"Vielleicht will ich ein guter König werden, den Menschen Träume nehmen und damit Freiheit schenken." (Sibylle Berg in "Gold")
Dies ist eine Liebeserklärung an eins der besten Bücher, die ich je gelesen habe.
Es geht um nichts weniger als die Frage nach dem Sinn des Lebens. Und in keinem Buch habe ich diese Frage so radikal, so schlüssig und sprachlich so wunderbar beantwortet gefunden wie in Sex II von Sibylle Berg.
Es gibt Bücher in denen ein defektes Individuum an der Welt scheitert.
Und es gibt Bücher, in denen ein Individuum mit der defekten Welt nicht zurecht kommt und sich beim Scheitern überlegen fühlen darf.
Bei Frau Berg dagegen ist die Welt ein Haufen Scheiße und das Individuum ist auch kein Stück besser.
Radikal werden hier alle bürgerlichen Fassaden durchschaut, und was dahinter ist, ist nicht schön. Alle Sinnkonstruktionen und Lebensentwürfe (Gott, Geld, Karriere, Liebe ...) werden systematisch demaskiert und liebevoll in die Tonne getreten. Und das Ganze auch noch witzig, mit einem tiefschwarzen Humor. präzisem analytischen Blick und sprachlicher Brillanz.
Der Leser gerät durch dieselben Zustände wie die Erzählerin: Schock, Entsetzen, Neugier, Gewöhnung, Langeweile, Überdruss, zwischendurch immer wieder ein Hauch Hoffnung gefolgt von einem herzhaften Tritt in die Fresse.
Und immer wieder schimmert da diese ungeheure Sehnsucht durch nach Schönheit, Liebe, Glück, Wärme, einem trotz allem gelingenden Leben.
Das Ende (also das Ende vor dem Ende) ist grandios, weil die Pointe nicht erklärt wird. Sehr mutig.
Und am Ende steht der Leser dann da.
Das ist kein Buch, das man beruhigt zuklappt und vergisst. Man kommt nicht umhin, sein eigenes Leben zu hinterfragen, was da grad so alles falsch läuft, welchen Illusionen man hinterherrennt und warum. Und vor allem wozu.
Eingestreut und kunstvoll verwoben mit der Handlung und Motivik finden sich einige der besten Kolumnen-Geschichten der Autorin, die Sibylle Berg u.a. für das Zeit-Magazin geschrieben hat.
Zudem besticht das Buch durch ästhetische Qualitäten bei Schriftart und Satz und die gebundene Version enthält auch noch Schwarzweißfotos.
Und natürlich ist der Titel grandios.
Ncht lesen sollten das Buch: Deutschlehrer, denen bei unvollständigen Sätzen oder dem Wort Scheiße der Rotstift unkontrollierbar in der Hand zuckt und depressive Menschen in akuter Suizidgefahr.
Lesen sollten es: Alle anderen.
Ganz besonders: Politiker, PR-Manager, Pärchen, BWL-Studenten, Frauen, Pfarrer, Fashionvictims, Männer, Radrennfahrer, Berliner, CDU-Wähler, Fernsehzuschauer, Kleingärtner und Schriftsteller.