Das Buch (Amazon):
Ein Mensch von siebzehn Jahren fliegt vom Gymnasium, das kommt vor. Für Weigand selbst ist das nicht weiter tragisch, denkt er doch sowieso immer nur ans Lesen und Schreiben. Und daran, endlich erwachsen zu werden und die drei Dinge zu haben, die es dazu braucht: eine Frau, eine Wohnung und einen eigenen, selbst geschriebenen Roman. Genau in dieser Reihenfolge. Mit Gudrun ist er so gut wie verlobt. Die beiden besitzen schon ein gemeinsames Sparkonto, ansonsten haben sie aber beschlossen, keusch ihrer wahren Vereinigung entgegenzusehen.
Die Mutter sieht die Zukunft ihres Sohnes allerdings praktischer und sucht mit ihm nach einer Lehrstelle. Er mag sich dabei so ungeschickt anstellen, wie er will, zuletzt findet sich doch eine Firma, die ihn ausbilden will. Gleichzeitig druckt das Lokalblatt zum ersten Mal einen seiner Texte. Ein Doppelleben beginnt: Tagsüber ist er Lehrling in einer Spedition, abends lotet er als Reporter das kleinbürgerliche Leben in der Provinz aus, schreibt über die Autogrammstunden deutscher Schlagersänger oder italienische Wochen im Kaufhaus mit Caterina-Valente-Musik und kommt sich sehr wichtig vor. Doch dieses Gefühl hält nicht lange an. Er, der sich der Literatur verschrieben hat, ist bereits ein zu genauer Beobachter. Unversehens geht ein Riß durch seine Existenz.
Der Autor (Wikipedia)
Wilhelm Genazino (* 22. Januar 1943 in Mannheim) ist ein renommierter deutscher Schriftsteller, der u. a. mit dem bedeutendsten deutschen Literaturpreis, dem Georg-Büchner-Preis, sowie 2007 mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet wurde.
Meine Meinung
Es widerstrebt mir ein bisschen, das Buch unter "Zeitgenössisches" einzustellen, denn das ist es eigentlich gerade nicht; es spielt deutlich spürbar in den 1960er Jahren. Das macht auch einen Teil seines Charmes aus.
Ich hatte recht hohe Erwartungen an das Buch, nachdem mir "Ein Regenschirm für diesen Tag" (Eulen-Rezi) so außerordentlich gut gefallen hatte und dieses vielen Kritiken zufolge mindestens so gut, wenn nicht noch besser sein sollte. Heute habe ich meine Rezi von damals noch mal gelesen, und jetzt verstehe ich auch, warum mich "Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman" weniger begeistert hat: Es passiert zu viel. Was das andere Buch für mich so stark machte, das scheinbar ziellose Mäandern durch den Tag anhand von Sprachpreziosen, das kommt mir hier zu kurz. Wenn es aufscheint, ist es grandios. An meiner Pinnwand hängt seit ein paar Tagen ein Zitat aus dem Buch: "Was uns zustößt, enthält kein Urteil über uns." Ansonsten aber ist doch - der Titel will ja abgearbeitet werden - vergleichsweise viel Handlung drin, des Ich-Erzählers Lehre in einer Spedition, sein Nebenjob in einer Redaktion, Gudrun, Linda, viele Pressetermine, seine Eltern... da kommt mir der Luxus des Einfachnurschönesätzeschreibens zu kurz.
Es ist sicher ein gutes Buch, wie gesagt, die Sechziger-Jahre-Atmosphäre scheint mir, wenn ich mit Erzählungen meiner Eltern vergleiche, perfekt eingefangen, Genazino schreibt schön und sorgfältig, und der Ich-Erzähler macht im Laufe der Handlung eine nachvollziehbare Entwicklung durch. Unterm Strich ist es mir aber doch zu unspektakulär, um bei mir einen so nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen wie "Ein Regenschirm für diesen Tag".