Der Büchereulen-Adventskalender 2007

  • 1. Dezember 2007 von Dany-Maus1986



    Lebkuchen-Adventskalender


    Zutaten für 24 Stück:


    für den Teig:
    - 250 g Zuckerrübensirup (z.B. Grafschafter Goldsaft)
    - 120 g Rohrzucker
    - 500 g Mehl (Type 1050)
    - 1 Päck. Backpulver
    - 1 TL Kakaopulver
    - 1 EL Zimtpulver
    - je 1/2 TL Nelken- und Anispulver
    - 1 Prise Salz
    - 2 Tropfen Bittermandelaroma
    - 2 Eier (Gr. M)


    ausserdem:
    - Kondensmilch zum Bestreichen
    - Mehl für die Arbeitsfläche
    - Backpapier
    - 200-250 g Puderzucker
    - bunte Lakritzstangen, Zuckerperlen, Smarties
    - durchsichtiges Cellophanpapier
    - bunte Bänder oder Schleifen
    - farbige Kordel


    Zubereitung:


    1. Zuckerrübensirup und Zucker im warmen Wasserbad erwärmen (bis sich der Zucker auflöst). Anschliessend lauwarm abkühlen lassen. Mehl, Backpulver, Kakao und Gewürze mischen. Sirup-Masse und Eier zufügen. Alles zu einem glatten Teig verkneten. Bei Zimmertemperatur ca. 60 Minuten ruhen lassen.


    2. Teig auf bemehlter Arbeitsfläche ca. 0,5 cm dick ausrollen. 24 Quadrate (ca. 7 x 7 cm) ausschneiden. Auf ein mit Backpapier belegtes Backblech legen. Mit Kondensmilch bepinseln. Plätzchen im vorgeheizten Ofen (E-Herd: 200° C / Umluft: 180° C / Gas: Stufe 3) ca. 10 MInuten backen. Herausnehmen, auf einem Kuchengitter erkalten lassen.


    3. Puderzucker sieben. Mit Eiweiß zu einem dickflüssigen Guss verrühren. Zahlen von 1 - 24 auf die Plätzchen spritzen. Lakritze, Zuckerperlen und bunte Schokoperlen (Smarties) mit etwas ZUckerguss auf die Plätzchen kleben. Trocknen lassen.


    4. Lebkuchen in Cellophan wickeln. Mit Bändern oder Schleifen verschnüren. Päckchen an einer Kordel in einer langen Reihe als Adventskalender aufhängen.


    Zubereitungszeit: ca. 60 Minuten!!!


    Ganz viel Spass und frohe Weihnachten von Dany-Maus...

  • 2. Dezember 2007 von Leserättin



    „Fröhliche Weihnachten!“, sagte die Fußmatte, als Henry Kogler darauf trat. Er schob die üppige und reich verzierte Tannengirlande zur Seite, um die Tür aufzuschließen. Der Sensor dahinter reagierte beim Betreten des Flurs sofort und mit lautem „Ho ho ho!“ begrüßte ihn ein Weihnachtsmann aus Plastik.
    „Ich bin zu hause!“, rief Henry, so laut, dass er die Weihnachtsmusik, die aus der Stereoanlage im Wohnzimmer erklang, übertönte. „Hallo, ich bin dahaa!“
    Er ging den Geräuschen nach, die aus der Küche erklangen, das Klappern von Backblechen war ihm inzwischen schon genau so vertraut wie die ewig dudelnde Weihnachtsmusik.
    In einer Schürze (die mit einem applizierten Weihnachtsmann geschmückt war) über ihrem Hosenanzug, hantierte seine Frau mit einem Blech voller Plätzchen. „Fass mal eben an.“
    Henry griff zu und zog gleich darauf die Hand zurück. „Au, das ist ja heiß.“ Er steckte seinen schmerzenden Daumen in den Mund.
    „Natürlich ist es das, ich habe das Blech doch eben erst rausgeholt, jetzt muss schnell das andere rein, die ungebackenen Plätzchen verlieren bei Zimmertemperatur sonst ihre Form“, erklärte Theresa Kogler.
    Während sie ein Blech mit lauter Mini-Sternen in den Ofen schob, hatte Henry sich zwei Topflappen - in Tannenbaumform mit aufgeklebten Kugeln aus Filz - geschnappt und das Blech neben ein anderes auf dem Tisch platziert, dabei darauf bedacht, den Engelkerzenhalter nicht umzustoßen.
    „So, in acht Minuten sind die Sterne fertig, ist ein ganz neues Rezept, mit Marzipan.“ Theresa nahm eine Schüssel zur Hand und rührte in ihr herum.
    „Und was werden das für Plätzchen?“, fragte er ohne großes Interesse.
    „Oh, das ist unser Mittagessen. Rührei, ich muss die Eigelb schließlich verbrauchen, bei dem Hexenhäuschen brauchte ich immerhin vier Eiweiß.“ Sie rührte weiter und deutete dann auf den Schrank. „Du kannst schon mal den Tisch decken, die Kinder sind oben, ruf sie in drei Minuten. Und Oma sitzt bereits im Wohnzimmer.“
    Henry gehorchte, duckte sich unter den Mistelzweigen durch, die den Eingang zum Wohnzimmer schmückten, stellte die Weihnachtsmannparade so weit zur Seite, dass die Teller Platz hatten und ließ noch ein wenig für die Schüssel frei.
    Auf der Couch lagen einige Kissen mit aufgestickten, weihnachtlichen Motiven, die Henry nun auf einem Sessel stapelte. Dann ging er in den Flur und stellte sich an den Fuß der Treppe. „Melissa, Heiko, Fabienne! Das Essen ist fertig!“
    Oben hörte er es Poltern, also hatte zumindest einer sein Rufen gehört und würde die anderen schon benachrichtigen, die vermutlich gerade den Walkman in den Ohren hatten oder in ein Videospiel vertieft waren.
    Und tatsächlich, keine fünf Minuten später saß Familie Kogler vereint um den Wohnzimmertisch herum, auch Nora, die kälbchengroße zottelige Mischlingshündin hatte sich zu ihnen gesellt. Zum dritten Mal in dieser Woche verspeiste Henry ein Eiergericht, gestern hatte es zumindest Pfannkuchen gegeben, die mit übrig gebliebenen Nüssen und Rosinen gefüllt gewesen waren.
    Heiko stocherte in seiner Portion herum, stellte dann den Teller auf den Boden um ihn der sowieso ewig hungrigen Hündin zu überlassen. „Ich muss los, will mich mit ein paar Kumpels in der Stadt treffen.“
    „Aber du hast doch gar nichts gegessen“, protestierte Oma.
    „Wir holen uns Pommes, das machen wir immer.“ Heiko war schon an der Tür, vorbei an der Tanne, die sogleich mit den Augen blinkte und laut „I wish you a merry christmas“ anstimmte. Henry hatte sie vorhin umgangen, er hatte Zeit genug gehabt, herauszufinden, wie weit der Sensor reichte. Wenn er sich sehr eng an der Kommode vorbei drückte, war er außerhalb des Erfassungsbereiches und die Tanne sprang dann nicht an. Sein Sohn allerdings schien das nicht zu wissen oder - was wahrscheinlicher war - es interessierte ihn nicht.
    „Ich schau mal eben nach den Plätzchen.“ Und schon war Theresa in der Küche verschwunden.
    Nora streckte ihren großen Kopf empor, schnupperte in Richtung des Tellers. Henry klopfte unter dem Tisch gegen sein Bein, er wusste, dass die feinen Ohren der Hündin dieses leise Geräusch registrierten und tatsächlich spürte er kurz darauf ihre nasse Nase an seiner Hand. Unbemerkt reichte er ihr ein großes Stück Rührei herunter und hoffte, dass niemand ihr Schmatzen hörte.
    Omas Gehör war ohnehin nicht mehr gut, seine Töchter kümmerte es nicht und als seine Frau zurückkam, hatte Nora längst alles geschluckt. Theresa strahlte über das ganze Gesicht und rieb sich die Hände. „So, die Sterne sind fertig, der Hefeteig muss noch gehen, in der Zwischenzeit kann ich gleich noch das Lebkuchenhaus verzieren.“
    „Wie, das ist doch fertig.“ Henry blickte auf das mit buntem Zuckerguss bemalte Häuschen auf der Kommode. Es thronte auf einer mit Puderzucker bestäubten Lebkuchenplatte, drum herum scharrten sich bunte Zuckerfiguren.
    „Glaubst du etwa, ich backe bloß ein einziges davon?“ Theresa schüttelte den Kopf. „Das andere ist für oben, im Flur möchte ich es aufstellen, mit einem Teelicht dahinter, das wirkt so stimmungsvoll.“
    „Wenn da noch irgendwo Platz ist“, murmelte Henry, aber so leise, dass niemand ihn hören konnte. Denn oben im Flur stand noch mehr Weihnachtskram herum, zuerst war da der riesige Schneemann aus Pappmache, den die zehnjährige Fabienne aus den Zeitungen eines Monats und einem großen Eimer Tapetenkleister so wie viel Farbe zusammen gebastelt hatte. An jeder Türklinke hing ein weihnachtliches Band oder zumindest ein kleiner Kranz. An den Wänden waren weihnachtliche Bilder angebracht, Kreuzstichmotive, gezeichnetes von den Mädchen und die Fenster waren ebenfalls alle geschmückt. Selbst im Badezimmer baumelte vor der kleinen Scheibe ein Weihnachtsmann. Und auf jeder halbwegs freien Fläche stand etwas, das irgendwie mit Weihnachten zu tun hatte, da ein Weihnachtsmann, dort ein Engel, hier gleich ein ganzes Rentiergespann.
    Das alles hätte Henry ja noch ertragen, er kannte es ja seit Jahren, schließlich hatte seine Frau diesen Weihnachtstick schon Zeit ihres Lebens und ihre Kinder damit voll angesteckt, mit Ausnahme von Heiko, der, wann immer sich die Möglichkeit bot, zu seinen Freunden flüchtete. Mit seinen fünfzehn Jahren gab es für ihn kaum schlimmeres, als traditionelle Weihnachtslieder (wobei Henry nicht wusste, was schlimmer war, die Weihnachtslieder oder das Heavy Metal-Gedröhne, das Heiko so gern hörte). Die sechzehnjährige Melissa dagegen ging völlig in ihren Basteleien auf und hielt ihm fast täglich ein neues Stück unter die Nase. Mit jedem Jahr war die Wohnung reicher an immer bunterem Weihnachtsschmuck geworden, doch in diesem Jahr kamen noch eine ganze Reihe von sprechenden und blinkenden Weihnachtsaccessoires hinzu.
    „Ich geh eine Runde mit Nora“, sagte Henry und stand auf. Die Hündin folgte ihm Schwanz wedelnd zur Tür, er nahm ihre Leine vom Haken und trat in die kühle Luft hinaus.
    Mit einem eleganten Satz, den man ihr aufgrund ihrer eher stämmigen Erscheinung gar nicht zutrauen würde, setzte Nora über die Fußmatte hinweg. Henry dagegen trat drauf und während er sich vom Haus entfernte, erklang Jingle Bells.
    Die kalten Hände in den Manteltaschen vergraben schlenderte Henry den gewohnten Weg entlang. Nora lief gut zwanzig Meter voraus, sie kannte ihre Runde genau. An der Hundewiese hatte er sie eingeholt, dort tollte sie begeistert durch den Schnee. Auf der Straße hatte die weiße Pracht sich in eine unansehnliche graue Masse verwandelt, doch hier strahlte der Schnee noch richtig. Ein kleiner Schneemann stand unter einem Baum, jemand hatte ihm aus Aststückchen Augen und Mund verpasst, nur eine Nase fehlte.
    Henry hob ein etwas dickeres Stück Holz auf und setzte es dem Schneemann ins Gesicht. Das war zwar kein richtiger Ersatz für eine Karotte, aber immer noch besser als gar nichts.
    Es fing zu schneien an, feine Flocken, die mehr wie Regen wirkten. Henry pfiff nach Nora und mit großen Sätzen stürmte die Hündin auf ihn zu. „Komm Mädchen, jetzt wird´s ungemütlich, wir gehen besser zurück.“
    Henry nahm sie an die Leine, sie wäre ihm zwar auch so gefolgt, doch er wollte nicht, dass sie noch durch den ganzen Matsch sprang. Brav trottete Nora neben ihm her, schüttelte sich im Flur ausgiebig und sprang begeistert an ihm hoch. Das löste die Tanne aus, die sogleich jeden Zuhörer wissen ließ, dass sie ein Weihnachtsbaum war und singen konnte, was sie mit „White Christmas“ unter Beweis stellte. Henry fragte sich, wie viel Lieder wohl auf dem Chip gespeichert waren, doch eigentlich wollte er das gar nicht wissen, also lockte er Nora fort, damit sie die Tanne nicht ein weiteres Mal auslösen konnte.
    Gedankenversunken ging Henry in sein Arbeitszimmer - zumindest versuchte er es, denn der Raum war abgeschlossen. Verdutzt kehrte er nach unten zurück. „Theresa, ich kann mich nicht erinnern, mein Büro abgeschlossen zu haben.“
    „Das war ich.“ Sie sah nicht auf, während sie sprach, da sie gerade damit beschäftigt war, einem Lebkuchenengel ein Zuckergussgesicht zu verpassen. „Da sind die Geschenke drin, ich wusste sonst keinen anderen sicheren Ort. Und du brauchst das Zimmer ja gerade nicht, du hast doch Urlaub seit heute.“
    „Aber ich wollte trotzdem rein“, protestierte Henry und dachte an die wissenschaftlichen Zeitschriften und das neueste Automagazin, die dort auf dem Schrank lagen. Die waren gestern erst gekommen und er hatte sie sich extra aufgehoben, um mit ihnen wenigstens für kurze Zeit diesem Weihnachtsrummel zu entfliehen.
    „Morgen Schatz, da sind schließlich auch Geschenke für dich drin und ich habe noch nicht alle eingepackt. Nach der Bescherung morgen Abend kannst du jederzeit wieder in dein Büro.“
    „Ich gehe nicht an die Geschenke.“
    „Das weiß ich, aber sie sind noch nicht eingepackt. Und ich habe jetzt wirklich keine Zeit, du siehst doch, was ich hier mache.“ Schon hatte Theresa sich umgedreht und trennte ihrer jüngsten Tochter ein Ei, für das nächste weihnachtliche Backwerk.
    Henry hatte genug, er suchte sich die Zeitung von heute aus dem selbstgenähten Behälter für Post - auf dem zeitgemäß natürlich ein Weihnachtsmann mit einem Brief in der Hand gestickt war - und ging in den Wintergarten. Im Glauben diese Tür passieren zu können, hing er im nächsten Moment mit dem Kopf in einem Mobile, im Gesicht kitzelten ihn Sterne aus Moosgummi. „Melissa!“
    „Ja?“ Seine älteste Tochter erschien und eilte sogleich auf ihn zu. Ihre Augen funkelten ihn ärgerlich an. „Sei doch vorsichtig, da habe ich gestern den ganzen Nachmittag dran gebastelt.“
    „Könntest du es nicht etwas höher hängen?“ Bemüht, nicht die Fäden zu verknoten, befreite Henry sich aus dem Kunstwerk.
    „Es ist ein Mobile, das muss so hängen“, erklärte Melissa. „Hier, häng es richtig wieder auf, ich muss los, will mit Oma noch Lametta kaufen.“
    Henry verkniff sich eine Bemerkung, er brachte das Mobile wieder an, stach sich dabei an einer Nadel, denn die Girlande am Türrahmen war damit gespickt und schließlich tauchte er unter durch, um im Wintergarten wenigstens für kurze Zeit seine Ruhe zu haben.
    Heikos Ankunft war dank der Tanne nicht zu überhören, der Junge war ausnahmsweise sogar pünktlich, doch Henry bezweifelte, dass Theresa das überhaupt auffiel.
    „Hi!“ Mit wiegenden Schritten durchquerte Heiko die Wohnung Richtung Wintergarten.
    „Vorsicht!“, schrie Henry noch, doch da hing sein Sohn schon im Mobile.
    Heiko fluchte leise, verstummte aber sofort, denn fluchen in der Weihnachtszeit würde ihm bloß Stubenarrest einbringen und das war momentan sicher die schlimmste Strafe. Mit Hilfe seines Vaters befreite er sich aus dem Mobile. „Blödes Ding.“
    „Halt mal fest, ich hole eben neues Tesa-Band, das hier klebt schon nicht mehr“, wies Henry ihn an. „Aber sei vorsichtig, da oben sind Nadeln drin.“
    „Beeil dich, ich hab keine Lust hier Wurzeln zu schlagen.“
    Henry antwortete nicht, er suchte auf Melissas Schreibtisch den Tesafilm, fand ihn schließlich zwischen Wackelaugen, Regenbogen-Papier und bunter Bastelwatte und kehrte damit zu seinem Sohn zurück. Gemeinsam brachten sie das Mobile wieder in Form.
    „Jakob, Martin und ich wollen morgen in die Disco, darf ich?“
    „Am Heiligabend?“
    „Ist doch erst ab 21 Uhr, außerdem ist es eine Weihnachtsparty, im Jugendhaus, da dürfen alle hin und Betreuer sind auch da.“
    „Na ja, von mir aus dürftest du schon, aber ich vermute, deine Mutter wird das nicht erlauben.“
    „Kannst du nicht mal mit ihr reden? Ich hab echt keine Lust, den ganzen Tag nur hier herumzusitzen und diese blöden Lieder zu singen.“
    Ich doch auch nicht, dachte Henry und fragte sich im Stillen, ob es für die Disco wohl eine Altersbegrenzung gab. „Ich werd schauen, was sich machen lässt, aber versprechen kann ich dir nichts.“
    „Ich verlass mich auf dich.“ Heiko verschwand wieder, tauchte ganz knapp unter dem Mobile durch, so dass die Sterne von dem Windhauch heftig bewegt wurden.
    Da Theresa die Weihnachtsmusik so laut gestellt hatte, dass Fernsehen unmöglich war, ging Henry recht früh zu Bett, hörte noch die Nachrichten und schaltete ab, als der Hörfunk mit Weihnachtsmusik begann.
    Davon wurde er auch geweckt, Theresa hatte das kleine Radio voll aufgedreht und wirbelte bereits fix und fertig angezogen durchs Zimmer. „Los, steh auf, du hast die schwarze Hose immer noch nicht angepasst, bestimmt muss Oma die noch kürzen.“
    Henry sah ihr nach, erhob sich dann langsam. Neben dem Bett lagen über einem Stuhl sein weißes Hemd, ein dunkles Jackett und die neue Hose. An der Stuhllehne baumelte ein kleiner Holzweihnachtsmann auf einem Schlitten.
    Das war der Auslöser, Henry hatte genug, er spähte durch das winzige freie Glasstück des Fensters, dass nicht von irgendeinem Weihnachtsmotiv verdeckt war. Der Himmel war grau, aber es schneite nicht, die Straßen waren ziemlich trocken, mit dem Auto würde er prima durchkommen. Wohin wusste er nicht, Hauptsache raus hier.

