Alles bestens - Beate Dölling (ab ca. 13 J.)

  • ‚Alles bestens’ ist der jüngste Jugendroman von Beate Dölling. Im Unterschied zu den drei vorhergehenden ist die Hauptperson zum erstenmal keine junge Frau, sondern ein junger Mann in Berlin, Johannes, fast 17 Jahre alt. Da Beate Dölling bislang Jugendromane in höchster Güte vorgelegt hat, war die Erwartung beim Lesen hoch und die Neugier auf die Ausgestaltung eines ganz neuen Themas - ein Junge in der Pubertät - sehr groß.


    Die Geschichte beginnt im Monat Mai, allerdings nicht in Schöneberg, sondern im Wohnquartier der gut bis sehr gut Betuchten in Zehlendorf.
    Johannes erwacht und stellt fest, daß er verschlafen hat. Er müßte schon längst auf dem Weg sein zum Treffpunkt mit Lehrerin und KlassenkameradInnen, die sich zu einer Klassenfahrt aufmachen. Seine Eltern, eine Psychologin und ein Orthopäde, sind gerade beruflich unterwegs.
    Mit einem Mal und zu seinem eigenen nicht geringen Erstaunen stellt Johannes fest, daß er gar keine Lust hat, auf Klassenfahrt zu gehen. Die Lösung ist schnell gefunden, ein Anruf in der Schule mit verstellter Stimme, eine erfundene Krankheit und schon ist Johannes frei. Daß Schulsekretärinnen doof sind, weiß ja jeder und daß es besonders die sind, die aus der DDR stammen, erklärt uns Johannes mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig läßt. Der Sermon bleibt unwidersprochen in diesem Buch.


    Im Überschwang des Siegesgefühls tritt er vor die Tür des schicken Eigenheims. Die fällt ins Schloß. Der Schlüssel befindet sich da, wo er hingehört, am Haken im Haus. Johannes steht allein, mit leerem Magen und nur mit Schlafshorts bekleidet im sonnigen Maimorgen.


    Was nun beginnt, ist die Geschichte einer dreitägigen Odyssee unseres Helden durch Berlin, grotesk und skurril, sagt schon der Klappentext. Schon wahr. Bloß ...
    Nun, hören wir erst einmal weiter.
    Johannes wird neben Hungergefühlen vor allem von einem Gedanken getrieben, er will endlich Sex. Auf seiner wilden Reise, teils mit nackten Füßen, teils in Flip-Flops, trifft er drei Mädchen, die in seine engere Wahl kommen. Sie hören alle drei auf den Namen Sandra. Er numeriert sie flugs durch, I, II und III. Es geht doch nichts über die Gymnasialbildung.
    Ans Ziel seiner Wünsche kommt er mit Sandra III in einer Vollmondnacht, im Kiessand einer Baugrube in Kreuzberg wenn ich es recht verstanden habe. Sie reitet ansonsten mit einem alten Pferd durch die Gegend, lebt in Plattenbau und hat neben vielen Geschwistern einen toten Bruder. Das Leben ist schon herb. Gut, daß es Autorinnen gibt, die einem das klarmachen, man käme sonst nie darauf.


    Davor und danach gibt es wilde Parties, einen toten Goldfisch (Suzi, nicht Sandra) und jede Menge rauschartiger Zustände, hervorgerufen durch Zigaretten, Joints, Alkohol und vor allem überschießende Hormone. Jesus will Johannes sein, Che Guevara und Weltretter. Aber dann doch wieder nicht. Es ist entschieden leichter, sich von anderen mitschleppen zu lassen und durchfüttern, auch wenn es nur mit Nutella-Toast ist.
    Wenn schon Rumhängen so hungrig macht, wie wird das erst sein, wenn man Revolutionär ist?


    Einen Schock erleidet Johannes zudem, als er unvermutet seinen Vater auf außerehelichen Liebespfaden entdeckt. Und dann tritt er mit seinen nackten Zehlendorfer-Villenviertel-Füßen auch noch in Hundedreck. Mitten auf der Schönhauser Allee. Ach, ein Elend ist das.
    Das Dach einer Waldorfschule wird erklettert (offenbar um politisch korrekt das Jüdische Museum erwähnen zu können), ein Auto wird demoliert, die Polizei taucht auf und Johannes landet in einer Ausnüchterungszelle ohne WC, weshalb er sich auch, nun ja, einnäßt. Erwartungsgemäß. Gekotzt hat er ja schon ein paarmal. Und den Darm entleert.
    Ein mutiges Buch. Das muß mal gesagt werden.


    Das Ende ist schnell erzählt: seine Eltern tauchen auf, retten ihn aus den Klauen der brutalen Ordnungsgewalt. Es stellt sich heraus, daß Mama schon länger von Papas Geliebter wußte. Man weint gemeinsam und umarmt sich. Die Geliebte wird finanziell abgefunden, die Eltern machen einen gemeinsamen Spaziergang, um den Schlachtensee. An der Stelle war ich für mein Teil schon übers Heulen hinaus, schade eigentlich. Diese Stimmung!


