Das Manuskript der Verführung - Gioconda Belli

  • Kurzbeschreibung:


    Seit dem Tod ihrer Eltern lebt die 17-jährige Lucía in einer Klosterschule in Madrid. Ihr Leben verläuft recht eintönig, bis sie eines Tages dem Historiker Manuel begegnet, der sofort von ihr fasziniert ist. Lucía ähnelt einer historischen Figur, die der Experte für spanische Renaissance mit Besessenheit erforscht: die unglückliche, spanische Königin Johanna, Mutter des späteren Kaisers Karl V., die Ende des 15. Jahrhunderts wegen legitimer Machtansprüche, leidenschaftlicher Liebe und Eifersucht als junge Frau bis zu ihrem Tod eingesperrt worden war. Manuel weiß alles über Johanna die Wahnsinnige, wie sie in den Geschichtsbüchern genannt wird. Was ihm fehlt, ist einzig die Innensicht auf die Gefühlswelt dieser außergewöhnlichen Frau. Dazu braucht er Lucía. Neugierig willigt das Mädchen ein. Beim heimlichen Treffen in seiner Wohnung lässt sie sich - gekleidet wie einst Johanna - von Manuels eindringlichen Erzählungen 500 Jahre zurückversetzen. So tief taucht sie in die Persönlichkeit Johannas ein, dass deren Empfindungen zu ihren eigenen werden und Phantasien und Wirklichkeit zu verschwimmen beginnen.


    Über die Autorin:


    Gioconda Belli, in Managua geboren, studierte in Spanien und den USA. Ab 1970 beteiligte sie sich am Widerstand der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN gegen die Somoza-Diktatur ihres Landes. Nach 1979 arbeitete sie vor allem in der politischen Bildung und als Kulturredakteurin. Sie lebt heute als Schriftstellerin in Managua und San Francisco/USA


    Meine Meinung:
    Mit großem sprachlichen Geschick erzählt Frau Belli die Geschichte von Johanna oder aber auch von Lucía. Irgendwann weiß man nicht mehr so recht, ist das nun Johannas Welt oder Lucías. Spannende Einblicke in das Leben Johannas der Wahnsinnigen sind garantiert. Anfangs fand ich das Buch etwas gewöhnungsbedürftig, hatte schon überlegt, es erst mal wieder beiseite zu legen. Gut, dass ich es nicht getan habe, denn sobald sich Lucía in der „Verwandlung“ befand, wurde das Buch sehr interessant.

  • Danke, Queeny! Das Buch liegt auf meinem SUB - gut zu wissen, mit welchen Erwartungen ich da rangehen kann/sollte. Von den bisherigen drei Romanen von Gioconda Belli (falls ich nicht welche verpasst habe... :gruebel ) fand ich die ersten beiden sensationell, den dritten leider ziemlich fürchterlich. Darum bin ich hierauf schon sehr gespannt!

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    MaryRead, welcher Roman war fürchterlich?


    Der hier - aber pssst, den hab ich in Hannover an ein (wenn auch freiwilliges) Eulenopfer abgetreten... :grin


    Ich habe es zweimal versucht, aber beide Male abgebrochen. Das war mir alles zu abgedreht und düster.

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  • So, ich hab's nun auch gelesen. Und frage mich, ob die Rezi nicht bei den historischen Romanen besser aufgehoben wäre. :gruebel Denn die Rahmenhandlung spielt zwar in den 1960er Jahren, aber der weitaus größere Teil des Buches erzählt die Lebensgeschichte von Johanna von Kastilien. Sie wird "Johanna die Wahnsinnige" genannt, aber in dieser Ich-Erzählung wird deutlich, dass sie zwar gelegentlich sehr emotional und für die Zeit ungewöhnlich reagierte, vor allem aber das Opfer ihres Umfelds war. Gioconda Belli sagt in ihrem Nachwort einiges zu den Überlegungen, ob Johanna an einer psychischen Krankheit litt.


    Ich bin ja normalerweise kein Fan von historischen Romanen, in denen es zu viel um politische Irrungen und Wirrungen geht, und somit kann ich auch hier nicht nacherzählen, welche Intrige zwischen Spanien, Frankreich und Flandern nun jeweils für welche Wendung der Geschichte verantwortlich war. Allerdings erzählt Johanna immer aus ihrem persönlichen Blickwinkel, geht viel auf ihr Verhältnis zu ihrem Mann Philipp dem Schönen bzw. zu ihren Eltern Isabella und Ferdinand ein, beschreibt ihre Empfindungen auf ihren Reisen, und da wurde ihr Leben als unverhoffte Thronerbin für mich recht lebendig.


