Wie man Haltschek hilft

  • Mit meinem Freund Haltschek verbindet mich eine alte innige Feindschaft. Bereits im Kindergarten war er derjenige, den ich für meine harmlosen Streiche auserkoren hatte. So klebte er manchmal an seinem Sessel fest oder wurde von jemandem für etwas verpetzt, was er niemals getan hatte. Er seinerseits revanchierte sich im Laufe seiner Karriere, indem er mir das hübsche Mädchen ausspannte, das mir die Ehre gab, als erster mit ihr ins Bett gehen zu dürfen.
    Über solche Kindereien sind wir zum Glück hinaus und ich erfuhr, dass Haltschek nächste Woche eine Ausstellung seiner Aquarelle plane.
    „Haltschek, alter Kumpel“, rief ich ihn an, „das freut mich aber...“
    „Du kommst doch nicht vorbei?“ fragte er etwas unsicher.
    „Aber sicher doch.“
    Damit war ich sicher, dass er bis zum Tag der Ausstellung nicht mehr schlafen würde. Haltschek hatte zu dieser Zeit einen sicheren Job im Aufsichtsrat einer Bank und gute Chancen auf ein politisches Amt. Die Malerei war nur ein Hobby und er nahm sich in dieser Sache selbst nicht ernst. Hier sah ich meine Möglichkeiten. Ich ging zu Hanninger, Feringer und Glasnitzer – alles Freunde meinerseits – mit dem unübertrefflichen Vorteil, dass Haltschek sie nicht kannte und weihte sie in meine Pläne ein. Die ganze Sache war nicht billig, aber was tut man nicht alles, um einem alten Feind einen Streich zu spielen. Und, wie gesagt, über die Kindereien von damals waren wir lange hinaus.
    Die Aufgabenverteilung sollte wie folgt aussehen: Hanninger sollte Haltscheks Bilder über alles loben und vielleicht das eine oder andere käuflich erwerben. Dann würde Feringer auftauchen und über den Ausdruck der Kunstwerke schwärmen, Haltschek einige Ausstellungen in großen Häusern und eine noch größere Zukunft versprechen. Den Rest hatte dann Glasnitzer zu besorgen. Er würde sich als Einkäufer einer New Yorker Galerie auszugeben haben und Haltschek als neuen Picasso bezeichnen. Glasnitzer ist in solchen kleinen Flunkereien perfekt und mein Plan schien mir ausgezeichnet. Ich ließ für die drei Visitenkarten drucken und übte mit allen Kunstfachausdrücke. Für das, dass die drei noch nie eine Kunstveranstaltung besucht hatten, machten sie sich ganz gut.
    „Welches soll ich denn kaufen?“ fragte Hanninger.
    „Das Schrecklichste“, sagte ich.
    „Und wenn er mir mein Geschwafel vom experimentellem Kubinismus nicht abnimmt?“ warf Feringer ein.
    „Haltschek ist ein Trottel“, beruhigte ich ihn.
    „Meinst du, dass er mir meine Visitenkarte abnimmt?“ sagte Glasnitzer mit zweifelndem Blick.
    „Wenn du gut bist, glaubt der Idiot dir alles.“
    Mit einer gewissen zufriedenen Schadenfreude legte ich mich am Tag vor der Ausstellung zur Ruhe.
    Um zehn Uhr Vormittag ging ich hin und hielt mich im Hintergrund. Ich bestellte Kaffee an der Bar und platzierte mich strategisch äußerst geschickt hinter einer Zimmerpalme. Hanninger hatte ich für kurz nach zehn bestellt und er war pünktlich und verwickelte Haltschek in ein langes Gespräch. Ich konnte sehen, wie er aufblühte und sie sich am Ende die Hand schüttelten. Ich winkte Hanninger zu mir und lud ihn auf ein Bier ein.
    „Wie ist’s gelaufen?“ fragte ich.
    „Er hat mir alles abgekauft. Und ich habe ihm ein Bild abgekauft.“
    „Welches?“ fragte ich.
    Er deutete unauffällig auf ein abscheuliches Werk in Wandgröße, dass wohl etwas wie ein verunglücktes Experiment in grün darstellen sollte.
    „Was wollte er dafür?“
    Hanninger nannte mir den Preis und jetzt brauchte auch ich ein Bier.