    Johannes bekommt, da er nun ja auf dem Weg in die Selbständigkeit ist, eine eigene kleine Wohnung. Die Wäsche allerdings macht weiterhin Muttern und ihr Kühlschrank ist auch stets gut gefüllt, falls es unser selbständiger Held nicht in seiner Wohnung (ohne Fernsehgerät!) aushält. Die, das wird vermerkt, Papa von der Steuer absetzen kann. Andererseits hat Johannes nun einen längeren Schulweg. Strafe muß halt sein.
    Aber Sandra III hat er auch. So hat alles sein Gutes.


    Was Dölling hier versuchte, das wird durch genügend Hinweise im Text deutlich, ist eigentlich eine zeitgemäße Version von Salingers ‚Catcher in the Rye’. Ein Roman über das Erwachen in der Welt der Erwachsenen, Bestandsaufnahme des Gegebenen und die Frage, wie man damit umgeht, wenn einem das überhaupt nicht gefällt, was man da sieht.
    Johannes, es sei gleich gesagt, ist alles andere als ein Holden Caulfield. Er ist naiv, passiv, selbstbezogen und selbstgerecht, rundum verwöhnt. Er zeigt, im Unterschied zu Holden, keinerlei Gefühl für etwas anderes außer seiner eigenen Person. Er nimmt, was er nur kriegen kann, er gibt nie. An keiner Stelle tat er mir auch nur ein wenig leid. Meist ging er mir auf die Nerven oder war langweilig.


    Das liegt zu einem Gutteil an der Konstruktion der Handlung. Sie fordert einem schon einiges an schierem Glauben ab. Warum sich Johannes plötzlich entscheidet, drei Tage allein zu bleiben, ist ebensowenig verständlich wie sein weiteres Tun. Kann man alles auf Hormone schieben?
    Daß ihn andere Straßen-Kids auflesen, ist möglich, warum Sandra III aber mit einen wildfremden Jungen, der abgerissen gekleidet ist, sich gut zwei Tage nicht die Zähne geputzt hat und auch sonst nicht taufrisch ist, Sex hat, habe ich nicht verstanden. Und auch noch ungeschützt.
    Was ist das, die neue Romantik?


    Auch die Sprache ist alles andere als Jugendsprache. Sie ist, im Unterschied zu Salingers wirklich mutigem Tabubruch von 1951, fast frei von Kraftausdrücken. Sie ist eine ganz unausgewogene Mischung von Hochsprache, gut formulierter Erzählsprache und unvermuteten Einschüben von Slang, ganz so, als ob der Autorin plötzlich eingefallen wäre, daß sie ja einen Jungen monologisieren läßt, der erst knapp 17 ist. Dann werden z.B. alle Mädchen zu Lipgloss-Schneggen und Johannes’ Akku ist leer, wenn er sagen will, daß er müde ist. Der Junge schwätzt vor allem endlos, sagt dreimal das Gleiche. Besonders häufig sagt er das Wörtchen ‚ich’.
    Das Lesen ist über weite Strecken mühsam.


    Auch nach seiner Rückkehr ist Johannes einfach unangenehm. Er ist und bleibt arrogant. Die bösen Bemerkungen über ‚Ossis’ bleiben, wie gesagt, unkorrigiert, ebenso seine stete Taxierung und Klassifizierung von Mädchen. Der Mann entscheidet. Daß Sandra III sich für ihn entschied, ist im Kontext kein weibliches aktives Handeln, sondern beweist nur, wie unwiderstehlich unser Held ist.
    Unangenehm fand ich auch seine Vorwürfe an die Romanfigur Salingers, der ja aufgegeben habe, als er sich zum Psychiater begab. Sagt einer, der von Papa eine Wohnung nimmt, Muttern die Wäsche besorgen läßt und brav weiterhin zur Schule dackelt. Man will ja was werden, nicht wahr. Johannes nennt es: seine Macken behalten.
    Ich wünschte er hätte welche, ehrlich gesagt. Ich habe selten ein angepaßteres Jüngelchen erlebt.
    Was darüberhinaus nicht ganz stimmig war, waren Johannes’ Interessen. Er schwärmt für Jimi Hendrix, schaut sich Filme an wie ‚Taxi Driver’ oder ‚A Clockwork Orange’ - angeblich im Kino - und schreibt den Namen Che Guevara auf sein T-Shirt. Das klang für mich eher nach den siebziger Jahren, als lebe Johannes stellvertretend für seine Eltern. Mir fehlte das Hier und Heute und zwar vollkommen.