  • Er steckte seine Brieftasche ein, murmelte etwas von noch was erledigen und schon war er zur Tür hinaus. Da er diesmal auf keinen Sensor geachtet hatte, überschrieen sich nun Fußmatte, Tanne und Weihnachtsmann mit ihren unterschiedlichen Grüßen.
    Henry fuhr zuerst in die Stadt, trank am Stehtresen eine Tasse Kaffee. Wunderbar, richtig schöner schwarzer Kaffee, ohne das Aroma von Zimt und Nelken. Denn zu hause gab es seit Wochen nur noch Weihnachtskaffee. Auf Tee auszuweichen nützte da auch nichts, da Theresa schon letzten Monat die Marke „Weihnachtstraum“ entdeckt hatte.
    Die Bedienung stellte einen kleinen Schokoladenweihnachtsmann neben die Tasse. „Den gibts heute gratis“, erklärte sie mit einem Lächeln, das Grübchen auf ihrem eher reizlosen runden Gesicht erschienen ließ.
    Henry bedankte sich, doch dann wickelte er den kleinen Gesellen schnell aus und steckte ihn sich in den Mund. Das durfte er zu Hause nur bei Plätzchen, die nichts geworden waren. Die anderen kamen auf die bunten Teller oder waren wie die Lebkuchenbauwerke zuerst einmal nur Dekoration. Bis man die essen durfte, waren sie hart, zäh und ohne Geschmack.
    Das Cafe war weihnachtlich geschmückt, nicht übertrieben, nur eine Girlande über der Tür, auf der Fensterbank blühten Weihnachtssterne in leuchtendem Rot und auf der Theke stand eine Weihnachtsmannfigur mit einer Kerze in der Hand.
    Eigentlich war es recht gemütlich, doch Henry konnte nichts Weihnachtliches mehr sehen, also zahlte er, gab ein großzügiges Trinkgeld und setzte sich wieder in sein Auto.
    Ziellos fuhr er durch die Gegend, er hatte die Landstraße gewählt, hier begegneten ihm kaum Autos und keinerlei Weihnachtsschmuck. Sein knurrender Magen erinnerte ihn daran, dass er außer einer Tasse Kaffee und dem kleinen Schoko-Nikolaus noch nichts zu sich genommen hatte. Im Handschuhfach fand er bloß eine angefangene Packung Pfefferminzbonbons, also beschloss er, eine Tankstelle anzufahren. Wenn er sich recht erinnerte, musste keine zwei Kilometer weiter eine sein.
    Sein Gedächtnis hatte ihn nicht im Stich gelassen, hinter der nächsten Kreuzung sah er die Zapfsäulen. Nur ein einziges Auto stand dort, die Motorhaube geöffnet und ein Mechaniker darüber gebeugt.
    Henry parkte und betrat die Tankstelle. Hier deuteten bloß die Plätzchenpackungen in den Regalen auf Weihnachten hin. Hinter dem Glas der Theke lagen belegte Brötchen, außerdem wies ein Schild darauf hin, dass es ab 15 Uhr heißen Apfelstrudel gab.
    Henry kaufte sich ein Käsebrötchen und nahm eine Tasse Milchkaffee. So beladen setzte er sich an einen der Tische. Außer ihm war eine Frau dort, starrte in den Kaffeebecher, den sie mit beiden Händen umklammert hielt. Henry erkannte sie, sie wohnte nur drei Häuser weiter, Langer hieß sie, wie war noch gleich der Vorname? Ach ja, Caroline. Sie gehörte zu den Leuten aus seiner Straße, mit denen er immer, wenn er sie traf, einige belanglose Worte wechselte. Eine Bekannte eben. „Hallo“, sagte Henry.
    Caroline Langer sah auf, musterte ihn einige Sekunden, dann zeigte sich Erkennen in ihrem Blick. „Hallo. Auch noch unterwegs?“
    „So ein wenig. Ist so schönes Wetter gewesen, jedenfalls heute Morgen.“ Durch die Glasscheiben konnte Henry die feinen Schneeflocken sehen, die in schnellem Strom zur Erde fielen. Es dämmerte bereits, doch die aufgetürmten grauen Wolken waren noch gut zu erkennen.
    „Ich wollte noch ein Geschenk für meinen Sohn abholen. Eine Autorennbahn, die wünscht er sich schon so lange. Heute Morgen kam dann der Anruf vom Laden, dass sie endlich eingetroffen sei. Ich bin natürlich sofort losgefahren, die Autorennbahn war da, doch dann fing mein Wagen plötzlich an zu streiken, ich hab´s gerade noch bis hierher geschafft.“
    Henry fiel der Mechaniker ein, den er bei seiner Ankunft draußen gesehen hatte. „Bestimmt findet sich der Schaden schnell.“
    „Das habe ich vor zwei Stunden auch noch gedacht.“ Sie fuhr sich mit einer Hand durch das nach vorne gefallene lange braune Haar. „Meine Familie fragt sich sicher schon, wo ich bleibe.“
    „Rufen Sie sie doch an“, schlug Henry vor.
    Caroline schüttelte den Kopf. „Dann ist es doch keine Überraschung mehr. Wobei ich wohl wirklich nicht mehr lange warten kann, meine Eltern wollten uns besuchen, sicher sind sie schon da. Wenn sie erfahren, dass ich hier stehe, werden sie mich sicher abholen wollen, doch ich möchte nicht, dass sie bei dem Wetter noch fahren, da warte ich lieber.“
    Mitleid und ein unbestimmtes Gefühl von Scham regten sich in Henry, er wollte möglichst weit von zu Hause weg sein und diese Frau wünschte sich nichts sehnlicher als zu ihrer Familie zu kommen. Fieberhaft überlegte er, wie er ihr helfen konnte. „Ich fahre Sie, ich wohn doch nur drei Häuser weiter.“
    „Aber mein Auto ...“
    Henry war schon aufgestanden. „Wir fragen einfach den Mechaniker, ob er die Kiste in der nächsten Viertelstunde zum Laufen kriegt, wenn ja, ist ja alles in Ordnung, ansonsten holen Sie Ihr Auto eben morgen ab, das ist doch sicher kein Problem.“
    Zögernd folgte Caroline ihm nach draußen. Wie feine Nadelstiche schlug der Schneeregen ihr ins Gesicht und sie zog ihren Mantelkragen hoch. Da stand ihr Auto, Motorhaube offen und keinen Ton von sich gebend.
    Henry sprach mit dem Mechaniker, trat dann zu ihr. „Also, das wird dauern, Ihren Wagen flott zu kriegen, ist wohl was mit dem Motor meint er. Mein Angebot steht, also fahren Sie mit mir?“
    „Sehr gern.“ Caroline holte die bereits in buntes Geschenkpapier gepackte Autorennbahn aus ihrem Auto und verfrachtete sie mit Henrys Hilfe auf den Rücksitz seines Wagens.
    „Wollen Sie zu Hause anrufen? Ich habe ein Handy dabei. Es wird sicher noch dauern, bis wir da sind, die Straßen sind ziemlich dicht.“
    „Noch nicht“, lehnte sie ab und schnallte sich an. „Ich bin nur froh, dass ich schon gestern alles vorbereitet habe, sogar der Baum ist geschmückt. Meine Kinder haben so viele zauberhafte Sachen gebastelt.“
    „Meine auch“, bemerkte Henry mit einem Seufzen und dachte an das Mobile über der Tür zum Wintergarten. Und den Pappmacheschneemann, die Lebkuchenhäuser, die Fensterbilder aus Tonpapier.
    „Es ist einfach wundervoll, wie viel Mühe sie sich geben, sogar meine jüngste hat aus Filz einen bunten Stiefel gebastelt. Und mein ältester, der ja eigentlich mit Weihnachten nichts am Hut hat, bleibt zu Hause und hat gestern die Lichterketten kontrolliert, dabei die fehlerhaften Birnen ausgetauscht. Er ist extra noch mal zum Baumarkt gegangen, mir zuliebe, weil ich die Lichter so gerne habe.“
    „Bei uns ist alles weihnachtlich“, sagte Henry grimmig. „Überall, in jedem Zimmer, selbst im Bad.“
    „Ich habe im Vorbeigehen gesehen, wie wunderschön Ihre Fenster geschmückt sind, das muss ja wahnsinnig viel Arbeit gewesen sein.“
    „Hat alles meine Frau gemacht, mit den Mädchen. Mein Sohn hat damit nichts am Hut, er will sogar nach der Bescherung in die Disco, ist irgend so eine Party im Jugendhaus.“
    „Davon habe ich gehört, da wollte mein Ältester auch hin. Aber ich weiß noch nicht, ob ich es ihm erlaube, schließlich ist Weihnachten ein Familienfest und da sollten auch alle zusammen sein.“
    „Vielleicht tut es ihm ganz gut, für ein paar Stunden seine Freunde zu treffen“, bemerkte Henry vorsichtig.
    „Meinen Sie? Nun, wenn Ihr Sohn auch hingeht, könnte meiner eigentlich auch, Sie haben schon recht, für die Kinder sind solche Familientreffen eher langweilig, sie wollen lieber mit ihren Geschenken spielen oder ihren Freunden alles erzählen.“ Caroline seufzte. „Ach, was freue ich mich auf die Bescherung. Und wie das ganze Haus duftet.“
    Henry dachte an Zimtkaffee zum Frühstück und eine Woche voller Eiergerichte, da Theresa für die Zuckergüsse so viel Eiweiß gebracht hatte. Und die weihnachtlichen Potpourris, die Duftkerzen und –lampen, deren Aromen ihn so oft zum Niesen reizten und bei denen er immer das Gefühl hatte, die Gerüche bis Ostern nicht mehr aus seiner Nase zu bekommen. „Na ja, so ein wenig ist wohl ganz schön.“
    „Sie sind wohl ein ziemlicher Weihnachtsmuffel.“
    Henry überlegte kurz. „Ich glaube, das trifft zu.“
    „Kaum vorstellbar, jemand, der keinen Gefallen an Weihnachten findet. Es ist doch so herrlich, wie alles geschmückt ist, die ganze Atmosphäre.“ Schwärmerisch schloss sie die Augen.
    „In unserem Haus steht an jeder Ecke etwas, wenn ich reinkomme, begrüßen mich die Fußmatte, diese scheußlich kitschige Tanne mit den blinkenden Augen und ein Plastikweihnachtsmann mit den unterschiedlichsten Weihnachtswünschen - gleichzeitig.“
    Caroline lachte. „Wie süß, man merkt sofort, dass Ihre Familie Weihnachten liebt. Können Sie sich damit nicht abfinden?“
    „Was glauben Sie, was ich seit Wochen - nein eigentlich schon seit ich verheiratet bin - mache. Nur heute morgen, da wollte ich bloß noch raus. Hab mir das Auto geschnappt und bin losgefahren, einfach so, irgendwohin, wo es nichts Weihnachtliches gibt.“
    „Und nun müssen Sie wegen mir zurück.“
    „Nein, nein“, beeilte Henry sich zu sagen. „Ich wollte doch sowieso zurück.“ Das war eigentlich eine Lüge, doch Caroline schien sie zu glauben. Er hatte nicht genau gewusst, was er noch vorhatte, nur nach Hause hatte er auf keinen Fall zurück gewollt. Doch nun bog er bereits in die Abfahrt ein, die in seine Straße führte. Und verwundert stellte er fest, dass er sich ein ganz klein wenig auf zu Hause freute und dieses Gefühl zunahm, mit jedem Meter, den er fuhr. Carolines Worte hatten einen Denkprozess in Gang gesetzt, er hatte sich nie vor Augen gehalten, wie viel Mühe eigentlich in dem ganzen Weihnachtszauber steckte, den seine Familie veranstaltete. Theresa hatte sicher den ganzen Tag in der Küche gestanden, zur Vorspeise würde sie eine Bouillon servieren, in der Eierstich in weihnachtlichen Formen schwimmen würde.
    Und dann ihre hübschen, leuchtenden Augen, wenn sie die Geschenke auspackte. In seinem Nachtschrank hatte er schon seit Wochen dieses kleine dunkelblaue Päckchen, das die Perlenkette enthielt, auf die sie bei ihrem letzten Stadtbummel so verträumt geblickt hatte. Er dachte an die Kinder, wie sie sich freuen würden, wie er sich bei ihren strahlenden Gesichtern freuen würde.
    Endlich, da war sein Haus, schon von weitem strahlten die Lichter der Tanne im Vorgarten. Alle Fenster waren hell erleuchtet, nun konnte er die ganzen Basteleien an ihnen noch besser sehen, es sah wunderbar aus, so stimmungsvoll.
    Henry parkte, half Caroline mit der Autorennbahn und geleitete sie zu ihrem Haus. Sie lächelte ihn an. „Danke. Und frohe Weihnachten.“
    „Ihnen auch frohe Weihnachten.“ Henry winkte ihr im Gehen noch zu, dann lief er so schnell es der glatte Bürgersteig - er musste unbedingt streuen, schoss es ihm durch den Kopf - zuließ, zu seinem Haus.
    Die Fußmatte sprang an, hinter der Tür der Weihnachtsmann und da er nicht auf den Sensor achtete, stimmte wenige Sekunden später die Tanne in die Weihnachtslieder mit ein. Henry störte es nicht weiter, er hängte seinen Mantel achtlos an einen freien Haken – auch ein winziger Plastiktannenbaum, war ihm bislang gar nicht aufgefallen - und stürmte ins Wohnzimmer.
    Theresa sah auf. „Da bist du ja, ich hab mich schon gefragt, wo du bleibst.“
    Henry fiel nichts ein, er setzte sich, begrüßte seine inzwischen eingetroffenen Eltern und ließ sich Bouillon auffüllen, in deren Mitte Sterne schwammen. Er trug noch seine normale Hose, die neue hing oben über dem Stuhl und es war keine Zeit mehr, sich umzuziehen, außerdem wäre sie ihm sowieso viel zu lang. Aber Theresa schien das nicht zu bemerken oder zeigte es zumindest nicht.
    Henry strahlte. Eigentlich war Weihnachten ja doch schön.



