Marguerite Yourcenar - Lebensquellen

  • Klappentext
    (meiner alten, vom geerbt-SUB gegrabbelten Ausgabe entnommen)


    In späten Jahren hat sich Marguerite Yourcenar, die große alte Dame der französischen Literatur, in den Bänden "Gedenkbilder", "Lebensquellen" und "Liebesläufe" ihrer eigenen Familiengeschichte erinnert. Ihre Spurensuche, die in Lebensquellen den Vorfahren der väterlichen Linie gilt, reichte von den "Cleenewerck", die schon im 16. Jahrhundert in der Gegend von Lille ansässig waren und wenig später in den Adelsstand erhoben wurden, bis hin zu Michel de Crayencour, dem Vater der Yourcenar, diesem liebenswerten Aristokratensohn und Weltmann des fin de siecle, der das Spiel, das Geld und die Frauen liebt, allen Konventionen feindlich ist und leichtherzig ein Vermögen durchbringt.
    Marguerite Yourcenar, die mit bewunderungswürdiger Klarheit und Eleganz ein eminentes und kulturgeschichtliches Wissen darbietet, muß dem Leser gelegentlich in Erinnerung rufen, daß er keinen Roman vor sich hat.


    Über die Autorin
    (dito)


    Marguerite Yourcenar, geb. 1903 in Brüssel, Historikerin, Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin, lebte seit 1939 in den USA. 1981 wurde sie als erste Frau in die Academie Francaise gewählt. Ihr umfangreiches schriftstellerisches Werk, für das sie mit zahlreichen bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, umfasst Erzählungen, Romane, Dramen, Gedichte, Essays und Übersetzungen. Marguerite Yourcenar starb 1987 in Maine / USA.


    Meine Meinung
    Ich habe dieses Buch lange auf meinen (zum Glück erheblich geschrumpften - Stand jedenfalls 27.11.07 :grin ) SUBs hin- und hergeschichtet. Der Klappentext klang irgendwie - zäh. Hab's trotzdem in meiner Bemühung, die SUBs wegzukriegen, endlich angefangen - und irgendwie ruckizucki ausgelesen (und dabei meine tägliche Lese-Zeit sehr großzügig ausgedehnt :schaem ).
    Im Klappentext ist eigentlich alles Wesentliche zum Inhalt schon gesagt.
    Mich hat die scheinbar mühelose Erzählweise Yourcenars bezaubert! Ich hatte das Gefühl, mit offenem Mund einer sehr klugen älteren Dame bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein zu lauschen, während sie die Geschichte der Familie ihres Vaters erzählt, dabei immer wieder Zeitsprünge vorwärts oder rückwärts macht, ohne dabei den Erzählfluss abrupt zu unterbrechen. Ganz nebenbei flicht sie Betrachtungen über Sprache, Geschichte, Psychologie, Politik, Kultur und Mythologie ein (fett angestrichen UND mit post-it markiert habe ich mir ihren faszinierenden Exkurs über die Etymologie des Wortes "Harlekin"). Besonderes Gewicht liegt ja auf der Lebensgeschichte ihres Vaters, und da versteht Yourcenar meisterhaft, das 19. Jahrhundert in allen Details wieder auferstehen zu lassen.
    Und ja, ich mußte mir oft in Erinnerung rufen, dass dies KEIN Roman ist (auch wenn sie an manchen Stellen freimütig Fiktionalisierungen oder Spekulationen zugibt).


    Für mich definitiv lesenswert - und sobald die SUBs weg sind und ich wieder nach Herzenslust Bücher hamstern "darf", muss ich mir die beiden anderen im Klappentext erwähnten Bände dieser Familiengeschichte besorgen!! :-]

  • Danke für diese schöne Rezi.


    Ich habe von Marguerite Yourcenar "Gedenkbilder" im SUB. Der 1. Teil einer dreiteiligen Familiengeschichte. Diese Trilogie ist übrigens der Familie mütterlichseits gewidmet.
    Nach den Dönhoff-Büchern werde ich mich Yourcenar zuwenden.



    edit: Satz hinzugefügt

  • @ BronteSisters


    gern geschehen :wave
    freut mich, dass Sie bei Dir auf Interesse gestoßen ist - ich überlege ja schon immer zweimal, ob ich solche "älteren" Bücher rezensieren soll/kann/darf oder nicht. :grin
    Ich hoffe, "Gedenkbilder" ist mindestens ebenso schön wie "Lebensquellen". Ihre Mutter resp. deren Familie wird darin nur kurz erwähnt, aber das Wenige, was darin stand, verspricht, sich interessant zu lesen und hat mich durchaus neugierig gemacht. :-)

  • Zitat

    Original von Nicole
    @ BronteSisters


    gern geschehen :wave
    freut mich, dass Sie bei Dir auf Interesse gestoßen ist - ich überlege ja schon immer zweimal, ob ich solche "älteren" Bücher rezensieren soll/kann/darf oder nicht. :grin


    Ja, aber bitte doch! Ein Buch, das schon 10, 20, 50 Jahre alt ist, kann mindestens genauso lesens- und empfehlenswert sein wie eines, das gerade frisch gedruckt wurde.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Zitat

    Original von Batcat
    Ja, aber bitte doch! Ein Buch, das schon 10, 20, 50 Jahre alt ist, kann mindestens genauso lesens- und empfehlenswert sein wie eines, das gerade frisch gedruckt wurde.