    „Ja, ist denn der größenwahnsinnig...“
    Hanninger konnte mich gerade noch zurückhalten, ansonsten wäre ich wohl auf Haltschek eingestürmt und hätte seinen Kopf wohl an seinem grünen „Kunstwerk“ zertrümmert.
    „Beruhige dich“, sagte Hanninger, „du wolltest ihn auf die harte Tour fertig machen.“
    „Aber musst du gerade dieses grüne Ungetüm nehmen.“
    „Gib mir das Geld“, befahl er und ich bezahlte.
    Ich überlegte, ob ich für das Kunstwerk einen schönen Platz im Keller finden würde, oder, welchen Brennwert es wohl haben würde, entschied mich aber dann, es meiner Tante Berta zu schenken. Die kann ich sowieso nicht ausstehen.
    Hanninger verabschiedete sich zufrieden.
    „Hole dir das Ding am Abend ab“, grinste er, „bring es dir dann vorbei.“
    „Okay“, sagte ich, „und jetzt verschwinde.“
    Ich ging zu Haltschek und begrüßte ihn überschwänglich, sagte ihm, wie sehr ich seine Kunst bewunderte und gab mir alle Mühe, ihm nicht an die Gurgel zu gehen. Ihm kam meine Freundlichkeit etwas seltsam vor, aber er ließ sich dann doch überzeugen.
    „Und dieses grüne gefällt mir besonders gut.“
    „Tut mir leid, alter Freund, schon verkauft.
    Ja, an mich, dachte ich.
    „Aber du wirst doch deinen Job nicht aufgeben?“ fragte ich.
    „Bin ja nicht verrückt“, sagte er.
    Na gut, dachte ich, so weit bist du also noch nicht.
    Ich rief von der Bar aus Feringer an und sagte, er könne jetzt kommen.
    Feringer kam und sah aus, als wäre er einer Irrenanstalt entsprungen. Sein Anzug war ihm zu klein und die Hornbrille hatte nicht mal Gläser drin. Er sah aus wie Jerry Lewis im „zerstreuten Professor“. Ich stand gerade in Hörweite und ließ ein rotes Etwas auf mich wirken, als er Haltschek ansprach.
    „Sie sind der Künstler?“
    „Ja“, sagte Haltschek und musterte Feringer erst mal von oben bis unten. So etwas hatte er sicher auch schon ewig nicht mehr gesehen.
    „Darf ich mich vorstellen“, sagte Feringer, „Professor Dr. Willhelm Kunziger, Kunstsachverständiger der Republik.“
    „Aha“, sagte Haltschek.
    „Tja, wissen Sie, so etwas habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Diese Farbenvielfalt, dieser Ausdruck, dieser moderne Mut zum Risiko in ihrer gesamten Vielfalt...“
    „Aha“, sagte Haltschek.
    „Sie stellen doch hoffentlich auch in großen Häusern aus?“
    „Ähh...“, sagte Haltschek.
    „Nicht?“ Feringer gab sich erstaunt und reichte Haltschek seine Karte.
    „Ich bitte Sie, lieber Freund, sich am Montag bei mir zu melden. Ich kann ihnen große Säle sichern, Kulturförderung und noch einiges mehr. Sie dürfen sich nicht mit einer Ausstellung wie dieser zufrieden geben. Haben Sie mich verstanden?“
    „Aha“, sagte Haltschek.
    Ich muss sagen, das hätte ich Feringer, alias Professor Dr. Kunziger nicht zugetraut. Haltschek war sprachlos und seine Brust schwoll an.
    „Zum Beispiel dieses“, der Professor deutete auf mein eben erstandenes grünes Unbild, „diese meisterhafte Farbgebung, ein wenig beeinflusst von Renoir, sehe ich das richtig?“
    Haltschek stand ratlos vor seinem Bild.
    „Aha“, sagte er nur.
    „Ich sehe schon, lieber Meister“, legte Feringer noch eines nach, „Sie legen keinen besonderen Wert auf meine Fachkenntnis. Da haben Sie ganz recht. Das macht einen großen Künstler aus. Ich hoffe, Sie melden sich bei mir. Eine Frage noch: Wie haben Sie dieses große Kunstwerk benannt?“
    Haltschek musste kurz in seinem kleinen Büchlein nachschlagen.
    „Grünes Unheil“, sagte er.
