Zugegeben - die Geschichte habe ich schon mal in einem Forum gepostet, das es leider nicht mehr gibt. Darum bin ich auf der Suche nach einer neuen Heimat
Bin ehrlichgesagt gespannt und aufgeregt, wie meine Geschichte in einer Community, die mir noch fremd ist und für die ich noch fremd bin, ankommt. Über Feedback würde ich mich jedenfalls sehr freuen^^
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Stumm berührte er in seiner Erinnerung ihren schlanken Körper, fuhr mit schwarzen Fingern über seidigzarte Haut. Soviel Licht, geboren aus der Finsternis totaler Blindheit. Milde lächelte sie ihn an, drückte seine kalte, sterbende Hand ohne Furcht an ihr warmes, pulsierendes Herz. Wärme. Er spürte soviel Wärme. Zumindest glaubte er das.
Starr wie die Zinken einer Harke schrammten seine tauben Fingerspitzen über ihre Brust, unfähig, den weichen Rundungen zu folgen. Entschlossen nahm sie seine Finger in die Hand, drückte die Knöchel, bis sich die Glieder mit leisen Knacken aus ihrer Erstarrung lösten. Wie Perlen an einer Schnur ließ sie seine Finger über ihren nackten Körper fließen. Wortlos ließ er es geschehen. Starr, regungslos, unfähig, auch nur einen kleinsten Muskel zu bewegen. Aus leeren, glasigen Pupillen blickte er sie an, blickte in gütige, tiefbraune Augen.
Liebe. Zwischen ihnen war soviel Liebe. Wie hatte er sie nur so einfach wegwerfen können? Wegwerfen, für einen sinnlosen Traum, der sein Alptraum geworden war. Würde sie ihm jemals verzeihen können? Würde sie je darüber hinwegkommen? Wie hatte er ihr das nur antun können? Sie hatten doch noch soviel vor. Er hätte geweint, wären seine Tränen nicht längst gefroren.
Mit einem Ruck zog sie ihn an sich. Warme, bronzene Haut kroch über blauschwarze Erfrierungen, ein Kontrast, der nicht größer hätte sein können. Gemeinsam folgten ihre Blicke der Spur ihrer Finger auf seinem verfallenden Körper. Dort, wo die Kälte die Haut noch nicht verbrannt hatte, kräuselte sie sich zu einer sanften Hügellandschaft, ließ die Haare hoch stehen wie einen kleinen, lichten Wald. Unwillkürlich musste sie lachen. Ein befreiendes, erlösendes Lachen. Langsam, schüchtern fast, näherte sich ihr Mund seinem eisigen, zur Maske erstarrten Gesicht. Zärtlich legte sie ihre Hände auf seine eingefallenen Wangen, schob mit den Daumen das Gestrüpp seines verfilzten Bartes, in dem noch glitzernde Eiskristalle baumelten, bei Seite. Dann küsste sie ihn. Küsste ohne Zögern seine rauen, blutleeren Lippen. Glücklich schloss er die Augen. Fühlte ihren Kuss. Schmeckte ihn. Kostete ihn aus. Genoss die Erinnerung an diesen letzten Moment des Beisammenseins.
Er fürchtete sich nicht mehr. Er hatte seinen Frieden geschlossen. Mit ihr - und mit seinem Schicksal. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Er spürte nichts. Gar nichts mehr. Ihm war nicht mal mehr kalt. Dann schlief er ein.
Das Heulen und Jaulen des Sturmes legte sich, als die ersten Sonnenstrahlen über den Gipfel krochen. Glitzernd begannen die Schneekristalle zu schmelzen. Langsam kam zum Vorschein, was der Sturm der letzten Nacht verweht hatte. Wie ein Mahnmal für alle Nachfolgenden ragte sie aus der blütenweißen Schneedecke. Eine Hand. Seine schwarze, tote Hand.
Jahr für Jahr sterben Menschen bei dem Versuch, den Everest zu bezwingen. Bis zum Jahr 2005 waren bereits 186 Todesopfer zu beklagen – und ihre Zahl steigt weiter an.