    ENDE

  • 3. Dezember 2007 von Caia



    Weihnachten – wie er es fürchtete. Wenn man schon alleine ist, wird es um die Weihnachtszeit noch schlimmer. Seit vor sechs Jahren Johanna gestorben war, war das Leben geprägt von Alleinsein. Die Kinder sind weit weg, zu weit, um grade mal vorbeizukommen, und zu Weihnachten bekommt er jedes Jahr zu hören: Du, das ist viel zu stressig, wir besuchen dich ein andermal! Daran, was er die ganzen Tage alleine machen wird, verschwenden sie keine Gedanken. Wie still es ist, fällt erst auf, wenn man aus jedem Kaufhauslautsprecher Jingle Bells gehört hat, während zu Hause Ruhe herrscht. Und wie trist und farblos, seit Johanna nicht mehr für die Fenster bastelt, Kränze bindet und liebevoll mit dem Weihnachtsschmuck dekoriert, der zu ihrer Ehe gehört hat, wie die weihnachtliche Gans und der Tannenbaum. Seit er allein ist, fehlt die Lust, und außer ihm vermisst es ja sowieso niemand.


    Aber einkaufen, soviel muss doch noch sein. Sich in den Trubel stürzen, um ein paar Kleinigkeiten zu erstehen, die man über die Festtage braucht: Milch, Butter, Brot, vielleicht ein Festtagsmenü aus der Tiefkühltruhe, das man einfach in die Mikrowelle stellen muss? Kochen, das konnte er auch nicht, schließlich hat das all die Jahre Johanna gemacht. Also muss er sich damit helfen. Aber so gut wie früher bei Johanna schmeckte es ihm einfach nicht.


    Also gut, die abgenutzte Einkaufstasche vom Haken genommen, den alten Mantel übergezogen, die Lesebrille nicht vergessen – schließlich konnte er ohne nicht mehr lesen, was er einkaufte. Auch eine Mütze nahm er von der Ablage, draußen sah es nach Regen aus. Vielleicht war beim Fleischer um die Ecke noch ein Menü zu bekommen, dort wollte er sein Glück versuchen. Immer noch besser, als aus der Tiefkühltruhe des Supermarkts.


    Wie zu erwarten, war es beim Metzger voll. Sehr voll. Er stellte sich auf Wartezeit ein, als er sich den Schnee von den Stiefeln abtrat und den Laden betrat. Für Weihnachten unüblich, hatte zu schneien begonnen. Er kramte in seinem Gedächtnis, es muss das letzte Weihnachten mit Johanna gewesen sein, als es zuletzt weiße Weihnachten gegeben hatte. Er seufzte leise und stellte sich in der Schlange an. Ließ seinen Blick schweifen durch den Laden, über all die gestressten Menschen, die es eilig hatten, nach Hause zu kommen – nur er hatte Zeit, denn zu Hause, da wartete schon seit Jahren niemand mehr auf ihn.


    Draußen schneite es weiter. Allmählich bekam die tannengrüne Dekoration der Straßenlaternen weiße Hauben aufgesetzt. Wie schön und unberührt der Neuschnee aussah. Und weiterhin fielen dicke, flauschige Flocken vom Himmel.


    „Wer bekommt es als nächstes?“ Er schaute immer noch aus dem Fenster hinaus in die Winterlandschaft.


    „Ich, geben Sie mir zwei Pfund Hirschbraten bitte“. Er hatte es verpasst, eigentlich wäre er an der Reihe gewesen. Nun, er hatte Zeit. Viel Zeit. Niemand wartete auf ihn. Er sah weiter aus dem Fenster in den Schnee. Es liefen Kinder vorbei, die Anoraks überzuckert mit weißem Puder, die Gesichter rot vor Kälte. Schneebälle flogen durch die Luft, eine Katze versuchte, sie zu fangen und schaute verdutzt, als der Schneeball einfach so zerplatzte. Die Kinder liefen lachend davon, doch die Katze blieb auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig sitzen, als warte sie auf etwas. Er zog seine Brille aus der Tasche, um besser sehen zu können, und trat ans Fenster.


    „Herr Dorsten, was kann ich für Sie tun?“ Er hörte auch diesmal nicht, dass er an der Reihe war, und schaute weiter in den Schnee, auf die Katze, die dort drüben saß und einen weißen Mantel bekam.


    „Herr Drosten?“


    Er drehte sich um. „Womit kann ich Ihnen helfen?“ fragte die Metzgersfrau erneut.


    Den Kopf schüttelnd, sagte er: „Wem gehört die Katze?“ und zeigte aus dem Ladenfenster.


    „Die streunt hier schon ein paar Tage herum, ich stell ihr ab und an ein paar Reste raus, mehr weiß ich auch nicht.“ Verwundert schaute sie ihm nach, als er sich umdrehte und aus dem Laden ging. Als die Türglocke bimmelte, wandte sie sich schulterzuckend dem nächsten Kunden zu.


    Er war in den Schnee getreten, schaute rechts und links und überquerte die Straße. Trat auf die Katze zu, kniete sich mit seiner Einkaufstasche nieder und schaute in grüne, weise Augen, die ihn unter einer Schneemütze anblickten.


    „Nun, wer bist du?“ Er hielt ihr seine Hand entgegen, damit sie an ihm schnuppern konnte. Die Katze, deren Fell beim näheren Betrachten struppig und verfilzt erschien, erhob sich, machte einen Buckel und fing an, in die Einkaufstasche zu krabbeln. Er konnte es gar nicht glauben, dass sie dann in der alten, abgewetzten Tasche saß und ihn vertrauensvoll anschaute. „Suchst du ein warmes Plätzchen?“ fragte er sie.


    Statt einer Antwort begann sie, zu schnurren.


    Vorsichtig hob er die Tasche hoch und ging mit ihr den Weg zurück nach Hause. Kaum dort angekommen, sprang die Katze aus der Tasche, lief in die Küche und legte sich auf die Küchenbank – genau auf den Platz, an dem Johanna immer gesessen hatte. Es war, als wäre dies ihre angestammte Ecke, der nur noch eine warme Decke fehlte. Im Schlafzimmer suchte er im Schrank nach einem alten Kissen, das er in die Küche trug und ihr hinlegte. Schnurrend ließ sie ihn gewähren, rollte sich dann darauf ein und schloss die Augen. Immer noch im Mantel stand er in der Küche und fragte sich, ob Johanna ihm wohl Gesellschaft geschickt hatte?


    Beschwingt nahm er die Einkaufstasche und trat vor die Tür. Es war Weihnachten und er musste noch einkaufen. Und zu Hause wartete jemand auf ihn.

  • 4. Dezember 2007 von Tom



    "Papa, was feiert man eigentlich an Weihnachten?"
    "Die Geburt von Jesus Christus, des Heilands der Christen."
    "Der ist also an Weihnachten geboren?"
    "Na ja, genau genommen weiß man das nicht. Man hat einfach neun Monate vom Tag seiner Zeugung weitergerechnet, und das war angeblich der 25. März."
    "Und warum neun Monate?"
    "Weil es so lange dauert, um ein Kind auszutragen."
    "Wie der Postbote?"
    "Nein. Es dauert neun Monate, bis aus dem klitzekleinen Kind im Bauch der Mutter, die hieß Maria, ein so großes geworden ist, dass es auch außerhalb des Mutterbauchs leben kann."
    "Und wer war der Vater?"
    "Der liebe Gott."
    "Aber der war nicht der Mann von Maria, oder?"
    "Nein."
    "Dann hat sie also … ihren Mann … wie heißt das?"
    "Betrogen? Mmh."
    "Mit dem lieben Gott."
    "Wenn man so will."
    "Und die Geschenke, warum gibt es die?"
    "Die Heiligen Drei Könige hatten zu Jesu Geburt Gold, Weihrauch und Myrrhe als Geschenke gebracht."
    "Deshalb schenkt man sich was?"
    "Eigentlich ... nein. Den Brauch gibt es erst seit ein paar Jahrhunderten, und es begann damit, dass man zu Sankt Nikolaus Präsente verteilte. Die Protestanten aber kennen keine Heiligen und haben deshalb an Heiligabend Geschenke verteilt. Die Katholiken sind dann quasi mitgezogen, das ist erst knapp hundert Jahre her. Ganz früher, im Altertum, hat man sich Geschenke zu Neujahr gemacht."
    "Also eigentlich ..."
    "Hat es nichts mit Christi Geburt zu tun, ja."
    "Und der Weihnachtsbaum?"
    "Den gibt es seit dem neunzehnten Jahrhundert, also etwas mehr als hundert Jahre. Es fing in Deutschland an und hat sich dann weiter verbreitet. Der Ursprung dieser ganzen Sache hat vermutlich etwas mit den alten Römern zu tun, die ihre Häuser zum Jahreswechsel mit Lorbeerzweigen schmückten. Weil es in Nordeuropa wenig Lorbeer gab, hat man die immmergrünen Tannen benutzt, als Symbol für Lebenskraft. Das ist eigentlich ein heidnischer Brauch."
    "Aber der Weihnachtsmann?"
    "Der geht auf einen deutschen Schriftsteller zurück, nimmt man an, und zwar den, der den Struwwelpeter erfunden hat, Heinrich Hoffmann hieß der. Tatsächlich ist der Erfolg des Weihnachtsmanns, wie wir ihn heute kennen, auf eine Idee von Coca Cola zurückzuführen. Historischer Ursprung der ganzen Sache ist Sankt Nikolaus, der Schutzheilige der Kinder, aber der Nikolaustag ist, wie du weißt, lange vor Weihnachten."
    "Mmh. Und die anderen Sachen? Sterne, Kerzen, Engel und so?"
    "Ein Stern soll den Heiligen Drei Königen damals den Weg zu Jesus gewiesen haben, aber inzwischen nimmt man an, dass es weniger um eine Himmelserscheinung, als eine Metapher für das Erscheinen des Messias ging."
    "Metaffa?"
    "Das ist, wenn man etwas im übertragenen Sinne sagt. Man meint also nicht das, was man sagt, sondern etwas anderes. Eigentlich ist das auch keine Metapher, sondern eher ein Gleichnis. Schwer zu erklären. Die Bibel besteht hauptsächlich aus solchen Sachen."
    "Und die Engel? Mit den Flügeln?"
    "Das ist eher ein Bild, das sich beim Volk durchgesetzt hat. Die Bibel beschreibt Engel, die Boten Gottes, als den Menschen ähnlich. Die Darstellungen nackter Kinder mit Flügeln, man nennt das Putten, hat mit den biblischen Engeln nichts zu tun."
    "Und warum zündet man Kerzen an?"
    "Der Brauch stammt wohl aus den nordischen Kulturen, wo man die so genannte Julkerze zur Wintersonnenwende entzündete. Kerzen, wie wir sie heute kennen, wurden vermutlich erst im zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt erfunden. Davor hat man Fackeln benutzt."
    "Papa?"
    "Ja?"
    "Also was genau feiern wir jetzt an Weihnachten?"
    "Einfach ein schönes Fest, mein Sohn."