    Berlin kommt auch nicht wirklich vor, die Stadt ist reduziert auf touristische oder bildungsbürgerliche Versatzstücke. Plattenbau und Kreuzberg, Prenzlauerberg und Alexanderplatz und wenn der genannt wird, kommt bestimmt einen Satz später nur Franz Biberkopf vor.
    Das ist übrigens eine Tendenz, die ich in Jugendbüchern häufiger feststelle. Die Stadt ist ziemlich klein geworden in letzter Zeit.


    Die Eltern schließlich sind eigentlich gar nicht vorhanden als Personen, sie sind so schwammig, daß es nicht einmal zur Karikatur reicht. Die Jungen und Mädchen, die Johannes unterwegs trifft, bleiben Namen. Da hat das Pferd mehr Leben aufzuweisen.


    Alles bestens? Ganz sicher nicht mit diesem Buch. Immerhin macht es Lust, Salingers ‚Catcher’ mal wieder vorzuziehen. Und das ist doch schon mal was.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Mehrmals habe ich versucht, das Buch zu lesen, mehrmals habe ich abgebrochen... Gestern habe ich es erneut in Angriff genommen und auch durchgehalten, obwohl ich mich beim Lesen immer wieder darin bestätigt gefühlt habe, dass mir das Buch nicht gefällt.


    Den "Catcher In The Rye" kann ich nicht zum Vergleich heranziehen, dennoch scheint mir das gesamte Buch eine einzige Modernisierung ohne Neues, Innovatives zu sein. Vorherrschend ist eine erzwungene Aktualität, seien es nun Namen von Stars, Läden oder Produkten, sei es die Jugendsprache, die wahrscheinlich der Authentizität der Schilderung geschuldet ist (allerdings meiner Meinung nach nicht gelungen) und teilweise recht konträr zu den Inhalten steht, die Johannes vermitteln will. Diese kann man mit einem Wort zusammenfassen - Kritik. Kritik an der Gesellschaft, Kritik an seinen Eltern, Kritik, an dem Unglück, das ihm wieder zugestoßen ist, Kritik an den "Lipgloss-Schnecken", am Helden aus dem Fänger im Roggen - aber keinerlei Selbstkritik.
    Er ist derjenige, der die Welt erkannt hat, der Manngewordene. Als er ohne für mich erkennbaren Zusammenhang über Elke Heidenreich hergezogen ist, dachte ich, eher die Autorin als ihn kritisieren zu hören...
    Er spricht, sinniert, philosophiert, kennt Namen römischer Kaiser (weiß allerdings nicht, was innovativ bedeutet...) - das ist also der hohe Bildungsstand, den er hervorhebt - ist aber unfähig seine Gedanken angemessen dem Leser nahezubringen und verliert sich in ichbezogenen Belanglosigkeiten.


    Durchgängig mault er ideenlos herum und stolpert durch die Welt. Ohne größere Probleme. Eine doch recht positive Darstellung. Zwar gibt es kleine Widrigkeiten, über die sich Johannes auch ausgiebig auslässt, aber immer wenn es selbstständiges Handeln, Lösungen von ihm erfordern würde, wird ihm jemand zur Seite gestellt (zum Beispiel die Sandras), der ihn mitschleift. Und Johannes lässt sich mitschleifen, jedes Mal - ist am Ende aber von seiner Selbstständigkeit begeistert. :rolleyes


    Eine Entwicklung habe ich in ihm nicht feststellen können. Höchstens auf den ersten fünf Seiten, wo er die Welt mit anderen Augen zu sehen beginnt und sich aussperrt. Die Ursache bleibt ungeklärt, niemals hinterfragt er seine Tätigkeiten - er mault höchstens. Aber er tut während den drei Tagen des Umherstreifens nichts, jedenfalls nichts selbstständiges.


    Trotz aller Kritik war die Geschichte jedoch nicht uneingeschränkt schlecht. Sie war auf jeden Fall eine interessante Lektüre. Denn trotz aller Passivität, ist die Handlung recht interessant, der Autorin gelingt es, das Buch mit Leben zu füllen, wenn auch auf eine Art, die mir nicht zugesagt hat.


    Fazit
    Ein auf aktuell und gesellschaftskritisch getrimmtes Buch über den Weg zur Selbstständigkeit und Selbstfindung in bezug auf das Erwachsenwerden, dem es nicht gelingt, dies glaubwürdig zu vermitteln.


    3/10 Punkten


    :wave bartimaeus

  • bartimaeus,


    :anbet :anbet


    danke, daß Du Dir die Mühe gemacht hast.
    Du verdienst eine Tapferkeitsmedaille. :knuddel1



    Ich habe ja gehofft, daß ich etwas nicht kapiert hätte bei diesem Buch und deswegen einen so negativen Eindruck bekam.
    Aber ...
    :cry



    Nun ja, laß uns vorwärts diskutieren :lache
    Der nächste Dölling wird sicher wieder toll.
    :-]



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus