudern zu bringen.
Zum Autor:
Walter Landin (geb. 1952) lebt seit 1974 in Mannheim, arbeitet als Realschullehrer. Schreibt und publiziert seit Anfang der 1980er Jahre Prosa, Lyrik, Theaterstücke, auch in Pfälzer Mundart. Preise u.a. 2003 Zweiter beim Agatha-Christie-Krimipreis, 2006 Preisträger beim Kurzdramenwettbewerb Marburg.
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