  • 5. Dezember 2007 von Leseratte87



    Anna ist ein kleines, fröhliches Mädchen im Alter von fünf Jahren. Und wie jedes Kind freut sie sich auf den morgigen Tag – den Nikolaustag!
    Sie konnte sich auf gar nichts konzentrieren und hatte ein ständiges Grinsen auf ihrem Gesicht. Voller Freude sprang sie umher und sang fröhlich Lieder nach, deren Texte sie durcheinander brachte. Aber das spielte keine Rolle, denn sie hatte nur eines im Kopf: den Nikolaus. Was er ihr wohl brachte?
    Abends saß Anna mit ihrer Mama, ihrem Papa und ihren Geschwistern Susi und Peter am Tisch und aß zu Abend. Auch hier konnte sie kaum still sitzen und schaute ungeduldig auf die Uhr, deren Ziffern sie noch nicht richtig verstand.
    Endlich durfte sie aufstehen! Es ging ihr einfach nicht schnell genug. Als sie ihrer Mama beim Abräumen half, und sich ihre Mutter nun dem Abwasch widmen wollte, zupfte Anna ihr an der Schürze und sah strahlend zu ihr auf.
    „Duuuu Mama, wann kommt denn der Nikolaus endlich?“
    „ Morgen, mein Schatz. Wie wäre es, wenn du nun deine Stiefel schön sauber machst und vor die Tür stellst?“ Sie strich ihrer Tochter liebevoll über das Haar und sah lächelnd zu ihr hinab.
    „Oh, das hatte ich ganz vergessen!“ Anna schlägt sich ganz entsetzt vor den Mund und rennt sofort zu ihren Stiefeln. Die sahen nun wirklich nicht mehr sauber aus…
    So machte sie sich an die Arbeit. Nach zehn Minuten sah sie ihr „Werk“ an und war damit zufrieden. Sie stellte ihre Schuhe neben denen ihrer Geschwister auf und rannte schnell in ihr Zimmer um noch das Bild zu holen das sie für den Nikolaus gemalt hatte. Dann ging sie zu ihrer Mutter die noch in der Küche rumwerkelte und fragte „ Mama, haben wir noch ein paar Plätzchen für den Nikolaus? Der freut sich doch bestimmt auch darüber.“
    „ Aber ja, da hast du natürlich recht“ sagte ihre Mutter gerührt und gab ihr einen kleinen Teller, wo ein paar Plätzchen drauf lagen. Zusammen stellten die den Teller vor die Tür. So standen sie eine Weile bis Anna doch langsam müde wurde. Sie fing an zu gähnen und rieb sich müde ihre Augen.
    „So, jetzt wird es aber Zeit. Putz dir noch schnell deine Zähne. Ich komme gleich und lese dir noch etwas vor, ja?“
    „Hm“ brachte die Kleine nur noch heraus.
    Als sie im Bett lag schlief sie sofort ein und schnarchte leicht vor sich hin. Ihre Mama, beugte sich über sie und gab ihrer kleinen Tochter noch einen Kuss auf die Stirn und flüsterte. „Der Nikolaus bedankt sich ganz herzlich für das Bild und die Plätzchen“ Sie ging aus dem Zimmer und schloss leise die Tür.
    Anna drehte sich um und lächelte im Schlaf.

  • 6. Dezember 2007 von flashfrog



    Vorm Namenstag stellt Niko Laus
    die klitzekleinen Stiefel raus.
    Beim kleinen Klaus wohnt er gemütlich
    und tut sich auf der Kopfhaut gütlich.
    Da baut er dann auch manchmal Mist:
    Weil er ein rechter Lausbub ist,
    da kriegt er sich (wie alle Jahre)
    mit seinem Bruder in die Haare.


    Nikos Bruder Ladis Laus
    der heckt auch gerne mal was aus.
    Das sind mir schon zwei richtig Coole.
    Die gehn mit Klaus auch in die Schule
    und Mathe findet Ladis grausig,
    denn darin war er immer lausig.
    Er langweilt sich und krabbelt da
    zu Klausis Freundin Claudia,
    packt die Gelegenheit beim Schopf –
    da hat er seinen eignen Kopf.


    Auch Niko, dieser Lausebengel,
    ist sicherlich kein Weihnachtsengel.
    Denn allzu gern tobt er mit Nissen
    allnächtlich in Klein-Klausis Kissen,
    und beißt den armen Klaus und sticht.
    Dass den das juckt, das kratzt ihn nicht.
    Doch allzu großer Übermut,
    der geht bekanntlich selten gut.


    Hast du genascht vom süßen Blute
    kommt nicht Knecht Ruprecht mit der Rute,
    viel schlimmer, da kommt Klausis Mom
    mit Shampoo und mit Nissenkamm ...

  • 7. Dezember 2007 von Ida



    Auf den Fußwegen verwandelt sich der Schnee in schmutzigen Matsch. Die Leute nutzen die Stunden, in denen die Läden vor Heiligabend noch geöffnet sind, um ihre letzten Weihnachtseinkäufe zu machen. Der Weihnachtsmarkt duftet nach Bratwurst und Glühwein und lässt altbekannte Lieder aus den Lautsprechern ertönen; nach so vielen Tagen der Vorweihnachtszeit und jetzt bei Tageslicht wirkt alles ein wenig abgenutzt. Hier und da, wo die ersten Stände schon geschlossen werden, sind Hammerschläge zu hören.


    Ich stehe in dem schmalen, überdachten Gang zwischen zwei Buden und sehe zu, wie sie in der Holzhütte gegenüber Glühwein ausschenkt. Sie bewegt sich in dem engen Raum wie eine Tänzerin, lächelt die Kunden an und wechselt mit jedem ein paar nette Worte. Eine schwarzgelockte Haarsträhne rutscht immer wieder aus ihrer Weihnachtsmannmütze und wird schließlich hinter das Ohr geklemmt. Sie sieht mich nicht. Ich ziehe die Schultern hoch und krieche tiefer in meine Jacke. Am Rücken spüre ich eine Ecke der Blechdose in meinem Rucksack. Ich warte den richtigen Moment ab, und dann werde ich sie ihr geben.


    In der altmodischen kleinen Dose ist ein Früchtebrot verpackt. Nicht irgendein Früchtebrot, sondern das Ergebnis endloser Versuchsreihen. Seit dem Tag, an dem mir das Glühweinmädchen in einer ihrer Pausen vor der Hütte beiläufig erzählt hat, dass zu ihrem Weihnachten das Früchtebrot ihrer Oma gehört, habe ich Rezepte ausprobiert. Und Öfen. Denn die Oma buk das Früchtebrot in einem uralten Kohleherd, und das Brot ist nur echt mit einem ganz bestimmten rauchigen Geschmack, den das Mädchen seit dem Tod der Oma nie mehr gefunden hat – und ich bei Früchtebrot aus dem heimischen Backofen auch nicht. Zum Glück ist mir Frau Wiedmann eingefallen. Sie wohnt in dem windschiefen Häuschen neben uns und ist dankbar, wenn wir manchmal für sie mit einkaufen. Sie hat in ihrer Küche einen Herd, der mit Holz und Kohle gefeuert wird und immer noch in Betrieb ist. Als ich Frau Wiedmann mein Anliegen vorbrachte, blitzten ihre Augen hinter der Goldrandbrille und ihre Dauerwelle hüpfte, während sie mir in die Küche voranging. Sie begann sofort, Rezepte herauszusuchen. Wir entschieden uns für eines aus dem handgeschriebenen Rezeptbuch ihrer Mutter. Ich brachte die Zutaten, und wir begannen zu backen. Die ersten Brote waren nicht formschön genug oder wurden zu trocken. Nach ein paar Tagen hatten wir den Dreh heraus und konzentrierten uns auf den rauchigen Geschmack – weder verbrannt noch zu holzig, sondern nur ein Hauch von Rauch. Das Ergebnis unserer Bemühungen stapelt sich nun in Frau Wiedmanns Vorratskammer und hält ewig, behauptet sie. Und das beste Exemplar schenke ich dem Glühweinmädchen zu Weihnachten.


    Ich habe die Dose aus dem Rucksack hervorgeholt und warte darauf, dass sie eine Pause macht. Meine Hände werden langsam starr. Es hat wieder angefangen zu schneien. Vielleicht gibt es tatsächlich wieder einmal weiße Weihnachten.


    Endlich hat sie eine Zeitlang keine Kunden. Sie wischt die Theke ab, schaut auf die Uhr und kommt durch eine kleine Seitentür heraus. Ich schlendere zu ihr hinüber.


    „Hallo!“


    „Hallo!“ Sie zieht die Brauen ein wenig zusammen. Dann erkennt sie mich. „Was machst du denn noch hier, so kurz vor der Bescherung?“


    „Ich ... wollte dir das hier geben. Es ist ... für dich.“


    „Ein Geschenk!“ Ihre Augen glänzen wie schwarze Kieselsteine. „Wie lieb von dir! Vielen Dank!“


    Sie nestelt am Geschenkband. Schneekristalle fallen auf die Weihnachtsmannmütze und hängen in ihrem langen Haar, perfekte, gleichmäßige Sterne, die sich schnell in Wassertropfen verwandeln.


    „Oh! Ein Früchtebrot ... Was für eine nette Idee.“


    Ich fühle mich, als ob die Zeit stillsteht und alle Welt mich anstarrt.


    „Es ist ein besonderes Früchtebrot. Eines, wie es deine Oma gemacht hat ... Hoffe ich jedenfalls.“


    „Ah. Ich verstehe.“


    Ich sehe ihr an, dass sie nicht versteht. Mir ist kalt.


    „Ich werde es später probieren. Jetzt muss ich erst einmal wieder hinein!“ Sie deutet auf zwei Kunden, die vor ihrem Stand warten, schüttelt sich achtlos die Schneeflocken von der Mütze und aus dem Haar und geht in die Hütte zurück.


    Ich wende mich um und gehe.


    „Hey“, ruft sie mir nach, „ich habe im Moment keine Zeit! Komm heute abend um zehn ins Moxx, dann reden wir weiter!“


    „Da habe ich keine Zeit!“, rufe ich zurück. Denn ich habe eben beschlossen, nach der Bescherung Frau Wiedmann zu besuchen. Und mit ihr zusammen Früchtebrot zu essen. Einfach so.

  • 8. Dezember 2007 von Babyjane



    Ich ziehe den Kopf ein und hocke zusammen gesunken auf dem Beifahrersitz des Streifenwagens. Draußen ist es klirrend kalt und im Wagen wird es auch nicht wirklich warm. Wir drehen seit ein paar Minuten unsere Runden und warten, dass der Funk uns ruft oder es sonst etwas zu tun gibt. Meine rote Schnupfennase lugt unter dem grünen Dienstschal hervor und meine Hände klemmen unter meinen Pobacken. Es ist wirklich schweinekalt.
    Kurz denke ich an meine Eltern und Geschwister, die jetzt vermutlich die Dritte Runde Glühwein am elterlichen Wohnzimmertisch trinken und vom Licht des Weihnachtsbaums angestrahlt werden. Meine Portion Gans und Klöße liegt auf der Wache und wartet, dass ich sie später in den Mikrowellenherd schiebe.
    Der Funk knistert und wir brausen los. Ermittlungseinsatz bei einer Vermissten. Die junge Frau hat sich seit Tagen nicht bei ihren in Bayern wohnenden Eltern gemeldet und ist nun auch zum Festessen nicht erschienen, man sorgt sich und erreicht sie nicht, außerdem leidet sie unter Depressionen.
    „Fängt ja gut an, murmel ich in meinen Schal!“ und weiß jetzt schon, dass es entweder eine zugedröhnte oder eine tote junge Frau ist, die wir hinter der Wohnungstüre finden werden. Die Adresse ist auch nicht die Beste. Vor der Türe treffen wir bereits auf die Feuerwehr. Als wir da sind frickeln die Jungs mit einer alten Fahrradspeiche die Türe auf und wir stürmen rein. Der Geruch schlägt uns schon im Flur entgegen und ich schließe gedanklich die zugedröhnte Möglichkeit sofort aus. Es riecht süßlich eklig verdorben und tot halt. Die Wohnung ist wider erwarten ganz hübsch, eine Maisonette Wohnung mit Empore im Wohnzimmer. Überall ist es dunkel. Wir sehen uns um, ich gehe unter der Empore durch. Mein Kollege folgt mir und ich höre ein heftiges Schnaufen. Mit der Hand an der Waffe fahre ich herum. Die Tote hängt über uns, direkt von der Empore runter. Ich bin haarscharf unter ihren Beinen durch gelaufen, mein Kollege, ein Stück größer als ich hat sich an ihren Füssen den Kopf gestoßen. An ihren Beinen klebt Kot und unter ihre Körper hat sich eine Pfütze gebildet, durch die ich durchgelaufen bin. Ihr Kopf ist seltsam verfärbt, der Hals in komischem Winkel verbogen.
    Die Feuerwehr kommt rein, der Notarzt schüttelt den Kopf und ich weiß, das heißt, hängen lassen, ist eh tot.
    Während wir auf die Kripo zur Spurensicherung warten, denke ich darüber nach, dass ich lieber hier die Leiche der 20 Jährigen finde, als es nun am heiligen Abend ihren Eltern mitzuteilen, kein Job den man gerne macht. Mein Kollege steht rauchend im Flur und übt zum Überbrücken der Wartezeit das Öffnen der Türe mit einer Fahrradspeiche, von der Feuerwehr angeleitet. Ich stehe im Wohnzimmer herum und muß den Drang unterdrücken herumzuwühlen und den Grund für den Selbstmord herauszufinden. „Nicht meine Aufgabe, auf die Kripo warten!!“ murmele ich leise und trete von einem Fuß auf den anderen. Die lassen sich aber auch mal wieder Zeit heute….
    „Willst du nicht aus dem Gestank rauskommen?“ schallt es aus dem Flur. Ich schüttele den Kopf, irgendwie würde es mir als Verrat vorkommen, wenn ich sie jetzt wieder allein ließe. Vor der Tür haben sich ein paar neugierige Nachbarn angesammelt und ich bekomme was zu tun, als wir sie wegscheuchen. Ich hasse es, nichts zu tun und bin erleichtert, eine Aufgabe zu haben.
    Die Kripo kommt, wir helfen beim Abschneiden des Gürtels, der noch um ihren Hals gewickelt ist und lassen sie so vorsichtig wie möglich zu Boden gleiten. Wie erwartet erbricht sie, als sich der Gürtel am Hals leicht löst. Meine Schnupfennase wird leicht grün und ich bin froh, als die Kollegen der Kripo uns wegschicken, sie kommen alleine klar und Kollegen aus München sind mit einem Seelsorger zu den Eltern unterwegs.
    „Ich hab eine Tote kotzen sehen“, sagt der Feuerwehrmann neben mir und schüttelt ungläubig den Kopf. Ich grinse schief, „Sachen gibt’s…“
    Unser Aufbruch wirkt ein bisschen wie eine Flucht. Der Kollege ist blaß und mir zittern die Hände. Obwohl uns beiden eine Menge durch den Kopf schießt, schweigen wir, bis ich sage: „Ich schreib dazu den Bericht gleich, ich hab die Personalien alle.“


    Kaum hab ich uns wieder frei gemeldet, haben wir auch schon den nächsten Einsatz. „Familienstreitigkeiten bei Hauser!“ Ich stöhne, „Kann das Arschloch nicht mal an Weihnachten seine Frau in Ruhe lassen.“ Mehr brauche ich nicht sagen, der Kollege kennt den Weg, die Hausers sind Stammkunden.
    Bereits vor der Haustür hört man das Gebrüll. Einer der Nachbarn steht bedröpelt im Flur und begrüßt uns. „Es tut mir leid, sie schon wieder zu verständigen, aber ich glaub, diesmal bringt er sie um….“ Wir nicken nur und drücken uns an ihm vorbei. Die durch unsere Besuche schon schwer geschädigte Haustüre der Hausers, fliegt nach einem Schuhtritt meines Kollegen auf. Wir drängen uns in die Wohnung, Frau Hauser liegt im Flur am Boden, aus ihrem Ohr tröpfelt Blut, ihr Blick geht an mir vorbei zur Decke und ist starr, trotzdem schreit sie. Ich lasse mich auf die Knie fallen und funke währenddessen nach Rettungsdienst und Notarzt. Nach meinem Kollegen brauche ich mich nicht umsehen, Herr Hauser ist 1,60 m groß und eher ein Fliegengewicht, außerdem ist er feige, ich höre kurz darauf an den Geräuschen aus der Küche, dass er bereits gefesselt am Boden liegt.
    Ich versuche mich an meine Erste Hilfe Kenntnisse zu erinnern und bringe Frau Hauser in die stabile Seitenlage. Frau Hauser ist 70 Jahre alt ihre Ärmchen und die pergamentartige Haut fühlen sich unter meinen Händen an, als würden sie jeden Moment zerbrechen,
    „Alles klar bei dir?“ Ruft der Kollege aus der Küche. „Geht so, bewusstlos, oder zumindest nicht ansprechbar, Puls und Atmung vorhanden.“ „Jut, die kleine Ratte ist fixiert.“ Ich flüstere Frau Hauser zu, keine Ahnung was ich ihr sage, aber ich versuche ruhig zu klingen und liebevoll zu sein, dabei habe ich meine eigene Oma vor Augen, die jetzt vermutlich schon schlafend in ihrem Bett liegt und sich über einen schönen heiligen Abend mit ihren Enkeln und Kindern freut.
    Der Nachbar streckt den Kopf zur Tür rein. „Kann ich helfen?“ „Nein, aber sie können die Feuerwehr rein lassen, wenn sie klingelt.“ Er schaut erleichtert und verschwindet im Hausflur.
    Frau Hauser scheint langsam zu sich zu kommen und spuckt ihr Gebiss in meine Handfläche. Dann weint sie, stumm und mit dem Blick starr an mir vorbei gerichtet. Ich lege das Gebiss beiseite und streichle ihr vorsichtig über die Arme. „Alles wird gut, murmle ich und fühl mich ein bisschen hilflos, wie ich so vor dieser alten Frau knie, die uns sonst immer mit einem Lachen in den Augen empfängt, egal wie übel ihr Mann sie gerade wieder zugerichtet hat. Sie, die uns immer anfleht ihren Harry, nicht zu grob zu behandeln, er könne ja nichts dafür und die ihn immer wieder aufnimmt, wenn er sich nur nett genug entschuldigt.
    An dem Flurfenster mir gegenüber blinkt ein Weihnachtsstern in allen Farben und auf dem Schränkchen im Flur stehen kleine Engelchen mit Kerzen in den Armen.
    Meine Gedanken schweifen ab, ich frage mich, ob es Gott gibt und warum er so etwas gerade am Weihnachtsabend zulässt, ich erschrecke mich fast, als der Notarzt sich neben mir auf den Boden fallen lässt.
    Ich mache im Platz, lasse die Sanis arbeiten und gehe zu meinem Kollegen. Herr Hauser liegt immer noch am Boden und schimpft wie ein Rohrspatz. Ich muß mich erheblich beherrschen und mir selbst in die Hand kneifen, um ihm nicht ganz aus Versehen kräftig auf eines der Beine zu treten. Gemeinsam mit meinem Kollegen heben wir ihn auf und schleifen ihn ziemlich unsanft ins Auto.
    Während wir zur Wache rasen, schimpft Herr Hauser weiter auf seine Frau und dass sie es nie lernen wird, dass er seinen Kaffee nur mit Milch trinkt und dass die Weihnachtsgans auch viel zu klein war dieses Jahr. Ich beneide meinen Kollegen der ganz ruhig immer wieder auf Hausers Schwachsinn antwortet und schweige lieber, da ich genau weiß, dass ich nur zu Worten, wie „Schnauze“ oder „Arschloch“ fähig wäre. Vor Augen hab ich immer noch Frau Hausers Blick und die über ihre zerknitterten Wangen fließenden Tränen.
    Über Funk kommt die Durchsage, dass Frau Hauser einen Schädelbruch erlitten hat und ins künstliche Koma versetzt wurde, aber außer Lebensgefahr sei und unterwegs ins Krankenhaus wäre. Plötzlich rinnen Herrn Hauser die Tränen über die Wangen. „Aber ich lieb mein Lieschen doch…“ schluchzt er und ich bin angeekelt und empfinde doch Mitleid.


    Auf der Wache stehen die Kollegen stumm auf dem Flur und blitzen Hauser böse an. Niemand sagt was, als er den Gang entlang zu den Zellen schleicht, den Weg kennt er ja schon. Diesmal ist er brav und ruhig, kein Genörgel wie sonst, die Klingel benutzt er auch nicht. Die Kollegen schauen alle paar Minuten bei ihm rein, Schnürsenkel und Gürtel musste er abgeben. Wir wollen schließlich nicht noch einen Erhängten in dieser seltsamen Weihnachtsnacht.
    Als Hauser warm und trocken sitzt, schiebe ich mir rasch meine Weihnachtsgans in die Mikrowelle und hocke mich dann mit dem Teller an den PC. Während ich kaue, danke ich kurz meiner Mutter für die kleine Tupperdose mit Leckereien. Dann beginne ich die Schreibarbeiten zu erledigen. Mein Kollege sitzt mir gegenüber und tippt ebenfalls, immer mal wieder schielt er auf meine Gans. „Die ist doch viel zu groß für dich, die Keule!“ sagt er schließlich und ich schiebe ihm ein Stückchen von der Gänsekeule rüber.
    „Jetzt noch ein Glas Rotwein und der Weihnachtsabend wäre perfekt, keine Geschenke, dafür eine totes Mädchen, einen alten Schlägersack und eine arme schwerverletzte Omi, dazu Gans aus der Mikrowelle, was will man mehr.“ Er zwinkert mir zu.
    Ich schüttele den Kopf und konzentrier mich wieder auf meinen Anzeigentext.
    Die Sprechanlage summt. „Jane, Max, Einbruch, Täter noch vor Ort…. „ Bevor sie den Straßennamen nennt, sind wir schon aufgesprungen, Jacke an raus zum Auto. Im Vorbeifahren, sehe ich durch das Fenster meine Gans auf dem Tisch stehen. Mit Ruhe essen, scheint uns heute nicht vergönnt zu sein.
    Wir kommen gemeinsam mit 2 weiteren Streifenwagen vor Ort an. Einfamilienhaus, freistehend, hübscher Garten. Wir umstellen das Haus, sind leise, alle Blaulichter sind aus. Hinter den Fenstern sieht man Taschenlampen umher wandern. „Wie doof sind die denn?“ murmele ich leise in meinen Schal.
    Das Funkgerät in meiner Jacke knistert. „Hinten die Balkontüre ist offen, soweit ich sehen kann sind zwei Personen im Haus.“ Dann eine andere Stimme: „Rein, los!“ Wir hören Geschepper und laute Stimmen und Max und ich ärgern uns beide, dass wir auf der falschen Seite des Hauses stehen und alles nur halb mitbekommen. Kurz darauf erscheinen die Kollegen an der Vordertüre. Zwei kleine schwarzhaarige und schwarzäugige Jungs im Schlepptau. „Nix verstehen, Nix zabzarab! Ich erst 12!“ brüllt der eine immer wieder. Langsam gehen die Lichter der Nachbarhäuser an. Aus den beiden kleinen Einbrechern ist nichts herauszubekommen. Die Bewohner des Hauses werden auch langsam wach und stehen uns etwas verdattert in ihrem ziemlich durchwühlten Wohnzimmer gegenüber. Wir bekommen den Auftrag einen der beiden Klaukids zur Wache zu bringen. Wieder bin ich froh aus dem Haus entfliehen zu können, diesmal nicht wegen des schlimmen Anblicks einer Leiche, sondern weil es Menschen immer unerträgliches Leid verursacht, wenn jemand unbefugt in ihre Reich, ihr Heim eindringt. Auf dem Weg nach draußen gehen wir an den Nachbarn vorbei. „Scheißzigeuner, nicht mal an Weihnachten können die ihre Finger bei sich behalten.“ Obwohl ich seine Wut verstehen kann, schaue ich ihn böse an und er verstummt. „Ist doch wahr“ sagt seine Frau kleinlaut.
    Selbst im Auto werden die Kids nicht gesprächiger, die Eltern sind nicht zu verständigen und wir wissen genau, wenn wir sie ins Kinderheim bringen, sind sie in spätestens einer Stunde über alle Berge. „Dada haut uns tot!“ Sagt der Zwerg plötzlich und guckt seine Schuhspitzen an. Ich weiß sofort, dass er nicht tot gehauen wird, weil er eingebrochen ist, sondern weil er sich hat erwischen lassen und das Dada höchst wahrscheinlich jetzt grad hier irgendwo herumhängt und wartet, dass die Aufregung sich legt.
    Wir liefern die Kids trotzdem im Kinderheim ab, nachdem die Kripo versucht hat sie mit einem Dolmetscher zu vernehmen. Eine knappe Stunde später, als ich mich gerade wieder über meine kalte Gans beuge, kommt der Anruf, dass beide spurlos verschwunden sind. Ich seufze frustriert und schiebe mir einen Knödel in den Mund. „Immer das Gleiche“ schmatze ich mit vollem Mund.


    Als ich fertig bin zupft der Kollege am Ärmel meines Pullis, „Komm mal mit!“ „Wohin? Schicht ist gleich vorbei!“ Das „zum Glück“ schlucke ich runter und folge ihm nach draußen. Dicke weiße Flocken fallen aus dem Himmel auf die Erde. In wenigen Minuten liegt auf allem eine dicke Schneeschicht. Wir stehen beide stumm auf dem Parkplatz zwischen den Streifenwagen und gucken hoch zum Himmel auf dem hier und dort ein Stern aufleuchtet.
    Ich recke mein Gesicht zum Himmel und die Flocken fallen auf meine Wangen und vermischen sich mit einer kleinen Träne, die an meiner Wange herunter rinnt. „Fröhliche Weihnachten“ flüstert es neben mir und ich drücke Max Hand.
    Dann trifft mich was Kaltes am Hinterkopf, ich wirbele herum, ein Kollege steht lachend im Eingang und formt schon einen weiteren Schneeball, „Feierabend ihr SCHNARCHNASEN!“
    Jauchzend fliehe ich vor der nächsten Schneeballattacke hinter einen Streifenwagen. Wie die Kinder toben 14 gestandene Polizeibeamte über einen zugeschneiten Parkplatz, bewerfen sich mit Schneebällen und zum Schluß, lasse ich mich auf den Boden fallen, wackele mit den Armen und male ein Engelchen in den Schnee.
    „Fröhliche Weihnachten“ krähe ich in den Himmel, schmecke Schnee auf meinen Lippen und mir ist es völlig schnuppe, warum man Weihnachten feiert, ob wirklich jeder weiß, was eine Krippe ist und wer Jesus war. Wichtig ist doch eigentlich nur, dass man noch genug Gründe zum Feiern findet und genug Liebe in sich hat, um sie zu teilen. Genug Freude um einen solchen Dienst wie heute unbeschadet zu überstehen und vor allem genug Weihnachtsgans im Bauch, um satt zu sein.

  • 9. Dezember 2007 von Lotta



    Ich kann den Dezember riechen: er riecht würzig und frisch, nach Winter und heißen Maroni. Ich kann ihn auch fühlen; er ist warm und weich, wie ein großer, runder Pfefferkuchen. Er klimpert und glänzt, wie eine Schneekugel, wie Marktgetaumel, Krippenspiel und Lichtermeer. Das ist mein Dezember. Dachte ich.


    Dieses Jahr ist es anders. Ich laufe mit Jann durch die sternenlose Stadt, suche in den Augen meines Lieblingsfreundes nach Spuren unserer Spielzeugwelt, wünsche mich woanders hin. Die Welt spielt Verzaubern, probiert das Weihnachtsgewand an, doch ich sehe hindurch wie bei einer Glasscheibe. Die Pappohren des Esels sind verrutscht, das Jesuskind ist eine Puppe, die ein Kind aussortiert hat, weil die rechte Augenbraue fehlt. Mir ist, als wäre das Karussell stehen geblieben, als hätte mein traumweißes Holzpferdchen den Sprung verweigert.


    Meine Eltern sind Fernwehmenschen, sie fliegen bei Schneefall in bunte Länder und lassen mich bei Jann. Heilig Abend: ich werde im Schlafsack auf dem Küchenboden liegen und darauf warten, dass er mich nachts besuchen kommt. Wir werden Marshmallows über die Ofenklappe halten, bis sie gold und knusprig sind. Ich werde bestimmt meinen Schlafanzug vergessen, werde sein Simpsonhemd anziehen und er wird lachen, bis er Schluckauf bekommt. Ich werde mein Kissen nach ihm werfen und er wird es mir nicht wieder geben, bis ich ihn lange genug mit verbrannten Marshmallows beworfen habe.


    So wird es sein. Das rede ich mir ein, während er neben mir läuft und ich ihm Seitenblicke zuwerfe, die mir sagen soll, ob er sich im Gewirr genauso verloren fühlt. Die nach Veränderungen suchen, nach Resten einer Zeit, in der wir zusammen Zähne putzten und dabei Jingle Bells sangen, bis der Badezimmerboden schaumtropfenübersät war. Das rede ich mir ein, und weiß doch, dass alles anders ist: ich glaube nicht daran.


    Die Einkaufstüten schaukeln im Wind. Dezember: ich rieche nur den Schweiß der vielen Menschen und fühle den Ellbogen eines Fremden in meinen leidgeprüften Rippen. Plötzlich wollen alle einen Zwerghamster adoptieren und lassen ihr Blut literweise in Beutelchen füllen. Nichts glitzert. Das sind nur ferne Geister, die Erinnerungen an Erinnerungen an Erinnerungen sanft aufschimmern lassen. Ich sehe mich um, da sind nur Menschen, gewöhnliche Frühaufsteher und Müslilöffler, ausgeträumte Realitätseinwohner und Armbanduhrträger, die ausnahmsweise ins Nikolauskostüm schlüpfen.


    „Und sie glauben alle an Gott“, murmele ich.
    „Was?“ Jann blickt auf. Er knabbert an einer Schokofrucht und sieht in seiner Jacke aus wie ein sehr glücklicher Eisbär, der seine Schnauze in zu viel Schokolade getunkt hat.
    „An Weihnachten. Sie glauben plötzlich alle an Gott.“
    Er überlegt. Das merke ich, weil er mit seinen Eisbärhänden zappelt. Ich stelle mir vor, dass es seine Gedanken sind, die er ungeduldig umher bewegt und wieder neu zusammensetzt.
    „Vielleicht suchen sie nach ihm“, sagt er und lächelt ein Lächeln, das ihn alt und weise aussehen lässt, „mehr als sonst. Sie suchen nach ihm im Lachen ihrer Kinder, in den tanzenden Kaminfeuerflammen und im Milchschaum ihres Winterzauberkakaos. Sie lauschen im Geschenkpapierrascheln auf seine Stimme, machen den Schnee auf ihren Wimpern zu Wegweisern. Sie wünschen sich Heile-Welt-Lieder im Radio, umarmen sich ein kleines bisschen fester als sonst. Lesen nur noch Bücher, die glücklich enden. Basteln aus Goldstaub und Tannenzweiggeruch ihr eigenes Paradies und hoffen, dass es ein ganzes Jahr lang hält. Ist das nicht verrückt?“
    Ich antworte nicht. Was soll ich noch erzählen, von Zahnpastaschaum und Ofenklappen? Seine Augen glänzen. Seine Hände zucken noch einmal, ganz leicht, eine fließende Bewegung. Jetzt, denke ich, jetzt ist er fort. Irgendwo in der Pfefferkuchenwelt, ist verzaubert, ist anderswo. Wie hat er das nur gemacht?


    Es ist soweit. Wir trinken Glühwein mit dem Strohhalm und essen Schoko-Himbeer-Plätzchen, bis uns fürchterlich schlecht wird. Auf das Christkind warten wir wie Kinder. Trotz des verlorenen Zaubers. Außerdem mag ich Janns Gesichtsausdruck, wenn er den Tesafilm mit den Fingernägeln abzupft, um das Papier nicht zu zerstören. Ich schlafe in der Küche, lausche dem Ticken der Uhr, die darauf programmiert ist, zu jeder vollen Stunde „White Christmas“ zu pfeifen. Er wird nicht kommen. Bestimmt wird er nicht kommen.


    Um Mitternacht wache ich auf, unter Schmerzen, weil mir die Tür gegen den Kopf gestoßen wird. Jann bekommt vom Lachen so schlimm Schluckauf, dass bestimmt das ganze Haus davon aufwacht. Die Marshmallows purzeln über den Boden, als er die Tüte aufreißt, unter dem Arm klemmt sein Simpsonhemd. „Ich dachte, du willst das hier vielleicht haben“, sagt er und lacht schon wieder. Seine Hände zappeln. Ich ziehe mich im Schlafsack um, tauche auf – er ist ernst geworden: „Du siehst süß aus, Mailin.“ Seine Finger zupfen Lamettafäden aus meinem zerzausten Haar.


    Wir liegen nebeneinander.
    „Jann, Jann, bist du wach?“ – „Mailin! Ich will schlafen … hör auf mit den Marshmallows …“ – „Weißt du was, Jann?“ – „Was denn?“ – „Ich… also ich… ich finde Weihnachten wirklich doof.“
    Der Mond malt honigfarbene Muster an die Decke. Ich kann sein Herz ganz sanft klopfen fühlen und hoffe, er weiß, dass ich gelogen habe.

  • 10. Dezember 2007 von Doc Hollywood



    „Scheiße, warum hast du das getan?“, fuhr ich Mr. Zed an. „Schau dir die Sauerei an! Alles voller Blut.“
    Mr. Zed steckte die rauchende Maschinenpistole zurück ins Oberschenkelholster und durchsuchte die Leiche des Wachmanns. Augenblicke später zog der Ork einen silbrigen ID-Zylinder aus den zerfetzten Überresten und hielt ihn triumphierend hoch.
    „Siehste, was hätten wir groß rumquatschen sollen? Da ist das Ding doch“, grunzte er mich an und die Lippen gaben dabei seine tadellos gepflegten Hauer frei.
    Ich schüttelte missmutig den Kopf. Mein metamenschlicher Partner war ein Strassensamurai, komplett verkabelt und mit der neuesten Cyberware ausgerüstet, die im Untergrund zu bekommen war. Ein dezenteres Auftreten wäre normalerweise angebracht gewesen, aber er hatte recht. Uns lief die Zeit davon. So kurz vor Heiligabend hätten wir so einen Auftrag gar nicht erst annehmen sollen, doch die Konditionen waren einfach zu verlockend gewesen. Er warf mir den Zylinder zu, den ich sofort in den Dataport meines Decks einstöpselte. Ein paar kurze Eingaben und ich hatte nicht nur die Codes der Panzertür, sondern auch noch Zugriff auf alle Überwachungskameras.
    „Alles klar. Vor uns ist alles frei.“ Mit einem virtuellem Druck auf Enter ließ ich die Bolzen der Tür in ihre Kammern zurückgleiten, dann öffnete ich die Augen und nickte dem Ork zu. Er fischte mit einer geschickten Bewegung nach seiner Maschinenpistole; ein kaum vernehmbares Surren zeigte an, dass sich die implantierten Sensoren seiner Handfläche mit der intelligenten Elektronik der Waffe verbunden hatten, dann drückte er mit der anderen Pranke gegen das Schott. Das holografische Display meines Decks zeigte unerbittlich, wie die Zeit verrann; nur noch drei Stunden bis zur Bescherung. Bis dahin musste die Lieferung erfolgt sein, sonst würde sich unser ausgehandeltes, nicht gerade unerkleckliches Sümmchen Credits einfach in Luft aufgelöst haben. Als zischend die Druckluft aus der Verriegelung wich, öffnete sich die Panzertür und gab den Weg frei. Ich folgte Mr. Zed und versuchte dabei die Blutlachen zu ignorieren, die sich von der Leiche des Wachmanns aus auf dem Boden verteilt hatten.


    Der Raum war hell, zu hell für meine Cyberaugen, die seit unserem Eindringen in die Anlage auf Restlichtverstärkung geschaltet waren. Mit einem Zwinkern des linken Auges schaltete ich den R-Modus ab. So war es deutlich angenehmer.
    „Ist es das?“, fragte der Ork, ohne sich zu mir umzudrehen. Er deutete mit dem Lauf der Maschinenpistole in die Mitte des Raums.
    Ich nickte, während ich das Deck kurz in die Computermatrix einklinkte, um die Überwachungskameras ein weiteres Mal zu checken. „Ja, nennt sich Weihnachtsbaum.“
    „Das ist ein Weihnachtsbaum?“, hakte Mr. Zed nach. „Sieht ganz anders aus, als die Dinger, die Sony im Programm hat.“ Er kratzte sich mit einer Pranke am Hinterkopf.
    „Ja, das ist ein echter Baum, keine Trideo-Holografie. Sowas hat man früher benutzt. Los, lass uns das Ding einsacken und verschwinden, bevor einer merkt, dass sich der Lone Ranger da draußen vor der Tür nicht mehr regelmäßig meldet.“
    Mr. Zed stapfte durch den künstlichen Schnee auf den Baum zu. Seine Fußspuren vermittelten mir den Eindruck hinter einem Yeti her zu laufen.
    „Was sind das für rote Dinger an den ... Ästen?“, knurrte der hünenhafte Ork und richtete vorsichtshalber die Maschinenpistole darauf. Mit einem pulsierenden Piepen bestätigte die Waffe die Zielerfassung.
    „Kerzen. Sag mal, mit Weihnachten hast du’s nicht so, oder?“, seufzte ich, dann gingen mit einem Mal alle LEDs auf meinem Deck aus. „Scheiße!“ Im nächsten Augenblick wurden die Deckenfluter ausgeknipst. Meine Cyberaugen schalteten sofort um.
    „Was ...“, raunte Mr. Zed und drehte sich dabei in alle Richtungen.
    „Pass auf, wo du mit deiner Kanone herumfuchtelst!“, fuhr ich ihn an, als mich seine Zielerfassung mit einem Piepston erfasst hatte. Er richtete die Waffe eine Entschuldigung murmelnd zu Boden, dann meldete sich eine weibliche Computerstimme.
    „Sie haben einen Sicherheitsalarm ausgelöst. Der Raum wurde hermetisch verriegelt. Bitte wenden Sie sich an den zuständigen Wachmann, der autorisiert ist eine Identitätsprüfung vorzunehmen und eine Notbefreiung einzuleiten. Wir entschuldigen uns für eventuell entstandene Unannehmlichkeiten und bedanken uns für Ihr Verständnis.“
    Über dem Eingang ging die Notbeleuchtung an, die gerade noch ausreichte die eingelassene Komlink-Konsole bedienen zu können. Bei meinem Deck blieben alle Lichter aus, der Netzzugang war weg. Mit zusammengekniffen Lippen sah ich Mr. Zed an. Er starrte finster zurück.
    „Was?“, knurrte er. „Na komm, sprich’s aus. Der dumme Ork musste ja den Wachmann abknallen.“
    „Wunderbar, wenn du selbst drauf kommst. Spät zwar, aber immerhin“, fauchte ich zurück und probierte mein Glück an der Tür. Nach wenigen Minuten war klar, dass wir von innen keine Chance hatten das Ding aufzubekommen. Wir würden warten müssen, bis die Anlage wieder für die Touristen geöffnet wurde.


    Nach einer Weile machten wir es uns neben dem Baum im Kunstschnee gemütlich. Ich erstaunte Mr. Zed, als ich einige der Kerzen anzündete.
    „Frohe Weihnachten, Zed. Zuhause habe ich ein Geschenk für dich“, sagte ich und sah in eine der flackernden Flammen, ohne R-Modus versteht sich.
    „Ein Geschenk?“, grunzte Mr. Zed und stocherte dabei mit den Klauen in seinen Hauern herum.
    „Ja, das ist Weihnachten so üblich.“
    „Bei uns wurde immer eine Geschichte vorgelesen“, antwortete er und hörte endlich damit auf zwischen seinen spitzen Zähnen herumzupulen.
    „Was für eine Geschichte?“ Ich setzte mich auf und klopfte mir den Kunstschnee aus den Ärmeln.
    Der Ork nahm eine der Kerzen vom Baum und stellte sie zwischen uns, dann fing er mit seiner tiefen, knurrigen Stimme zu erzählen an: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.“

  • 11. Dezember 2007 von WilmaWattwurm



    Liebe Eulenadventskalendertürchenaufmacher(innen)!


    Beinahe hättet Ihr heute vor einer verschlossenen Tür gestanden. Oder Ihr hättet Euch die Fingernägel abgebrochen bei dem Versuch, die Nummer 11 zu öffnen. Und wenn Ihr sie doch aufbekommen hättet, wärt Ihr wahrscheinlich in ein Vakuum gefallen.
    Mir wollte nämlich lange Zeit ganz einfach nichts Adventliches einfallen. Ich war schon im Begriff aufzugeben, aber dann kam gestern meine Freundin Anneke auf Besuch und mit ihr die rettende Idee.


    Um es gleich von vornherein klarzustellen: ICH HASSE WEIHNACHTEN.
    Ich hasse diesen Feiertagszirkus, dieses Jingle-Gebelle und den Goldengelrausch, diese ganzen pseudoreligiösen Rituale, die Freß- und Saufverpflichtungen und die Kaufsüchtigen, die sich wegen eines Schnäppchens vom letzten Jahr halbtot trampeln.
    Ich hasse Weihnachten so sehr, daß ich mich sogar weigere, den Weihnachtshasser-Thread hier im Forum zu lesen.


    Warum ich mich denn dann überhaupt angemeldet habe für diese Adventskalender-Aktion?
    Tja, gute Frage!
    Das muß in einem kurzen Augenblick von Geistesverwirrung passiert sein, anders kann ich mir das nicht vorstellen. Irgendjemand hat das Wort „Feigling“ erwähnt und ich habe mich provozieren lassen. Blöd, nicht?
    Jedenfalls plädiere ich auf unschuldig. Obwohl ich wahrscheinlich zum jetzigen Zeitpunkt keinen Freispruch mehr bekomme.


    Schreib doch einfach ein Glühweinrezept, hat jemand vorgeschlagen. Ich glaub die Heaven war’s. Glühwein? Ich? Als Wattwurm? Also, bitte! Das ist nun wirklich nicht standesgemäß. Ich bin doch kein Glühwürmchen.


    Oder nimm ein Rezept für Plätzchen oder Gebäck. Ja, das wär noch eine Möglichkeit gewesen. Immerhin bin ich wegen meiner Sandkuchen berühmt. Allerdings ist der Schlick, den ich darin mitverarbeite, nicht für jeden geeignet und für manch sensiblen Eulenmagen sicherlich schwer verdaulich.


    Dann lieber ein Teerezept. Thé hollandais. Wiet-thee. Einen „High Tea“ sozusagen.
    Aber wahrscheinlich wäre mein Beitrag dann disqualifiziert worden. Ihr seid ja noch nicht so weit da drüben im Osten.


    Also nix Rezept.
    Kein Wunder, daß mein Winterblues immer blauer wurde.


    Aber ich schweife ab.
    Es wird höchste Zeit, daß ich zum eigentlichen Zweck dieses Schreibens komme: mein Kalenderbeitrag.