    Ich war kurz davor, einem Lachkrampf zu verfallen und konnte sehen, dass auch Feringer sich zurückhalten musste. Da hatte Haltschek doch tatsächlich Ironie bewiesen. Mich schauderte vor der Rache meiner Tante, wenn ich ihr das Ding schenken würde.
    Feringer verabschiedete sich von dem Mann, der jetzt überzeugt war, ein großer Künstler zu sein und der Mann, der glaubte, ein großer Künstler zu sein, versprach, am Montag anzurufen. Auch da hatte ich vorgebaut und auf Professor Dr. Kunzigers Karte war meine Telefonnummer. Ich würde ihm bei seinem Anruf den Rest geben. Vorerst musste ich aber noch Feringer gratulieren und lud ihn an der Bar auf ein Getränk ein. Von Haltschek hatten wir keine Störung zu befürchten. Der begutachtete seine Werke und war sehr beeindruckt von sich.
    „Wie war ich?“ fragte Feringer.
    „Ausgezeichnet.“
    „Kleinigkeit.“
    „Wo hast du denn diesen Anzug her?“
    „Hat mir mein Sohn geborgt.“
    Habe ich schon erwähnt, dass Feringer mein allerbester Freund ist. Wenn nicht, in diesem Moment war er es.
    „Jetzt noch Glasnitzer. Wenn der halb so gut ist, wie du, gibt er ihm den Rest. Da wächst der blöde Trottel bis an die Decke.“
    Glasnitzer kam kurz nach zwei und ließ sich erst mal eine Stunde Zeit um die Kunstwerke zu betrachten. Er arbeitete mit Lupe und machte sich Notizen, wie ich es ihm aufgetragen hatte. Ich konnte beobachten, wie Haltschek ihm aufgeregt dabei zusah. Jetzt hab ich dich entgültig, dachte ich und erinnerte mich an so manchen guten Streich, den ich Haltschek gespielt hatte. Das war mein Meisterstück. Er schlich sich langsam an Glasnitzer heran und blickte ihm über die Schulter.
    „Gefällt es Ihnen?“ fragte er vorsichtig.
    „Außergewöhnlich“, sagte Glasnitzer und ließ die Augen nicht von einem rosaroten Schandwerk, dass meinem grünen Elend in nichts nachstand.
    „Außergewöhnlich“, wiederholte Glasnitzer, „diesen Ausdruck habe ich erst einmal gesehen.“
    „Ja...“
    „Picassos frühe Phase. Phantastisch!”
    Meinen Sie?“
    „Meine ich, meine ich“, sagte Glasnitzer böse, „natürlich meine ich. Sie verstehen wohl nichts von Kunst?“
    „Ich hab’s gemalt“, sagte Haltschek nicht ohne Stolz.
    Glasnitzer drehte sich abrupt um und schien auf die Knie zu fallen. Wenn er das jetzt tut, dachte ich, bekommt er einen Extrabonus. Er tat es nicht, klopfte aber Haltschek anerkennend auf die Schulter.
    „Sie erlauben, dass ich „Meister“ zu Ihnen sage...“
    Haltschek blies sich auf.
    „Sie sind nicht der erste, der mir das heute sagt.“
    „Das glaube ich gerne. Sagen Sie, verkaufen Sie Ihre Werke.“
    „Tja...“
    „Was sind ihre Preise?“
    Haltschek verdoppelte die Zahl, die ich für das grüne Elend bezahlt hatte, und Glasnitzer brach in Gelächter aus.
    „Entschuldigen Sie, Meister“, sagte er, „aber Sie sind ja wohl verrückt.“
    Haltschek war beleidigt.
    „Zu teuer?“
    „Sie sind verrückt. Das Zehnfache würde ich verlangen.“
    Jetzt war Haltschek wirklich beeindruckt und besah sich seine elenden Sachen zweifelnd. Hoffentlich war Glasnitzer nicht zu weit gegangen.
    „Hören Sie, Meister“, hackte er nach, „es tut mir in der Seele weh, wenn ein Jahrhunderttalent seine Begabung hier vergeudet. Kommen Sie zu mir nach New York, Sie werden berühmt und reich.“
    „Aber...“
    „Denken Sie nach, Meister, aber denken Sie nicht zu lange. Das „Museum for modern art“ kommt nicht jeden Tag auf Knien angekrochen.“
