Mein Sohn hat ein Sexleben und ich lese meiner Mutter Rotkäppchen vor, Renate Dorrestein, Originaltitel "Mijn zoon heeft een seksleven en ik lees mijn mooeder Roodkapje voor", Übersetz. Hanni Ehlers, Bertelsmann, München, 2007, ISBN 978-3-570-00980-2, 16,95 €
Zum Autor: lt. Klappentext
Renate Dorrestein, geboren 1954, gehört zu den renommiertesten Autorinnen der Niederlande und wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen bei C. Bertelsmann ihre Romane Das Erdbeerfeld und Der Ausflug.
Meine Meinung:
Der Titel von Renate Dorresteins Roman „Mein Sohn hat ein Sexleben und ich lese meiner Mutter Rotkäppchen vor“ klingt nach einer herzhaften Geschichte zum Lachen mit vielleicht einigen nachdenklichen Momenten. Das ist es nicht. Renate Dorrestein erzählt uns eine Geschichte, die zum Lachen wäre, wenn sie nicht zum Weinen wäre.
Heleen, Ende 40, führt an und für sich ein glückliches Leben. Sie betreibt mit ihrem Mann, den sie auch nach vielen Ehejahren noch liebt, eine gut gehende Gärtnerei, hat einen 17-jährigen Sohn, der langsam flügge wird und eine 14-jährige Tochter. Dieses Glück wird zwar etwas getrübt, da sie mit den Wechseljahren zu kämpfen hat und ihr die Lust abhanden gekommen ist, dennoch führt sie ein recht zufriedenes und glückliches Leben. Bis zu dem Tag, an dem ihre Mutter einen Gehirnschlag bekommt und zum Pflegefall wird. Für Heleen beginnt eine Odyssee durch Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Der psychische Druck geht teilweise über Heleens Belastbarkeitsgrenze, zumal die Beziehung zur Mutter nie unbelastet war und Heleen sich hin- und hergerissen fühlt zwischen Mitleid und Abwehr. In der Auseinandersetzung mit ihrer Mutter gewinnt Heleen eine neue Sicht auf ihr eigenes Älterwerden. Ihre Kinder werden selbständig, ihr Sohn Storm ist über beide Ohren verliebt und ihre Tochter Lizzy hat einen Verehrer – auch wenn dieser Heleen überhaupt nicht gefällt. Die Last auf Heleen ist so groß, dass sie dringlich eine Auszeit bräuchte, um sich selbst zu finden und die Beziehung zu ihrem Mann nicht zu gefährden.
Obwohl Renate Dorrestein ihre Protagonistin Heleen die Geschichte in lockerer, leichter Sprache, manchmal ironischem, manchmal gar zynischem Ton erzählen lässt – zum Lachen ist das vielleicht nur dann, wenn man von Heleens Situation Jahrzehnte entfernt ist. Andernfalls bleibt einem das Lachen von Beginn an im Hals stecken. Im Gegensatz zu Bridget Jones hat Heleen ihren Mr. Darcy oder Mr. Right schon lange gefunden, und die Diätprobleme werden von Faltenproblemen abgelöst, aber das Leben hält noch schwierigere Situationen vor. Von Seite zu Seite erfahren wir, wie sich Heleens Belastung verschlimmert. Zum Einen weil ihr die Zeit schlicht und ergreifend gar nicht mehr reicht, um alles zu regeln was ansteht, zum Anderen weil sie den geistigen Verfall ihrer immer sehr selbständigen Mutter von Tag zu Tag erleben muss und das Ausmaß dessen erst erleben muss, um zu ahnen in welcher Welt ihre Mutter nun lebt. Für den einfühlsamen Leser ist es durchaus hart, den Fortgang der Geschichte zu verfolgen, aber faszinierend und lohnend. Obwohl ich mir gerade leichtere Lektüre zum Lesen gewünscht hatte, konnte ich mich nicht mehr von diesem Buch lösen.
Renate Dorresteins Roman „Mein Sohn hat ein Sexleben und ich lese meiner Mutter Rotkäppchen vor“ ist eine locker und leicht geschriebene, sensible Auseinandersetzung mit den Problemen des Älterwerdens, mit Pflegebedürftigkeit und der daraus entstehenden Belastung für die Familie. Nicht lustig, aber sehr lesenswert.