    Wie bereits eingangs erwähnt kam kam meine Freundin Anneke gestern zu Besuch und dabei erzählte sie mir von der Nikolausfeier an ihrer Schule.
    Ihr müßt wissen, Anneke ist Lehrerin an einer Grundschule beauftragt mit der speziellen Betreuung der untersten Klasse, lauter so kleinen Würmchen zwischen 4 und 6 also.
    Am letzten Dienstag kam wie beinahe überall im Lande der Nikolaus an die Schule. Sinterklaas heißt der hier und das Fest wird mit viel mehr Tamtam gefeiert als in Deutschland. Für Kinder ist es das allergrößte überhaupt, mit reichlich Geschenken, vergleichbar in etwa mit dem, was die deutschen Kinder an Weihnachten bekommen.


    Sinterklaas kommt entgegen aller historischen Überlieferungen laut holländischer Tradition aus Spanien mit einer Schar von Helfern, den sogenannten „Zwartepieten“ (Schwarzen Petern), mit schwarzgeschminkten Gesichtern, Lockenperücke, weißer Rüschenhalskrause und bunten Gewändern. Die Zwartepieten werfen aus einem großen Sack Pfeffernüsse unter die braven Kinder und wenn der Sack dann schließlich leer ist, werden die bösen Kinder angewiesen, die in den Sack gesteckt und nach Spanien abtransportiert werden müssen, als Strafe.
    Es werden die typischen selbstgemachten Nikolaus-Gedichte vorgelesen - meist ein wahrer Ohrengraus, wenn Ihr mich fragt - es wird viel gesungen, getanzt und vor allem auch viel gelacht.


    Alle Kinder waren fröhlich und ausgelassen, erzählte Anneke, alle Kinder, nur eines nicht: der kleine Miloud, ein Dreikäsehoch von marokkanischer Herkunft. Mit seinen großen Kulleraugen beobachtete er das bunte Treiben, ernst, fast traurig. Irgendwie tat er Anneke leid und sie ging zu ihm hin und ergriff seine Hand.


    Das Ende der Feier nahte, die Kinder huben an zum traditionellen Abschiedslied „Dag, Sinterklaasje, daaag, daaag....“
    Der Nikolaus und seine Helfer zogen ein letztes Mal links und rechts winkend durch den Saal, und plötzlich geschah es. In dem Augenblick, wo der Zug an dem kleinen Miloud vorbeikam, riß der sich von der Hand seiner Lehrerin los und stellte sich festentschlossen dem Heiligen Mann in den Weg.


    Der blieb ganz verdutzt stehen, blickte erst hilfesuchend auf die anwesenden Erwachsenen, bückte sich schließlich zu dem kleinen Jungen hinunter:
    „Was ist los? Was kann ich für Dich tun?“
    „Meneer Sinterklaas“, begann Miloud schüchtern.
    „Ja?“
    „Meneer Sinterklaas, warum kommst Du zu allen anderen Kindern nachhause, aber zu mir kommst Du nicht?“


    Sichtlich in Verlegenheit gebracht zupfte sich der Sankt Nikolaus an seinem Bart, erinnerte sich gerade noch rechtzeitig, daß dieser nur festgeklebt war, legte stattdessen die behandschuhte Hand auf den Kopf des kleinen Fragenstellers und stotterte unsicher.
    „Das... das ... ja, hä.... weißt Du, Deine Eltern... Du, das weiß ich nicht.“


    Seither frage ich mich, was ich an seiner Stelle wohl dem kleinen Miloud geantwortet hätte. Ehrlich gesagt, ich weiß es auch nicht!

  • 12. Dezember 2007 von KleineTraene



    Langsam, aber zielstrebend strichen die Schneeflocken an ihrem Fenster vorbei. Sie lehnte vorsichtig ihren Kopf gegen die Scheibe und betrachtete den dunklen Himmel.
    Im Nachbarhaus sah sie die beiden kleinen Zwillinge. Sie lachten und tanzten in der warmen Stube fröhlich umher.
    „Mariaaa!“, schallte es von unten hoch. Ihre Mutter hatte nach ihr gerufen. „Beeil dich, deine Schwester kann es kaum abwarten.“ Genau, dachte sie abwertend. Tina konnte kaum abwarten, dass alles so wurde wie jedes Jahr.
    Sie stand seufzend von der Fensterbank auf und ging mit schlurfenden Schritten die Treppe herunter.
    Als sie das Wohnzimmer betrat, krümmte sich ihr Magen zusammen. Ihr Vater stand mit ärgerlichem Gesichtsausdruck vor dem Weihnachtsbaum und versuchte diesem die krönende Spitze aufzusetzen. Sie wusste, dass das der Anfang war. Und es war noch lange nicht das Ende.
    Sie blickte zu ihrer Mutter, die ihrer 7-jährigen Schwester Tina das Feuerzeug aus der Hand nahm. Tina versuchte sich dagegen zu wehren. Aber es war klar, wer dieses kleine Machtspiel gewann.
    Tina schmiss sich auf den Boden und fing schrillend an zu brüllen.
    Maria traten die Tränen in die Augen. Jetzt kam der Punkt, an dem alles zusammen brach.
    Ihr Vater schmiss die Spitze des Tannenbaumes auf den Boden. Sie zersprang. Dann blickte er erst Marias Mutter und dann Maria zornig an. „Warum müsst ihr immer so schreien? Das ist ja nicht zum Aushalten. Und du, Karin, du solltest Tina besser im Griff haben!“ Maria kannte diese Szene schon. So ähnlich kam sie jedes Jahr vor. Aber ihr kamen immer wieder die Tränen.
    Ihr Vater schlug die Tür zu und Tina fing an zu weinen.
    Warum war es jedes Jahr wieder so? Noch bevor sie gegessen oder Geschenke ausgepackt hatten, kam der große Knall. Marias Mutter Karin fing an zu schluchzen.
    Als Maria die Treppe nach oben ging, überlegte sie warum ihre Mutter sich nicht endlich von ihrem Vater scheiden ließ.

  • 13. Dezember 2007 von magali



    Hört den Wind ihr in den Bäumen?
    Sachte ist er nicht noch leise.
    Dürft noch nicht vom Frühling träumen,
    Sturmwind ist’s, Gespensterweise.
    Geister herrschen, Nacht für Nacht,
    eh’ am Christtag Licht erwacht.


    Hexe, Kobold, Schwarzer Mann
    huschen draußen durch den Tann.
    Was sie wispern, raunen, weben,
    sind noch keine gold’nen Ketten.
    Fluch und Arges sie erstreben,
    Morgenstern kann noch nicht retten.


    Wollt ihr eure Zukunft wissen?
    Wie das Lied des Liebsten klingt?
    Nun ist’s Zeit, das Blei zu gießen,
    Geisterspruch die Wahrheit bringt.
    Salz und Mehl dem Wind gereicht,
    macht die Sommerlüfte leicht.
    Weht der Wind drei lange Tage,
    wird die nächste Ernte reich.
    Stellt den Geistern jede Frage,
    Flamm’ und Asche künden’s gleich.


    Horcht, was klopft da an den Türen?
    Horcht, wie’s durch die Ritzen pfeift.
    Schnell das Feuer wärmer schüren,
    eh’ das Dunkle nach uns greift.
    Hört ihr’s rütteln? Hört ihr’s heulen?
    Kreischen, stöhnen, gellen, schrei’n
    aus der Hölle tiefstem Schlund
    hier in den Kamin hinein?


    Daß nur bald die süßen Düfte
    aus der warmen Küche weh’n!
    Schwefelrauch und Dunst der Grüfte
    Vor dem Lichterglanz zergeh’n.
    Apfel, Nuß und Mandelkerne
    Marzipan die Teller schmücken.
    Süßer Glocken Lied erklinge,
    Herzen und Gemüt beglücken!
    Noch entsprang die Rose nicht
    Die den Bann der Geister bricht.


    Hört den Sturm ihr in den Bäumen?
    Dürft noch nicht vom Frühling träumen.
    Grüne Hoffnung ist noch weit,
    Advent ist da, Geisterzeit.

  • 14. Dezember 2007 von Eny



    Mitten auf dem Rathausmarkt im weihnachtsmärktlichen Getümmel kamen wir auf die Idee, die Crêpe-Verkäufer auf Französisch anzuquatschen. Um genau zu sein: Die Idee war mir gekommen, nachdem wir ein Schild passiert hatten, auf dem „Le belle crepes“ angeboten wurde, was nach orthographischen und grammatikalischen Kriterien falsch war – und auch keinen Sinn ergab, denn bei einem Crêpe ging es doch eher um Geschmack als um Schönheit.
    Ich ging also hin. Jule und Katrin stützten sich bereits kichernd auf den erstbesten Plastiktisch. Der Verkäufer sah – wenn überhaupt ausländisch – eher nach Skandinavier als nach Franzose aus, aber war vermutlich nichts anderes als ich, nämlich Hamburger.
    „Parlez-vous francais?“, fragte ich und lächelte ihn an. Ich bereute, heute morgen mein Barett nicht aufgesetzt zu haben.
    Wie erwartet starrte er mich geschlagene fünf Sekunden an, bevor er zu einem ziemlich kratzigen „You speak German?“ ansetzte. Ich drehte mich zu Jule und Katrin um, die vor Lachen bereits auf dem Tisch lagen, und wir gingen weiter, lautstark kichernd.
    Am nächsten Stand war Katrin an der Reihe. Sie drehte ein paar mal wieder um, weil sie zu lachen begonnen hatte, noch bevor sie angefangen hatte, aber dann ging auch sie mit einem freundlichen Lächeln auf die Verkäuferin zu, eine alte Frau diesmal. „Excusez-moi...“, sagte sie mit dem butterweichen Akzent, um den ich sie so beneidete. Wir alle drei waren für ein halbes Jahr in Frankreich gewesen, aber Katrin hörte sich am meisten nach einer Französin an. Ich vermutete, dass nur ein Muttersprachler sie durchschauen würde.
    Die alte Frau am Stand schaute ein wenig panisch drein – vermutlich erkannte sie die Sprache noch nicht einmal als Französisch – und Katrin drehte lachend ab, und wir verließen den Stand.
    Die nächste Crêpe-Bude war größer, ein richtiges Zelt. Am vordersten Herd stand ein junger Mann – ziemlich gutaussehend, wie ich fand. Katrin gab Jule einen Stoß, beide lachten schon wieder. „Das ist deiner“, sagte Katrin. „Wetten der findet das heiß, wenn du ihn auf Französisch anquatscht.“
    Jule entwandt sich ihrem Griff. „Der sieht zu süß aus. Da fang ich nur an zu lachen.“
    Ich machte einen Schritt vorwärts. „Dann geh ich eben.“
    Grinsend ging ich auf den jungen Mann zu. „Vous pouvez m’aider? Je suis un peu perdue et il y a personne qui parle francais ici…"
    Er grinste zurück. „Ah, t’es francaise, toi? Eh bien, je suis Laurent. Tu fais une échange?"
    Hinter mir platzten Jule und Katrin vor Lachen.
    Laurent, der Franzose feixte. „Also. Willst du ein Crêpe oder nicht?“


    (Übersetzung des letzten Dialogs: „Können Sie mir helfen? Ich habe mich ein bisschen verlaufen und es gibt hier niemanden, der Französisch spricht.“
    „Ah, du bist Französin. Also gut, ich bin Laurent. Machst du einen Austausch?“)

  • 15. Dezember 2007 von bluenightowl



    Er saß zitternd auf der Bettkante seiner Kemenate und pustete auf seine bläulich verfärbten Hände, in der Hoffnung ihnen etwas Wärme zukommen zu lassen. Doch vergeblich, das einzige was er erreichte, war ein erneuter schmerzhafter Hustenanfall. Der Viehdoktor, der letzte Woche nach dem hustenden Pferd gesehen hatte, hatte ihm gesagt er sollte seinen Frieden mit Gott machen, lange würde es nicht mehr dauern und der Husten würde sein Tod sein. Die Schwindsucht fraß ihn auf.


    Seine Augen schweiften durch die karge Kammer. Ein Bett mit Decke, ein Stuhl, auf dem eine Kerze stand und etwas Licht spendete und ein Haken an der Tür , an dem seine wenigen Kleidungsstücke hingen. Sollte dies alles sein, was von ihm übrig blieb? All das war auch nur noch vorhanden, weil der Bauer ihn aufgenommen hatte. Wohl auch aus Barmherzigkeit, weil man ja auch einem ausgedienten Pferd das Gnadenbrot gab, oder wegen der alten Zeiten, wie der Bauer sagte und wegen der gemeinsam erlebten Abenteuer in jungen Jahren und die gemeinsamen Erinnerungen. Er war dankbar die kalte Kemenate mit dem Bett zu haben, sonst würde er wohl letzten Winter irgendwo erfroren sein oder nun im Armenhaus sterben müssen. Die Verwandtschaft hatte ihre eigenen Sorgen in diesen schweren Zeiten, und sie hielten ihn für einen Versager der nichts in seinem Leben geschafft hatte. Wenn er sich so umsah hatten sie wohl auch Recht.


    Aber hatte das Leben ihm nicht auch besonders grausam mitgespielt? Seine Frau war schon seit Jahren tot, sein jüngster Sohn war vor 2 Jahren gestorben an der Ruhr, er war erst 16 Jahre alt und so stolz gewesen im Nachbarort Arbeit gefunden zuhaben. "Vati" hatte er gesagt, "ich werde mich um dich kümmern, ich verdiene ja nun etwas Geld" Warum hatte die Ruhr die Jungen und Kräftigen genommen, und ihn Kranken hatte sie verschont?


    Seine beiden anderen Söhne hatte das Abenteuer gelockt und waren zum Militär gegangen, auch waren sie der Meinung hier würden sie nichts werden. Er hatte nie wieder von ihnen gehört. Vielleicht hatten sie sich irgendwo niedergelassen wo es Arbeit gab und sie hatten Familien gegründet, oder aber sie lagen irgendwo in einem Schützengraben und starben für eine Sache, die man nicht verstehen konnte und nicht die ihre war.


    Wenn er selbst bald starb würde nichts von ihm bleiben, niemand würde ihn vermissen oder sich an ihn erinnern.


    Er schüttelte über sich selbst den Kopf. Er fragte sich, warum er sich gerade heute Abend solche sentimentalen Gedanken machte. Es war doch nie seine Art gewesen. Marga, wie er seine Frau immer liebevoll genannt hatte, hätte sich gewundert. Lag es daran das bald Weihnachten war und es sein Letztes sein würde, wenn er nicht schon vorher starb?


    Plötzlich straffte er sich, hielt den Kopf gerade und lächelte über sich selbst. Man konnte fast den Mann in seinem Gesicht sehen, der er einmal gewesen war. Laut sagte er zu sich selbst: "Alter hör auf zu flennen, morgen gehst du zu Herrn Pastor in die Kirche und machst deinen Frieden mit Gott. Das staunende Gesicht vom Pastor möchte ich noch mal sehen, wenn er mich alten Sünder in der Kirche sieht. Das milde Winterwetter meint es auch gut mit mir, nicht so kalt wie letzten Winter, als man über die Flüsse laufen konnte. Vielleicht ist es das Letzte was ich tue, ich hätte es schon früher tun sollen, aber lieber spät als überhaupt nicht mehr."
    Nach diesem Selbstgespräch schlüpfte er unter seine Decke, entspannte sich wie schon lange nicht mehr und schlief ohne weitere Hustenanfälle tief und fest ein.


