ad Surreal:
Ich denk bei drachen und elfen sicher nicht ans mittelalter, denn das kenn ich dafür zu gut, elfe/alb ist bei mir ein schlüsselwort für einen toten- oder naturgeist, drache ein dingsymbol für ein dämonisches wesen, und einhorn-fantasien stehen für das vorspiel zum 1.x sex., diese wesen gehören zur unerklärlichen anderswelt, und die ist zeitlos:
elfen stehlen uns die socken aus der waschmaschine, in island plant man autostrassen um ihre wohnorte herum, und schleimige, böse kreaturen liegen heute nacht unter deinem bett. Diese wesen gehören nicht ins mittelalter sondern sind hier und jetzt an der schwelle unseres unterbewusstseins.
Ich weiss von leuten, die harte erbsen in den schuhen haben, nagelgürtel und kratzige hemden tragen, und auch selbstgeisselungen sind durchaus noch üblich, man benutzt schmerz zur erreichung religiöser extase (= theta-hirnwellen-jagd, und einem hohen endorphin-spielgel im blut) wenn ich auch meinen privaten zweifel daran habe, ob das nicht blanker masochismus ist. Es ist nicht mittelalterlich sondern aktuell, die ausführenden sind verantwortungsträger in unserer gesellschaft.
Seuchen gab es nicht erst im mittelalter häufig, sondern man kann sagen, sie treten mit einer fast zwingenden regelmässigkeit alle 100 jahre auf, welchen namen ihr man gibt und welcher virus im speziellen fall verantwortlich ist, ist gleichgültig. Die Vogelgrippe ist nur eines von vielen Damokles-schwertern über den köpfen unserer der zivilisation, gefährliche keime sind dank der antibakteriellen waschmittel und der desinfektionsmittel resistent, und verlangen jedes jahr tausende opfer in hochtechnischen krankenhäusern, ja, die anzahl der toten nach alltäglichen operationen wie blinddarm und kaiserschnitt steigt; wenn sich je aus irgendwelchen gründen Ebola und Anthrax in den städten ausbreiten sollten, ist es mit unserer hochzivilisation höchstwahrscheinlich aus.
Und etwas, was es sicher nicht gab, war langeweile, denn vom aufstehen bis zum schlafengehen wurden gegenstände des täglichen gebrauchs hergestellt, und das ist - wie dir die eulen im handarbeits-tread bestätigen können: durchaus nicht langweilig, sondern für fleissige, geschickte menschen eine willkommene, und vor allem befriedigende beschäftigung, während dem sich - heute vom mp3-player oder fernseher - geschichten erzählen lassen. Wer sich von allen generationen der menschheitsgeschichte am meissten langweilt, das sind wir in den letzten 70 jahren, und wir haben dafür allerlei zerstreuungsmittel erfunden, zb: kino, fernsehen, mittelaltermärkte und rollenspiele.
Was den angeblich mangelnden komfort im mittelalter betrifft, ist das eher propaganda von leuten, die nur sehr wenig drüber bescheid wissen, und das meisst aus filmen, die ein falsches, primitives zeitbild transportieren. Aber das thema Germanen und felle und Barbaren und ausgefranste kleidung hatten wir schon mal.
Aus einer holzgetäfelten kemenate heizt es einen mit einem gut ziehenden kachelofen auch im 12. jahrhundert derart hinaus, dass man gern nur barfuss und im unterhemd geht. Es stimmt, der burgherr hatte kein goratex, aber er und die burgleute haben im winter meisst nur kurz eine schneeballschlacht gemacht, und sind dann wieder zurück in die gut beheizte stube, haben ein warmes bad genommen, dass ihnen die diener inzwischen eingelassen haben, um dann backgammon und würfelschach zu spielen.
Das gesinde hatte in der burg meist eingebaute blockwerksscheunen mit heu und stroh zum schlafen: das war auch warm, wenn auch nicht so elegant wie die kemenate des hausherrn und seiner frau, die ärsche abgefrohren haben sich nur die armen hunde, die wachschicht hatten, aber das tun die armen uniformierten soldaten der ehrengarde vor diversen präsidentenpalästen im winter auch.
Wer sich gründlich wäscht, hat auch im mittelalter weder läuse noch flöhe. Und badewasser warm machen konnte man auch vor dem durchlauferhitzer. Auch kühlschränke waren nicht allerorts ein problem: Bis weit in den sommer gab es in ausgetüftelteren burganlagen und auch bauerndörfern in erdkellern eis, um die lebensmittel einzukühlen und daraus in der grössten affenhitze mit fruchtsirup grenadinen herzustellen. Baumpech nahm man als kaugummi. Schokolade, tomaten, erdäpfel, zuckerrohr und tabak gab es nicht, aber was man nicht kennt, geht einem nicht ab.
Das erste mir bekannte Umweltschutzgesetz gegen die chemieabfälle bei der ledergerbung und stoffärbung stammt von Karl dem Grossen. Die meissten städte hatten eine organisierte müllabfuhr, eben weil man erkannt hat, dass man damit ungeziefer anlockt, wenn zuviele menschen auf engem raum biomüll hinterlassen.
Jeder mittelalterliche handwerker wusste mehr über praktisch angewandte mechanik, als ein heutiger HTL-abgänger, schlicht und ergreifend, weil er mit dem eigenhändigen aufbau seiner werkstätten und mühlen befasst war. In den letzten 200 jahren ist in der folge der Industriellen Revolution und dem weltweiten handel eine unmasse von alltäglichem wissen verloren gegangen.
Ein real möglicher energie-engpass kann unsere lebensart und unsere zivilisation vernichten, weil kaum jemand fähig ist, für sich selbst zu sorgen. Bis zum beginn der Industriellen Revolution waren die bewohner kleiner weiler weitgehend authark.
Surreal, ich denk etwa nicht, dass du einen Ziegelmeiler bauen kannst, damit du das baumaterial für weitere betriebe hast, die dein viertel mit dem allernötigsten versorgen können - wie auch ich nicht, obwohl ich theoretisch weiss, wie's begonnen von der aufbereitung der tonerde für die ziegel geht. Und was für eine mega-giftschleuder wir mit dem anzünden desselben lostreten, steht - wie draperdoyle unten sagt - auf einem anderen blatt.
Und dass ausgerechnet die Sumerer es besser hatten, als ein europäischer städter des 12. Jh möchte ich mal dahingestellt lassen.