Herrn Lublins Laden
Schmuel J. Agnon
Klappentext:
Leipzig nach dem Ersten Weltkrieg - in Herrn Lublins Laden, einem alten Handelshaus in der Altstadt, treffen einander die alteingesessenen jüdischen Kaufleute. Der Ich-Erzähler beaufsichtigt den Laden, und seine Gedanken schweifen ab zu Lublins Lebensgeschichte, zu den Nachbarn und deren Gechichten. Zwischendurch treten immer wieder Leute ein, und er findet sich plötzlich inmitten von Auseinandersetzungen, erfährt und erlebt kauzige Anekdoten und philosophische Streitgespräche. Diese vielen Erzählungen von Verkupplung, Liebe und Tod, die farbigen Schilderungen voller Charme und Klugheit lassen eine ganz eigene Atmosphäre, die dem Vergessen anheim gegeben war, noch einmal lebendig werden.
Der Autor
Samuel Josef Agnon (eigentlich Samuel Josef Czaczkes) * 17. Juli 1888 in Buczacz, Galizien, heute Ukraine; † 17. Februar 1970 in Rechowot bei Tel Aviv) gilt als einer der wichtigsten hebräischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Seine Werke spiegeln eine tiefe Verwurzelung in den religiösen und geistigen Traditionen der Chassidim und dem Alltag des östlichen Judentums wider und sind in ihrer Darstellung von Angst und Schutzlosigkeit den Arbeiten von Kafka vergleichbar. 1966 erhielt er zusammen mit Nelly Sachs den Nobelpreis für Literatur. (Quelle: Wikipedia).
Meine Meinung
Genaugenommen passiert in diesem Roman nicht viel: Der Autor, ein galizischer Jude, der nach Israel ausgewandert war und während des Ersten Weltkrieges in Leipzig gestrandet ist, soll für einige Zeit auf Herrn Lublins Laden aufpassen. Doch die Rückkehr des Ladenbesitzers lässt auf sich warten, und da der Erzähler nichts zum Lesen hat (Herr Lublin besitzt nur Inventarlisten und das Telefonbuch) und auch niemand den Laden betritt, der ihm die Zeit vertreiben könnte (da dieser eigentlich ein reines Versandgeschäft ist), bleibt ihm nichts anderes übrig, als seinen Gedanken nachzuhängen.
Und während dieser Gedanken verwebt er die unterschiedlichsten Welten des "Mikrokosmos Leipzig" miteinander: Hier treffen zu Wohlstand und Ansehen gekommene galizische Juden mit "assimilierten" deutschen Juden zusammen, einig in ihrer Liebe zu Vaterland und Kaiser. Tiefreligiöse Chassidim, die ihrer verlorenen Heimat nachtrauern und christliche Ladenbesitzer, denen der Krieg auch die letzte Ware, die sie hätten verkaufen können, geraubt hat; gefallene Mädchen und korrupte Rathausbeamte: die unterschiedlichsten Charaktere bilden eine Momentaufnahme einer deutschen Stadt um 1916.
Und dazwischen immer wieder Geschichten aus der galizischen Heimat, Anekdoten berühmter Chassidim oder Betrachtungen zum Zionismus. Wie es ihm eben in den Sinn kommt.
Mich hat dieses Buch ungemein fasziniert; vielleicht etwas weitschweifig aber mit feinem Humor erzählt, bietet es, da es offensichtlich vor dem Dritten Reich geschreiben wurde (ein Fundstück, dass erst 1974, nach seinem Tod, veröffentlicht wurde), einen Blick auf deutsch-jüdisches Miteinander zur Kaiserzeit, der noch nicht durch die Geschehnissen der Naziherrschaft geprägt ist.