    Er saß in einer großen Kirche. Den Altar konnte er nicht richtig sehen, da eine Säule den Blick versperrte. Neben der Säule stand eine große Kugel aus schwarzem Eisengitter, daran waren kleine Teller angeschweißt, auf denen flache Kerzen brannten. So etwas hatte er noch nie gesehen, auch die Kirche, das wusste er genau, hatte er noch nie gesehen. Davor stand mit
    dem Rücken zu ihm eine Frau und zündete eine dieser flachen Kerzen an und stellte sie auf so einen Teller. Sie hatte einen langen Zopf, trug aber Hosen wie ein Mann. Er schüttelte darüber den Kopf, was es alles gibt. Es stockte ihm fast der Atem, als sie anfing zu sprechen, er konnte es auch kaum verstehen, denn sie sprach so anders, fast wollte er glauben er, hätte sich verhört, aber er wusste das dem nicht so war, im Traum ist manches Gewißheit.


    "Für dich Friedrich dieses Licht, egal was du getan hast, du wirst deine Gründe gehabt haben. Ich hoffe du hast wirklich am Ende deinen Frieden gefunden. Deine Nachfahren werden deiner Gedenken." Dann drehte sie sich lächelnd zu ihm um und für einen Augenblick schien sie ihn direkt anzusehen. Diese Augen, dieses Lächeln waren ihm so vertraut. Er flüsterte ihren Namen "Marga", aber sie war es nicht, sie mochte in dem Alter sein in dem Marga starb, aber Marga sah da schon lange nicht mehr so gesund und Lebensfroh aus.


    Mit einem Ruck wachte er auf. Was war das, was hatte das zu bedeuten? In seinen Gedanken war noch immer die lächelnde Frau, die ihn anblickte.


    In der Stille hörte er den Hahn krähen, der Morgen war angebrochen. Voller Zuversicht aber mit steifen Gliedern verließ er sein Bett, zog sich an und setzte sich seinen alten Hut auf. Wenn er jetzt losging würde er am frühen Mittag an der Kirche sein. Heute war der 15. Dezember, der Tag an dem er seinen Frieden machen wollte Das Lächeln, das immer noch in seinem Herzen brannte, würde ihn warm halten und ihm Kraft geben, um die weite Strecke bis zur Kirche zu schaffen. Tatsächlich stand er kurz vor Mittag vor dem Pfarrhaus. Die mürrische Alte, die dem Pastor den Haushalt führte, machte die Tür auf. " Was willste Friedrich?" knurrte sie ihn gleich an. Im Hintergrund rief jemand: " wer ist da Hannah?" "Ich bin es...." weiter kam Friedrich nicht, er hörte wie jemand plötzlich aufsprang und dabei einen Stuhl umwarf. Schimpfend über sein Mißgeschick kam der Pastor an die Tür. "Friedrich, was für ein Zufall, dich schickt der Himmel, jetzt brauche ich nicht zu dir rauszukommen, komm rein, komm rein." Dabei schob er gleichzeitig Friedrich durch die Tür in die Küche und sagte "Hannah noch einen Teller, wir haben genug, Friedrich ißt mit uns" Dann drückte er den alten Mann auf den wiederaufgestellten Stuhl. " Ich habe etwas für dich, ist erst gestern angekommen, aber erzähl, was führt dich zu mir?" Hannah stellte, immer noch sauertöpfisch guckend, einen Teller mit Grünkohl und Pinkel vor Friedrich auf den Tisch. Bei dem Anblick knurrte Friedrichs Magen ganz laut, schließlich hatte er auch den Tag über noch nichts gegessen. Der Pastor lachte, " na dann, laß uns erst essen, dann kommen wir zu dem, was dich hergeführt hat und zu dem was ich für dich habe."


    Friedrich genoß das Essen wie lange nichts mehr, das Lächeln wirkte immer noch in ihm nach.


    Eine Stunde später saßen der Pastor und Friedrich auf einer Bank vor dem Altar in der kleinen Dorfkirche. Mehrere Kerzen brannten und erhellten den Raum mit warmen flackerndem Licht. Nachdem die Beiden eine Weile dort gesessen hatten, erzählte Friedrich, dass er gekommen war, um vor seinem Tod mit Gott und ihm, dem Pastor, seinen Frieden machen zu wollen. Schließlich waren sie nicht immer einer Meinung gewesen. Auch erzählte er ihm seinen Traum. " Ich habe dir schon lange verziehen Friedrich, und Gott hat es anscheinend auch schon getan wie ich deinen Worten entnehme." "Wie kann mir Gott vergeben haben? Er hat mir alles genommen, was mir lieb und teuer war im Leben. Sicherlich war vieles, was ich getan habe im Leben Unrecht, mein einziger Wunsch ist, nun in Frieden zu sterben."


    Der Gottesmann zog schweigend einen Brief aus seiner Manteltasche und gab ihn dem alten Mann. " Der kam gestern mit dem Postpferd" Friedrich nahm ihn und drehte ihn hin und her, unschlüssig ihn zu öffnen. Er war an seine alte Wohnung adressiert, dort wo er mit seiner Frau gelebt hatte. Das Poststempeldatum war allerdings erst einen Monat alt. "Mach ihn schon auf" Friedrich schaute vom Brief zum Pastor und wieder zum Brief. Er schluckte und gab ihn dem Pastor mit zitternden Fingern wieder zurück. "Du weißt das ich es nicht so habe mit dem Lesen, mach du ihn auf, bitte"


    Der Pastor verdrehte die Augen himmelwärts, als wenn er um Geduld bat, nahm aber den Brief und faltete ihn auseinander. Seine Augen huschten über das Geschriebene und ein Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus. Friedrich der ihn stumm und mit Spannung beobachtet hatte, stieß ihn an: "Nun sag schon, was steht drin?"


    "Also, hier steht - wie ich sehe hat es dein Sohn auch nicht so mit dem Lesen und Schreiben - " Friedrich knurrte ungeduldig was ihm einen schrägen Blick vom Pastor einbrachte. " Also hier steht: Vater mir geht es gut, werde Weihnachten nach Hause kommen. Dein Sohn Albert
    PS: Alles weitere wenn ich zu Hause bin."


    Friedrich sah den Pastor fassungslos an. Es waren 6 Jahre ins Land gegangen, seit er das letzte mal seinen mittleren Sohn gesehen hatte. Er war in den Krieg gezogen. Er hatte geglaubt, dass er irgendwo auf irgendeinem Schlachtfeld einen sinnlosen Tod gestorben war. Und nun plötzlich 2 kurze Zeilen.


    Tränen traten dem alten Mann in die Augen, er würde seinen Sohn wiedersehen, sein letztes Weihnachten würde sein schönstes werden. Er stand auf und drückte ergriffen die Hand des Pastors: "Danke, danke vielmals" Wie auf Wolken ging er aus der Kirche, auf die Straße und den langen Weg nach Hause. Ihm war ganz leicht ums Herz. Er sah vor seinem geistigen Auge das Lächeln der Fremden aus seinem Traum und er sah das Lächeln seiner Frau, auch an das Lächeln seines Sohnes erinnerte er sich , wie die 3 sich ähnelten.


    Das Leben ging weiter und er würde Spuren in dieser Welt hinterlassen, auch wenn es ihn nicht mehr geben würde.


    Bald war Weihnachten.




    Diese Geschichte ist frei erfunden. Friedrich war ein Mann, von dem es nichts mehr gibt, kein Gesicht und keine Geschichte. Alles was man von ihm weiß ist ein Eintrag im Kirchenbuch. Am 13. Januar 1796 starb der alte Häußler an Tuberkulose im Frieden mit Gott. Er wurde in aller Stille beigesetzt.


    Sein Sohn Albert hatte 11 Kinder, deren Nachfahren bevölkern Niedersachen, Holland und die USA.

  • 16. Dezember 2007 von Prinzesschen



    Ich sitze hier und mir ist klar
    Weihnachten ist schon fast ganz da
    Doch irgendwie, das ist ein Ding
    Ist das bei mir noch nicht ganz drin


    Es geht einfach nicht in den Kopf hinein
    Dass in einer Woche das Fest hat zu sein
    Trotz Dekorationen und Weihnachtsgedudel
    Ignorier ich gekonnt den Weihnachtstrubel


    Der ewige, weihnachtsmärktliche Terz
    Erweckt bei mir nicht das Weihnachtsherz
    Mehr Anderes als die altwohnten Sachen
    Dinge, wo ich mich frag, was die da machen


    Auch das Wetter wills nicht mit ansehen
    Nicht länger den Gewohnheiten nachgehen
    Die Kälte, die stellt sich hier nicht ein
    Ich komme nicht in das Feeling hinein


    Statt üblicher, festlicher, weißer Decke
    Ist immer noch da der gewöhnliche Drecke
    Entgegen der späten Jahreszeit
    Hat es noch nicht so richtig geschneit


    Nun hoff ich verzweifelt auf die alten Zeichen
    Dass den warmen Tagen kältere weichen
    Und mich vielleicht noch rechtens erinnern:
    Ich hab mich noch um Geschenke zu kümmern

  • 17. Dezember 2007 von bartimaeus



    Ich hab eine Kerze entzündet
    Und in mein Fenster gestellt,
    Damit sie die Weihnacht verkündet,
    Die dunkle Zeit erhellt.


    Kommt, seht, wie es sternengleich funkelt,
    Der Flamme flackerndes Licht,
    Es nachmittags, wenn es schon dunkelt,
    Den nächsten Tag verspricht.


    Ich hab eine Kerze entzündet
    Und in mein Fenster gestellt,
    Damit sie die Weihnacht verkündet,
    Die dunkle Zeit erhellt.


    Auf dass sie uns Fröhlichkeit spende
    Und jedem, den es gefriert,
    Ein tröstendes Lichtsignal sende,
    Das Hoffnung transportiert.


    Ich stell eine einzige Kerze
    Gegen ein grelles Heer,
    Gegen beleuchtete Schwärze,
    Gegen das Lichtermeer.

  • 18. Dezember 2007 von churchill



    Verleih uns Frieden


    Verleih uns Frieden gnädiglich,
    Herr Gott zu unsern Zeiten,
    es ist doch ja kein ander nicht,
    der für uns könnte streiten,
    denn du, unser Gott, alleine


    Martin Luther textete und komponierte 1531 diesen Choral, der auf einen Text aus dem 9. Jahrhundert zurückgeht. Vielfach wurden die Zeilen in der Folge vertont. Die wohl bekanntesten Kompositionen stammen von Heinrich Schütz (zwischen 1629 und 1645) und Felix Mendelssohn - Bartholdy (1831). Die Zeilen Martin Luthers sind der Ausgangspunkt für folgende Betrachtung:



    Verleih uns Frieden – Variation


    Verleih uns Frieden gnädiglich
    Es wär ein passendes Geschenk
    Im Überfluss der Überflüsse
    Denn alles andre ist wohl schon
    Recht reichlich ungerecht verteilt
    Der Frieden aber wird gerecht
    Noch allen Seiten vorenthalten
    Verleih uns Frieden gnädiglich


    Herr Gott, zu unsern Zeiten
    Ob dreißig Jahre Krieg, ob sechs,
    Ob Waffenstillstand durch Jahrzehnte
    Die Zeiten ändern sich, doch wir
    Beklagen stets, dass unsre Zeiten
    Die schlimmsten aller Zeiten seien
    Und haben Recht. Und klagen weiter
    Herr Gott, zu unsern Zeiten


    Es ist doch ja kein ander nicht
    Nun gut, ein oder ander schon,
    Die Werbung gibt dies täglich kund
    Und warum überhaupt ein ander
    So bin doch Ich das Maß der Dinge
    Und dreh mich stets um dieses Maß
    Den Blick vom andern fernzuhalten
    Es ist doch ja kein ander nicht


    Der für uns könnte streiten
    Ist Streit nicht böse? Nicht verboten?
    Schwer hängt der Mantel feigen Schweigens
    Über Geschichten und Geschichte
    Die Unbequemen zuzudecken
    Prinzip der falschen Harmonie
    Streit wird verteufelt. Bist es Du
    Der für uns könnte streiten?


    Denn du, unser Gott alleine
    Durchbrichst diesen Rhythmus des falschen
    Und heuchelnden Zudeckungsfriedens
    Bist fordernd und laut und parteiisch
    Und kommst als der Schwächste der Schwachen
    Als Kind in die Krippen der Zeiten
    Aus Liebe für alle zur Hoffnung
    Denn du, unser Gott alleine

  • 19. Dezember 2007 von keinkomma



    Hallo, Ihr lieben Büchereulen!
    …fünf Mal werden wir noch wach…Zeit also, um mal so richtig lührisch und besinnlich zu werden. Ich wünsche Euch einen wunderschönen 19. Dezember!
    Liebe Grüße
    Silke




    ABENDMAHL


    Im Dom zu Speyer
    saß Frau Meyer
    ganz und gar in sich versunken.
    Hatte zu viel Wein getrunken.
    Über ward es auch dem Herrn Roth,
    er aß zu viel Oblatenbrot.
    Dieses muss er bald erbrechen,
    wartet nur noch auf den Sechen.



    KRIPPENSPIEL


    Mutter bettet den Knaben auf Stroh
    und wickelt ihm Windeln um den Po.
    Der Vater betrachtet die Szene stumm
    Und steht müde in der Ecke rum.


    Und es dauert auch nicht lange,
    da wird der Mutter mächtig bange.
    Der Knabe liegt darnieder mit Grippe,
    schnell versammelt sich die ganze Sippe.


    Aus dem Orient kommen Onkeln hervor:
    Balthasar, Kaspar und Melchior.
    Vom Weihrauch wurd's dem Kinde schlecht,
    Gold war der Mutter nicht so recht.


    Die Myrrhe tat abscheulich stinken,
    der Mut der Eltern langsam sinken.
    Da öffnet sich die Tür vom Stall,
    von draußen gibt’s 'nen großen Knall.


    Gottvater persönlich brüllt: „Ist es zu fassen?
    Seid von allen Geistern ihr verlassen?
    Jesses, Maria und Josef, verflucht,
    habt ihr denn kein Penizillin versucht?!“


    Maria bleibt ganz unbefleckt,
    Josef stumm die Schultern reckt.
    Da schickt Gottvater zu dem Bengel
    Den ersten Kinderschutzbund-Engel.