nach Edit 26.01.06:Wäre vielleicht auch ein Beitrag für den aktuellen Schreibwettbewerb gewesen:
D E R M A N T E L
"Hey, Du", sagte der Mantel und sie schaute sich erstaunt um. Aber außer ihr befand sich niemand in der Pelzwarenabteilung. Keine Verkäuferinnen, keine anderen Kunden.
"Ja, Du, was schaust Du mich so an, gefalle ich Dir", fragte der Mantel. "Ja", antwortete sie verwirrt. Im gleichen Augenblick schämte sie sich auch schon, dieses eine Wort laut ausgesprochen zu haben. Erleichtert bemerkte sie nochmals, ganz alleine in der Abteilung zu sein. Andererseits - nicht ganz allein!
"Warum ziehst Du mich nicht an, wenn ich Dir schon so gefalle", lockte der Mantel. "Naja", meinte sie, nun schon etwas mutiger, "warum eigentlich nicht"? Mit raschen Griffen zog sie sich das schönste Stück der Pelzwarenabteilung über ihr leichtes Sommerkleid.
"Bin ich nicht schön weich? Schau uns im Spiegel an, wir passen doch gut zueinander". Sie trat vor den großen Spiegel in der Mitte des Verkaufraumes. Bewundernd sah sie auf ihr Gegenüber. Der Mantel klammerte sich weich an ihren Körper, fast schien er sie wie ein Liebender zu streicheln. Sie erschrak leicht und schämte sich wegen ihrer Erregung.
"Schäme Dich nicht", flüsterte der Mantel," das war erst der Anfang. Ich werde Dich, wann immer Du willst, streicheln und liebkosen, wie es noch niemand zuvor getan hat"." "Aber, aber", stotterte sie, "das geht doch nicht, ich kann Dich nicht mitnehmen. Du bist zu teuer"!
"Papperlapapp, rede keinen Unsinn. Natürlich kannst Du mich mitnehmen. Ist doch niemand hier außer uns beiden". Sie spürte seine unwilligen Bewegungen, während er das sagte und mit dem wundervollen Streicheln aufhörte.
"Streichel mich doch wieder", wisperte sie kaum hörbar. "Ich will Dich ja, aber...". Das Streicheln begann wieder. "Los, geh` ganz langsam los", flüsterte der Mantel eindringlich. "Benimm Dich so, als gehörte ich Dir, glaube mir, niemand wird etwas merken". Von der eindringlichen Stimme wie hypnotisiert, unterstützt durch das wundervolle Streicheln, ging sie los, ein glückliches Lächeln um den Lippen.
Sie kam bis zur Lederwarenabteilung. Dort hielt sie der Hausdetektiv auf. "Dürfte ich bitte Ihren Kassenzettel sehen", fragte er sehr höflich. "Ja, aber, warum denn", entgegnete sie ängstlich.
"Weil ich Sie," sagte er immer noch höflich, jetzt aber sehr bestimmt," ohne Mantel habe kommen, aber mit diesem Mantel wieder gehen sehe. Es ist Sommer, warum also den Mantel gleich anziehen"?
"Aber, der Mantel hat doch gesagt.." Sie sprach den Satz nicht zu Ende. "Was hat der Mantel gesagt", fragte der Detektiv leicht ironisch. "Ich könne ihn mitnehmen und.." Er winkte ab. "Kommen Sie bitte mit und - ziehen Sie den Mantel wieder aus".
Gehorsam zog sie den Mantel aus und betrachtete ihn kurz voller Verwunderung. Plötzlich schüttelte sie das kostbare Stück wie toll und schrie:" Sag` was, los, sag`, daß Du mich aufgefordert hast, Dich mitzunehmen". Aus dem Schreien wurde ein Schluchzen. Denn der Mantel schwieg. Er war stumm, wie alle Mäntel eben stumm sind. Hastig, ohne weiteres Aufsehen, führte der Detektiv sie in sein Büro.
"Seltsam", meinte er später, nachdem die Polizei sie abgeführt hatte und er die Angelegenheit mit dem Geschäftsführer besprach. "Scheint eine neue Masche zu sein. Das war diese Woche die zweite Ladendiebin mit der gleichen Ausrede".
Kopfschüttelnd ging er wieder an seine Arbeit. Pflichtgemäß durchstreifte er die Abteilungen des Kaufhauses. Er sah und bemerkte alles, was nicht korrekt war - nur das fröhliche Summen in der Pelzwarenabteilung hörte er nicht.