    Eben, drum habe ich mir dieses auch still und heimlich auf meine Wunschliste recht weit oben hin geschrieben. :-)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • gerne, milla :wave


    "Gedenkbilder" bildet mit "Lebensquellen" in Yourcenars eigenen Worten einen Diptychon.
    "Gedenkbilder" ist als erster Band der dreien verfasst worden und erschienen (1974; Band 2 1977).


    Kurzbeschreibung
    (Auszug aus derjenigen von amazon)


    (...) In ›Gedenkbilder‹ verfolgt sie dazu die mütterliche Ahnenlinie: die kurze Geschichte der Ehe ihrer Eltern, das Leben der beiden schriftstellernden Großonkel oder der Großeltern, »dieses Herrn im Gehrock und dieser Dame im Reifrock, die in unseren Augen kaum noch mehr sind als Musterexemplare der Menschheit ihrer Zeit« – bis zurück ins Belgien des 13. Jahrhunderts reicht dieses Stück privater Geschichte, das zugleich auch ein Stück Universalgeschichte darstellt, und von dem der französische Kritiker Robert Kanters sagte, es habe »alle Chancen zu dauern und wie ›Dichtung und Wahrheit‹ eine Art Klassiker der Autobiographie zu werden«.




    Yourcenar schreibt auf der ersten Seite von "Lebensquellen" dazu:


    In einem Band (...) habe ich versucht, ein Ehepaar der Belle époque abzuschildern, meinen Vater und meine Mutter, dann zeitaufwärts, zu meinen Vorfahren mütterlicherseits zu kommen, die im Belgien des 19. Jahrhunderts heimisch waren (...)
    ("Lebensquellen", S. 9 )


    Interessant finde ich, dass dieser erste Band vom 19. Jahrhundert in der Zeit hauptsächlich ZURÜCK wandert, während "Lebensquellen" VORWÄRTS wandert.


    Die beiden schildern also jeweils (mit Überschneidungen, was die Ehe von Yourcenars Eltern betrifft) tatsächlich zwei unterschiedliche Stränge, so wie ich es verstanden habe. :-)

  • den 3. Band "Liebesläufe" (1988 erschienen) verstehe ich als eine Art "Nachklapp" zu den anderen beiden, besonders zu "Lebensquellen", weil Yourcenar aus dem Leben ihres Vaters eine Epiosde herausgreift und schildert und zu sich selbst in Bezug setzt.


    Kurzbeschreibung
    (Auszug aus derjenigen von amazon)


    (...)Auf bewegende Weise schildert sie in den unvollendet gebliebenen und postum erschienenen ›Liebesläufen‹ das Dreiecksverhältnis zwischen ihrem Vater, dem Spieler und Verführer Michel de Crayencour, der schönen, unkonventionellen Jeanne und deren Mann Egon von Reval, einem avantgardistischen Musiker.
    Jeannes verspäteter Beileidsbrief zum Tod von Crayencours zweiter Gattin, Marguerite Yourcenars im Kindbett verstorbener Mutter, bildet den Auftakt zu einer großen Liebe, an der die Liebenden ein Leben lang festhalten werden.
    Doch Jeanne will ihren Mann nicht verlassen, obwohl ihre Ehe immer bedrohlicher überschattet wird von Egons homosexuellen Eskapaden und Skandalen.
    Ganz nebenbei entwirft die große Kosmopolitin in kunstvoll gebrochenen Perspektiven ein faszinierendes Zeitpanorama: Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Erstmals spricht Marguerite Yourcenar in ihrer autobiographischen Familiengeschichte nun auch von sich, von ihren Eindrücken der Jahre in Mont-Noir, ihrer prägenden Lektüre der Klassiker und dem Erlebnis ihrer ersten erotischen Empfindungen.

  • Zitat

    Original von milla
    weil mich dieses von dir genannte Zurückwandern reizt


    genau so geht's mir auch!! :-]
    Aber wenn ich mir meine SUBs so betrachte, wird's wohl noch einige Zeit gehen, bis ich mir das anschaffen kann... :cry