    Jetzt schluckte Haltschek wirklich und Glasnitzer übertrieb die Sache ja wirklich ein wenig. Es war an der Zeit einzugreifen. Ich bestellte zwei Bier und kam locker in den Saal getrabt.
    „Ein Bier für dich, alter Kumpel“, sagte ich locker und warf Glasnitzer einen bösen Blick zu.
    „Ja, das brauch ich jetzt“, meinte Haltschek und stellte mir Glasnitzer vor, „der hat mir gerade gesagt, ich sollte in New York ausstellen“, flüsterte er.
    „Aha“, sagte ich.
    „Ein Freund von Ihnen?“ fragte Glasnitzer Haltschek.
    „Na ja“, sagte Haltschek.
    „Natürlich“, sagte ich, „wir sind seit dem Kindergarten die allerbesten Freunde.“
    „Dann kennen Sie ja das außergewöhnliche Werk ihres außergewöhnlichen Freundes.“
    „Selbstverständlich. Haltschek war schon immer ein großes Talent. Hab ich dir das nicht immer gesagt...“
    „Nein“, sagte Haltschek.
    „Wie dem auch sei“, sagte Glasnitzer, „Sie nehmen den nächsten Flug nach New York, melden sich an dieser Adresse und dann werden Sie schon sehen.“
    Er überreichte Haltschek feierlich eine Karte, auf der ich aus einem einfachen irischen Pubs im Zentrum Manhattens den Art-Shop Nummer 1 gemacht hatte. Wenn er nach New York kommen sollte, würde er sich dort nur besaufen können, sonst nichts.
    „Was sagst du dazu“, fragte er mich, nachdem sich Glasnitzer verabschiedet hatte.
    „Also, ich verstehe ja nichts von Kunst, aber da haben dich ja anscheinend einige Leute ziemlich gelobt. Das muss schon was zu bedeuten haben.“
    „Tja, wahrscheinlich hast du recht.“
    Haltschek ließ in der nächsten Woche alles liegen und stehen, verschickte seine Werke um ein Heidengeld über den großen Teich und flog nach New York. Wenn ich jetzt gehofft hatte, er würde dort in der Gosse landen, oder zumindest frustriert zurückkehren, so habe ich mich geirrt. Er fand zwar den Art-Shop Nummer 1 nicht an der angegebenen Adresse, war aber so frech, sich sogleich an das „Museum of modern art“ zu wenden und fand einen durchgeknallten Atelierbesitzer, der seine Werke um einen Höllenpreis verkauft. Letztes Jahr wurde er von einer bekannten Zeitschrift zum „Künstler des Jahres“ gewählt und man sah Haltschek in jeder Szene-Zeitschrift. Dort schmuste er dann gerade wahlweise mit einem Top-Model oder einem Filmsternchen. Ich lud Hanninger, Fehringer und Glasnitzer ein, um ihnen zu sagen, was sie mir angetan hatten.
    „Wir haben aus diesem Trottel einen Star gemacht.“
    „Tja, wir verstehen eben etwas von Kunst“, sagte Hanninger.
    „Was ist mit deinem Bild?“ fragte Fehringer.
    „Der Trottel hat es seiner Tante geschenkt.“
    Das ist leider richtig. Meine Tante befindet sich zur Zeit auf einer Weltreise und wird erst im Mai wieder im Lande sein. Auf jeder Postkarte, die sie mir schickt, nennt sie mich ihren „Lieblingsneffen“ und bewundert mich wegen meines außergewöhnlichen Kunstgeschmacks.

  • Guten Abend david moses w.


    Deine Geschichte gefällt mir ausserordentlich gut.....eine der wenigen eigenen Geschichten, die in diesem Forum vorgestellt wurden, die ich mit zunehmender Spannung zu Ende gelesen habe.


    Das Thema "Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein" mit einem herrlichen Augenzwinkern grandios umgesetzt.....sehr gut gelungen auch der dramaturgische Aufbau.


    Von meiner Warte aus gibt es eigentlich nichts zu bemängeln....


    Danke Dir....und ich hoffe, dass noch viele Eulen Deine Geschichte auch entdecken....


    Mach weiter so....ermunternde Grüsse Joan :wave

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

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