Bevor es eng wird, ist es kalt. Wir stehen vor dem Innenraum-Eingang der "Colorline-Arena", es ist kurz vor sieben, also neunzehn Uhr. Die Menschen um mich herum, die meisten kleiner als ich, rauchen hastig. "Drinnen ist Rauchverbot", sagt Markus, mein Freund, mit dem ich hier bin. Rauchverbot auf einem Punk-Konzert. Hurra, herzlich willkommen im 21. Jahrhundert. Aber genau genommen machen Die Ärzte ja auch keinen Punk mehr.
Der Mann, der stumm jedem zunickt, der er den schmalen Absperrgang zur Leibesvisitation passieren läßt, ist groß, glatzköpfig, und trotz Schlips und C&A-Mantel sieht er aus wie die Leute, gegen die "Die Ärzte" in einigen Songs ansingen, zum Beispiel "Schrei nach Liebe". Aber jut, den Typen will ich auch nicht sehen, hören oder kennenlernen. Ich lasse mich abtasten. Ich gehöre eigentlich nicht zu den Leuten, die ständig "früher war alles besser" sagen, aber die Einlasskontrollen bei Konzerten sind zu echten Stimmungstötern geworden. Ich bekäme lieber mal eine Bierdose gegen die Rübe als mir ständig diese demütigenden Befummeleien anzutun. Punk ist anders.
A propos Demütigung. Um halb acht, da ist der Innenraum noch ziemlich leer, während sich die zweistufigen Ränge durchaus füllen (geschätzt 10.000 Leute), kommt eine Á-capella-Combo namens "Jo-Men" oder so auf die Bühne. Man intoniert Popsongs zwischen deutschem HipHop und "Summer of 69", und das redlich schlecht, um nicht zu sagen: richtig scheiße. Eine Kunst aber beherrscht die Vorgruppe exzellent, nämlich die der Selbstdemütigung. "Ich weiß, Ihr wollt uns eigentlich nicht hören", sagt einer der Sänger mehrfach - unter dem Jubel der Menge. Und zweimal rufen sie höchstselbst zum "Wir wollen die Ärzte hören"-Chor auf. Die Stimmung bei den Songs hingegen ist wie im Warteraum beim Urologen.
Um kurz nach acht wird ein mächtiger schwarzer Vorhang aufgezogen, auf dem sich in weiß das Ä mit den drei Punkten befindet, darunter gekreuzte Knochen. Man kann zur vermeintlich erschlaffenden musikalischen Kreativität der drei sagen, was man will, aber ideenlos sind sie jedenfalls nicht. Um zwanzig nach acht geht das Licht aus. Bei geschlossenem Vorhang ertönt "Himmelblau", der erste Song vom neuen (und zugegeben sehr mäßigen) Album "Jazz ist anders". Erst im letzten Drittel fällt der Stoff. Um mich herum beginnt man damit, das Rauchverbot zu ignorieren, aber einige gleichfalls glatzköpfige Ordner greifen sich hier und da einen Nikotinsüchtigen und zerren ihn zum Ausgang. Es lebe der Punk. Die Bühne ist groß und der Lichtaufbau ist gewaltig. Links und rechts der Bühne sind zwei riesige Gwendolynes aufgestellt worden.
Nach zwei weiteren Songs vom neuen Album beginnt die Reise durch fast drei Jahrzehnte "Die Ärzte", von "Zu spät" bis "Unrockbar". Sie endet um halb zwölf, also nach etwas mehr als drei Stunden und insgesamt vier Zugaben-Blöcken. Der Trip hatte seine Tiefen, aber vor allem Höhen, trotz der meines Erachtens etwas zu verhaltenen Lautstärke. Die drei Herren, von denen zwei auch schon diesseits der Vierzig sind, haben wirklich ihr bestes gegeben. Auf der Bühne herrschte gute Laune, und davor auch. Sogar zu Seufz- und Sitz-La-Olas hat sich das Hamburger Publikum hinreißen lassen. Gen Ende war es fast so, als würden sie auf der Bühne durchaus noch weitermachen wollen, aber das Volk davor konnte einfach nicht mehr.
Früher hätten Die Ärzte sicherlich nicht in einer solchen Halle gespielt, und sicher nicht mit einem solchen Aufwand und unter solchen Bedingungen. Aber, hey, die Zeiten ändern sich. War trotzdem schön. Wirklich schön. Okay, Punk war wirklich anders. Aber zum Glück war's auch kein Jazz.
Auf dem Heimweg hören wir die "Economy-Version" des aktuellen Albums, die man für sieben Euro am Merch-Stand kaufen konnte. Herrlich rotzig, und tatsächlich irgendwie besser als das "Original". Wir amüsieren uns königlich. Keine zwei Stunden später sind wir in Berlin, und ich kann endlich ein Bier trinken.
Die Tour geht noch bis zum Sommer 2008, ist aber meiner Kenntnis nach komplett ausverkauft. Ich sehe mir das ganze nochmal im Mai in Berlin an.