    Die Rahmenhandlung war schwächer, fand ich, es ist aber interessant, wie dort immer wieder Parallelen zwischen Lucia und Johanna, in deren Kleid und Rolle sie schlüpft, entstehen. Ganz geheuer war mir dieser Manuel aber nicht... Lucia ist 17, er ist wesentlich älter, und wie er sie verführt - als Lucia oder als Johanna, wer weiß das so genau - das hat für mich etwas von M*ssbrauch. Natürlich veranschaulicht das ganz besonders gut das, was Manuels Vorfahren seinerzeit Johanna angetan haben, als sie nämlich während ihrer langen Verbannung ihre "Gefängniswärter" waren. Und vielleicht passt darum auch der Schluss, der mich zuerst etwas verwundert hat.


    Ich habe die beiden ersten Bücher von Gioconda Belli ("Bewohnte Frau" und "Tochter des Vulkans" vor vielen Jahren gelesen und in hervorragender Erinnerung. Bei diesem hier fehlt die lateinamerikanische Mystik (auch wenn es vielleicht nur Lucias lateinamerikanische Herkunft möglich macht, dass sie so tief in die Rolle der Johanna schlüpft), aber dafür wird man mit einer akribischen historischen Schilderung entschädigt. Ich habe den Eindruck, Johannas Leben ist gut recherchiert, aber ich maße mir kein Urteil an.


    Die Übersetzung liest sich gut, mir sind nur kleine Schwachstellen aufgefallen (wobei mir manches auch entgangen sein mag, weil ich kein Spanisch kann und darum das Original nicht "gerochen" hätte ;-) ).


    Sehr zu empfehlen!

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  • Gioconda Belli hat übrigens sehr lesenswerte Erinnerungen geschrieben. Kann ich nur empfehlen.


    Die Verteidigung des Glücks: Erinnerungen an Liebe und Krieg

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

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  • Mir hat das Manuskript sehr gut gefallen.
    Darüber hinaus hatte ich das große Vergnügen, eine wirklich schöne und ausgesprochen unterhaltsame und spannende Lesung der Autorin mit ihrer Düsseldorfer Übersetzerin samt musikalischer Begleitung zu besuchen.


    G.Belli hat immer wieder Auftritte in Europa, die wirklich ein Genuß sind.
    Kann ich euch nur empfehlen!

  • Angangs konnte ich kaum unterscheiden, ob von Johanna oder Lucía aus ihrer Sicht erzählen. Die fiktionale Rahmenhandlung um Manuel und Lucía ist verwoben mit der realen Geschichte von Johanna, der "Wahnsinnigen". Der Teil der Geschichte, der aus der Sicht Johannas erzählt wird, ist ebenso real wie der Teil von Lucía. Ich hatte immer das Gefühl, mittendrin zu sein in der Renaissance und teilzunehmen an Johannas Leben. Die Beschreibungen sind sehr farbenprächtig, ich litt mit Johanna und konnte ihren Willen, sich nicht unterzuordnen, gut verstehen. Am Schluss überwiegt die Rahmenhandlung, das Ende ist ein bisschen vorhersehbar, aber dennoch gut geschrieben.

    :lesendR.F. Kuang: Babel


    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)

  • Die Beurteilung eines Buches hängt meist von der Erwartungshaltung ab, die man vor dem Lesen hat, manchmal wird aber auch das Lesen massiv von einem vorhergehenden Leseerlebnis beeinflusst. So war es bei mir hier- ungeplant. Das Buch lag einfach zum SuB- Abbau bereit und kurz zuvor hatte ich an der Leserunde von Tereza Vanek "Die Träume der Libussa" teilgenommen- ein Buch in dem es um die Sage der Gründung Prags geht, aber auch intensiv die Rolle des Christentums als Vertreter der Herrschaft durch Männer im Gegensatz zur Naturreligion mit der gemeinsamen Herrschaft zu unterschiedlichen Geschlechtskompetenzen. Dieses Buch hier handelt von einer Herrscherin 700 Jahre später - und immer noch geht es darum eine Frau von der Herrschaft auszuschliessen weil sie "es nicht kann" (kommt euch diese Formulierung bekannt vor? Originalzitat Gerhard Schröder, seinerzeit Bundeskanzler im Bezug auf eine Kanzlerkandidatin- wie wenig haben wir uns eigentlich entwickelt?). Die Sicht der Autorin auf die historische Gestalt der Königin von Kastilien, Johanna die Wahnsinnige, der Mutter Karls des V., hätte ich mir ohne diese "Vorlektüre" sicher nicht so einfach zu eigen gemacht- so erschien es mir einfach als logische Konsequenz einer Entwicklung und das Buch kommt bei mir vielleicht besser weg als es das verdient hat. Die Geschichte sowohl Lucia aus den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Madrid ist genauso plastisch und farbenprächtig wie die Schilderung der Geschehnisse in der Renaissance. Alle Reaktionen waren nachvollziehbar, hilfreich auch das Nachwort mit den Bemerkungen über das Krankheitsbild.